Bauwerk

Haus Sperl
Adolf Krischanitz - Zurndorf (A) - 1996
Haus Sperl, Foto: Margherita Spiluttini
Haus Sperl, Foto: Margherita Spiluttini

Auf schmalem Handtuch

Geschlossene Bauweise ist ein Gebot der Zeit, um die Zersiedelung des ländlichen Raums zu bremsen. Dieser Maxime folgt Adolf Krischanitz mit seinem Landhaus im burgenländischen Zurndorf, dem Pionierbau einer kompakten Siedlung.

26. April 1997 - Walter Zschokke
Hinter der hohen Stirnwand stehen dichtgedrängt Bücher in ihren Fächern. Darüber öffnet sich ein breites Fenster mit tief liegender Glasebene dem Südlicht, das im Winter weit in die Wohnhalle hinein strahlt. Das stark gegliederte Wohngebäude steht vorerst allein. Die langen Flanken sind geschlossen; es sind Feuermauern, an die gemäß Bebauungsplan ähnlich organisierte Häuser anschließen können.

In der Nähe von Zurndorf, im Nordburgenland, wo die Felder sich über die langwellig-sanft modellierte Topographie hinziehen, war eine alternative Lebensgemeinschaft in die Jahre gekommen. Veränderungen stehen an. Ein siedlungsbauliches Konzept, das Adolf Krischanitz mit seinem damaligen Mitarbeiter Markus Grob vor ein paar Jahren entwickelt hatte, teilt die über 400 Meter im Geviert messende Anlage in eine grüne, weitgehend unbebaute Mitte und in einen zu bebauenden Randbereich, der in parallele Streifen von etwa 7,20 Meter Breite und jeweils fast 60 Meter Länge aufgeteilt wurde.

Der Stall der vor Jahren zu Therapiezwecken gehaltenen Pferde wurde von einem Bauern aus dem nahen Dorf übernommen. Heute haben dort mehrere Pferdefreunde bereits etwa 20 Reittiere stehen. Dies war der Anlaß für unseren Bauherrn, sich in nächster Nähe ein Haus errichten zu lassen. Als Pionierbau steht das Bauwerk nun im teils brachliegenden, teils als Obstbaumgarten genutzten, ummauerten Areal.

Der sinnvolle und vernünftige Schritt zurück zu geschlossener Bauweise auf schmalen Handtuchparzellen, wie er im Burgenland von alters her vertraut ist, wurde gekoppelt mit einem nach vorn, was die Disposition auf dem bebaubaren Grundstreifen betrifft, und einem zweiten - vielleicht zur Seite - in den Bereich konkreter Architektur (im Sinn konkreter Kunst) in Form einer teilweise aleatorisch erzeugten Addition von Räumen. Das Muster mag dabei unter anderem vom Streckhof entlehnt sein, ebenfalls einem alten ländlichen Bautyp.

Die Randbedingungen für ein derartiges Architekturspiel sind nicht übermäßig weit, da die seitliche Beschränkung und das Grenzbaurecht den Rahmen setzen. Der Grundriß wird in die Länge gezogen und die Belichtung erfolgt, soweit sie nicht an den Stirnseiten liegt, über Innenhöfe. In den windgekämmten Ebenen des Burgenlandes dienen Höfe sommers als wichtiger Außenwohnbereich, und mit dem Hakenhof wurde für die bäuerliche Nutzung ein Bautyp entwickelt, der sich über die Jahrhunderte bewährt hat und dessen Tauglichkeit sich auch für Umnutzungen bis heute beweist.

Der von Adolf Krischanitz mit seinem Mitarbeiter Marc Gilbert entwickelte Grundriß folgt einem etwas anderen Prinzip: dem der verschobenen Achsen. An der anfangs genannten Stirnfassade führt links der Zugang vorbei. Die Eingangstüre ist ein paar Meter zurückversetzt, sodaß seitlich genügend Fassadenlänge frei bleibt, daß darin eine lange Fensterwand eingesetzt werden konnte, die sich zur Hälfte beiseiteschieben läßt. So entsteht ein Vorbereich, der geschützt und einladend zugleich ist. Sommers kann man direkt in die Wohnhalle eintreten oder Gäste hereinbitten. Die Konfiguration erinnert in positiver Weise an das eine Wohnzimmerfenster der burgenländischen Streckhöfe, das ebenfalls seitlich, noch vor der Eingangstüre liegt.

Die Eingangsachse führt durch den Vorraum, durchstößt eine Zwischenzone, zielt durch die schmale Küche und mündet in den Innenhof. Die quer über die gesamte Gebäudebreite verlaufende Zwischenzone trennt einen zum Hof gelegenen Eß- und Frühstücksbereich von der nach vorn orientierten Wohnhalle. Zugleich führt sie aber auf die andere Seite, wo eine kräftige Mauerscheibe aus glattem Stahlbeton den Beginn eines langen Korridors anzeigt. Er führt am Innenhof vorbei, wo sich wieder eine Fensterwand raumhoch öffnet, um von Westen Licht einfallen zu lassen. Es folgt eine Dunkelzone, von der die Türe zum Schlafraum abzweigt. Geradeaus leitet ein Glasabschluß in eine Art Laube über. Hier könnte ein zweiter Hof ansetzen und eine weitere Schlafzimmergruppe folgen. Vorerst öffnet sich hier das Haus zum Garten.

