Bauwerk

„Muth“ - Konzertsaal der Wiener Sängerknaben
archipel architektur kommunikation - Wien (A) - 2012
„Muth“ - Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, Foto: Rupert Steiner
„Muth“ - Konzertsaal der Wiener Sängerknaben, Foto: Rupert Steiner

Kollateralstimmbruch

Am Sonntag wird im Augarten der heiß diskutierte Konzertsaal der Wiener Sängerknaben eröffnet. Grund genug, die Planungskompetenz des Wutbürgers infrage zu stellen

7. Dezember 2012 - Wojciech Czaja
Die Architektur ist eine Erleuchtung. Zumindest wenn man sie in Lux und Lumen misst. Schon von weitem erstrahlt am abendlichen Himmelszelt ein weißes, gleißendes Strahlen, so ähnlich wie man es aus der Science-Fiction-Schmiede Hollywood kennt, kurz bevor das Luftschiff mit seinen durchsichtigen Besuchern abhebt und in der Tiefe des Universums verschwindet. Es ist dies aber kein Ufo, sondern der neue, längst stadtbekannte und kontroversiell diskutierte Konzertsaal der Wiener Sängerknaben im südlichsten Zipfel des Augartens.

„Ja, das Licht klescht noch ziemlich“, sagt Elke Hesse, Direktorin des sogenannten Muth. Die Abkürzung entstand in Anlehnung an das Grazer Musikhaus Mumuth und steht für Musik und Theater. „Es ist zu kalt und zu hell und passt nicht ins Ambiente. Wir arbeiten daran.“

Bis Sonntagvormittag ist noch Zeit. Dann nämlich wird die Spielstätte der singenden Matrosen nach zwei Jahren Bauzeit feierlich eröffnet. Mit dabei: Franz Welser-Möst und die Wiener Philharmoniker.

Auch die zuständigen Architekten Johannes Kraus und Michael Lawugger vom Wiener Büro Archipel räumen ein, sich bei der Beleuchtung womöglich ein bisschen verkalkuliert zu haben. Noch ist die richtige Lichtstärke nicht gefunden.

Überaus gesucht und gefunden hingegen sei der Konsens, auf diesem schwierigen, engen Grundstück ein Gebäude an der Schnittstelle zwischen Alt und Neu entwickelt zu haben, das sowohl die Förderer und Befürworter des Projekts zufriedenstellt als auch seine zahlreichen Gegner.

„Es gab bei diesem Projekt Versäumnisse auf vielen Seiten, vor allem auf politischer Ebene“, sagt Architekt Kraus. „Die Wogen sind hochgegangen, Bürgerinitiativen wurden gegründet, der Augarten wurde besetzt, und irgendwann einmal war der Punkt erreicht, an dem es nicht mehr möglich war, objektiv und sachlich über die Qualität des Gebäudes und seine Nutzungsmöglichkeiten zu diskutieren. Das finde ich sehr schade.“

In dieser Hinsicht zeigten sich die Architekten weitaus kooperativer und kompromissfreudiger als die zwar selbsternannt liberalen, letztendlich aber konservativ argumentierenden Damen und Herren an der Spitze der beiden Kampftruppen „Josefinisches Erlustigungskomitee“ und „Freunde des Augartens“, die die Sängerknaben als ein paar singende Gschrappen bezeichneten, die von Kaltschnäuzigkeit und Denkmalzerstörung sprachen und die allerlei andere, zum Teil unappetitliche Aktionen starteten, die es nicht wert sind, im Detail erläutert zu werden.

Als im März 2007 dann auch noch Viennale-Direktor Hans Hurch und Filmarchiv-Leiter Ernst Kieninger ihre Konkurrenzpläne für ein teilweise unterirdisches Filmkulturzentrum vorstellten (Entwurf Delugan Meissl Associated Architects), entfachte ein Kampf, den man getrost als medialen Bürgerkrieg bezeichnen könnte.

Die Aktivisten befetzten sich mit Kommentaren und Gegenkommentaren (der Standard berichtete), sammelten Unterschriften von Otto Normalverbraucher bis Hollywoodstar Tilda Swinton und waren nicht einmal müde, alle Instanzen von Rechnungshof über Volksanwaltschaft bis hin zum Verwaltungsgerichtshof zu durchwandern.

Vergeblich. Am Ende entschied sich der damalige, für den Augarten zuständige Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (VP) zugunsten des verkleinerten und überarbeiteten Konzerthauses für die trällernden Buben.

