Bauwerk

Raum Zita Kern - Zubau
ARTEC Architekten - Raasdorf (A) - 1998
Raum Zita Kern - Zubau, Foto: ARTEC Architekten ZT GmbH
Raum Zita Kern - Zubau, Foto: ARTEC Architekten ZT GmbH

Die Skulptur im Zaubergarten

Ein mit Aluminium verkleideter Dachausbau auf dem Stall eines alten Marchfelder Bauernhauses: zwanghafte Neigung zum Besonderen? Für die Architekten Bettina Götz und Richard Mahnal ist es schlicht und einfach eine zeitgemäße Lösung.

11. April 1998 - Christian Kühn
Nichts ist für Architekten schwieriger, als ein einfaches Haus zu bauen. Die zwanghafte Neigung zum Besonderen ist einer der Vorwürfe, mit denen sich die Profession schon immer konfrontiert sah. Daß die meisten Architekten von sich behaupten, von diesem Zwang frei zu sein, löst das Problem nicht: Was für den einen die selbstverständlichste Sache der Welt ist, kann dem anderen als außergewöhnlich oder gar bizarr erscheinen. Ist die Frage der richtigen Form also doch nicht mehr als eine Geschmacksfrage?

Das jüngste Projekt von Bettina Götz und Richard Manahl, die zusammen unter dem Namen ARTEC firmieren, könnte Anlaß zu einer Diskussion dieses Problems geben. Auf das Wirtschaftsgebäude eines alten Bauernhofes im Marchfeld, bei Raasdorf gelegen, haben sie ein neues Dach gesetzt, eine leichte, in Aluminium verkleidete Holzkonstruktion, die sich in Form und Material deutlich vom Bestand abhebt. Für ihr Projekt haben ARTEC letzten Monat den „Aluminium Architekturpreis“ zugesprochen bekommen, der von der Architektenkammer, der Architekturstiftung Österreich und dem Aluminiumfenster-Institut ausgelobt wird.

Was hat ein solches Objekt, wird sich mancher Betrachter fragen, in einem doch noch ländlichen Umfeld verloren? Wie paßt es zu einem traditionellen, über Generationen gewachsenen Bauernhof? Für die Architekten sind diese Fragen allesamt irrelevant: Sie sehen in ihrem Entwurf nicht den spektakulären Kontrast, sondern einfach eine zeitgemäße Lösung, die um nichts weniger selbstverständlich ist als der Bestand.

Dieser Behauptung nachzugehen ist umso interessanter, als der Bauernhof, den es hier umzubauen galt, zu jener Tradition des anonymen Bauens gehört, die in der modernen Architektur stets als vorbildlich hingestellt wurde. Zwar handelt es sich hier um kein herausragendes Beispiel, sondern um einen schlichten Hof, der bis in die fünfziger Jahre immer wieder ergänzt und erweitert wurde. Aber er besitzt doch großteils jene Qualitäten, die der anonymen Architektur immer zugeschrieben werden: unverkrampfte, beinahe natürliche Beziehung zwischen Funktion und Form, Angemessenheit der Mittel, Stimmigkeit im Ganzen und im Detail.

Daß es zu diesen Qualitäten keinen einfachen Weg zurück gibt, ist längst erwiesen: Alle Versuche, an die anonyme Tradition direkt anzuknüpfen, sind an den veränderten technologischen und gesellschaftlichen Bedingungen gescheitert und haben nur dazu geführt, daß diese Tradition heute fast vollständig im Kitsch ertränkt ist. Gerade Niederösterreich hat sich in dieser Hinsicht - unter dem Motto „Schön erhalten, schöner gestalten“ - einen traurigen Ruf erworben: Am liebsten hat man das Neue hierzulande immer noch als Steigerungsform des Alten.

Derartige Sentimentalitäten waren der Auftraggeberin, Zita Kern, im konkreten Fall fremd. Sie hatte beschlossen, ihr knappes Budget nicht in eine Generalsanierung zu investieren, sondern am Bestand nur die notwendigsten Erneuerungen durchzuführen und eine neue Heizung einzubauen, sich zugleich aber zwei langgehegte Wünsche zu erfüllen: ein großzügiges Bad und ein noch großzügigeres Studierzimmer. Weil für sie beide Dinge nicht als Steigerungsformen des Bestands, sondern nur als etwas ganz Neues denkbar waren, beschloß sie, sich nach namhaften Architekten für diese Aufgabe umzuhören - das sei für sie im übrigen eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und so schwer sei ihr die Wahl unter den Architekten ihrer Generation schließlich auch nicht gefallen.

Die Randbedingungen für den Entwurf waren jedenfalls klar. Die Auftraggeberin versteht sich einerseits als Bäuerin und betreibt bis heute eine kleine Landwirtschaft. Sie züchtet Kräuter und hat in ihren besten Zeiten Wiener Restaurants mit 16 verschiedenen Sorten Basilikum beliefert. Zugleich befaßt sie sich mit Literaturwissenschaft und braucht einen eigenen Platz zum Lesen und Schreiben. Wer von ihr durch den alten Hof geführt wird, merkt bald, daß ihre Beziehung zu den Dingen alles andere als pragmatisch ist, daß sie alltägliche Gegenstände mit einer Zärtlichkeit berührt, als wären sie alte Freunde. Der vorsichtige und entspannte Umgang mit dem Alten macht aber offensichtlich Mut, notwendige Erneuerungen radikal anzugehen.

