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Details

Adresse
Franz Schubert-Platz 5, 3109 St. Pölten, Österreich
Architektur
Hans Hollein
Fertigstellung
2002

Publikationen

Theresia Hauenfels, Elke Krasny: Architekturlandschaft Niederösterreich, Mostviertel, Hrsg. ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2007.
AURA & CO, Museumsbauten in und aus Österreich seit 2000, Hrsg. afo architekturforum oberösterreich, afo architekturforum oberösterreich, Linz 2007.
ORTE. Architektur in Niederösterreich II. 1997-2007, Hrsg. Marcus Nitschke, Walter Zschokke, SpringerWienNewYork, Wien 2006.

Presseschau

18. Februar 2003 Paul Jandl
Neue Zürcher Zeitung

Zwischen Kunst und Künstlichkeit

Schauplatz Sankt Pölten

Niederösterreich baut sich eine Landeshauptstadt

Jahrzehntelang hat das grösste Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt gehabt. Seit 1986 ist Sankt Pölten die neue Metropole Niederösterreichs und baut mit grossem architektonischem Engagement an einem Regierungsviertel und einem Kulturbezirk. Vor kurzem wurde ein neues Landesmuseum eröffnet, das der vorerst letzte Schritt der 50 000-Einwohner-Stadt auf dem Weg aus der Provinz ist.

In Niederösterreich herrscht noch Eintracht zwischen Kunst und Natur. Teichmolch und Huchen vertragen sich mit Hermann Nitschs Schüttbild, lebensgrosse kämpfende Hirsche teilen sich das Reservat ihrer endgültigen Bestimmung mit Egon Schiele. Niederösterreichs neues Landesmuseum ist eröffnet, und man zeigt, was man hat: neue Kunst, einen Abriss vom Barock bis zur Moderne und die zoologischen Besonderheiten des Landes. Innen hat jede Sparte ihren vielfach gebrochenen Raum, aussen ragen die wuchtigen Kuben von Hans Holleins Museum in die architektonische Landschaft des Regierungsviertels in Sankt Pölten.

Die Fertigstellung des neuen Landesmuseums ist der vorerst letzte Teil in einem der ehrgeizigsten österreichischen Projekte der letzten Jahre. Weil das flächenmässig grösste Bundesland Österreichs keine eigene Hauptstadt hatte, sondern im zentral gelegenen Wien nur ein paar Verwaltungsgebäude, begann man in den siebziger Jahren mit der Planung eines selbstbewussten Signals. Schon 1984 hat man geahnt, wie man beim Volk am besten für das Grossprojekt wirbt. Wie «ein Gulasch ohne Saft» sei ein Land ohne Landeshauptstadt. Das zwingende Argument hat dem Bundesland heftige Debatten über den Standort der künftigen Metropole beschert. Mit 44,63 Prozent der Stimmen konnte sich die 50 000-Einwohner-Stadt Sankt Pölten gegen andere niederösterreichische Herausforderer wie Krems, Baden, Tulln oder Wiener Neustadt durchsetzen. 1992 erfolgte der Spatenstich zum Bau des neuen Regierungsviertels. Man versprach «Mut zum Grossen» und setzte auf einer Gesamtgrundrissfläche von 220 000 Quadratmetern eine zweite Stadt ans Ufer der Traisen. An 17 Objekten wurden in dieser ersten Phase insgesamt 570 Millionen Franken verbaut. Grösser, so hiess es damals in Sankt Pölten, seien in Europa nur die Hauptstadtprojekte Berlins.


Geplante Leblosigkeit

Gut zehn Jahre nach dem Beginn der Verwandlung der Provinzstadt Sankt Pölten in eine Landesmetropole steht der langgestreckte Riegel neuer Architektur am Ufer der Traisen. Hans Hollein, Klaus Kada, Boris Podrecca und Gustav Peichl waren mit eigenen Bauten an der Realisierung des neuen Regierungs- und Kulturviertels beteiligt. Überragt wird das Ensemble unterschiedlicher Bestimmungen durch den Klangturm von Ernst Hoffmann, der federführend das niederösterreichische Verwaltungszentrum mitentworfen hat. Gebaut zwischen Kunst und Künstlichkeit, zwischen Notwendigkeit und Anmassung, ist das Regierungsviertel heute ein Ort beherzt geplanter Leblosigkeit. Über 3000 Beamte bevölkern tagsüber die Gebäude. Für Bewegung auf den weiten Plätzen sorgen nur die Autobusse, die beinahe leer zu ihren niederösterreichischen Zielen aufbrechen: nach Zwettl, Amstetten oder in die Städte, die im Kampf um den Titel der Landeshauptstadt unterlegen waren.

