Bauwerk

Museum sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1
schneider+schumacher - Oranienburg (D) - 2001

Beredter Monolith

Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin steht für ein doppeltes historisches Trauma

29. Januar 2003 - Claus Käpplinger
Gegründet als eines der ersten Nazi-KZs, in dem u. a. auch der Bundeskanzler des von Deutschland „angeschlossenen“ Österreich einsaß, wurde es nach der Befreiung 1945 von den Sowjets als „Speziallager“ weitergenutzt.

Nach der schwierigen DDR-Periode holte ein rechtsradikaler Brandanschlag den Ort in das öffentliche Bewusstsein zurück. Das daraufhin erstellte neue didaktische Konzept der Anlage beinhaltet jetzt auch eine Gedenkstätte, die hermetische Geschlossenheit bei innerer Nutzungsfreiheit bietet.

Der Neubau eines Museums zum „Sowjetischen Speziallager 7/1“ ist Teil dieses neuen Konzeptes. Mit einem nahezu hermetischen Monolithen schufen die Frankfurter Architekten Till Schneider und Michael Schumacher einen faszinierend neuen Baukörper, der nun vor allem mit seinem Verschwinden die heutige Abwesenheit des Terrors vor Ort eindringlich vermittelt.


Rückkehr der Erinnerung

In erschreckender Kontinuität hatten die Sowjets in den ersten Nachkriegsjahren die Lager weiter genutzt, um nun dort alle ihre realen oder auch nur vermeintlichen Gegner zu internieren, von denen viele an Krankheiten oder Hunger starben. Viele Klischees der Propaganda des Kalten Krieges mussten dabei überwunden werden. Weder Nationalsozialisten noch Sozialdemokraten stellten so die Mehrheit der Internierten dar, sondern eigentlich unpolitische Bürger wie auch sowjetische Fremdarbeiter und Gefangene, die sich 1945 auf Reichsgebiet befanden. Zugleich musste aber auch vermieden werden, dass dieser Terror nun nicht einfach mit dem Holocaust gleichgesetzt wird.


Nahezu monolithisches Gedenken

Für diesen Prozess kommt dem Konzentrationslager Sachsenhausen eine besondere Bedeutung zu. Handelt es sich doch um eines der ersten Konzentrationslager der Nazis, das u.a. die prominentesten Gegner der Nazis aufnahm und von dem aus später das ganze System der Vernichtungslager gesteuert wurde. Grund genug es zur nationalen Gedenkstätte zu erheben, zumal sich der Ort Oranienburg, zu dem heute Sachsenhausen gehört, in der Nähe der neu-alten deutschen Hauptstadt Berlin befindet.

Entgegen der pompösen Memorialanlage aus kommunistischen Zeiten ist ihr Konzept jedoch heute dezidiert dezentral, das Information und Auseinandersetzung über viele über das Gelände verteilte Stationen bietet. Eigene, persönliche Wege sollen heute die Besucher wählen können, denen in historischen Gebäude wie auch Neubauten unterschiedliche Schwerpunktsetzungen geboten werden.

Einer dieser Schwerpunkte ist das neue Museum für das „Sowjetische Speziallager 7/1“ auf dem Gelände des früheren Prominenten-KZs, dessen Gebäude heute weitgehend verschwunden sind, wo u. a. Holzhäuser standen, die nach Bundeskanzler Kurt Schuschnigg als prominentestem österreichischen Häftling benannt waren.


Versenkter Neubau

Hier entschied sich die Gedenkstättenleitung für ein zweigeteiltes Konzept, das Informationen zum Prominenten-KZ in den wenigen erhaltenen Backsteinbaracken bietet und in einem Neubau die Geschichte des sowjetischen Lagers Sachsenhausen konzentriert.

Aus einem eingeladenen Wettbewerb gingen dabei 1998 die Frankfurter Architekten Schneider + Schumacher hervor, deren Entwurf ausgesprochen komplex die Vergangenheit des Ortes widerspiegelt.

So wählten sie als Ort ihres Quaders genau die Gelenkstelle zwischen Lager und dem externen Lagerfriedhof aus. Außerdem versenkten sie ihren Bau um knapp einen Meter unter das Bodenniveau, um nicht mit den niedrigen Bauhöhen des Bestands in Konkurrenz zu treten. Und sie gestalteten ihren Baukörper nahezu monolithisch geschlossen, der nur an drei seiner Ecken sparsame Öffnungen aufweist: zum Friedhof, zu den erhaltenen Baracken und nicht zuletzt zum Haupteingang des Lagers.


Innen und außen

Nur schwer wahrnehmbar sind von außen ebenso die Dimensionen des Quaders, der 2,8 m in der Höhe, 33 m in der Länge und 20 m in der Breite misst. Seltsam glatt und immateriell wirkt der Beton, der eigentlich nur als reine Geometrie oder Reflexionsfläche wahrgenommen werden kann. Von ganz anderer Art sind hingegen die Innenseiten der Stahlbetonfertigteile, die stark gesäuert eine betont haptisch-raue Oberfläche erhielten. Doch zuvor müssen sie den Orkus des Eingangs durchschreiten, der kaum Auskunft gibt, was sich hinter ihm befindet.

Dank einer geschickten Ausstellungsarchitektur von Stefan Haslbeck wurden die 700 Exponate in objektartigen Tischen konzentriert, die sich streng linear in die klare Geometrie des Gebäudes implantierten. Über das Schicksal von 60.000 Menschen geben sie Auskunft, von denen 12.000 an Hunger und Krankheiten starben.

Der Hermetik der äußeren Erscheinung folgt hier sehr persönliche Erfahrung, von den vielen Schicksalen, aber auch der Möglichkeit einer inneren Freiheit der Person oder eines Raumes, der zwar überaus klare Grenzen, doch nur schwer festlegbare Dimensionen besitzt.


Befreiende Eindringlichkeit

Multifunktional und nur mit einem Minimum an Raumdefinitionen und Details auskommend, ist erneut den Architekten Till Schneider und Michael Schumacher Erstaunliches gelungen. Sie, die etwa vor einem Jahrzehnt die freche rote Info-Box für den Potsdamer Platz bauten, haben hier an einem historisch schwer belasteten Ort ein Werk ernster wie ebenso befreiender Eindringlichkeit geschaffen.

Ein Werk aber auch, das kongenial an die wiederhergestellte, doch nicht restaurierte Brandbaracke der Architeken Braun+Vogt anknüpft, das ebenso zu den Ausstellungsstationen wie auch der bald beginnenden Landschaftstransformation von HG Merz auf dem KZ-Kerngelände passt und hoffentlich die Politiker dazu ermutigt, endlich Daniel Libeskinds Wettbewerbsprojekt „Hope Incision“ für das ehemalige SS-Truppenlager zu realisieren.


[Den ungekürzten Originalbeitrag von Claus Käpplinger finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

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