Bauwerk

Himmelsfalter
X ARCHITEKTEN - Wien (A) - 2017
Himmelsfalter, Foto: Hans Leitner
Himmelsfalter, Foto: Hans Leitner

Zwischen Balkonien und Badkultur

Zweimal Neudeutung eines historischen Bestandes, einmal in einem Wiener Hinterhof, einmal auf einem oberösterreichischen Stadtplatz. „Himmelsfalter“ und. „Badhaus“ von X Architekten oder: Wie man Urlaub einmal ganz anders gestalten kann.

21. Juli 2018 - Romana Ring
Die Ferienzeit ist da: am Himmel das dicht gewobene Netz des Flugverkehrs, das Schweröl und der Müll der Kreuzfahrtschiffe in den Meeren, auf den Autobahnen der stinkende, lärmende Stau. Wie schön könnte man es doch daheim haben, auf dem eigenen Balkon zum Beispiel. Leider ist nicht jede von einem Geländer umwehrte Platte, die aus einer Fassade kragt, ein Ort, an dem man die Seele baumeln lassen möchte. Doch der „Himmelsfalter“ den die in Linz, Wien und Lambach ansässigen X Architekten in den engen Hof eines Gründerzeithauses in der Wiener Weyringergasse gesetzt haben, bannt Gedanken an Flucht aus dem Alltag und der Stadt mit zauberhafter Leichtigkeit.

X Architekten haben den von der Magistratsabteilung 19, Abteilung für Architektur und Stadtgestaltung, mit einer Teilnahme an der Ausstellung „Gebaut 2017“ ausgezeichneten Balkon gemeinsam mit seinen Nutzern, Kopp Restauratoren, geplant. Er bereichert die dahinterliegende, ebenfalls in Gemeinschaftsplanung zu einem feinen Gefüge aus Erinnerungen und Zukunftsvisionen verdichtete Altbauwohnung mit jenem privaten Luft- und Grünraum, den Quartiere dieser Art schmerzlich vermissen lassen. Denn in der Zeit des großen Immobilienbooms Ende des 19. Jahrhunderts wandte man dem Straßenraum zwar gerne eine repräsentative Fassade zu. Zur Belichtung und Belüftung der Wohnungen mussten allerdings häufig Schächte genügen.

Nun darf und will man die Nachbarn ja durch die Verbesserung der eigenen Situation nicht um die wenigen Sonnenstrahlen bringen, die durch solch eine enge Schlucht in ihre Fenster fallen. Der komplizierte, in Abstimmung mit den Wünschen der Nachbarn gefundene Zuschnitt des Himmelsfalters bildet folglich die Geometrie des Hofes ebenso ab wie die Lichteinfallswinkel zu den daran grenzenden Wohnräumen. Sein mehrfach geknickter Körper ist an seiner dem Hof zugewandten Außenseite mit einer Vielzahl von Dreiecken aus poliertem Edelstahl belegt, die das Haus selbst, vermengt mit Sonne und Himmel, als glänzende Splitter hinunter in die Tiefe spiegeln. Diese schimmernde Haut, von den Helden der Baustelle, den Metalltechnikern Fikret und Feriz Nakicevic, handwerklich vorbildhaft umgesetzt, wird von einer Stahlkonstruktion getragen, deren Einzelteile samt und sonders mit Hilfe einer Seilwinde per Hand an die Einbaustelle in lichter Höhe gebracht werden mussten.

Oben im fünften Stock hat der Falter seine Flügel zu einer bergenden Höhlung geformt, die mit thermobehandeltem Eschenholz ausgekleidet ist. Die Brüstung fasst großzügige Pflanztröge, in denen Blumen, Kräuter und Gemüse gedeihen. Hier, am Tisch oder im Liegestuhl, ist man dem Himmel schon sehr nahe, und auch die eng gestellten Häuser ringsum zeigen sich mit dem von zierlichen Gesimsen gesäumten Auf und Ab ihrer Dächer von ihrer besten Seite.