In noblen Katarakten kräuselt sich das Wasser der Traisen, doch am anderen Ufer stehen die baufälligen Relikte aus etwas weniger modernen Zeiten. So ist Sankt Pölten: ein potemkinsches Dorf des Neuen, in dem auch abseits des Regierungsviertels höchst beachtliche Architektur entstanden ist - von den Wohnhaussiedlungen Helmut Christens bis zum Traisenpavillon von Adolf Krischanitz. Doch neben dem Ehrgeiz einer Sankt Pöltner Moderne steht die Tristesse der jüngeren Vergangenheit. Gesichtslose Sechziger-Jahre- Wohntürme ragen über das flache Terrain der Stadt, deren kleiner Kern umlagert ist von Ausfallstrassen und hart bedrängt von den trostlosen Zeichen der Peripherie.

Sankt Pölten hat das älteste Stadtrecht Österreichs. Gegründet als Römersiedlung, erlebt die katholische Metropole ihre Blüte im Barock. Aus dieser Zeit stammt das Zentrum mit dem Rathausplatz und einigen wenigen Gassen. Auf dem Bischofssitz residiert ein ultrakonservativer Geist, der so wenig Weltoffenheit signalisiert wie alle Klischees, die es über Niederösterreichs Metropole gibt. Zahllos sind die literarischen Bonmots, die die Stadt zum Inbegriff der Provinz erklären. Und während man sich rühmt, wenigstens Rainer Maria Rilke zu Gast gehabt zu haben, gibt es auch hier nur Undank. In Sankt Pölten hat der junge Rekrut Rilke eine «Fibel des Entsetzens» durchlebt - eine Ausbildung in der kaiserlich-königlichen Militär-Unterrealschule. Der Jugendstil- Architekt Joseph Maria Olbrich hat mit dem Bau eines Hauses in Sankt Pölten seine Spuren hinterlassen. Die ehemals grosse und lebendige jüdische Gemeinde Sankt Pöltens gibt es seit den Zeiten nicht mehr, als der Ort «Gauwirtschaftsstadt» war. Heute ist die vorbildlich restaurierte ehemalige Synagoge ein Kultur- und Veranstaltungszentrum.


Ambitionen und Stagnation

Nur wenige hundert Meter vom neuen Regierungsviertel entfernt dämmert das alte Zentrum Sankt Pöltens im süsslichen Nebel des nahen Glanzstoffwerks dahin. Vor einigen Jahren hat Boris Podrecca den Rathausplatz neu gestaltet, rundherum bröckelt jetzt der Putz der alten Substanz. Geschäfte stehen leer, während am Stadtrand Einkaufszentren die ehemals landwirtschaftlichen Flächen zersiedeln. Nur sechzig Kilometer westlich von Wien gelegen, erfährt Sankt Pölten Fluch und Segen seiner verkehrsgünstigen Lage. Man ist schnell dort, ebenso schnell aber auch wieder weg. Und so haben sich alle Prognosen, die mit einem raschen Wachstum der Stadt gerechnet haben, nicht erfüllt.

Zwischen 1870 und 1970 war Sankt Pölten die mit Abstand am schnellsten wachsende Stadt in Niederösterreich. Die Mischung aus Industrie- und Handelszentrum hat ihre Wirkung ausgerechnet bis zu jenem Zeitpunkt getan, als Sankt Pölten zum Zentrum Niederösterreichs erhoben wurde. In den letzten Jahren stagniert die Zahl der Bewohner. Eher geht sie zurück, als sich an jene Vorhersagen zu halten, die für die Gründung einer eigenen Landeshauptstadt Bedingung waren. Dass Sankt Pölten sich wenigstens allmählich in Richtung jener Grösse auswachsen würde, die andere Bundesland-Metropolen wie Graz, Linz oder Salzburg haben, wollte man hoffen. An deren Status anzuschliessen, wird Sankt Pölten kaum jemals gelingen.

Vom sanften Leben der Provinz ist die neue Landeshauptstadt auch durch die Eingriffe der Politik und den Bau des Regierungsviertels nicht abzubringen. Das Land ringsum lebt von Industrie, Landwirtschaft und da und dort von sanftem Tourismus. Sankt Pölten ist die Kulmination dieser unspektakulären Mischung und ebenso solide rechtschaffen wie sie. Als letztes Projekt schliesst das neue Landesmuseum die Einrichtung eines Sankt Pöltner «Kulturbezirks» ab. Gleich daneben arbeitet nicht ohne Erfolg das Festspielhaus, das in erster Linie modernen Tanz zeigt.

