Bauwerk

Bürohaus Andreasgasse
RATAPLAN - Wien (A) - 2021
Bürohaus Andreasgasse, Foto: Anna Stöcher

Eine gute Art, der Stadt zu begegnen

Wien-Neubau: In der Andreasgasse bauten Rataplan Architektur ein vorgründerzeitliches Haus zur modernen Arbeitsstätte für etwa hundert Menschen aus und um: mit Blick ins Grüne, Hoflage und Lufträumen.

16. Februar 2022 - Isabella Marboe
Die Andreasgasse in Wien-Neubau ist eine unauffällige Seitengasse der Mariahilfer Straße, ein ruhiger Ausgleich zur Geschäftigkeit. In dieser Gasse führt das Hofmobiliendepot seine eher verborgene Museumsexistenz, gegenüber liegt der Andreaspark, auch recht versteckt. Wer ihn entdeckt hat, freut sich an diesem öffentlichen Freiraum. Die Fassadenflucht liegt in der Schutzzone und Sichtachse der einmündenden Richtergasse. Das Haus neben dem Hofmobiliendepot ist frisch verputzt. Spätbiedermeier-vorgründerzeitlich, drei Stockwerke, Bossenmauerwerk im ersten Geschoß, ein Gesims mit ionischen Kapitellen und einer eigenwilligen, schmucken Gaupe mit einem Rundbogenfensterpaar in der Mitte. Weiße Fassade, anthrazitgraue Fensterrahmen, die im Erdgeschoß bis zum Boden erweitert wurden. Nichts, das besonders irritiert. Das ist als Kompliment gemeint, denn Rataplan Architektur bauten das Haus zu einem modernen Büro aus und um, in dem etwa 100 Menschen arbeiten.

Straßenseitig wahrt es die Ruhe der Gasse. Für Aufenthaltsräume müssen Stellplätze geschaffen werden, vom Garagentor blieb die Fassade verschont, weil die Einfahrt über das Nachbargebäude erfolgt. Drei weitere neue Ebenen stecken hinter der Traufkante unterm neuen Dach, das exakt 45 Grad geneigt ist. Das ist bauordnungskonform und steil genug, um es von der Gasse aus nicht zu sehen. Selbst wenn man vom Ende des Andreasparks seine volle Höhe erfasst, wirkt es dezent. „Auf dem Dach spielt es sich ab, da gibt es Schneenasen, Oberlichten und Dachflächenfenster unterschiedlicher Größe“, sagt Projektleiter Rudi Fritz. „Weil es die fünfte Fassade ist, haben wir uns sehr bemüht, es zu beruhigen.“ Rataplan legten eine Fläche aus fixen Sonnenschutzlamellen aus rostrotem, aufgerautem Aluminium über das Dach, deren Zwischenräume die Helligkeit durch Oberlichten in den Raum dringen lassen.

Die oberste Etage ist ein zurückversetztes Staffelgeschoß. Ihre Glasfront wird von einer leicht schräg gestellten, begrünten Lamellenfassade beschattet. Eine der schönsten Formen des Sonnenschutzes, allerdings nicht unheikel. Rataplan haben schon Erfahrung damit, sie setzten auch vor das Amtshaus der MA 21 – Wiener Wasser eine grüne Fassade. Ohne automatische Bewässerung geht gar nichts, es braucht Pflege, den ein oder anderen Rückschnitt, die richtigen Pflanzen. Sie verbessern das Mikroklima in der überhitzungsanfälligen Stadt und schaffen im Zwischenraum Lamellenfassade und Büroglaswand einen schattigen Freiraum – für Raucher:innen und alle, die Luft schnappen wollen. Der Bereich zwischen Bestandsdach und begrünter Fassade ist als Terrasse über die gesamte Hauslänge gestaltet. Sie bietet allen einen wundervollen Blick über Mariahilf. Anna Detzlhofer von DD Landschaftsarchitektur plante die Freiräume des Hauses, von ihr sind die Nebelduschen, Pergolen und grünen Bögen in der nahen Neubau- und Zieglergasse.

