Bauwerk

Wolkenturm
tnE Architects - Grafenegg (A) - 2007

Raumklänge im Schlosspark

Neue Architektur soll den Kulturstandort Niederösterreich aufwerten: Bei Schloss Grafenegg entstehen eine Konzerthalle und eine Openair-Bühne - und Landeshauptmann Erwin Pröll entdeckt das Zeitgenössische.

4. Februar 2006 - Ute Woltron
Niederösterreich ist derzeit eher für seine „Ortsbildpflege“ bekannt als für qualitätsvolle zeitgenössische Architektur. Kaum ein Dorf in diesem schönen Bundesland, das ohne liebliche Pflasterung, den herausgeputzten vormaligen Dorfbrunnen samt Schmiede- eisenzierrat sowie den traditionellen Balkonblumenwettbewerb mit der Nachbargemeinde auskommen muss.

Neu Gebautes hingegen erfreut sich hier zu Lande vergleichsweise geringerer politischer Aufmerksamkeit. Die niederösterreichische kommunale Wohnbaukultur beispielsweise ist in ihrer Niveaulosigkeit international konkurrenzlos - doch das könnte sich jetzt unter Umständen langfristig zu ändern beginnen. Denn einerseits sorgen immer wieder private Bauherren für Qualitätseinsprengsel und lokale Aufbruchstimmungen (Stichwort Winzerarchitekturen zum Beispiel). Andererseits ist Architekturkultur auf jeder Ebene politisch durchaus steuerbar, und Landeshauptmann Josef Pröll zeigt sich als lernfähiger Mann.

Eben entdeckt er - und wer hätte das je für möglich gehalten - die Architektur als Standortfaktor. „Dem Land Niederösterreich“, so sprach er dieser Tage, „ist es ein Anliegen, Denkmalpflege und modernes Bauen in Einklang zu bringen.“ Anlass für diese Aufbruchsrede war ein ansehnliches, weit gedachtes Projekt, das sich Niederösterreich gemeinsam mit der hier ansässigen Familie Metternich-Sándor leisten will.

Letztere besitzt mit Schloss Grafenegg den Traum jedes Tourismusmanagers: ein Prachtschloss wie aus Zuckerwerk gesponnen, umgeben von einem Park, der selbst den britischen Hochadel durchwandlungswürdig deuchte, all das gut an das Verkehrsnetz angebunden und nicht weit ab der Bundeshauptstadt Wien gelegen.

Grafenegg ist jetzt schon ein wichtiges Zentrum niederösterreichischer Kulturaktivitäten, bis 2007 will man das gräfliche Anwesen zu einem internationalen Kulturstandort aufrüsten. Die Trägermittel zum Zweck sind die zeitgenössische Architektur und die Musik. Die Realisierung erfolgt über Private Public Partnership.

Wenn also in zwei Jahren das neue Grafenegger Musikfestival unter der künstlerischen Leitung von Rudolf Buchbinder startet, wird es über zwei neue, ansehnliche Bühnen gehen: Die Dortmunder Architekten Schröder Schulte-Ladbeck haben einen Konzertsaal entworfen. Die Wiener ARGE the next ENTERprise- architects+Land in Sicht haben den prachtvollen Schlosspark unter die Lupe genommen und einen Konzertpavillon zur Pflanzung vorgesehen. Die Familie Metternich-Sándor stellt die Grundstücke zur Verfügung, Niederösterreich wird 13 Millionen Euro in die Baulichkeiten investieren. Keine gewaltige Summe, aber wohl platziertes Investment.

Zum ersten Projekt, dem Konzertsaal: Die deutschen Architekten Schröder Schulte-Ladbeck konnten bereits mehrere von Musikwelt und Publikum gleichsam bejubelte Konzertsäle realisieren, in Grafenegg setzen sie zwischen die alte Reitschule und die Schlosstaverne leicht verdreht letztlich nichts anderes als die bewährte musikvereinsartige Schuhschachtel - was nicht abwertend klingen soll, denn das Implantat sitzt geschickt.

Gläserne Gänge verbinden den Solitär mit dem historischen Bestand, der Besucherfluss für die insgesamt 1200 Zuhörer wird über drei Ebenen gelenkt. Ein weiter, überdachter Foyerbereich sorgt für trockene Ohren vor und nach dem Konzert, wenn es zu sommerlichen Regengüssen kommt - und im Saal selbst wird es nicht mehr, wie bis dato in der alten Konzerthalle des Schlosses üblich, die bereits traditionellen mikroklimabedingten und gefürchteten Schweißausbrüche bei Musikern und Musikkonsumenten geben.

