Bauwerk

Österreichischer Pavillon Expo 2010
SPAN, Zeytinoglu ZT GmbH - Shanghai (VRC) - 2010
Österreichischer Pavillon Expo 2010 © Mattioli
Österreichischer Pavillon Expo 2010 © Mattioli

Eine Fahne für Österreich

Als unschlagbare Touristenfalle und nicht gerade klischeefrei präsentiert sich Österreich auf der Weltausstellung in Shanghai. Dafür mit einem hoch komplexen Pavillon, in jeder Hinsicht einprägsam.

8. Mai 2010 - Christian Kühn
Eines der berühmtesten Gedichte von Ernst Jandl ist der mit dem Titel „Eine Fahne für Österreich“ überschriebene Dreizeiler „rot / ich weiß / rot“. Jandl hätte sicher mehr über das Land zu sagen gehabt, aber der Dreizeiler hat ihm offenbar genügt. Das in die Landesfarben hineingeseufzte „Eh-schon-wissen“ sagt ja tatsächlich mehr über die zähflüssige Substanz der österreichischen Seele aus als viele wortreiche Analysen.

Die Präsentation eines Landes bei einer Weltausstellung ist im Idealfall genauso simpel und zugleich abgründig wie dieses Gedicht. Mehr als eine einfache Aussage hat imallgemeinen Rauschen einer solchen Veranstaltung nicht Platz, und trotzdem muss sie genug Tiefgang haben, um den Besuchern nachhaltig in Erinnerung zu bleiben.

Was Österreich auf der am 1. Mai eröffneten Weltausstellung in Shanghai mit seinem Pavillon zustande gebracht hat, kommt diesem Ideal ziemlich nahe. Zwar triefen die gezeigten Inhalte so von Klischees, dass es beinahe weh tut: „Feel the Harmony“, lautet das Motto, und wer auf der Website einen virtuellen Rundgang unternimmt, begegnet einer Sennerin im Designerdirndl und Mozart vor einer Seenlandschaft mit Bergkulisse. Auch im realen Pavillon verlässt sich das Ausstellungskonzept vor allem auf Projektionen undSoundscapes, die sich kräftig aus dem Fundus der Tourismuswerbung bedienen.

Eingebettet sind diese Inhalte allerdings in ein in jeder Hinsicht einprägsames Objekt, das trotz seiner organischen Konturen mit dem Kürzel „Blob“ nur unzureichend beschrieben ist. Tatsächlich liegt dem von der Gruppe SPAN konzipierten und zusammen mit dem Architekten Arkan Zeytinoglou umgesetzten Pavillon eine komplexe, am Computer entwickelte Geometrie zugrunde, die nicht durch „Aufblasen“ und Anschneiden einer Grundform entstanden ist, sondern durch bruchlose Verformung. Der wissenschaftliche Hintergrund dafür ist die Topologie, ein Teilgebiet der Mathematik, unter dessen Blickwinkel scheinbar unterschiedliche Körper als verwandt identifiziert werden, weil sich ihre Formen kontinuierlich ineinander überführen lassen. Der Entwurfsprozess für den Pavillon in Shanghai lässt sich mit einem Trick vergleichen, bei dem zuerst eine Seifenblase in Schachtelform in die Luft gezaubert wird und danach Löcher in diese Schachtel geblasen werden, die in ihrem Inneren zu Hohlräumen verschmelzen.

Sandra Manninger und Matias del Campo, die 2003 das SPAN-Team gegründet haben, befassen sich seit vielen Jahren mit der Benutzung solcher Verfahren für die Herstellung architektonischer Formen. Die mathematischen Modelle und die Computerprogramme dafür haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Man muss sie freilich auch benutzen können. Beim Österreich-Pavillon ist SPAN dabei ein bemerkenswerter Qualitätssprung gelungen, gewissermaßen von Luigi Colani zu Friedrich Kiesler, dessen „Endless House“ immer noch die Sehnsuchtsfigur aller Architekten darstellt, die von der Auflösung von Wänden und Decken in eine kontinuierliche Raumhülle träumen.

