Bauwerk

Ehemalige Spinnerei in Oberwaltersdorf, Industriedenkmal
Pedit & Partner Architekten, schwerKRAFT ZT - Oberwaltersdorf (A) - 2015
Ehemalige Spinnerei in Oberwaltersdorf, Industriedenkmal, Foto: Florian Pfaffstaller
Ehemalige Spinnerei in Oberwaltersdorf, Industriedenkmal, Foto: Florian Pfaffstaller
3. März 2018 - ORTE
Alte Bausubstanz ist eine wesentliche Ressource. Im Industrieviertel in Niederösterreich stehen viele ehemalige Fabriken aus einer gloriosen Industrievergangenheit leer. Ihr Erhalt ist wesentlich nachhaltiger als Abriss und Neubau. Er erfordert einen sensiblen Umgang mit dem Bestand, was aber oft an den Kosten und der künftigen Nutzung scheitert.

Die ehemalige Spinnerei in Oberwaltersdorf ist ein faszinierender Industriebau aus dem Baujahr 1822. Der Komplex besteht aus einem L-förmigen Hauptgebäude. Sein 72 Meter langer, 17 Meter breiter, dreigeschossiger Längstrakt erstreckt sich von Osten nach Westen. Außen zeigt sich die Fabrik als klassischer Backsteinbau mit fünf Fensterachsen à 3.30 Meter in der Breite, 20 Fensterachsen in der Länge und einem kleinen, vorstehenden Risalit am östlichen Ende. Sein Inneres besticht mit einer damals sehr fortschrittlichen Stahlkonstruktion aus I-Trägern und runden gusseisernen Stützen mit Kapitell, darüber eine Holztramdecke. Die vier Meter hohen, großen Hallen wurden über ein Stiegenhaus an der westlichen Stirnseite und über eines im Risalit erschlossen.

Im Osten schließt rückseitig im rechten Winkel dazu der eingeschossige, knapp 43 Meter lange Nebentrakt mit der kleinen, aufgesetzten Halle an. Seine Längsseite erstreckt sich von Norden nach Süden. Am Kreuzungspunkt beider Fabriksflügel liegt die Maschinenhalle von 1895, östlich davon verläuft das Ufer der Triesting. Der hohe Innenraum mit Satteldach auf einem filigranen Stahlfachwerk über der alten Dampfmaschine mit den Schwungrädern verströmt die Aura einer Basilika des Industriezeitalters. Der hoch aufragende Schlot dahinter wirkt als fernwirksame Landmark der Fabrik. In ihrer Hochblüte 1848 waren hier 253 Arbeiter beschäftigt und es gab 27 Spinnmaschinen. 1938 fiel die Fabrik an den Staat, zwischen 1942 und 1945 arbeitete die „Aero-Präzisionsteile-GesmbH.“ dem NS-Regime beim Bau der V2 zu, seither liegt der Betrieb still.

Im Jahr 2008 beauftragte der Immobilienentwickler Richard Pfaffstaller den Architekten Veit Pedit mit einer Nutzungsstudie für die Spinnerei und in der Folge mit der Entwurfs- und Einreichplanung. Dessen erste Priorität war, möglichst viel vom Charakter und der Aura des Bestands zu erhalten. Er beließ das große, alte Fabriksgebäude von außen so gut wie unverändert, setzte zwei neue, kompakte Stiegenhäuser in die Mitte und teilte die vier Meter hohen, ehemaligen Produktionshallen pro Geschoss in fünf durchgesteckte Lofts. Sie erstrecken sich über drei oder vier Achsen von Fensterfront zu Fensterfront über die gesamte Trakttiefe. Südseitig öffnen sich die Lofts mit zwei Glastüren in der Mitte zu tiefen Sonnenbalkonen mit einem traumhaften Blick über die Landschaft. Die vier Meter hohen Räume eignen sich perfekt zum Wohnen und Arbeiten, sie wurden als Edelrohbauten verkauft.

Im obersten Geschoss wurde ein zurückgesetztes Dachgeschoss mit gleichfalls durchgesteckten Lofts aufgesetzt, denen beidseitig Terrassen vorgelagert sind. Auch in den niederen Nebengebäuden wurden Lofts eingeplant, die sich auch für Künstlerateliers oder kleine Handwerksbetriebe gut eigenen würden. Die große Maschinenhalle mit der spektakulären alten Dampfmaschine war ursprünglich als Restaurant angedacht. Die Studie von Architekt Veit Pedit wurde grosso modo von der „Alte Spinnerei EntwicklungsGmbH“ so umgesetzt wie geplant, das Konzept mit der Mischnutzung konnte nicht wie gewünscht realisiert werden. Nun ist auch die Maschinenhalle eines von 26 Lofts. Das ist als Nutzung für ein ehemaliges Industrieareal schon sehr viel, vor allem: Das Konzept ist flexibel genug, um auch für andere Nutzungen offen zu sein. (Text: Isabella Marboe)

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Für den Beitrag verantwortlich: ORTE architekturnetzwerk niederösterreich

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