Bauwerk

Seniorenzentrum Liebigstraße
Karl und Bremhorst Architekten - Linz (A) - 2015
Seniorenzentrum Liebigstraße, Foto: Rupert Steiner
Seniorenzentrum Liebigstraße, Foto: Markus Bstieler

Im Heim zu Hause

So wohnlich kann der Altersheimbau heute aussehen: das neue Seniorenheim im Linzer Franckviertel – mehr als nur ein spitalsähnliches Pflegeheim.

23. April 2016 - Romana Ring
Architektur kann hilfreich sein. Ob es nun um die Neuordnung des Schulalltags geht, um soziales Wohnen in der Großstadt oder um die Wiederbelebung ländlicher Ortskerne: Architekten leisten einen erheblichen Beitrag zur gedeihlichen Weiterentwicklung unseres Zusammenlebens. Nicht selten setzen sie dabei räumlich um, was im Bewusstsein ihrer Auftraggeber erst vage Formen angenommen hat. Viel häufiger aber geht es darum, ganz konkreten Ansprüchen an Funktionalität und Komfort innerhalb eines streng gesteckten finanziellen Rahmens gerecht zu werden.

In Oberösterreich gehört der Altersheimbau zu jenen Aufgaben, deren Nutzungsqualitäten in den vergangenen Jahren beständig verfeinert worden sind. Das in Wien ansässige Büro Kuba/Karl und Bremhorst Architekten wiederum zählt zu jenen Architekturbüros, die es verstehen, ihr von Projekt zu Projekt gewonnenes Wissen über eine Materie auch gestalterisch in jene Souveränität zu übersetzen, die dem hohen technischen und sozialen Ausstattungsgrad der jeweiligen Einrichtung entspricht. Mit dem kürzlich fertiggestellten Seniorenzentrum Liebigstraße im Linzer Franckviertel hat Kuba nicht nur die Erwartungen der Jury eingelöst, die seinem Wettbewerbsprojekt „hohe Wohn- und Aufenthaltsqualität“ sowie „architektonisch klare Gestaltung“ attestierte. Es schaffte es, dem doch recht euphemistisch „Seniorenzentrum“ genannten Pflegeheim die Anmutung eines Krankenhauses zu nehmen. Das ist angesichts der geltenden Pflegestandards ein Unterfangen, das nur durch akribische Detailarbeit gelingen kann und für die Augen der meisten Nutzer unsichtbar bleibt.

Die Grundlage einer funktionstüchtigen Einrichtung ist die kluge Organisation des Alltags. Der Bedarf an Pflegeplätzen steigt ebenso wie die damit verbundenen Kosten; der Pflegeberuf ist kein Honiglecken, und es gibt daher: wenig Toleranz für sperrige Abläufe oder weite Wege. Eine bestimmte Mindestgröße ist Voraussetzung für den wirtschaftlichen Betrieb eines Pflegeheimes. Gleichzeitig sollen die Bewohner sich zu Hause fühlen, was angesichts von 120 Betten in einem Haus leichter gesagt als in gebaute Realität übersetzt ist. Kuba hat das Seniorenzentrum Liebigstraße als dreiflügelige Anlage konzipiert. Die drei in ihrer Ausdehnung dem städtebaulichen Maßstab des Umfeldes gut angepassten Flügel greifen nach Norden Westen und Osten aus. In den drei Obergeschoßen ist jeweils eine Wohngruppe für 40 Betten untergebracht. Die Dreiteilung reduziert die seitens der Bewohner gefühlte Größe der Einrichtung ebenso, wie sie die Wege für das Personal verkürzt, dessen Pflegestützpunkt in der Mitte des Grundrisses angeordnet ist.

