Bauwerk

HoHo Wien
RLP Rüdiger Lainer + Partner - Wien (A) - 2019
HoHo Wien, Foto: Michael Baumgartner
HoHo Wien, Foto: Michael Baumgartner

Das Holzhochhaus in der Seestadt Aspern: Höhenwachstum auf dem Holzweg?

Die Vorarlberger wissen: In Holz bauen heißt, diszipliniert zu bauen. Den Versuch, diesem Material mit Wiener Schmäh mehr abzuverlangen, als es freiwillig hergibt, kann man in der Seestadt Aspern bewundern: das HoHo, ein Hochhaus in Holzbauweise.

13. Mai 2020 - Christian Kühn
Der Baustoff Holz erobert das Bauwesen. Gemessen an den Nutzflächen, erhöhte sich in Österreich der Anteil von Bauprojekten, bei denen mindestens die Hälfte der Konstruktion aus Holz besteht, von 14 Prozent im Jahr 1998 auf 24 Prozent im Jahr 2018. Voraussetzung dafür war nicht zuletzt die Veränderung der Bauordnungen, in denen sich eine tiefe Skepsis dem brennbaren Baustoff gegenüber manifestierte. Mit Projekten für Hochhäuser aus Holz versuchte die immer selbstbewusster auftretende Holzlobby schon früh, das Image ihres Baustoffs auf ein Niveau mit Stahl und Beton anzuheben. Bereits 2008 förderte die FFG im Rahmen der Förderungsschiene „Haus der Zukunft“ ein Forschungsprojekt mit dem Titel „8plus“, das unter Federführung des Architekten Michael Schluder die Voraussetzungen für Holzhäuser mit damals in Wien unvorstellbaren 20 Geschoßen auslotete. Wer heute mit einem Hochhausprojekt aus Holz in die Medien kommen will, muss höher zielen: Der Londoner Oakwood Tower wirbt mit 300 Metern, der Plyscraper in Tokio mit 350, wobei das Errichtungsdatum einigermaßen ehrlich mit 2041 angegeben wird. Die weltweit knapp 50 in Holz geplanten Hochhausprojekte, die derzeit fertiggestellt oder gerade in Bau sind, bewegen sich dagegen in der Größenordnung von 80 Meter Höhe und 20 Geschoßen.

Das nach der Geschoßanzahl mit 24 weltweit höchste und nach Metern mit 84 zweithöchste Projekt wird gerade in der Wiener Seestadt in Aspern fertiggestellt. Bauherr des „HoHo“ getauften Projekts ist die Cetus Projektentwicklung, die hier Büros, ein Hotel und Serviced Apartments errichtet. Die Architektur stammt von RLP Rüdiger Lainer und Partner, den mit dem Areal der Seestadt eine lange Geschichte verbindet. Von Lainer stammte der erste Entwurf für die Seestadt von 1993, und er war nach dessen Scheitern Teil der Jury, die 2005 den Ringstraßen-Plan von Erskine und Tovatt auswählte, nach dem sich die Seestadt bis heute entwickelt. Im Jahr 2012 gewann Lainer den städtebaulichen Wettbewerb für das „Seeparkquartier“, ein Filetstück des Projekts im Bereich der U2-Endstation. Der Entwurf sah vier in regelmäßigem Abstand gesetzte Punkthäuser an der Kante zum Seepark vor, dahinter einen dicht gewobenen Stadtraum mit weiteren Hochpunkten und einer Kette öffentlicher Plätze. Nicht nur die Geometrie erinnert an das Projekt von 1992, sondern auch die gleichmäßig verteilten Hochgaragen als Ausdruck eines Mobilitätskonzeptes, das selbst 25 Jahre später noch als fortschrittlich gelten darf.