Geometrische Schleiforgie

Genug der historischen Krokodilstränen, rein in die Architektur. Es hilft kein Rütteln und kein Beschönigen. Von außen ist und bleibt das dekonstruktivistisch angehauchte Ding ein greller, metallischer Fremdkörper in barocker Gesellschaft. Die Gebäudehülle aus Titanzink, die über Dach und Fassade gezogen wurde, will sich mit der Augartenmauer und den alten Dachschindeln des denkmalgeschützten Pförtnerhauses einfach nicht anfreunden.

Auch formal wurde hier nicht gerade ein Kandidat für den nächsten Baukulturpreis geschaffen. Fast scheint es, als hätte Frank Gehry einen Schiffscontainer verschluckt. „Wir hätten den Bau gerne noch etwas flacher gemacht, aber nachdem entschieden wurde, dass wir das Pförtnerhaus erhalten und ins Projekt einbeziehen müssen, war das nicht mehr möglich“, erklärt Johannes Kraus. „Wir haben dann so lange an der Form herumgeschliffen, bis alles gepasst hat.“

Opfer dieser geometrischen Schleiforgie sind auch die Übergänge zwischen Neubau und Altbau, der für das Projekt mühsam trockengelegt und statisch um zwei Kellergeschoße unterfangen werden musste. Das reinste Durcheinander. Doch das Bundesdenkmalamt (BDA) ist mit dem Spagat zwischen den Epochen zufrieden: „Die Architekten sind in intensivem Kontakt mit uns gestanden und haben hier beste Arbeit geleistet“, sagt Friedrich Dahm, Landeskonservator für Wien. „Das realisierte Projekt entspricht punkt- und beistrichgenau den genehmigten Planunterlagen.“ Die Baukosten belaufen sich auf 15 Millionen Euro. Finanziert wurde das Projekt zur Gänze von der POK Pühringer Privatstiftung.

Und dann die große Überraschung. Kaum hat man Kassa, Café und Garderobe hinter sich gelassen, offenbart sich ein Konzertsaal, der hierzulande wahrscheinlich zu den schönsten und gelungensten Aufführungsräumen der letzten Jahrzehnte gezählt werden kann. Geräucherte Eiche am Boden, ein Kokon aus Nussholz mit mal heller und mal dunkler, mit mal ruhiger und mal stark gemaserter Struktur, ein Himmel aus goldlackiertem Streckmetall und die 440 knallroten Ergonomie-Wunderstühle mit ihren rheingold- und walküretauglichen Lumbalstützen in der Rückenlehne verwandeln das Volumen in einen festlich ausgeschmückten Geigenkasten. Ein Genuss.

„Ich bin von diesem Saal begeistert“, erklärt die Konzerthaus-Direktorin Elke Hesse. „Einerseits würde man so einen riesengroßen Saal von außen nie vermuten, andererseits sind Akustik und Ambiente hier drinnen einfach perfekt.“ Die Akustikplanung stammt von Bernd Quiring, der auch schon die neuen Säle im Musikverein und das kurz vor Fertigstellung befindliche Linzer Musiktheater berechnete.

Die ersten Musikproduzenten, die den Saal als Tonstudio nutzen wollen, stehen bereits auf der Liste. Außerdem soll der Saal der Wiener Volksoper, dem Dschungel Wien und dem Konzertveranstalter Jeunesse zur Verfügung gestellt werden. Auch Fremdvermietungen an Festivals und Unternehmen sind geplant.

Diese in jeder Hinsicht geglückte Qualität wäre auch fürs übrige Gebäude wünschenswert gewesen. Hätten sich die Architekten in den letzten Jahren auf ihre Kernkompetenz konzentrieren können, anstatt an der Front gegen ein aufgescheuchtes Wutbürgertum zu kämpfen, würde der Konzertsaal der Wiener Sängerknaben heute anders aussehen. Können tun sie's ja. Das haben sie im Saal eindrücklich bewiesen.

Mitspracherecht und Bürgerbeteiligung sind wichtige Grundpfeiler von Demokratie. Doch es kommt darauf an, wie man von diesem Recht Gebrauch macht. Im konkreten Fall gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Und das Projekt wurde durchs Dreinreden nicht besser, sondern schlechter.
Im Februar 2013 erscheint im Verlag Anton Pustet das von den Architekten herausgegebene Buch „Konzertsaal der Wiener Sängerknaben“ mit Fotografien von Rupert Steiner. EUR 28,-

Eröffnungskonzert mit den Wiener Sängerknaben, den Philharmonikern und Dirigent Franz Welser-Möst am Sonntag, dem 9. Dezember, um 11 Uhr. Ab 15 Uhr ist Tag der offenen Tür.

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