Bauwerk

Baumax Schwechat
Henke Schreieck Architekten - Schwechat (A) - 1998
Baumax Schwechat, Foto: Margherita Spiluttini
Baumax Schwechat, Foto: Margherita Spiluttini

50.000 Kubikmeter in Schwebe

Was Karl-Heinz Essl mit dem Klosterneuburger Hauptsitz seiner Firma begann, das führte er jüngst in Schwechat mit einem Baumarkt von Marta Schreieck und Dieter Henke weiter: als Bauherr Architektur mit Anspruch zu fördern.

7. November 1998 - Walter Zschokke
Die Kreuzung der B 9, der Preßburger Straße, mit der B 10, der Budapester Straße, galt früher als wichtiger Verkehrsknoten, was von einer Tankstelle mit signalhaft frohgemutem Pavillondach seit den späten fünfziger Jahren entsprechend markiert wurde. Doch die Flughafenautobahn zog die Verkehrsströme an sich, die scheinbare Lagegunst war von begrenzter Dauer; seit Jahren hält sich nur mehr ein Landstraßencafé in dem eingeschoßigen Gebäude, das selbst ohne Zapfsäulen unschwer als ehemalige Tankstelle zu erkennen ist.

Und wieder änderte sich das ökonomische Lokalklima: Eine Baumarktkette entdeckte die verkehrsgünstige Lage am Autobahnzubringer und plazierte nahe der Kreuzung eine leichte Hallenkonstruktion zur Präsentation ihres kostengünstigen Angebots für Bastler, Wohnungsgestalter, Renovierer, Häuselbauer und Pfuscher aller Sparten. Das Geschäft florierte, die Konkurrenz entwickelte sich ebenfalls, und das Unternehmen stand vor der Aufgabe, das Sortiment zu erweitern und dem Erscheinungsbild eine klare Identität gegenüber den Mitbewerbern zu geben.

Karl-Heinz Essl, Direktor des Unternehmens und Sammler zeitgenössischer österreichischer Kunst, wählte das Prinzip Architektur. Er ließ sich unter anderem von Friedrich Achleitner beraten und führte kleine Wettbewerbe für mehrere geplante Standorte durch. Obwohl in einem Verfahren zweitplaziert, stieß der Entwurf von Dieter Henke und Marta Schreieck seitens der Firmenleitung auf Interesse, sodaß die beiden Wiener Architekten mit Tiroler Wurzeln für den Standort Schwechat direkt beauftragt wurden.

Die Aufgabe lautete, den bestehenden Baumarkt um das Eineinhalbfache auf 10.000 Quadratmeter zu erweitern, ein Gartencenter anzufügen und für die fast ausschließlich motorisierten Kunden 340 Stellplätze anzubieten. Mit ihrem Entwurf reagierten die Architekten auf die verkehrsintensive Lage und vereinigten Bestand und Neubau zu einer einzigen Großform, die ihren dynamischen Ausdruck von der Königsidee bezieht, die beschattenden Lamellen von einer senkrechten Position vor dem geschlossenen Container des Altbestands kontinuierlich in eine horizontale vor dem Glashaus am Westkopf übergehen zu lassen.

Die über 70 Meter lange Nordansicht zur B 9 steht damit stetig unter einer von den sechs Lamellenbahnen erzeugten visuellen Spannung, deren Träger um die gerundete Westfront herumgezogen werden, sich vom Gebäude lösen und das Freigelände des Gartencenters räumlich fassen, bevor sie abgestuft enden, womit auch die vorher erzeugte Spannung formal aufgelöst wird.

Die Tragkonstruktion für diese starke architektonische Figur besteht einerseits aus vertikalen, oben und unten gelenkig gelagerten Flachstählen, sogenannten Schwertern, denen die Scheiben der Glasfassade in horizontalen Sprossen vorgehängt sind. An der gerundeten Front stehen die Stützen schräg hinaus, sodaß sich unregelmäßig verzogene Glasschnitte ergeben.