Die Planungsgeschichte begann 2012. Damals erwarb die Sozialbau AG, deren Hauptsitz rückseitig an das Grundstück grenzt, den Bestand, der ringförmig den Innenhof umschloss. „Es war keine zeitgemäße Typologie mehr“, sagt Rudi Fritz. „Das Haus hatte ewig lange Erschließungsflächen und viele unbelichtbare Ecksituationen.“ Eine Studie für Wohnnutzung erwies sich als unmachbar, wirtschaftlich gesehen war das Haus ein Abbruchkandidat. „Man hätte es sich leichter machen können“, so der Architekt. Nach einigen Überlegungen entschied sich die Sozialbau AG zum Umbau. In einem Flächenabgleich wurde das Äquivalent der vormaligen Bestandstrakte im Hof auf einen sechsgeschoßigen Zubau an einer Grundgrenze konzentriert. Zwei Bürogeschoße für den Eigenbedarf, den Rest mietete die Erste Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH.

Der Zubau deklariert sich klar als neu: Stahlbeton, tragender Stiegenhauskern, ein paar Stützen, hell, offen, flexibles Innenleben. Außen in sattem Gelb gestrichen, mit durchgehenden Fensterbändern. Das erweitert den Freiraum, belichtet die Büros wirklich hervorragend und schenkt ihnen einen Blick ins Grüne, von dem auch das benachbarte Hauptquartier der Sozialbau AG profitiert. Die Arbeitsplätze sind zum Hof orientiert und sehr ruhig in Weiß- und Grautönen gehalten, während die zentralen Kommunikationszonen mit Pflanzen, Teppichen, farbigen Lampenschirmen und Bespannungen aus Filz lebendiger wirken. Der Sozialraum mit Stehbar, Eckbank und Stabparkett geht direkt in den Hof über, im ersten Stock wird sein Flachdach zur Terrasse. In offenen Büroräumen ist Akustik immer ein Thema, es gibt gelochte Gipskartondecken, weil sie hocheffizient sind. Aber nicht nur: Immer wieder wird auch der Sichtbeton des Neubaus sichtbar.

Große Durchbrüche und Lufträume schaffen Blickkontakte über die Ebenen hinweg, viele Facetten der Kommunikation sind möglich – vom repräsentativen Besprechungsraum über ein Zoom-Meeting in einer Glasbox bis zum Kaffeeplausch. Eine interne Treppe verbindet den vierten Stock mit dem Dachgeschoß. Selbst ihr Unterlaufschutz ist mit einem Balken der alten Dippelbaumdecke als Bank gestaltet. Im Blickfeld: Lift und Teeküche. „Durch die Corona-Pandemie ist die Kommunikation noch wichtiger geworden“, sagt Rudi Fritz. „Ins Büro geht man vor allem, weil man Leute treffen will. Dieser Kontakt bindet Menschen an ihr Unternehmen.“ Die Sozialbau AG signalisiert mit dieser Gestaltung hohe Wertschätzung für ihre Mitarbeitenden, Qualitätsbewusstsein in punkto Architektur und Umgang mit Ressourcen.

Der Bestand blieb bis zu seiner Mittelwand erhalten. Das unverputzte Ziegelmauerwerk legt alle Stahlimplantate und Unregelmäßigkeiten offen, es bildet klar sichtbar die Demarkationslinie zwischen Alt- und Neu. An diese Wand führt die Stahlbetonfertigteiltreppe vom Foyer nach oben. Sie animiert dazu, die Stiegen zu steigen, statt den Lift im hinteren Eck zu nutzen. Bewegung tut Büromenschen gut. Die alten Wandpfeiler ziehen sich bis zum zweiten Stock durch, sie werden durch Lufträume und Pflanzen als besondere Orte betont. Zwischen ihnen docken die Sichtbetondecken an den Bestand an: Der Neubau hält den Altbau. Keine schlechte Art, mit Stadt umzugehen.

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