Ursprünglich war das Bauwerk ebenerdig gedacht; mag aber sein, daß es dem Bauherrn bereits ausreichend introvertiert war. Aus der zwei Geschoße hohen Wohnhalle führt daher eine Treppe hinauf ins Obergeschoß, wo sich ein großer Raum und zwei Gästekammern befinden. Aus der vorgelagerten Loggia vermag der Blick nun Richtung Nordosten über die Anlage hinauszuschweifen, weit über Felder, wo mächtige Hochspannungsmasten sich zu elementar-landschaftlichen Ereignissen hochrecken.

Auf den in die Länge gezogenen Grundriß treffen wir bei Krischanitz bereits bei einem Einzelhaustyp in der Siedlung Pilotengasse. Auch dort lassen lange Korridore im Haus drin einen Weg entstehen, schaffen Distanzen und Polaritäten, sodaß der offene Grundriß des Wohnbereichs nicht mit anderen Räumen in Konflikt gerät. Ein langer Gang ist daher ein deutlicher Hinweis auf dahinterliegende Privatheit.

Dieses Auseinanderlegen der Räume kompensiert fehlende Erschließungsalternativen. Es gibt nicht ausreichend Raum, um zwei Wege nach hinten zu führen, der Seitenwechsel der inneren Erschließung bildet zugleich den Wechsel im Öffentlichkeitscharakter.

Räumlich beherrscht die Wohnhalle mit doppelter Zimmerhöhe den vorderen Hausteil. Im Rücken der Stirnwand sind wandfüllend die Bücherregale eingebaut. Sie dominieren in positiver Weise, denn mit einer Bücherwand im Rücken läßt sich trefflich argumentieren. Nach hinten wird der Raum von Betonscheiben geteilt und von der tieferliegenden Decke aus demselben Material zoniert. Die Außenwände wirken massiv und sind es auch. Die einschichtige Wand aus Gasbetonsteinen ist außen mit einem rauhen Kratzputz in heller Sandfarbe versehen, innen etwas feiner in demselben Ton.

Die Fenster wurden aus handelsüblichen Holzprofilen in die Lücken zwischen den Mauern eingesetzt. Die Hebeschiebefenster sind so groß, wie die Raumstruktur dies erlaubt, und der sichtbare Rahmen beeinträchtigt die Offenheit kaum. Die Ausführung ist dezidiert unaufgeregt.

Die Architektur komponiert sich aus dem Charakter der Räume und der differenzierten Lichtführung und -qualität: direktes Sonnenlicht, Himmelslicht im Hof, Widerschein an einer Wand und abgestuftes Dämmerlicht im nach hinten entschwindenden Gang. Kein Lichtkult, wie er noch heute in der klassischen Moderne regiert, sondern Hinwendung zu höhlenartigem Charakter, mit einseitigem Lichteinfall und Abnahme bis zu Dämmerdunkel.

Es wurden nur Fensterwände eingesetzt, keine Öffnungen vom Typ „Loch in der Mauer“, sodaß elementare Fügungen Räume ergeben. Man ist im Inneren geborgen oder kann sich hinaus begeben in die flache Weite, wo nur das Pferd oder das Fahrrad die Landschaftsveränderungen zueinander in erinnerbare Zeitdistanzen bringen. Ein Ausblicksfenster, das wie ein Bild einen Landschaftsausschnitt rahmt, ergäbe hier keinen Sinn.

Das Haus ist vielmehr ein Rückzugsort, ein polares Gebilde zur offenen Landschaft. Anders als an einem zersiedelten Dorfrand wirkt der Gegensatz von Bauwerk und Umgebung hier sehr fundamental.

Die Bauherrschaft ist Architektur gewohnt. Schon vor über einem Dutzend Jahren ließ sie sich von Klaus Kada in Graz einen Dachboden ausbauen, später ein Haus in der Oststeiermark von Ernst Giselbrecht. Der berufliche Wechsel nach Wien bedingte einen Wohnungsausbau und nun wieder ein Haus auf dem Land, denn die Eheleute halten Pferde und reiten gern. Sie haben sich die Häuser nicht als Sammelstücke errichten lassen, sondern für ihren Alltag, den mit Freunden und Bekannten sowie für die Erholung an Wochenenden. Hier scheint eine städtebürgerliche Kultiviertheit auf, die zeitgenössischer Architektur gegenüber offen ist.

Neben anderen, vergleichbaren Entwicklungen ist dies vielleicht für letztere ein Hoffnungsschimmer, in ihrer ganzen Breite auf vermehrtes Interesse zu stoßen. Denn wie soll Architektur entstehen können, wenn sie nicht von engagierten Baufrauen und Bauherren gefordert und geordert wird. Denn die Last des Architekturwollens kann nicht von den Architekten allein getragen werden.

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