Das Land Niederösterreich ist die Summe seiner kulturellen Eigenschaften. Nicht mehr und nicht weniger will das neue Museum seinen Besuchern zeigen. Der Landeshauptmann Erwin Pröll grüsst bedeutsam aus dem 3-D-Video zur Landesgeschichte. Einige wunderbare Stücke aus der Gemäldesammlung des Museums sind zu sehen - von Ferdinand Georg Waldmüllers Landschaftsbildern bis zu Herbert Boeckls «Selbstporträt mit grossem Akt». In der gezeigten Kunst nach 1945 brilliert die Sammlung mit einem Schwerpunkt «Lust und Leiden am Selbst», in dem sich auch einige Exponate des Wiener Aktionismus finden. Der unaufgeregte Aktionismus, der aus Sankt Pölten kommt, sieht anders aus. Die Hirsche stehen stumm.

9. November 2002 Walter Zschokke
Spectrum

Schwebender Fels unter Glas

Natur, Kunst und Landeskunde: diese drei Sparten betreut das Niederösterreichische Landesmuseum. Hans Hollein hat mit seinem Neubau im Kulturbezirk Sankt Pölten für jede dieser Sparten individuelle Innenraumkonzepte entwickelt.

Der vielgestaltige Gebäude komplex zwischen Fest spielhaus und ORF-Gebäude wurde soeben als letzter Bau im Kulturbezirk des niederösterreichischen Regierungsviertels fertiggestellt. Dabei verlängert ein neuer Gebäudeflügel im Westen die vom Festspielhaus vorgegebene städtebauliche Kante. Er ist über einen ebenfalls neuen Verbindungstrakt an den schon einige Jahre bestehenden östlichen Flügel mit der „Shedhalle“ angeschlossen. Gemeinsam umfassen die drei Trakte einen leicht abgesenkten, nach Süden offenen Gartenhof, in den drei große, gestaffelte Vierteltonnen hineingreifen. Der Hauptzugang zum neuen Mehrspartenhaus befindet sich unter der bekannten geneigten Glaswelle am Südrand des Schubertplatzes.

Der neue Verbindungstrakt enthält die Foyerhalle mit Kasse, Garderoben et cetera. Daran schließt ein fensterloser, mit dunklen Eternitplatten diagonal verkleideter Quader an. Das Innere ist als 3D-Kino eingerichtet, in dem ein zirka 25minütiger Film den Einstieg in den Bereich Landeskunde vermittelt. Im „Museumslabor“ im Erdgeschoß des westlichen Gebäudeflügels erfolgt dann die Möglichkeit zur Vertiefung und Vernetzung über eine Batterie Computerkonsolen.

Für alte Kunst aus Niederösterreich enthält das Ober-geschoß zwei Ausstellungssäle, die mit spätmittelalterlicher und barocker Kunst sowie Werken aus dem 19. Jahrhundert gut bestückt sind. Ein Verbindungsgang auf dem Dach des Foyers führt hinüber zur Shedhalle. Er dient als Skulpturenhalle und ist hoch und breit genug für Werke des Bildhauers Anton Hanak. Im östlichen Flügel sind ausgezeichnete Werke niederösterreichischer Künstler des 20. Jahrhunderts dank einer intensiven Ankaufstätigkeit des Landes bestens vertreten.

Die drei gestaffelten Vierteltonnen überwölben einen vier Geschoße hohen Raum, in dem eine vielfältige, dichte und sorgfältig gestaltete Naturschau entlang dem Leitthema Wasser junge und alte Besucher fesseln wird. Im Süden, zum ORF-Gebäude hin, wird ein mächtiger Trapezblechcontainer von einem massiven, rosa gefärbten Sockel leicht verkantet hochgestemmt. Er schließt den Komplex ab, bildet allerdings zur Nachbarschaft eine eher kühle Schulter aus.

Von außen betrachtet erscheint die Anlage gleichsam collageartig aus einem guten Dutzend individueller Elemente agglomeriert, die ihren Nutzungscharakter meist in abstrahierter Weise nach außen abbilden. Sie sind dicht aneinandergestoßen, sodaß der Besucher im Innern von einem Raumtypus in den nächsten wechselt. Oft weisen verbindende Verkehrsräume wie Gänge oder Treppen einen durchaus eigenen, ansprechenden Raumcharakter auf. Das pragmatisch erscheinende Äußere wirkt dagegen durchaus sperrig. Es ist in keiner Weise harmonisiert, etwa um einen geschlossenen Gesamteindruck zu erzeugen. Vielmehr wird mit Eigensinn auf konkreter Vielgestalt beharrt.