Auch im Erdgeschoß bewährt sich die Teilung des Baukörpers, da sie mit einer klaren Trennung unterschiedlicher Funktionen einhergeht. Der Nord-Süd-orientierte Trakt springt an seiner westlichen Längskante und an seiner nördlichen Stirnseite hinter die Flucht der Obergeschoße zurück. So entsteht ein geschützter Bereich vor dem Haupteingang, der in der Innenecke angeordnet ist. Die sich dahinter öffnende Eingangshalle und der vertikale Erschließungskern liegen somit im Zentrum des Gebäudes. Die ein wenig schräg zum Seniorenzentrum an dessen Westseite verlaufende Liebigstraße begrenzt einen Vorplatz angemessener Größe, den ein Café und die Räume der Verwaltung überblicken. Auf der anderen Seite des Traktes liegen ein Mehrzwecksaal variabler Größe und der Andachtsraum in unmittelbarer Nähe der Eingangshalle. Im Ostflügel sind Therapieräume und die Küche untergebracht. Zu- und Anlieferung erfolgen ohne Störung des Betriebs über eine eigene Zufahrt von Norden her. Der südlichste, nach Westen zeigende Trakt wiederum beherbergt ein stark frequentiertes Tageszentrum, das sich wie die Therapieräume mit seinem allgemeinen Aufenthaltsraum zu einem von der Straße abgeschirmten Garten öffnet.

Das Haus ist äußerst kompakt organisiert. Dennoch hat es keine dunklen Gänge. In den Obergeschoßen hat Kuba jedem der drei Trakte an seiner Innenecke eine Loggia eingeschnitten, die jeweils einem Aufenthaltsbereich in der Größe eines Wohnzimmers zugeordnet ist. Die T-förmig ausgebildeten Erschließungszonen der einzelnen Trakte münden mit großzügigen Fenstern in Loggien oder direkt an der Fassade und sorgen so für Tageslichteinfall und Orientierung. Die Wände der in der Mitte der Erschließungsbereiche angeordneten Nebenraumzonen halten Abstand zur Decke und vermeiden so den Eindruck räumlicher Enge. Den drei Trakten ist jeweils ein Wohn- und Essbereich zugeordnet; Wohnküchen laden die Bewohner zur Mithilfe beim Anrichten der Mahlzeiten ein. Auch der Raum vor dem Pflegestützpunkt wird gerne genutzt. Die Zimmer entsprechen in Dimension und Ausstattung den in Oberösterreich geltenden Normen. Mit ihren tief gesetzten Parapeten gewähren sie auch bettlägerigen Menschen Ausblick ins Freie. Kleine Briefkästen in den Nischen vor den Zimmertüren sollen der Persönlichkeit des Einzelnen zumindest symbolisch Präsenz verleihen.

Die mit hellem Holz, unaufdringlich hellen Böden und einer vereinzelten, mit Stoff bezogenen Bank dem Begriff „wohnlich“ so weit wie möglich angenäherte Stimmung im Haus wird von den Kunstprojekten mitgetragen. Walter Kainz und Marion Kilianowitsch haben mit ihren Werken – einem Eichenrelief und einem Metallbild – den Andachtsraum ruhig und meditativ gestimmt. Großformatige Holzintarsien mit Linzer Stadtansichten von mia2/Gnigler/Wilhelm Architektur unterstützen Gedächtnis und Orientierung im Haus; und die von Gerhard Brandl in den Natursteinboden der Eingangshalle gravierten Teppiche erinnern die Bewohnerinnen und Bewohner vielleicht ebenso an daheim wie Margit Greinöckers Guglhupf-Skulptur an der dem Haupteingang gegenüberliegenden Wand.

Kuba aber hat mit großem Planungsaufwand dafür gesorgt, dass haustechnische Einrichtungen wie etwa die Lüftungsanlage in diesem höchst energieeffizient angelegten Gebäude im Hintergrund bleiben und kein Feuerlöscher die Harmonie der Aufenthaltsbereiche stört. Und dennoch: Im Seniorenzentrum Liebigstraße finden ausschließlich Menschen mit hoher Pflegebedürftigkeit Aufnahme. Die Frequenz ist diesem Umstand entsprechend deprimierend hoch. Das allerdings ist ein Aspekt der Bauaufgabe, den auch hervorragende Architektur nicht lösen kann

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