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TEC21 2007|17-18
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TEC21 2007|17-18
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Lautlos Fliegen dank elektroaktiven Folien

Unter den aktuellen Werkstoffentwicklungen gehören die elektroaktiven Polymere (EAP) zu den innovativsten Ansätzen. Durch direkte Umwandlung von elektrischer Energie in mechanische Arbeit können sie dem Muskelgewebe vergleichbare Funktionen ausüben. Mit diesen Materialien realisieren Forscher an der Empa jezt ein der Natur bzw. den Fischen abgeschautes, lautloses Antriebskonzept für Luftschiffe.

7. Mai 2007 - Aldo Rota
Für moderne Transport- und Trägersysteme werden seit einigen Jahren wieder Konzepte «leichter als Luft»[1] in Betracht gezogen. Während Starrluftschiffe (Zeppeline) zwischen 1900 und dem 2. Weltkrieg erfolgreich eingesetzt wurden, sind in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die halbstarren Luftschiffe (Cargolifter, Zeppelin NT) oder reine Prallluftschiffe in den Vordergrund gerückt. Die starren und halbstarren Luftschiffe beanspruchen einen enormen Platz für die Lagerung. Demgegenüber sind die Prallluftschiffe im Prinzip entleerbar und können so auf einem viel kleineren Raum gelagert werden. [2]

Der Antrieb von Luftschiffen wird über Propeller oder Impeller erzeugt. Drehmotoren bringen dabei ihre Leistung über eine rotierende Welle auf einen mit 1000 – 3000 Umdrehungen pro Minute drehenden Propeller/Impeller mit einem typischen Duchmesser von ca. 2 m, was naturgemäss mit einer beträchtlichen Lärmentwicklung verbunden ist. Im stationären Horizontalflug sind der Vortrieb des Propellerstrahls und der Luftwiderstand des Luftschiffkörpers im Gleichgewicht. Infolge der grossen Geschwindigkeitsdifferenz zwischen der Luft hinter dem Luftschiffkörper (Nachlauf) und der Luft hinter dem Propeller hat dieses Antriebskonzept bei Luftschiffen einen schlechten Wirkungsgrad.[3]

Schwanzflossenschlag als Vortrieb

Fische müssen ebenfalls einen Vortrieb erzeugen, um im Wasser die hydrodynamische Widerstandskraft kompensieren zu können. Die Forelle erzeugt den Vortrieb durch eine oszillierende Biegung des Rumpfes und eine entgegengesetzt gerichtete Biegung der Schwanzflosse (Bild 1).

Das Vortriebskonzept der Forelle durch Wechselwirkung zwischen den beiden gekoppelten Biegeschwingungen, als oszillatorischer Antrieb bezeichnet, hinterlässt hinter dem Fischkörper stehende Wirbel (Bild 2). Die technische Vereinfachung, die die beiden Körperbiegungen auf die Drehung dreier starrer Körper gegeneinander reduziert, wird als «Biege-Dreh-Schwanzschlag» bezeichnet. Mit hydrodynamischen Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass damit ebenfalls ein Vortrieb erreicht werden kann und dass diese Vortriebsart wesentlich effizienter ist als heute bekannte technische Lösungen. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass der Ort, an dem der Antrieb erzeugt wird, mit dem Ort zusammenfällt, an dem der Widerstand erzeugt wird. Damit gibt es hinter dem Fisch weder einen Nachlauf noch einen durch seitliche Propeller erzeugten Wasserstrahl, es bleiben nur an Ort stehende Wirbel zurück, die wenig Energie beinhalten.

Dieses Antriebskonzept ermöglicht es auch, eine seitliche Kraft auf den Körper auszuüben. Erfolgt die Biegebewegung nicht symmetrisch nach links und rechts, kann eine Richtungsänderung erreicht werden. Eine überlagerte Biegung des Rumpfes nach oben oder unten kann entsprechend auch eine Richtungsänderung in der Vertikalen ergeben (beispielsweise bei Walen).

EAP-Technologie an der EMPA

Seit einigen Jahren ist in Robotik und biomedizinischer Technik ein neues Aktorprinzip, die elektroaktiven Polymere (EAP), erforscht worden.4 Dieses ist geradezu prädestiniert für einen dem Flossenschlag der Fische nachempfundenen Luftschiffantrieb. Die häufigste Bauart sind die so genannten Dielektrischen EAP, die nach dem Prinzip eines verformbaren elektrostatischen Kondensators elektrische Energie direkt in mechanische Arbeit umwandeln.