Die Innenräume sind für ihre Zwecke sehr individuell und auch sehr sorgfältig konzipiert. Die beiden Säle für die alte Kunst wurden mit durchaus definitiv wirkenden, aber de facto flexiblen Wandelementen bestückt, die für die Gemälde angenehm beruhigte Hängemöglichkeiten bieten. Die Auswahl und Präsentation der Sammlung kann somit leicht im Abstand von ein, zwei Jahren geändert werden. Von BEHF, einem Wiener Architektenteam der jungen Generation, wurde ein zweigeschoßiger Einbau in die Shedhalle geplant, der sich als abstrakte, begehbare Raumskulptur für Kunst des 20. Jahrhunderts ganz gut eignet. Freistehend, jedoch im gleichen Weiß gehalten wie die Umfassungsmauern, beansprucht dieser mittelfristig gesehen durchaus temporäre Einbau den Raum in zurückhaltender Weise und bietet vielfältige Möglichkeiten, Bilder und Objekte zu zeigen. Die beachtliche Auswahl wurde vom Basler Markus Brüderlin kuratiert.

Glanzstück der Gesamtanlage ist die Naturschau unter den teils verglasten Vierteltonnen. Sie wurde unter der Schirmherrschaft von Helmut Pechlaner konzipiert. Aus dem als Höhle gestalteten Untergeschoß entwickelt sich der Ausstellungsbereich über Rampen, Terrassen, gewendelte Treppen, Plattformen, Stiegen, Stege und Kanzeln in luftige Höhen unter dem Glasschirm. Querverbindungen erlauben individuelle Wege durch das im positiven Sinn dreidimensional labyrinthische Raumgebilde. Ein transparenter Aufzug verbindet in der Vertikalen. Die von Architekt Markus Eiblmayr betreute Ausstellungsgestaltung enthält zahlreiche zum Teil sehr große Aquarien mit Lebendexponaten, meist Fischen und anderen Wassertieren. Dabei ist die Spanne von perfekter Künstlichkeit, abstrakter Geometrie der Glasbehälter und zahllosen Naturexponaten sehr groß, aber gerade dadurch wirkungsvoll. Bereits surrealistisch ist in diesem Kontext der „schwebende“ Felsblock in schwankender Höhe, in dem ein kleiner Gletscher eingebettet ruht. Hier kippt das vermeintliche Naturobjekt hinüber in Konzeptkunst.

Die Fülle, die sicher gewollte Unübersichtlichkeit und Exponatdichte, vermag die Vielfalt der Natur in verschiedenen Lebensräumen gut wiederzugeben. Sie erzeugt zugleich jene geheimnisvolle Spannung, die anregend wirkt und selbst den mehrmaligen Besuch nicht langweilig werden läßt.

Wiederbegegnung und unerwartete Neuentdeckung werden eine positive Besucherbindung an das Landesmuseum sichern.

Für die differenzierten und qualifizierten Ausstellungskonzepte erweisen sich die individuell charakterisierten Innenräume als gut geeignet. Da und dort eingefügte Verbindungsräume, wie die schmale Treppenschlucht im Bereich alte Kunst, bieten den Besuchern kurze Abschnitte zum Durchatmen an, in denen nichts ausgestellt ist - außer dem spezifischen Raumtyp natürlich.

Ausblicksfenster, wie jene zum Hammerpark, konnten aus konservatorischen Gründen wegen des Lichteinfalls nicht genützt werden. Andere, wie jene im „Südturm“ genannten Annex, wirken in ihrer libeskindesken Unregelmäßigkeit etwas gezwungen, auch wenn sie den Blick auf den Gartenhof erlauben, der erst im Frühling in seiner ganzen Pracht ergrünen wird.

Die Halbierung des ursprünglichen Bauvolumens und eine niedrige Kostendecke haben dem Unternehmen nicht sichtbar geschadet. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, daß die entgegengesetzten Themen Kunst und Natur hinsichtlich ihres Umfangs für die Besucher bewältigbar bleiben und in Beziehung gesetzt werden können. Damit wird das Haus zu einem Museum neuen Typs, das mit wechselnden Ausstellungskonzepten vor allem im Kunstbereich die produktiv konfrontierende Spannung noch wird steigern können. Anders als für nicht wenige in den vergangenen Jahren in Gottes Namen entstandene Kleinmuseen dürfte der Erfolg daher nicht ausbleiben.

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