Andererseits sind vor der Glaswand horizontal verlaufende Rohre montiert, die über kurze Stege mit den Schwertern verbunden sind. So entsteht ein rahmenartiges, teils innenliegendes, teils außenliegendes Tragwerk, das den Eindruck großer Leichtigkeit vermittelt. Dies gelingt umso mehr, als die äußeren Rohre zugleich Träger der Aluminiumblech-Lamellen sind, die sie abdecken, weshalb sie als statisch wirksame Elemente kaum in Erscheinung treten. Am polygonal verglasten Kopf verläuft die äußere Schneide der Lamellen in perfekter Rundung, wodurch die vom Hochziehen eingeleitete Spannung in keiner Weise an Intensität verliert.

Marta Schreieck und Dieter Henke erweisen sich mit dieser Fassade als Meister architektonischer Sublimierung. Das Konzept ist in seiner Wirkung bis ins Detail durchgedacht und baulich perfekt umgesetzt, doch steckt in der Gesamtanlage noch einiges mehr. Da das Gelände zum Gebäudekopf hin leicht abfällt, bleibt die unter dem Bauwerk angeordnete Parkierungsebene seitlich offen. Die schlanken Rundstützen, auf denen der lange Baukörper mehr zu schweben scheint, als er auflastet, beeinträchtigen die Durchsicht kaum, und die seitlich verglasten Fluchtstiegenläufe in Beton machen den Eindruck von Fallreeps, die beim Befehl „bauMax klar zum Abheben!“ rasch hochgezogen werden könnten.

Die nach Süden orientierte Eingangsseite ist erdgebundener. Als Gegensatz zur Nordfassade, die sich als ein langgezogen-kräftiges Ausatmen interpretieren läßt, könnte man meinen, daß im Inneren betriebswirtschaftliche Rationalität vorherrscht. Dies ist einesteils sicher der Fall; doch auch hier haben die Architekten mit gezielten Maßnahmen den Raumeindruck verändert. Da ist natürlich der Ausblick auf das mit Bäumen durchsetzte Betriebsgebiet, der von schmalen horizontalen Streifen im hinteren Bereich zu nur kurz von den Lamellen unterbrochener Durchsichtigkeit zunimmt. Im stirnseitigen Westteil, wo Gartenutensilien und Pflanzen zum Verkauf stehen, ist zusätzlich ein breiter Streifen des Dachs in Glas ausgeführt, was den kopfartigen Charakter verstärkt und den Gartenbereich zu einem lichtdurchfluteten Glashaus macht.

Schlanke, verzinkte Rundstützen bilden den weitmaschigen Raster der stählernen Tragkonstruktion für das Dach; auf diesen ruhen - übergangslos - weiß gestrichene Profilträger auf. Die Sekundärträger sind dazwischengespannt, darüber liegt Profilblech. Beide Teilsysteme sind ebenfalls weiß. Die Decke wird damit trotz sichtbaren Konstruktionsteilen homogener und scheint hinter den zahlreichen abgehängten Schildern und Beleuchtungskörpern fast zu verschwinden. Die ungewohnt deutliche Unterscheidung der Stützen läßt diese nicht so sehr als konstruktive Elemente hervortreten, die den Raum in Schiffe teilen.

Vielmehr gesellen sie sich zu den Gestellen und Werbemaßnahmen der Verkaufsstruktur, während das farblich zusammengefaßte Dach die große Halle räumlich als ein Ganzes überspannt.

Wir dürfen annehmen, daß die ökonomische Spanne für architektonische Maßnahmen im harten Konkurrenzkampf unter den Baumarktketten nicht besonders groß ist, ja sogar zu Kostenneutralität tendieren dürfte. Unter diesen Voraussetzungen haben Henke/Schreieck das Notwendige und das Mögliche so klug und trefflich arrangiert, daß ein in sich stimmendes Gesamtkonzept mit nach außen ultimativer Wirkung resultiert.

Daß es ihnen gelang, auch im Inneren gezielte Maßnahmen zur Präzisierung des Raumcharakters zu setzen, ist bei derartigen Bauaufgaben weniger selbstverständlich, stellt aber dem Bauherrn ein gutes Zeugnis aus als Förderer qualifizierter Architektur trotz härtester ökonomischer Konkurrenz. Da könnte sich manche öffentliche Bauherrschaft ein Beispiel nehmen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Fritz Schömer GmbH

Tragwerksplanung

Fotografie