Bauwerk

Besucherzentrum Stift Klosterneuburg
driendl*architects - Klosterneuburg (A) - 2006
Besucherzentrum Stift Klosterneuburg, Foto: Margherita Spiluttini
Besucherzentrum Stift Klosterneuburg, Foto: Margherita Spiluttini

Es werde Licht

In den Kellern des Stifts Klosterneuburg lagern nicht nur vorzügliche Weine, sondern auch historische Architekturschätze, die Architekt Georg Driendl nun gehoben und öffentlich zugänglich gemacht hat.

13. Mai 2006 - Ute Woltron
Das Stift Klosterneuburg ist eine fast tausendjährige Institution, die Geistliches und Weltliches ausgesprochen erfolgreich in sehr alten Mauern vereint. Die Augustiner-Chorherren sind neben diversen anderen Aktivitäten immerhin für 25 Stiftspfarren zuständig, während der dem Stift zugehörige, von Nichtgeistlichen gelenkte Wirtschaftsbetrieb jährlich rund 22,5 Millionen Euro umsetzt.

Ein Gutteil davon verdankt man dem bekannten Wein, der in den Klosterneuburger Kellern reifen darf. Es geht hier also um eine Geschichte zwischen Himmel und Höhle, und vor allem Letztere dürfte sich in nächster Zeit gesteigerter Besucheraufmerksamkeit erfreuen.

Denn das Stift Klosterneuburg verfügt nicht nur über die markante, hoch aufragende Architektur aus dem Barock, sondern auch über eine Kellerwelt, die sich viele Geschoße tief unter dem Stift in den Erdboden gräbt. Es handelt sich hierbei um historisches Gelände: Bereits die Römer hatten exakt an dieser Stelle im ersten Jahrhundert ein hölzernes, später gemauertes Kastell errichtet, dessen Grundfesten erhalten blieben, und Klosterneuburg selbst war nachweislich schon im fünften vorchristlichen Jahrtausend besiedelt.

Im Vergleich dazu sind die Kellergewölbe des Stiftes zwar jugendlichen Alters, doch mit rund 270 Jahren auch nicht mehr die Jüngsten - und sie sind prachtvoll: Hohe, geräumige Gewölbe ziehen sich hier auf verschiedensten Ebenen durch die Unterwelt. Das Stift ist sozusagen ein eingegrabenes historisches Hochhaus.

Noch vor einem Jahr war die Schönheit ihrer Kellerwelt selbst den Hausherren gänzlich verborgen gewesen. Denn jahrhundertelang hatten eilfertige Kellerer hier immer wieder Decken eingezogen, Gänge abgemauert, Böden aufgeschüttet, Weinflaschen und Gerümpel gelagert. Die Keller waren finster, muffig, unansehnlich - und sie waren in Konzeption und Großzügigkeit an keiner Stelle mehr spürbar.

Als sich das Stift Ende 2004 dazu entschloss, einen Teil der Keller zu einem Besucherzentrum samt Ausstellungsräumlichkeiten zu adaptieren, wurde ein kleiner, geladener Architektenwettbewerb veranstaltet, an dem auch der Wiener Architekt Georg Driendl teilnahm. Der ging, wie er sagt, zwecks Vorbereitung der Planungen durch die finsteren Höhlen und erkannte plötzlich: „Moment! Da steckt mehr dahinter als ein vergammelter Lagerkeller. Da gibt es eine Logik, die hinter Paletten und Regalen und Mauern seit langer Zeit verschüttet ist.“

Nachdem die Räume im Architekturbüro virtuell dreidimensional simuliert worden waren, kam diese Logik erstmals wieder ans Licht. Driendl gewann den Wettbewerb mit einem Konzept, das genau darauf gründet: Licht ins Dunkel zu bringen.

Die Analyse ergab, dass durch das simple Öffnen vermauerter Nischen das Tageslicht bis in tiefste Ebenen sickern könne, dass diese abweisende, finstere Unterwelt quasi himmlische Qualitäten bekäme, wenn die vor 270 Jahren von den Barockbaumeistern festgelegten architektonischen Gebote endlich befolgt würden.

Es spricht für den fortschrittlichen, nachgerade jugendlichen Geist der Chorherren, dass sie dieses Konzept freudig begrüßten und das Wagnis eingingen, den Architekten mit der Wiederfreilegung zu beauftragen. War man ursprünglich davon ausgegangen, lediglich ein paar Räume säuberlich auszupinseln und mit allerlei musealen Exponaten und Wein-Degustationsmöglichkeiten zeitgemäß auszustatten, so entwickelte sich der Umbau zu einem Abbau größeren Formats. „Herr Architekt - Volldampf!“, hatte der Propst gemeint, und bei solcherlei Zitaten vermeinen Architekten gemeinhin die Engelein singen zu hören.

Insgesamt 22.000 Tonnen Schutt, Mauerwerk, Decken und andere Einbauten wurden im Laufe des vergangenen Jahres entfernt. Driendls Team und die Fachleute des Bundesdenkmalamtes analysierten sorgfältig jeden Zentimeter Unterwelt und machten so manche Entdeckung wie zum Beispiel einen völlig unbekannten, irgendwann einmal abgemauerten Verbindungsgang zu den Weinkellereien, der allein die Größe eines Turnsaals hat.