Das zweite Projekt befindet sich - ebenfalls als Solitär - im Park und stellt eine Openair-Bühne dar. Der Entwurf kann nicht losgelöst von der Parklandschaft betrachtet werden, die von Thomas Proksch (Land in Sicht) genau analysiert wurde, denn 2008 wird hier auch die niederösterreichische Landesgartenschau stattfinden.

Der Grafenegger Schlosspark ist über die Jahrhunderte gewachsen, seine barocken Strukturen wandelten sich zu einem im 19. Jahrhundert hochmodernen Landschaftspark im englischen Stil. Das etwa 30 Hektar große Areal zeichnet sich vor allem durch seinen vielfältigen Baumbestand aus, der nicht nur eine Art Baumsammlung darstellt, sondern in Baumgruppen bei den Parkbesuchern landschaftliche Ahaerlebnisse hervorrufen soll, wie es sich für einen Landschaftspark gehört.

In dieses gewachsene und von Thomas Proksch nun behutsam zu revitalisierende Ensemble pflanzen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs (the next ENTERprise) ein Konstrukt, das letztlich die zeitgenössische Interpretation eines Gartenpavillons darstellt und im besten Sinne des Modewortes „multifunktional“ ist. Denn im Idealfall wird ein solches Lust-Bauwerk auch dann benutzt, wenn gerade kein Konzert stattfindet. Der Park ist ganzjährig geöffnet, und Harnoncourt findet: „Der Pavillon soll nicht nur für Konzerte genutzt werden, er soll auch ein Ort sein, wo man sich gerne hinsetzt und sein Jausenbrot auspackt.“ Die Freiluftbühne für klassische Musik muss mit natürlicher Akustik auskommen, sie bildet also sowohl einen akustischen als auch perspektivischen Raum.

Die Architekten konzipierten also, getreu den Prinzipien des Landschaftsgartens, eine Abfolge von Topografien: Eine Schneise führt in das in der Landschaft abgesenkte Freiluftauditorium, der Blick fällt auf eine Art Bühnenturm, der die Höhe des umliegenden alten Baumbestandes aufnimmt. Harnoncourt: "Uns war die Veränderung des Räumlichen sehr wichtig, die sich durch die Bewegung der Besucher durch den Park ergibt. Der obere Teil des Turmes ist akustisch wirksam, wiewohl beide Projekte, Saal und Pavillon, von den Münchener Akustikexperten Müller-BBM für die zu erwartenden Konzerte optimiert werden.

Beide Projekte sind Wettbewerbsergebnisse und sprechen eine deutliche, im Heute verstandene Sprache. Joachim Rössl als Leiter der Gruppe Kultur der Landesregierung unterstreicht diese Notwendigkeit: „Um im internationalen Kulturangebot bestehen zu können, brauchen wir internationale Qualität. Der Denkmalschutz darf nicht als tote Materie verstanden werden, sondern muss mit Zeitgenössischem kombiniert werden.“

Die umtriebige niederösterreichische Kulturabteilung ist unter anderem für Österreichs innovativste und meistbeachtete „Kunst im öffentlichen Raum“ verantwortlich, und Rössl weiß genau, dass der Kulturstandort Niederösterreich in einem großräumigen Konkurrenzfeld zu betrachten ist, das sich über Wien bis nach Prag, Salzburg, München zieht. Man will Kulturtouristen zum längeren Verweilen auffordern und zu diesem Zweck die Achse Schallerburg, Kulturbezirk St. Pölten, Kunstmeile Krems über Grafenegg bis nach Wien verlängern. Rössl denkt strategisch-raumplanerisch: „Weder Wien noch Niederösterreich werden die internationale Qualität allein schaffen, das funktioniert nur gemeinsam.“ Landeshauptmann Pröll unterstützt diese klugen Pläne mit der ihm innewohnenden Verve und befindet, dass „die neue Architektur der Qualität der bestehenden Bauwerke adäquat ist“.

Man kann ihn dafür nicht hoch genug loben, den Landesvater. Jetzt auch noch ein deutlicher architekturqualitätssteigernder Schlenker in Richtung Wohnbau - und Niederösterreich wird noch schöner.

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