Ein Elastomerfilm (Acryl oder Silikon) liegt zwischen zwei sehr nachgiebigen Elektroden (beispielsweise Grafitpulver-Schichten). Wird eine elektrische Spannung von ca. 5 kV an die Elektroden angelegt, werden elektrostatische Anziehungskräfte zwischen den beiden Elektroden erzeugt. Dadurch wird der Elastomerfilm senkrecht zur Ebene gequetscht. Da ein Elastomer praktisch inkompressibel ist, muss die Stauchung durch eine Flächenvergrösserung kompensiert werden. Diese Verformung kann genutzt werden, um mechanische Arbeit an der Umgebung zu leisten. Der entstehende Elektrodendruck ist abhängig von der elektrischen Spannung, der Schichtdicke des Elastomerfilmes und systemspezifischen Material- respektive Naturkonstanten.
An verschiedenen Prototypen (z. B. planare Aktoren, einschichtige und mehrschichtige, gerollte und faserartige Aktoren) wurde das Wirkprinzip erprobt. Anwendungen sind denkbar als Pumpen, Lautsprechermembranen oder als Stellglieder für die Automation. Bis heute ist noch keine kommerzielle Umsetzung erfolgt.
Die weitere Entwicklung umfasst die Optimierung der Beschichtung, die Verringerung der Schichtdicken und die Bereitstellung von effizienten Herstellprozessen. Eines der anvisierten Anwendungsgebiete ist die biomedizinische Technik, denn künstliche EAP-Muskeln sind bei vergleichbarer Leistungsfähigkeit etwa gleich gross und gleich schwer wie natürliche Muskeln. Dank ihrer hohen Elastizität können sie sich ebenfalls unzählige Male ausdehnen und wieder zusammenziehen. Bereits im März 2005 fand am California Institute of Technology in San Diego eine ­publikumswirkame «Weltmeisterschaft im Armdrücken mit Robotern» statt. Der aus über 250 zylinderförmigen EAP-Muskelsträngen aufgebaute Empa-Kraftarm verlor dabei aber ebenso kläglich wie seine amerikanischen Konkurrenten gegen eine 17-jährige Studentin, was weniger auf die theoretisch verfügbare Kraft als auf die ungenaue Aktivierung zurückzuführen war. Seither sind bezüglich der Steuerung von EAP aber schon grosse Fortschritte erzielt worden.

Beim Empa-Luftschiff fungieren die «EAP-Muskeln» als Teil der Hülle, im Vergleich zum konven­tionellen propellergetriebenen Luftschiff verschmilzt gewissermassen der «Motor samt Getriebe» mit dem Körper des Luftschiffs (Bild 3). Bis anhin ist an der Empa die Anwendbarkeit von EAP im Luftschiffbau allerdings erst für die konventionelle Steuerung von Prallluftschiffen mittels Rudern an vereinfachten Modellen nachgewiesen worden (Bild 4).

Machbarkeit des Oszillatorischen Antriebs

Ein Fisch im Wasser und ein Luftschiff in der Luft sind beides Körper, die sich in einem Fluid bewegen. Daher sind die fluiddynamischen Gesetzmässigkeiten gültig. Die Ähnlichkeitstheorie besagt, dass Resultate einer geometrisch ähnlichen Modellanordnung vollständig auf das Original übertragbar sind, falls die charakteristischen hydrodynamischen Kenngrössen gleich sind.[5]

Beim Fisch und seinem Schwanzschlag sind nebst den Druckkräften die Trägheitskräfte, die Reibungskräfte und die Kräfte infolge des instationären Strömungsanteils relevant. Eine Modellrechnung hat ergeben, dass ein 6 m langes Luftschiff, das mit 1 m / s durch die Luft gleitet, mit den Verhältnissen bei einer Forelle vergleichbar ist, die 0.3 m lang ist und mit 1.2 m / s durch Wasser schwimmt, wenn das Luftschiff geometrisch ähnliche Bewegungen mit einer Frequenz von ca. 0.2 Hz ausführen kann (Amplitude des Schwanzschlages = 1.2 m). Der oszillatorische Antrieb für Prallluftschiffe ist demnach aerodynamisch machbar.

