Bauwerk

Streckhof Klingenbach
PURPUR.ARCHITEKTUR - Klingenbach (A) - 2013

Architekturpreis des Landes Burgenland 2016

23. November 2016 - newroom
Eingriffe in historische Situationen müssen nicht laut sein, sie müssen keine Kopfstände machen und auch nicht wichtiger sein als das Vorher oder das Daneben. Unauffällig und zurückhaltend wird ein burgenländischer Streckhof für eine Wohnnutzung adaptiert und saniert. Während sich die Situation nach außen völlig unscheinbar präsentiert, wird nach innen unaufgeregt ein neues kleines Paradies geschaffen. Eigentlich ist alles schon da, die Situation ist aufgrund der nutzungstechnischen Bedürfnisse über lange Zeit gewachsen. Die festen baulichen Elemente haben im Laufe der Geschichte ihren Platz gefunden und die offenen auch, sie existieren in spannungsvoller Gelassenheit austariert neben- und miteinander. Architekt und Bauherr haben die Potenziale erkannt und schaffen durch minimale Eingriffe eine neue Qualität. Der für die Typologie charakteristische Hofraum wird zum zentralen Element, er wird in die alltäglichen Abläufe eingebunden, ermöglicht ein Leben mit den Jahreszeiten, ein Leben mit Öffnung nach außen geschützt durch den Hofraum selbst, der einlädt still und gelassen im Hier und Jetzt zu sein. Der bestehende Wirtschaftsbau gliedert diesen Hofraum in zwei maßstäbliche Bereiche mit unterschiedlichem Gepräge. Er öffnet sich mit seiner neuen Funktion als Wohnraum sowohl in den ruhigen hinteren Hof mit Wiese und Obstgehölz als auch in den vorderen Hof mit einer geschickt gestalteten Kombination aus Plattenbelag und Rasenthemen. Unspektakulär gesetzte neue Öffnungen ergänzen das bestehende Fassadenbild zu einer harmonischen Komposition aus unterschiedlichen Elementen. Die weiß gekalkten Außenwände verschmelzen plastisch mit zwei vorgesetzten Treppenelementen und bilden homogen Rahmen und Hintergrund des Ensembles, während einfachste Details mit der Sprache des Bestandes kommunizieren. Die liebevolle und besondere Wertschätzung des Kleinen macht diese Eingriffe angenehm groß. Die Einfachheit und Selbstverständlichkeit der Maßnahmen wird unterstützt durch die Materialwahl im Inneren: massive Holzdielen für die Fußböden und weiße Farbe für Decken und Wände.

Der Architekt Max Bächer schreibt in seinem Buch >Mehr als umbaute Luft<: „Jede ist Situation ist einmalig, jeder Ort hat sein Eigenleben, seine Vergangenheit, seine Erinnerung und sein Gedächtnis, die durch Architektur bewusst gemacht oder verwischt und gelöscht werden können. Bezüge zum Ort finden oder erfinden, zur Gegend zur Landschaft. Man muss die Orte aushorchen, nach ihrer Vergangenheit befragen, ihre Umgebung kennen, die Topografie, die Sonne, das Licht und die Härte oder Weichheit der Schatten studieren, die Gerüche und den Hall der Straße, das Laub der Bäume und das Tropfen des Regens wahrnehmen, die Blicke einfangen und die Menschen verstehen, die hier leben.“

Beim Betreten des Hofes, beim Durchschreiten der Raumfolgen, beim Entdecken der situativen Eigenheiten und seiner Details, beim Erspüren des Ortes und seiner Energien entsteht das Gefühl, dass eine ähnlich artige Sensorik in allen Phasen projektbegleitend mitschwingen und zum Gelingen beitragen durfte. Dieses gebaute Beispiel einer Adaptierung und Sanierung der Streckhoftypologie beweist mehrere Aspekte gleichzeitig: die bestehenden baulichen Strukturen besitzen durch minimale Eingriffe die Fähigkeit neue Nutzungsformen aufzunehmen. Die Ergänzung von Bestandssubstanzen im Sinne des Akzeptierens und Weiterbauens kann in einer intensiven Auseinandersetzung mit den Themen ein spannungsvolles Nebeneinander von Alt und Neu generieren. Die Umnutzung bestehender Strukturen erhält die Identität und Stimmigkeit der Orte als kompakte Siedlungskörper im Kontrast zur Weite der Landschaft, sie ist eine unabdingbare Maßnahme gegen die Zersiedelung infolge einer Auflösung der ortsräumlichen Gefüge. Das gebaute Ergebnis ist in jedem Fall „viel mehr als umbaute Luft“, es will Beweis sein und Vorbild für viele weitere Aufgaben und Situationen. Für bestehende Substanzen bedeutet diese Haltung die Chance auf ein zweites Leben, für Dorfstrukturen den Erhalt von Charakter und Identität. (Jurytext: Andreas Cukrowicz)

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