Die beeindruckendste Freilegung erfolgte in jenem Raum, der fast 300 Jahre lang als Lagerstätte für Weinkartonagen darauf warten musste, seiner Bestimmung als Entree zugeführt zu werden: Die so genannte „Sala terrena“ fungiert nunmehr, nachdem eine eingezogene Decke entfernt und die abgemauerten Fenster geöffnet wurden, als großzügiger Empfangsraum für die Besucher. Acht Atlanten scheinen breitschultrig die Gewölbeschübe zu stützen, hüftabwärts sind sie unvollständig, das Mauerwerk ist unverputzt - ein seltsamer, nur durch die Geschichte verständlicher Bruch.

Denn das heutige Stiftsgebäude ist lediglich Fragment einer fast größenwahnsinnig anmutenden Gesamtkonzeption, die sich Kaiser Karl VI. nach dem Vorbild des spanischen Escorials eingebildet hatte. Hier wollte der Herrscher seine Sommerresidenz aufschlagen. Genächtigt hat er immerhin ein Mal hier, doch lang bevor das Werk hätte vollendet werden können, starb er. Nach seinem Tod 1740 dürften die mit der Ausführung - und der Finanzierung - betrauten Klosterneuburger Kirchenmänner verstohlen aufgeatmet haben, denn Karls Tochter und Nachfolgerin, Maria Theresia, hatte kein Interesse an diesem Prachtpalast. Der Bau wurde sofort eingestellt, lediglich einer der vier geplanten Höfe wurde in der Folge noch fertig gebaut.

Steht man heute in der unvollendet gebliebenen „Sala terrena“, vermeint man fast, das Fallen der Meißel und anderer Steinmetzutensilien nach dem kaiserlichen Abgang zu hören - und gerade das ist die hervorragende Qualität des Driendl'schen Projektes: Hier wurde nichts beschönigt oder fertig gemacht. Hier, auf der größten zeitgenössischen Barockbaustelle der Welt, wurde Unvollendetes unvollendet gelassen.

Die Atlanten überblicken einen fast leeren Raum, in dem sich lediglich die notwendigsten Einbauten für den Empfang der Besucher befinden. Das sind etwa zwei Möbel aus Edelstahl, die einerseits als Kassa und Informationspult, andererseits als Möbel für Weinverkostungen fungieren. Interessantes Detail am Rande: Die als gebrochenes Unendlich-Zeichen ausgeführten Konstruktionen wurden von einer türkischen Werft angefertigt. Die weniger freundlichen türkisch-österreichischen Beziehungen der Vergangenheit sind auch Thema des Ausstellungsweges, der von hier in die unterirdischen Gewölbe führt.

Das Licht geleitet die Besucher dabei. Verspiegelte Edelstahl-Lamellen in den neuen „Sala terrena“-Fenstern lenken es in den dahinterliegenden Saal, der ebenfalls von einer Zwischendecke befreit wurde. Von hier aus gehen die Besucher durch lange, durch Nischen strukturierte Gänge. Immer wieder lecken helle Sonnenstrahlen über die Gewölbe, dazwischen bleibt die Szenerie schummrig, und durch dieses Licht-Schatten-Spiel bekommen die Räume eine, man möchte fast sagen, spirituelle Qualität.

Zwischen dem neuen, grauen Terrazzo-Boden und den alten Mauern verlaufen schmale Lichtbänder, die dem schweren Gemäuer eine gewisse fröhliche Leichtigkeit verleihen. In den Nischen selbst befinden sich - von Kurator Dieter Bogner fein zusammengestellt - die Ausstellungsexponate.

Das Zusammenspiel zwischen Ausstellungsmacher, Architekt und Bauherren kann bei diesem abenteuerlichen Projekt, das letztlich eine Reise in die Vergangenheit war, kein einfaches gewesen sein, doch scheint man sich gut vertragen zu haben. Denn das Konzept passt. Moderne Medientechnik steht hier mit lässiger Selbstverständlichkeit neben kostbaren Kulturschätzen. Driendl und die Bau-Chorherren erlebten gewissermaßen eine Erleuchtung und die Bestätigung ihres Tuns, als zu guter Letzt die Statue des niederösterreichischen Landespatrons in eine Nische gehievt wurde. Draußen kam gerade die Sonne hinter einer Wolke hervor und goss ihr Licht genau im rechten Moment durch eines der wiedergeöffneten Fenster in den Keller auf den Heiligen herab.

Mit dem Besucherzentrum ist allerdings hier nur ein Teil der Stiftsumbauten beschrieben: Architekt Heinz Tesar hat ebenfalls mächtig gearbeitet und der Anlage ein Biowärme-Werk, Weinlager, Bus- und Pkw-Garage für Besucher verpasst. Auf dem Dach der Garage befindet sich nunmehr der Pfad zum Besucherzentrum, er führt durch einen neuen, 15.000 Quadratmeter großen Park. Seit 2001 haben die Chorherren in die Modernisierung ihrer traditionsreichen Stätte insgesamt 34,2 Millionen Euro (inklusive 7,5 Millionen Förderungen) investiert.

Angesprochen werden soll mit den Erneuerungen vor allem die Jugend, die die nunmehr erhellten Pfade unter dem Stift gerne besuchen werde. Außerdem spricht die Bibel: "Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor.

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