Es war klar, daß der Studierraum am besten auf dem Niveau des Dachgeschoßes untergebracht werden sollte: In der Ebene des Marchfelds sind drei Meter über Niveau schon ein Ausguck. Weil das Dach über dem ehemaligen Stall sowieso baufällig war, stellte sich die Frage nach einer neuen Konstruktion. ARTEC konzipierten - zusammen mit dem Statiker Oskar Graf - eine hölzerne Schale ohne aussteifende Diagonalen, die den Raum beeinträchtigt hätten. Die Form dieser mit Aluminiumblech verkleideten Hülle ergab sich aus geometrischen Operationen, die ARTEC schon bei früheren Projekten erprobt haben: versteckte Symmetrien und Verschiebungen, leichte Schrägen, an der Hofseite ein deutlicherer Knick, der dem Volumen hier etwas von seiner Masse nehmen soll und die Morgensonne vorbeiläßt. Die Metallhaut ist über die Treppe gezogen, die unter einer Schrägverglasung seitlich am Baukörper entlang führt. Hier zeigt der Knick in der Hülle seine zweite Funktion: Er lenkt die Bewegung um 180 Grad zurück zur vollständig verglasten Stirnwand des Studierzimmers. Nach Osten zu gibt es nur ein schmales liegendes Fenster, das die Morgensonne tief in den Raum läßt.

Von der verfügbaren Fläche über dem Altbau ist nur eine Hälfte ausgebaut, die andere bleibt frei als Terrasse zwischen dem Studierraum und der Giebelwand des benachbarten Dachs. Ein Oberlicht an der Nordseite der Terrasse bringt Licht hinunter in den zweiten geforderten Funktionsraum, das Badezimmer. Hier finden sich dieselben Materialien wie im ersten Stock: ein grüner Gummiboden und Pappelsperrholz, zusätzlich Aluminiumplatten an den Wänden. Die Beschränkung bei der Farb- und Materialwahl wirkt aber keineswegs spartanisch: Weil durch die leicht getönten Gläser Licht aus verschiedenen Richtungen auf die Oberflächen fällt, entstehen feine Farbnuancen und -überlagerungen. Auch die Außenflächen werden sich im Lauf der Jahre verändern: Die Aluminiumplatten sind nicht eloxiert und werden je nach Bewitterung eine dunklere Tönung bekommen.

Im kleinen Metallmodell, das ARTEC von ihrem Projekt gemacht haben, ist die skulpturale Qualität ihrer Lösung deutlich zu erkennen. Diese Qualität spielt sich aber nicht in den Vordergrund, sie verhilft nur einem Bauwerk zu guter Proportion und Massenwirkung. Am Sprung vom Modell zur Ausführung wird deutlich, wieviel Gedankenarbeit in kluge Detaillösungen investiert werden mußte, um dem Bau die präzisen Konturen zu erhalten, denen er seine skulpturale Wirkung verdankt.

Irgendwann wird das neue Dach genauso leicht bemoost und vertraut dastehen wie die alten Teile. Wird es dann auch die gleiche Qualität des Selbstverständlichen besitzen oder doch immer ein Kunstprodukt bleiben? In vielen Punkten ist der Unterschied zur anonymen Tradition gar nicht groß: Form und Funktion fügen sich unspektakulär zueinander, der Aufwand steht im richtigen Verhältnis zur Aufgabe, und es gibt sicher eine Stimmigkeit im Ganzen und im Detail.

In einem Punkt muß sich jede wirklich heutige Lösung aber von der anonymen Tradition unterscheiden: Jene Sicherheit, die im romantischen Bild einer besseren „Architektur ohne Architekten“ beschworen wird, kann sie nicht bieten. Sie bleibt riskant, weil es keine homogene Kultur mehr gibt, in der sie Stabilität gewinnen könnte. Das Bewußtsein dieses Risikos haben ARTEC einmal als eines ihrer Prinzipien benannt: Sie würden „das kraftvolle Scheitern der sicheren Bank vorziehen“.

Man sollte der verlorenen Sicherheit der anonymen Tradition trotzdem nicht allzusehr nachtrauern. Der größeren Gefahr des Scheiterns steht eine ungleich größere Bandbreite an Lösungsmöglichkeiten gegenüber: Die konzeptionellen Ansätze für gute Architektur sind heute so vielfältig, wie sie es wahrscheinlich nie zuvor waren. Daß gute Architektur so selten realisiert wird, ist ein kulturelles Problem: Wenn Architekturfragen einmal auf Geschmacksfragen reduziert sind, erübrigt sich die mühsame, kontinuierliche Diskussion um Qualität.

Bei ihrem Haus in Raasdorf hatten ARTEC das Glück, in ihrer Auftraggeberin einen Partner zu finden, der bereit war, sich ohne Vorurteile auf diese Diskussion einzulassen. Solche Bauherren findet man selten - vielleicht genauso selten wie Leute, die 16 Sorten Basilikum voneinander unterscheiden können.

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