Bauwerk

Haus D
PAUHOF - Brixen (I) - 2007
Haus D, Foto: Matteo Piazza
Haus D, Foto: Matteo Piazza
Haus D, Foto: Matteo Piazza

Die Quadraturdes Kreises

Nach langer Pause haben PAUHOF sich wieder dem Thema des Wohnhauses in der Landschaft gewidmet. Das Ergebnis, nahe Brixen, Südtirol: ein Sprung aus der Moderne ins Ungewisse.

16. Dezember 2007 - Christian Kühn
Im Film gehören die modernen Häuser immer den Bösewichtern. Dr. No ist nur der erste in einer ganzen Reihe von James-Bond-Gegenspielern, die sich am liebsten in hypermodernen, wenn auch manchmal mit Antiquitäten bestückten Räumen bewegen. Auch Philip Vandamm, der Bösewicht aus Hitchcocks „North by Northwest“, residiert in einer im Stil Frank Lloyd Wrights gehaltenen, dramatisch über dem Abgrund schwebenden Villa mit ungestörtem Panoramablick, Ausgangspunkt für die finale Verfolgungsjagd über die Felsskulpturen des Mount Rushmore.

Das Architektenduo Michael Hofstätter und Wolfgang Pauzenberger – kurz PAUHOF – hat sich mit dem ambivalenten Charakter des modernen Raums, dessen grenzenlose Freiheit ab einem gewissen Moment ins Heimatlose und Bedrohliche umschlagen kann, schon seit Langem beschäftigt. Das jüngste Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist eine derzeit im deSingel Kunstcampus in Antwerpen gezeigte Ausstellung, die unter dem Titel „The Wrong House“ der Filmarchitektur Alfred Hitchcocks gewidmet ist. Von PAUHOF stammt dort nicht nur die Ausstellungsgestaltung, sie haben auch Modelle und Zeichnungen von eigenen Projekten in die Installation einbezogen. Die Kombination ist durchaus schlüssig: PAUHOF sind an den Angsträumen, die sich hinter der scheinbar rationalen Oberfläche des modernen Lebens verbergen, genauso interessiert, wie es Hitchcock in seinen Filmen gewesen ist, und sie setzen in ihren Projekten virtuos kinematografische Mittel der Inszenierung ein. Damit stehen sie in einer großen Tradition: Schon Le Corbusiers Villa Savoye, ein Schlüsselbau der klassischen Moderne, ist wie eine Abfolge von Filmsequenzen komponiert. Eine andere, regional nähere Referenz für PAUHOF ist Le Corbusiers Zeitgenosse Lois Welzenbacher, der in den Jahren um 1930 einige der besten modernen Häuser im Alpenraum geschaffen hat, etwa das Haus Heyrovski in Zell am See.

Der ungebrochene Glaube an die Segnungen der Moderne, der aus diesen Bauten aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg spricht, ist heute längst vergangen. Schon das Einfamilienhaus an sich ist angesichts von Zersiedelung und Ozonloch zu einem Bösewicht geworden, der auch in der Passivhausvariante nie so ökologisch korrekt sein kann wie die Wohnung im dicht verbauten Stadtgebiet. Auch die Frage, wie „schön“ man heute überhaupt noch wohnen darf, kann zum Problem werden, zumindest wenn man sich an den Hinweis Adornos hält, es gehöre heute „zur Moral, nicht bei sich selber zu Hause zu sein“.

Das jüngste Projekt von PAUHOF, ein Einfamilienhaus in der Nähe von Brixen, lässt sich in diesem Sinn als Versuch interpretieren, ein Haus zu entwerfen, das Distanz zu sich selbst hält. Kaum glaubt man es durchschaut zu haben, etwa als Paraphrase auf diehorizontal gelagerten Bauformen der klassischen Moderne, überrascht es den Besucher mit der surrealistisch verzogenen Geometrieeines die Terrasse überspannenden Baukörpers, den sich das Haus in einer großen Kurve gleichsam über die Schulter wirft wie einen Schal. Bergseitig geht dieser Baukörperin die Skelettkonstruktion einer Pergola über,die immer schmäler wird und schließlich in den Terrassen des angrenzenden Weinbergs ausläuft. Die mehrfach gekrümmte Holzkonstruktion dieses Elements ist eine Meisterleistung, ausgeführt vom Unternehmen des Bauherren, das sich auf computergesteuerte Holzzuschnitte spezialisiert hat.

Im Inneren des Hauses wird der Besucher von einem raffinierten System aus Bewegungs- und Blickachsen geleitet. Alle Blicke sind so komponiert, dass möglichst viel von der grandiosen Landschaft rundum sichtbar wird, ohne dass Nachbarbauten das Bild stören. Umgekehrt wirkt die Terrasse durch denschwebenden Baukörper beinahe wie ein Innenhof, der vor den Blicken der Nachbarn schützt. Die vier Geschoße des Hauses habenihren jeweils eigenen Charakter: Ganz oben schwebt die Holzbox eines „Herrenzimmers“mit Panoramablick, über eine schmale Treppe mit dem Terrassengeschoß verbunden. Dort befinden sich der Wohn- und Essraum, die Küche und das Schlafzimmer der Eltern. Küche und Essraum liegen auf einer 20 Meter langen Achse, die am einen Ende tief in den Hang hineinführt und am anderen Endein einem zweigeschoßigen Raum endet, der die Treppe nach unten ins Eingangsgeschoß aufnimmt. Auf diesem Niveau liegen auch die Kinder- und Gästezimmer, die einen weiteren über zwei Geschoße reichenden Raum begrenzen, der auf der untersten Ebene als Kunstgalerie der Bauherrin dient. Obwohl sonst strenge Orthogonalität herrscht, ist die Geste der großen Kurve überall im Haus präsent: Sie dominiert den Terrassenhof, taucht im Elternschlafzimmer als gekrümmte Rückwand auf und im untersten Geschoß als Begrenzung der Galerie.

So kompliziert diese Anordnung klingt, so entspannt wirkt sie in natura. PAUHOF ist es gelungen, eine Selbstkritik der Moderne zu inszenieren, die das Alltagsleben nicht beschwert, sondern bereichert. Dass diese Quadratur des Kreises aufgehen konnte, liegt nicht zuletzt an der Zusammenarbeit mit dem Künstler Manfred Alois Mayr aus Bozen, dem PAUHOF die Gestaltung einzelner Elemente des Hauses überlassen haben. Von Mayr stammen Farben und Oberflächen an strategischen Punkten, etwa die Idee, die dunkle Farbe der Holzleisten, mit denen die Außenwand und einige Decken des Gebäudes verkleidet sind, durch das Flämmen von Eichenholz herzustellen.

Die Kontrolle aufzugeben und kein Gesamt-, sondern ein offenes Kunstwerk zu schaffen: Darin besteht der entscheidende Sprung aus der Moderne ins Ungewisse, der mit diesem Meisterwerk gelungen ist.

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