Schon im Wettbewerb für das „Seeparkquartier“ hatte Lainer die Hochhäuser als Bündel unterschiedlich hoher Bauteile konzipiert. Das HoHo folgt diesem Schema mit drei gestaffelten Baukörpern, die sich aneinanderlehnen, nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch statisch, indem sich die schmalen Stahlbetonkerne im rechten Winkel zur effizienten Lastabtragung verbinden. Alle Nutzflächen rundherum sind in massiver Holzkonstruktion mit dicken Stützen aus laminiertem Brettschichtholz ausgeführt. Hier führen Statik und Brandschutz zu Dimensionen, die ungewohnt sind, wenn man sie mit klassischen Pfosten-Riegel-Systemen vergleicht. Wer sich mit dieser „fat architecture“ anfreunden möchte, sollte seine Erwartungen an der Kartonarchitektur des japanischen Architekten Shigeru Ban justieren, der für Projekte berühmt wurde, in denen er Kartonröhren tragend einsetzte. Mit dem Tamedia-Haus in Zürich hat Ban schon 2013 die Prinzipien einer solchen Architektur in Holz durchdekliniert.

Im Unterschied zu Bans Projekt kommt das HoHo aber nicht ganz ohne Beton aus: Randträger und Decken sind als Verbundelemente ausgebildet. Im Innenraum dominieren dennoch Stützen, Decken und Wände aus massivem Holz, das wegen der üppigen Dimensionierung unverkleidet bleiben darf: Im Brandfall bildet sich eine mehrere Zentimeter dicke verkohlte Schicht, die das Holz vor weiterem Abbrand schützt. Dieses Brandverhalten für alle relevanten Bauteile nachzuweisen war eine besondere Herausforderung an die Planer.

Auch von außen hätten man gerne Holz als Verkleidung verwendet, aber es fanden sich keine Holzwerkstoffe, die für diese Höhe zugelassen sind. So kamen schließlich Faserzementplatten zum Einsatz, die in abgestuften Beige- und Brauntönen ein Muster erzeugen, das an eine Rindenstruktur erinnert, die nach oben immer heller wird. Warum die Fensteröffnungen minimal variieren, bleibt rätselhaft. An mehreren Stellen wird die Fassade schließlich durch Verglasungen aufgebrochen, hinter denen das Tragsystem zum Vorschein kommt, eine etwas lepröse Ästhetik. Ähnlich überraschend sind auf den ersten Blick Vordächer mit unterschiedlichen Tiefen, ausgeführt in massiver Stahlkonstruktion, die dem Baukörper auf Höhe des ersten Stockwerks an mehreren Seiten vorgesetzt sind. Diese Elemente halten die Fallwinde ab, die sich bei Sturm an der glatten Fassade bilden und Passanten gefährden könnten. Dass es diese Windbrecher braucht, liegt nicht zuletzt am städtebaulichen Konzept der Kombination von Hochhäusern mit kleinmaßstäblichen Stadträumen.

Ob das Hochhaus aus Holz wirklich Zukunft hat? Holz sollte dort eingesetzt werden, wo es seine ästhetischen und ökologischen Stärken am besten ausspielen kann, aus der Perspektive des Klimaschutzes also dort, wo es jene Materialien ersetzt, die mit dem höchsten CO2-Ausstoß verbunden sind. Schlanke Stahlstützen in Hochhäusern durch massive Holzkonstruktionen zu ersetzen, die in Verbundbauweise errichtet sind und sich nicht rezyklieren lassen, zählt nicht dazu. Das spricht nicht gegen eine weitere Erhöhung des Holzanteils im Bauwesen. Das Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen kauft uns vor allem Zeit: In einem Kubikmeter Holz, das in Bauholz verwandelt wird, steckt eine Tonne CO2, die erst in 80 oder 100 Jahren entsorgt, also verbrannt werden oder verrotten muss, während in derselben Zeit im Wald Ersatz nachwachsen kann, der CO2 speichert. Wie groß der Einfluss der Klimaveränderung auf dieses Gleichgewicht sein wird, ist noch unklar. Eine neue Bauweise allein wird nicht viel nützen. Klar ist, was Bernard Rudofsky schon vor 50 Jahren sagte: Eine neue Lebensweise tut not.

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