Veranstaltung

Mythos Großstadt
Ausstellung
19. Juni 2001 bis 26. August 2001
Kunstforum Bank Austria
Freyung 8
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Kunsforum Bank Austria

Zeitgeist und Provinz

Diese Ausstellung ist eine Sensation: „Mythos Großstadt“ zeigt die unterschiedlichen Wege von zehn zentraleuropäischen Städten in die Zukunft nach dem Zerfall der österreichischen Monarchie.

4. Juli 2001 - Jan Tabor
Der Zeitgeist erreicht die Provinz manchmal früher als die Metropole. Die leger-elegant gewandeten Herren, die im Juli 1933 in Marseille an Bord des Luxusdampfers Patris II gingen, waren - man erkannte es an den schwarzen, dicken, runden Fassungen ihrer Brillen - die Creme de la Creme der europäischen Architekturavantgarde. Mit Le Corbusier als Anführer. Sie reisten nach Athen und zurück. Diese Reise war der dritte Kongress des CIAM, einer internationalen Vereinigung moderner Architekten.

Als die Herren Ende August in Marseille wieder an Land gingen, wussten sie, wie die urbanistischen Probleme gelöst werden könnten: durch die „funktionelle Stadt“. Mit beeindruckendem Arbeitsaufwand legten sie, ausgehend von der Analyse aktueller Städte, auf hoher See die Grundzüge einer verbindlichen idealen Stadt der Zukunft fest. Später, 1942, als die Bomber des Zweiten Weltkriegs bereits dabei waren, etliche Städte in Trümmerhaufen zu verwandeln, veröffentlichte Le Corbusier das Resümee der denkwürdigen Architektenkreuzfahrt als „Charta von Athen“. Sie wurde, allerdings reichlich missverstanden, zum Leitbild des Wiederaufbaues nach 1945.

Was die meisten sonnengebräunten Demiurgen von 1933 nicht gewusst hatten: Eine solche funktionalistische Stadt stand bereits vor der Vollendung. Und sie sollte, anders als die späteren Stadtexperimente nach der Charta von Athen, vorzüglich funktionieren. Abseits der zeitgenössischen Welt, zwischen den sanften Hügeln Mährens, entstand im Weichbild eines lieblichen Landstädtchens die Stadt für Menschen mit modernen Nerven und mit Körpern zäh wie Leder und flink wie Maschinen.

Zlin, die Musterstadt des tschechischen Schuhkönigs Tomas Bata, ist die einzige ideale Industriestadt der Welt, die je verwirklicht wurde. Eine Industrie-Gartenstadt, in der die Menschen in Fabriken arbeiteten und in zwar kleinen, aber mit allen Errungenschaften des modernen Haushalts ausgestatteten Einfamilienhäusern lebten, umgeben von sehr viel Grün. Die würfelförmigen Häuser wurden nach dem gleichen architektonischen Prinzip errichtet wie die riesigen Fabrikshallen.

Das Bata-Experiment, dieser Versuch, den brutalsten Leistungskapitalismus a la Ford und Taylor mit den netten Vorstellungen eines paternalistischen Sozialismus zu verbinden und diese merkwürdige Synthese in Architektur und Urbanistik umzusetzen, zählt zu den wenigen erfolgreich verwirklichten Programmen in der Geschichte der modernen Architektur-utopie.

Zlin ist eine von zehn Städten, die in der Ausstellung „Mythos Großstadt. Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890-1937“ vorgestellt werden. Die Kunsthistoriker Eve Blau aus Montreal sowie Monika Platzer und Dieter Bogner aus Wien zeigen, wie eher bedeutungslose Provinzstädte wie Zagreb, Laibach oder Lemberg oder die durch Wiens imperiale Dominanz bedeutungslos gewordenen alten Residenzstädte Prag, Budapest und Krakau nach großstädtischer Bedeutung gestrebt haben, wie sie sich nach dem Zerfall der Monarchie wieder zu Hauptstädten neuer Staaten oder zu wichtigen regionalen Zentren entwickelt haben und wie sie sich - rasant und zugleich ähnlich und unterschiedlich - verändert haben.

1890 legte Otto Wagner seinen sachlichen, gleichsam protofunktionellen Regulierungsplan für das Stubenviertel in Wien vor: Das war der Beginn des modernen, international Geltung erlangenden Städtebaus. 1937 gründeten die aus Osteuropa stammenden Architekten den CIAM-Ost. Sie mussten erkennen, dass die Probleme der osteuropäischen, zum größten Teil kaum industrialisierten Städte anders angegangen werden mussten als jene der westeuropäischen Großstädte, der die Vorliebe der Avantgarde galt.