Das Ergebnis ist nicht nur ein schönes Objekt, sondern vor allem eine gelungene Verbindung von Raum, Form und Bewegung.Denn der Weg, den die Besucher durch den Pavillon nehmen, hat – gewissermaßen als Leitlinie für die Verformung der Schachtel – die Raumhülle geformt. Er führt zuerst über eine lange Rampe auf das Niveau von 1,5 Metern und von dort in einer S-Schleife wieder abwärts ins zentrale Auditorium. Hierkommt ein zweiter Aspekt des Entwurfs zumTragen: Ursprünglich hatten die Architekten ihr Projekt unter dem Titel „Topology of Sound“ zum Wettbewerb eingereicht und dieGeometrie des Hauptsaals als Verräumlichung von Schallwellen konzipiert. So folgenDecke und Boden des Raums, in dem sich bis zu 300 Menschen aufhalten können, einerleichten, wellenförmigen Bewegung. Hier werden die Besucher mit einem Mix aus Klassik, Pop und elektronischer Musik beschallt und mit Projektionen zu den Themen Berge, Wald, Wasser und Stadt süchtig nach den Schönheiten Österreichs gemacht.

Nach Verlassen des Saals verzweigt sich der Weg, entweder ins Freie oder ins Obergeschoß, wo sich ein Restaurant mit Innenhof befindet, der sich zu einem begehrten Ruhepol in der Hektik der EXPO entwickeln wird. Auch im Restaurant folgt die Geometrie dem Prinzip kontinuierlicher Übergänge. Säulen gibt es nicht, und wo sie statisch notwendig wären, stützt sich einfach die Decke in einer eleganten Bewegung auf dem Boden ab.

Zumindest scheint es so, denn im Inneren der so entstehenden Stalaktiten befinden sichnach wie vor Stahlsäulen, wie überhaupt die kontinuierliche Geometrie nur eine Hülle um ein konventionelles Tragwerk darstellt. Obwohl auch für die Herstellung dieser Hülle computergesteuerte Produktionsverfahrenzum Einsatz kommen, bleibt zwischen der digitalen Welt des Entwurfs und jener der Produktion eine Lücke, die sich vielleicht in Zukunft durch neue Materialien und Bautechniken schließen wird. Beeindruckend istdie von der chinesischen Tochterfirma der Alpine-Mayereder errichtete Konstruktion allemal. Die Geometrie wurde in mehreren Ausbaustufen approximiert: zuerst grob über das Stahltragwerk der Primärkonstruktion, dann mit Stahllamellen, die von rechnergesteuerten Maschinen gebogen wurden, und schließlich mit einer Haut aus gelochten Faserzementplatten, die ebenfalls rechnergesteuert zugeschnitten und über die Lamellen gebogen wurden. Die glänzende Außenschicht besteht aus sechseckigen Keramikplättchen, deren Farbgebung den Baukörper in einem rot-weiß-roten Muster akzentuiert: eine Fahne für Österreich, vielleicht nicht so minimalistisch wie Ernst Jandls Gedicht, aber ähnlich einprägsam.

Im Nationenvergleich behauptet sich der österreichische Pavillon gut. Der deutsche sieht ein wenig aus, als hätte man Coop Himmelb(l)au einen Praktikanten abgeworben und dessen Entwurf mit Waren aller Art vollgestopft. Mehr Mut zur Ironie als Österreich – und mehr Nähe zum Thema der EXPO, „Better City, better Life“ – beweisen die Niederländer mit ihrer „Happy Street“, einer in der Luft schwebenden Achterschleife mit Miniaturhäusern aller Stilrichtungen. Auch Dänemark zeigt mehr Witz, indem es das Original der „Kleinen Meerjungfrau“ in einer Raumschleife von Radfahrern umkreisen lässt und die Chinesen so an ihr früheres ökologisches Hauptverkehrsmittel erinnern will.

Als Touristenfalle ist Österreichs Pavillon aber unschlagbar. Und wir dürfen uns damit trösten, dass „Sinne im Gleichklang“ – so der übersetzte Titel unseres Beitrags – als Kennzeichnung Österreichs nur eine höhere Form der Ironie darstellt.

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