Bauwerk

Betriebsrestaurant mit Auditorium
Barkow Leibinger - Ditzingen (D) - 2008

Blattwerk und Tangram

Betriebsrestaurant in Ditzingen

Das Raster ist tot, es lebe das Puzzle – diese Botschaft scheint die weitgespannte Stahl-Holz-Konstruktion über der neuen Trumpf-Kantine zu vermitteln, deren komplexe Struktur analog zur Natur erst dank CNC und individualisierter Massenfertigung möglich wurde. Mit ihren Gebäuden für den schwäbischen Präzisionsmaschinenbauer haben die Architekten schon öfters Sehgewohnheiten verrückt. Doch dieses Mal wirft der Neubau – zweifellos großzügig und skulptural sinnig – vor allem auch Fragen nach der Angemessenheit und den Grenzen konstruktiver Analogien auf.

7. Oktober 2009 - Christoph Gunßer
Seit über zehn Jahren gestaltet das Büro von Frank Barkow und Regine Leibinger die bauliche Entwicklung des Konzerns Trumpf. Am Stammwerk Ditzingen, wo sich Leibingers Vater einst vom Lehrling zum Chef hochgetüftelt hatte, machten Erweiterungen und Umnutzungen eine völlige Reorganisation des Firmengeländes möglich. Schon bald nach der vielpublizierten neuen Laserfabrik im Westen des Werkes wurde auf der Ostseite eine ehemalige Gewürzmühle erworben und umgebaut. Zwischen diesem neuen Dienstleistungszentrum, den Verwaltungsgebäuden aus den Sechzigern und dem 2003 hinzugekommenen Vertriebs- und Servicezentrum blieb ein Freiraum übrig, der für die Anlage eines großzügigen Betriebsrestaurants genutzt werden sollte: Eine »soziale Mitte«, die es für jeweils 700 Mitarbeiter im Schichtbetrieb auszulegen galt, zugleich aber auch Betriebsversammlungen fassen sollte. Die bisherige Kantine für die insgesamt 2 000 Mitarbeiter war vor allem akustisch ungenügend in einem der Altbauten untergebracht.

Das unregelmäßige Fünfeck des neuen Gebäudes reagiert auf die bestehenden Raumkanten. Sein »Bug« weist nordwärts zur gewagt aus- kragenden, blitzblanken Pförtnerloge am 2007 hierher verlegten Haupteingang, das breite »Heck« steckt südseits in einem Hügel, der die nahe Autobahn auszublenden bestrebt ist.

Die nautischen Metaphern mögen fehl am Platze sein; sie drängen sich dem Betrachter gleichwohl auf, weil das stählern konstruierte Gebäude halb im Boden versunken liegt: Eingegraben, um an das Tunnelsystem anzuschließen, das alle Werksteile wetterunabhängig miteinander verbindet, gibt es seine 31 000 m³ Baumasse nicht gleich preis. Das Aha-Erlebnis folgt erst, nachdem man die unterirdischen Gänge passiert und den Boden des Raumes betreten hat, den »Kantine« zu nennen weit untertrieben wirkt.

Schwamm, Blatt, Waben – die Formfindung

Hatten die Architekten in ihren Bauten bislang – in der Tradition des mit Stanzmaschinen großgewordenen Unternehmens – überwiegend mit Metalloberflächen experimentiert, erschien ihnen für eine Gemeinschaftsfunktion das anheimelndere Holz angebracht. Sie verwenden es jedoch in Kombination mit Stahlträgern und -stützen, um mehr Leichtigkeit zu erreichen. Das Dach sollte das prägende, alles verbindende Element sein. Als Struktur-Vorbild für dieses schwebte den Entwerfern das Blatt, der Schwamm und eine Wabenstruktur vor:

Was beim Blatt die Stiele und die Hauptadern – die Primärstruktur – sind, sollten hier die Stahlträger übernehmen. Was die Blattverästelungen aus-füllen – die Sekundärstruktur – sollte das Holztragwerk sein. Ein Deckgewebe – aussteifende Holzelemente und Dichtbahnen – überzieht beide.

Die offenporige räumliche Struktur von Schwämmen bot eine Möglichkeit, Tragverhalten und günstige Akustik zu verbinden. Doch wie diese Strukturen bauen? Schließlich entstand eine Mischform, die durch vertikale Vor- und Rücksprünge plastisch-räumlich wirkt. Dabei übernehmen die Überstände keine statische Funktion. 1 550 Brettschichtholz-»Stäbe« aus Fichte, 10 cm breit und zwischen 90 und 150 cm hoch, insgesamt 3,6 km lang, bilden die wabenartige Struktur, die innerhalb der von den Stahlträgern aufgespannten neun Dreiecke statisch wie ein Trägerrost funktioniert.

Keine der Waben ist identisch. CNC-Sägen und -Fräsen haben sie in präzise Form gebracht, wie bei einem Tangram-Puzzle geht am Ende alles auf. An jeder Ecke verbinden sternförmige Laschen die Holzwaben miteinander; an den Wangen sind sie zusätzlich sichtbar verschraubt. An die Stahlträger sind Befestigungslaschen angeschweißt. Hinzu kommt die unterschiedliche Neigung der neun Dachflächen, so dass Übergangshölzer nötig waren, um die entstehenden Zwischenräume zu füllen. Die ausführende Holzbaufirma baute zunächst ein 1:1-Modell mehrerer Module, um die effizienteste Verbindungstechnik zu ermitteln.

