Bauwerk

Kunsthaus Bregenz
Peter Zumthor - Bregenz (A) - 1997
Kunsthaus Bregenz, Foto: Walter Zschokke
Kunsthaus Bregenz, Foto: Walter Zschokke

Glasgefieder wie Perlmutt

Einen Ort für Kunstwerke und einen Ort, wo man Kunstwerken in Ruhe begegnen kann, wollte Peter Zumthor schaffen. Sein Kunsthaus Bregenz erfüllt diese Vorgaben in maßstabsetzender Perfektion.

19. Juli 1997 - Walter Zschokke
Das neue Kunsthaus Bregenz ist ein Turm. Der „Ort für Kunstwerke“ hat die typologische Struktur eines mittelalterlichen „Donjon“, jenes mächtigen Turmtypus, den man in England „Keep“ nennt. Bei dem die Treppen sich spiralig in den dicken, oft raumhältigen Außenmauern hochwinden, welche die übereinanderliegenden Hallen im Inneren umfassen.

Dieses Grundprinzip stand schon fest, nachdem im Jänner 1990 der Architektenwettbewerb entschieden war. Der durch Einsprachen hinausgeschobene Baubeginn erfolgte Anfang 1994. Man nützte die Wartezeit. Das eben fertiggestellte Haus erfuhr gegenüber dem Einreichprojekt weitere Präzisierungen.

Städtebaulich ist der aus zwei Baukörpern bestehende Neubau leicht zu verstehen: Der Turm reiht sich vorn in die Front zum See, zwischen andere hohe Gebäude wie die gründerzeitliche Post und das etwas verunglückte Bühnenhaus des Kornhaustheaters aus den fünfziger Jahren. Zur Stadt hin gerichtet und bewußt eigenständig, steht der längsquadrische Verwaltungsbau des Museums. Er ist volumetrisch und bezüglich seiner städtebaulichen Lage verwandt mit den anderen Bauten dieser lockeren Zwischenzone an der Kornmarktstraße: dem benachbarten Gasthaus und der runden Seekapelle. Die beiden Neubauten fügen sich in die bestehende stadträumliche Struktur. Der Turm überragt seine Nachbarn, weil er eben ein Turm ist. Eine gedrungenere Proportion wäre einer Abschwächung der Idee gleichgekommen.

Im übertragenen Sinn steht der Turm unter anderem für die Ausstrahlung in die Nachbarregionen Deutschlands und der Schweiz, denn das Haus besetzt eine wichtige Position am Ufer des Bodensees, im westlichsten Zipfel Österreichs. Für ein öffentliches Gebäude und Kulturbauwerk ist die städtebauliche Hervorhebung fast selbstverständlich.

Das Kunsthaus Bregenz versteht sich als Ausstellungshaus internationaler zeitgenössischer Kunst und will Ort permanenter Auseinandersetzung mit Kunst und Gestaltungsfragen sein. Peter Zumthor formuliert auf das Bauwerk bezogen bedächtiger: Es solle „Ort für Kunstwerke und ein Ort für den Menschen, der diesen Kunstwerken ungestört und in Ruhe begegnen möchte“, sein.

Ungestört und in Ruhe. Damit hat er sich selbst die Aufgabe formuliert. Mit dem „Menschen“, Frau oder Mann, ist das Individuum angesprochen. Darum der Turm: als Rückzugsort nicht der Kunst, sondern des Menschen - zur Begegnung mit Kunst - , das Hinaufsteigen als Sichentfernen von Lärm und Getriebe in den Straßen.

Wenn man nun auf dem Karl-Tizian-Platz vor der nach Beleuchtung und Witterung changierenden Fassade steht, rechter Hand das in Schwarz gehaltene Verwaltungsgebäude, sieht man nur die äußere Hülle aus großen, überschuppt montierten Glasschindeln.

Die hinter der Hülle befindliche Struktur ist aus Stahlbeton. Sie beginnt mit den in der Tiefe gründenden Fundamenten. Es folgt eine Wanne, zwei Geschoße unter Straßenniveau. Sie gibt den quadratischen Grundriß vor.

Daraus steigen windradförmig drei tragende Betonscheiben auf. Die beiden längeren bilden einen Winkel, in dessen Öffnung die kürzere bei der vierten Gebäudeecke positioniert ist. In der untersten Kellerdecke verspannt, die allseitig an die Wanne anschließt, entwickelt sich die Tragstruktur aus dem ersten Untergeschoß heraus losgelöst von den Umfassungswänden der Baugrube in die Höhe.

Die Geschoßdecken als auskragende Plattformen werden von den drei kräftigen Betonscheiben durchdrungen, sodaß sich deren Konstellation auf allen Geschoßen wiederholt, wo sie jeweils ein räumliches Spannungsfeld erzeugen. Im Erdgeschoß ist außen an der in der Untergeschoßwanne stehenden Plattform eine transparente Glaswand herumgezogen, die als Klimagrenze dient.

