Bauwerk

Haus in St. Andrä-Wördern
Wolfgang Tschapeller Architekt, Wolfram Mehlem - St. Andrä-Wördern (A) - 2007
Haus in St. Andrä-Wördern, Foto: Lukas Schaller
Haus in St. Andrä-Wördern, Foto: Lukas Schaller

Operation am offenen Haus

Am Rand der Donauauen steht ein gestrandetes Schiff der Architekten Wolfgang Tschapeller und Wolfram Mehlem. Das bizarre Betonobjekt will vor allem eines: sich von den gängigen Bildern 08/15-Wohnens verabschieden.

26. April 2008 - Isabella Marboe
Der Wiener Architekt Wolfgang Tschapeller arbeitet konsequent daran, Räume neu zu definieren. „Die normalen Parameter von Geschoßen und Wänden können kein immerwährend gültiges Prinzip sein“, sagt er. Für ihn ist Architektur eine Operation in einem sozialen Kontext. „Jedes Projekt entsteht aus der Auseinandersetzung mit den jeweiligen Gegebenheiten. Wir nehmen ein Volumen, drücken etwas hinein und richten es so, dass man sich darin aufhalten kann.“

Dem Bauherrn war klar: Sollte er für sich und seine Familie je ein Haus bauen, käme als Architekt nur Wolfgang Tschapeller infrage. Als sich am Rand des Naturschutzgebiets der Donauauen schließlich ein Grundstück fand, konnte das interaktive Raumexperiment beginnen. Der Fluss prägt Land und Häuser: Fast alle Gebäude hier stehen auf Stützen, um vor Hochwasser gewappnet zu sein. Diesem Beispiel sollte das eigene Haus folgen.

Die Familie wünschte sich einen großen, gemeinsamen Raum mit Kochzeile, Kamin und Terrasse. Zwei Jahre arbeiteten Wolfgang Tschapeller, Jesper Bork und Wolfram Mehlem im intensiven Dialog mit den Bauherren an Papier-, Styropor und Computermodellen. Das Resultat ist ein Betonbaukörper, der die gängigen Vorstellungen eines Einfamilienhauses sprengt.

Ausgangspunkt des Entwurfs ist ein mehr als 22 Meter langes, sechs Meter hohes und breites, rechteckiges Volumen, in das die kleineren Räume eingedrückt sind. Wie Membrane umhüllen fließende, schräge Wände diese frei geformten Individualbereiche, die als „Abdrücke der architektonischen Operation“, so Tschapeller, im offenen Wohnraum sichtbar werden und ihn auf diese Weise umformen.

„Das Verhältnis der Volumina zueinander war essenziell für die Qualität des Inneren. Es bildet eine Kulturtextur, die sich nach dem Nutzer richtet“, erklärt der Architekt und sinniert weiter: „Dieses Haus ist ständig im Dialog mit seiner Umgebung.“ Wie ein Schiff liegt der kantige Baukörper in der Au, wie ein Schlot ragt das Studio des Bauherrn über das flache Dach hinaus. Nur auf vier Stützen berührt das Betonobjekt die Erde. Darunter befindet sich die Keller-Ersatzbox und eine Parkmöglichkeit fürs Auto.

Wohnen in der Lichtung

Eine leichte Außentreppe führt an der Südseite zum Eingang, neben dem der gebirgige Wandrücken des Kinderzimmers ansteigt. Wie durch eine Schlucht schlüpft man unter die Decke des abgehängten Schlafraums auf die weite Wohnlichtung, die ganz in Weiß erstrahlt. Wie Kristalle ragen die Zimmer in das offene Innere und verwandeln es in eine bewohnbare Kunstlandschaft. Dahinter verbirgt sich ein polygonales Flächentragwerk aus Holz. Unauffällig verschwindet darin die Stauraumwand mitsamt Kamin. Als dreidimensionale Glaskörper stülpen sich die Fenster über der Küchenzeile aus der Südfassade, frei geformte Fenster durchbrechen die Betonschale und bieten in diversen Körperhaltungen vom Boden bis zur Decke ungeahnte Perspektiven. Mit einer sechs Meter hohen, windverstrebten Glasfront nach Westen scheint der Wohnraum mit dem auskragenden Balkon regelrecht ins Freie zu kippen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at