Das ist alles schön und gut, aber Balkonien ist für Sie keine Option, Sie brauchen Tapetenwechsel? Wie wäre es mit einem Aufenthalt im sogenannten Badhaus im oberösterreichischen Kurort Bad Hall? Die Architektur dieses nur 22 Zimmer fassenden Hotels am Hauptplatz der gepflegten kleinen Stadt im Traunviertel verantworten ebenfalls X Architekten. Auch in diesem Fall handelt es sich um die Neudeutung eines historischen Bestandes; auch hier haben wir es mit plastisch stark durchgeformten, metallumhüllten Körpern zu tun. Den zu Beginn des 19. Jahrhunderts als Bader-, also Ärztehaus genutzten, zum Hauptplatz orientierten Trakt des Hotels haben X Architekten mit Rücksicht auf sein Umfeld sehr behutsam erneuert. Nur wer genau schaut, erkennt in der dreigeschoßigen verputzten Fassade die subtilen Interventionen, die aus einem historischen Gebäude, wie es unzählige ähnliche gibt, ein modernes Haus mit einer langen und spannenden Geschichte gemacht haben.

Am deutlichsten ist die Veränderung an den fünf Gaupen abzulesen, die den Dachraum nutzbar machen und in ihrer unverfälschten Körperhaftigkeit einen Vorgeschmack auf den Neubau geben, der sich in die Tiefe des lang gezogenen Grundstückes erstreckt. Er erhebt sich, dem Typus des Streckhofes entsprechend, anstelle eines aufgrund seines schlechten Erhaltungszustandes abgebrochenen Nebengebäudes. Auf einem knapp an die südöstliche Grundgrenze gerückten Sockelgeschoß, in dem das Restaurant untergebracht ist, erheben sich zwei weitere Geschoße mit Hotelzimmern. Diese wenden dem schmalen Garten eine mehrfach geknickte Fassade zu, die in der stark gefalteten Dachlandschaft darüber ihre Entsprechung findet. Wie kleine, rundum metallen gefasste Häuschen muten die Körper an, die durch ihr Vor- und Zurückspringen kleine, geschützte Außenbereiche vor den Zimmern schaffen. Die gläsern aufgelöste Fassade des ebenfalls zum Garten orientierten Sockelgeschoßes hingegen weitet den Raum nur mit einem Knick in ihrer Längsseite. Daran entlang stellt eine in jeder Hinsicht schräg mit Holz beplankte Bogenkonstruktion einen schützenden Schirm vor den Gästebereich des Restaurants.

Während X Architekten ihren schon oft unter Beweis gestellten Sinn für starke Farbigkeit und haptisch einprägsame Materialität vor allem im Bereich des Neubaues spielen lassen, verkommt dennoch keine der von ihnen geschaffenen räumlichen Überraschungen, kein noch so deutlich gesetzter Akzent oder Kontrast zur Dekoration. Es gibt – und das ist im Bereich des Bauens für Gäste leider eine Rarität - keine Staubfänger, keine Kulissen. Alles hat seinen Platz und seinen Sinn, von der in einem Gehäuse aus gestocktem Beton angeordneten Schauküche über die kreisrunden, gepolsterten Logen bis zum multifunktionalen, zum Hauptplatz hin geöffneten Frühstücksraum, der sich mit Elementen seiner Einrichtung unverblümt aus dem Fundus des Althergebrachten bedient, ohne das Hier und Jetzt herunterzuspielen.

Mit dem hier bewiesenen Respekt vor dem Bewährten lässt sich natürlich auch an der Oberfläche gute Stimmung erzeugen. Viel wichtiger aber ist die seitens X Architekten gezeigte Fähigkeit, das Vorgefundene zu verstehen und daraus zu lernen. Dann gelingen Räume, in denen selbst der in seiner funktionellen und bauphysikalischen Komplexität viel zu oft unterschätzte Alltag eines Hotelbetriebes und einer Gastronomie reibungslos abläuft. Sodass Sie, geehrte Leserin, geschätzter Leser, im Vorgarten des Badhauses unter der Markise sitzend, ungestört ihren Kaffee genießen können. Mit Blick auf den freundlichen Hauptplatz von Bad Hall.

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Architektur

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Peter Kopp

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