Zwischen dieser inneren Wand und der äußeren geschuppten Glashülle zieht sich ein Spalt von der Breite eines schmalen Korridors um das Bauwerk und läßt von oben Licht in die angrenzenden Bereiche des ersten Untergeschoßes einsickern. Der Raum zwischen geschuppter Hülle und Klimawand, der auch die Stützkonstruktion für die Glastafeln enthält, ist mit einer Reinigungsgondel befahrbar. Zuoberst führt ein Dienststeg um den Bau herum. - Durch die geätzten Scheiben der gläsernen Schindeln kann man schemenhaft arbeitende Menschen erkennen. Von der Stützkonstruktion sieht man nichts, da sie listigerweise hinter jenem Streifen angeordnet ist, in dem sich die Glasplatten überdecken. Nur die langen Diagonalen der Windverspannung sind als Linien zu erkennen, die der Fassade als geometrisches Proportionalnetz hinterlegt sind. Obwohl die Befestigungen der Platten sichtbar sind, verschwindet die Tragstruktur hinter dem wie Perlmutt schimmernden Glasgefieder.

Während also die Erdgeschoßhalle von den drei Betonscheiben raumbildend gefaßt und von den doppelten Mattglaswänden schleierartig umhüllt wird, werden die Ausstellungsräume in den oberen drei Stockwerken je von einer umlaufenden Betonwand umschlossen. Die tragenden Stahlbetonscheiben stehen dazu nach innen in einem knappen Abstand, sodaß von der Halle drei Teilräume abgetrennt werden.

Diese drei schmalen langen Räume enthalten jeweils die Vertikalverbindungen. Das Prinzip ist auf allen Geschoßen dasselbe, nur die Deckenhöhe nimmt nach oben leicht zu. Da die Betonscheiben etwas vorgezogen sind, muß man um die freie Kante herumgehen, um dahinter zu kommen. - In der Achse des Eingangs befindet sich der Materiallift hinter der kurzen Betonscheibe, jene an der „rechten“ Seite verdeckt den Besucherlift und schützt die Fluchtstiege, und die Tragscheibe hinter der Eingangsfassade birgt den jeweils von unten her aufsteigenden Lauf der Kaskadentreppe, auf der die Besucher den nächsten Raum erreichen können. Wegen dieser vor der Betonumschließung stehenden Tragscheiben wirken die Ausstellungsräume nicht hermetisch, obwohl rundherum nur samtig grauer Beton zu sehen ist.

Die Lichtdecke aus quadratischen, ebenfalls mattierten Glastafeln trennt optisch vom darüberliegenden Lichtführungsraum ab, der halb so hoch ist wie der Saal darunter und zur Fassadenhülle nur eine klimatrennende, klare Verglasung aufweist. Durch die geschuppte Mattglasschicht dringt das Licht seitlich ein und verteilt sich, zur Mitte hin abnehmend, über der Decke. Der Wechsel im Tageslauf teilt sich so nach innen mit. Wenn die Lichtmenge zu gering wird, setzt die künstliche Beleuchtung ein.

Diese lichtführende Raumschicht über dem begehbaren Raum begleitet auch die Treppe nach unten. Das Verlassen eines Stockwerks geschieht durch die kleine „Tapetentür“ aus Beton im hinteren Bereich der Tragscheibe. Nachdem sie schwer ins Schloß gefallen ist, steht man zuunterst im hellen Treppenraum, über Kopf die leuchtende Glasdecke. In drei Hüben wird man von der räumlich-suggestiven Wirkung des von zwei Absätzen unterbrochenen Stiegenlaufs gleichsam hochgesaugt, um an der gleichen Stelle auf der oberen Ebene entlassen zu werden, an der man jene darunter betreten hat oder im Erdgeschoß die Eingangshalle. Mit diesem Hinuntergreifen in den Treppenzug holt der obere Raum die Besucher bereits unten ab. Die Treppe bildet dabei den Entrakt.

Der kategorische Schnitt nach jedem Saal, der atemberaubende Aufstieg als Vorbereitung zum nächsten und die gestaffelte Definition der ausblicklosen Räume erzeugen eine weihevoll-meditative Stimmung. Der normale Sichtbeton, obwohl von ausgezeichneter Qualität, verliert seine Alltäglichkeit. Er wird gehöht durch Licht und Raumwirkung. Die Künstler und Kuratoren werden, wie bei einem Konzertsaal, lernen müssen, die Räume dieses anspruchsvollen Hauses zu bespielen.

Peter Zumthor hat für das Bregenzer Kunsthaus ein absolutes Raumgebilde erdacht, konsequent durchgearbeitet und die Herstellung in perfekter Qualität sichergestellt. Dies bremst leichtfertigen Umgang. Sein Insistieren auf qualitativen Ansprüchen bildet zugleich einen dauerhaften Kommentar zur zeitgenössischen Kunst. Das ist nicht dasselbe wie eine Fabrikhalle für improvisierte Ausstellungen. Diese Räume werden sich als Prüfsteine erweisen, denen Werke und Präsentationsformen gewachsen sein müssen.

Nun werden sich alsbald Kopisten einfinden, die das Prinzip der Glasschindeln und ich weiß nicht was alles - wie vor einigen Jahren die Holzlamellen - bei mittelmäßigen Bauten in ganz Mitteleuropa anwenden. Dann blicken sie zu den Kritikern und warten auf den Pawlowschen Reflex. Man kann da schwer helfen.

Von Zumthor soll man nicht Details übernehmen wollen, sondern von ihm lernen, wie unbeirrbar er architektonische Qualität anstrebt. Seine Passion schafft Werke, zu denen man einfach hinpilgern muß, sie still anschauend zu genießen. Danach sollte man sich über die eigene Gipfelhöhe keine übermäßigen Illusionen machen. Unter den Architekten gibt es übergenug mittelmäßige, die die erste Geige spielen wollen, aber es herrscht stets Mangel an guten zweiten Geigern.

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