Da die Verbindungen sehr aufwendig sind, entschied man sich aus Kostengründen für eine deutliche Vergröberung der Struktur auf 295 Knoten , was dem Ziel der Strukturanalogie geschadet hat. Die erstrebte Leichtigkeit ist weg, die Waben sind wieder Bauwerke und keine Schwämme und lasten doch erheblich auf dem Raum.

Spindeldürre Stützen

Die bis zu 40 m weit spannenden Stahlträger und die neun Stützengruppen wurden dagegen extrem abgespeckt. Mit Materialstärken von bis zu 6 cm an hochbelasteten Stellen und kompliziert zu schweißenden Knoten erfüllen sie statisch gewiss ihren Zweck. Für die mächtig geratene Holzwabenkonstruktion wirken aber insbesondere die Stützen zu zart. Das Auge »wiegt« die Wabenkonstruktion eben nicht als leichtes Blatt oder Schwamm, sondern als doch recht massive Holzkastenstruktur. Manch einer mag sich dabei gar an abgehängte Decken der siebziger Jahre erinnern. Auch andere Bauten von Barkow Leibinger wecken Reminiszenzen an diese Zeit.

Ansonsten erfüllt die Wabenkonstruktion, in Kombination mit der gelochten Aussteifungsschicht, sehr gut ihren Zweck: Trotz der harten Ober- flächen im übrigen Raum ist der Geräuschpegel noch angenehm. Und zum gewöhnungsbedürftig prekär anmutenden Tragwerk ihrer Kantine werden die – zumeist technisch versierten – Mitarbeiter schon Zutrauen entwickelt haben.

Raumhoch verglast

Frappierend ist die Helligkeit im Raum: Immerhin 4 m unter Straßenniveau, erhält der Raum über die vom Dach bis zum Boden reichende Rundum-Verglasung viel direktes und indirektes Sonnenlicht. Die grünen Böschungen geben dahinter etwas Hülle, verwehren aber die weiteren Ausblicke auf das Firmengelände. Da sich das öffentliche Leben auf dem »Campus« ansonsten nur in den Verbindungstunneln abspielt, ist dies schon eine gehörige Steigerung des Wohlbefindens. Auf der Rückseite können die Mitarbeiter sogar draußen auf einer Terrasse sitzen.

Die gerade im Verhältnis zur Decke fast schwerelos wirkende Fassade trägt nur sich selbst, sie wird durch die vertikalen Aluminiumschwerter mit wechselnden Hochpunkten ausgesteift – wieder eine (hier nur scheinbar willkürlich gestaltete) dreidimensionale Fassade des Büros. Am Übergang zur auskragenden Dachkonstruktion (s. Abb. 5) verläuft ein vertikal beweglicher Kunststoffbalg, der die thermischen und lastabhängigen Bewegungen des Daches um 6 cm auszugleichen in der Lage ist.

Noch-nie-Dagewesenes

Bleiben noch nicht-tragende Details anzufügen: Die gesamte Logistik und die Küchenfunktionen verschwinden geschickt im Mezzanin-Geschoss. Der felsenhafte Bau stärkt der gesamten Struktur den Rücken, der sichtbare Teil wurde zudem in dunkel eingefärbtem Beton errichtet, was seine Schwere unterstreicht. Vor diesem Hintergrund heben sich die strahlend weißen Anrichten aus fugenlosen Mineralwerkstoff-Platten ab. Der Estrich glänzt dagegen hellgrau, er enthält trotz seiner scheinbaren Härte schwingungsdämpfende Polyurethane.

Fliesen, indes keine mit sanitärer Ausstrahlung, tauchen an drei Orten im Gebäude auf: am Eingang in der dreieckigen Erweiterung des Tunnels in Grün, im sichtbaren Ausgabebereich der Küche in Weiß und an der Rückseite des Gebäudes zum Hang hin in Blauschwarz. Die insgesamt 12 000 Fliesen entstammen einer Kleinserie aus dreidimensionalen (konkaven und konvexen) Terrakotta-Elementen, die formale Anklänge an die Gesamtform der Kantine enthalten.

Die Dachfläche ist von den umliegenden Gebäuden aus gut sichtbar. Darum hat man nur die nötigsten Abzüge und Öffnungen hier installiert, die massivere Technik dagegen in zwei seitliche Türme ausgelagert. In einige Waben integrierte Oberlichter unterstreichen in ihrer Selbstähnlichkeit die Gesamtform, wirken von außen aber wieder mehr dekorativ, wie Edelsteine.

Es ist wohl diese Ambivalenz von Nutzen und Dekor, das spielerische Zusammenwirken von scheinbarer Willkür und präzisester Kalkulation und Technik, die das OEuvre von Barkow Leibinger für modern geprägte Architekten angreifbar macht. Ihr zeittypisches Streben nach »Noch-Nie-Dagewesenem« verunsichert, weckt aber auch Neugier und Staunen, gerade bei »ungeschulten« Betrachtern. Der – nicht realisierte – raupenförmige Pavillon für das Deutsche Architekturmuseum ist nur ein weiteres Beispiel dafür.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

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