Genau dieses Problem, nämlich die erstaunlichen Unterschiede, die verschiedenen Intensitäten und Intentionen in der Entwicklung der Städte, stellt die Ausstellung erkenntnisreich und spannend dar. Die Kuratoren haben Glück gehabt. Die politische Wende von 1989 hat die Stadtarchive geöffnet, und so finden sich in der Ausstellung ausschließlich - meist kaum bekannte - Originalexponate, die von einer fantastischen Qualität und Vielfalt sind.

Die Architektur der Wanderausstellung von sputnic (Martin Huber, Norbert Steiner), in Zusammenarbeit mit Coop Himmelb(l)au, ist genial. Es handelt sich um eine Rahmenstruktur aus Eisenprofilen, die, je nach Beschaffenheit der Ausstellungsräume, zusammenmontiert werden kann und die die Bildung von offenen und zugleich separaten, kojenartigen Räumen ermöglicht. Diese selbstständige, ortsunabhängige Grundstruktur erlaubt es, die große Vielfalt an Exponaten - Zeichnungen, Skizzen, Pausen, Modelle, Fotos, Bilder, Bücher sowie TV-Monitore - problemlos zu gliedern und so zu vereinen, dass die Ausstellung die mannigfaltigen Querverbindungen wiedergibt, die den Prozess der Verwandlung der traditionellen in die moderne Architektur kennzeichnen. Inspiration holten sie sich von der „Raumstadt“, einer Ausstellungsinstallation von Friedrich Kiesler (1925), die man in der Schau in Originalfotos kennen lernen kann.

Die Ausstellung „Mythos Großstadt“ ist eine Sensation. Obwohl die Themen „Wien um 1900“ und „Wien in der Zwischenkriegszeit“ in unzähligenAusstellungen ausführlich behandelt wurden, wartet die Ausstellung doch mit neuen, keineswegs abgedroschenen Exponaten auf. Zum Beispiel mit dem Baukasten-Spielzeug von Josef Hoffmann, das eine Fabrik mit Wolkenkratzern darstellt. Abgesehen von Wien, das eher zurücktritt, wurde allen Städten gleich viel Raum gegeben. Der Zeitgeist liebt die Provinz.

In einer der Kojen kann man im Original jene Pläne studieren, die von Prag, Budapest und Zagreb für den dritten CIAM-Kongress zum Thema „Funktionelle Stadt“ angefertigt wurden. Sie dienten als anschauliche Arbeitsunterlagen für die auf dem Weg nach Athen stattfindenden Arbeitssitzungen. Um dabei die Städte effizient miteinander vergleichen zu können, wurden alle CIAM-Pläne standardisiert. Man sieht die drei bunten und modern gestalteten Pläne, wahre kartographische Kunstwerke, in Schwarz-Weiß noch einmal in dem TV-Monitor daneben: in einem Dokumentarfilm über die Arbeit auf der Patris. Le Corbusier, den Spiritus Rector, erblickt man ganz kurz, man erkennt ihn an der schwarzen, dicken, runden Brillenfassung.

In einem anderen Film sieht man „Mojster Plecnik“, wie die Slowenen ihren Architekturhelden Joze Plecnik nannten. Er schreitet durch Ljubljana, die Hauptstadt Sloweniens, die er mit seinen Bauwerken so stark geprägt hat wie einst sein Lehrer Otto Wagner Wien. Man sieht zwei Originalmodelle aus Holz von Projekten einer palladianischen Brücke und einer Säulenhalle in der Säulenhalle, die Plecnik nicht verwirklichen konnte.

Ein paar Schritte weiter lernt man Zlin um 1935 kennen, noch immer die modernste unter den neuen Städten des 20. Jahrhunderts - unter anderem in einem Film, der von einem Flugzeug aus aufgenommen wurde. Irgendwo in dem Meer der kleinen würfelförmigen Arbeiterhäuschen befindet sich jene Bauparzelle, die man bis in die Siebzigerjahre für Le Corbusier freigehalten hat. Um 1935 war er nach Zlin gereist. Über die Gediegenheit dieser funktionalistischen Stadt war er derart erfreut, dass er dem Fabrikanten Bata den Entwurf eines besonders gediegenen Arbeitermusterhauses versprach. Zur Ausführung kam er nicht.

[ Die Ausstellung „Mythos Großstadt. Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890-1937“ ist bis 26.8. im Kunstforum Bank Austria (1., Freyung 8) zu sehen. ]

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