Ein Prallluftschiff muss sein Eigengewicht und die Nutzlast mittels des aerostatischen Auftriebs kompensieren können. Zudem müssen Auftriebsverteilung und Gewichtsverteilung derart sein, dass das Luftschiff in seiner horizontalen Lage stabil ist. Die erste Bedingung liefert bei vorgegebenem Eigengewicht pro Hüllenfläche die minimale Grösse, damit ein Schwebezustand erreichbar ist. Die aerodynamisch günstigste Form kann wiederum aus den Formen der Fische abgeleitet werden, denn die Ähnlichkeitstheorie ist auch hier gültig. Fische weisen ein Verhältnis Breite zu Länge von 0.18 bis 0.24 auf und liegen damit nahe beim optimalen Grössenverhältnis, das zu ­minimalem Widerstand führt. Als einfache technische Form für das Prallluftschiff im passiven Zustand wurde ein Ellipsoid von 6 m Länge und mit einem Dickenverhältnis von 0.25 gewählt. Im aktivierten Zustand wird dieser Form durch EAP-Folien eine doppelte Krümmung überlagert.

Die Analyse der Bewegung der Forelle zeigt, dass im Wesentlichen zwei gegenläufig schwingende Biegungen des Körpers notwendig sind, um Vortrieb zu erreichen (einfachster Fall ist der Biege-Dreh-Schlag). Die erste Biegung ist eine Rumpfbiegung, die zweite Biegung ist im Übergangsbereich von Rumpf zu Schwanz. Beide Biegungen erreichen beim Start der Forelle einen Krümmungsradius von ca. der doppelten Breite des Rumpfes an dieser Stelle (R / d = 2). Im nicht ­beschleunigten Schnellschwimmen sind die Krümmungsradien grösser (R / d = 0.5). Mittels einfacher Geometrie kann gezeigt werden, dass für die Haut der Forelle (Hülle des Prallluftschiffes) Dehnungen von bis zu 50 % notwendig sind, um diese Biegungen erzeugen zu können.

Aktive Hülle

Die Hülle des Prallluftschiffes wird aus den zwei funktionellen Lagen, der Stützhülle und der EAP-Beschichtung, aufgebaut. Die Stützhülle ist eine formstabile, flexible, möglichst leichte, gasdichte Membran. Idealerweise weist sie eine hohe Zugfestigkeit bei einer geringen Zugnachgiebigkeit und einer sehr hohen Nachgiebigkeit im Druckbereich auf (Faltenbildung möglich). Metallisch bedampfte Ballonhüllen sind relativ reissfest, da sie aus zähem Kunststoff bestehen. Sie sind dank der metallischen Bedampfung sehr gasdicht und lassen sich zudem gut falten.

Die EAP-Beschichtung besteht aus mindestens einer Lage eines Sandwichaufbaus (leitende Schicht, dielektrische Folie, leitende Schicht). Falls diese EAP-Beschichtung im aktivierten Zustand mit der gestrafften Stützhülle (Zustand ohne Falten) vereint wird, weist die Gesamthülle spezifische Eigenschaften auf: Im allseits aktivierten Zustand kann unter kontrolliertem leichtem Überdruck die Hülle in die Grundform gebracht werden. Der Innendruck führt zu einer Zugvorspannung der Gesamthülle, wodurch diese ihre Grundform einnimmt. Werden nun Teilbereiche der Hülle deaktiviert, erfolgt in diesen Zonen eine Schrumpfung der EAP-Schicht. Da der Widerstand der Stützhülle gegen Stauchung klein ist, wird diese lokal gefaltet. Damit ist eine Schrumpfung der Hüllenfläche in diesen Zonen erreicht. Da EAP-Aktoren bis über 200 % Dehnung im aktivierten Zustand erreichen, sollte eine lokale Schrumpfung von 50 % im deaktivierten Zustand ­erreichbar sein. Die geforderte Bewegung des Luftschiffkörpers durch lokale Dehnungen der Hülle kann somit mittels EAP-Beschichtung erzeugt werden.

Anwendungen

Ein dem Fischflossenschlag nachempfundener Antrieb für Luftschiffe ist sehr effizient, weil er aus aerodynamischer Sicht einen hohen Wirkungsgrad erzielt. Wird die doppelte Biegeschwingung mittels EAP realisiert, ist auch diese Umsetzung relativ effizient, denn die EAP-Aktoren setzen elektrische Energie mit einem hohen Wirkungsgrad bis zu 70 % direkt in mechanische Arbeit um (ein Verbrennungsmotor erreicht – bezogen auf den Antrieb – einen Wikungsgrad von 25 % bis 30 %). Denkbar ist, dass die elektrische Energie von flexiblen Solarzellen auf der Oberseite der Luftschiffhülle, die genügend Sonneneinstrahlung empfängt, erzeugt wird (z. B. Projekt Lotte der Universität Stuttgart[6]). Da mit diesem Antriebskonzept keine grossen Geschwindigkeitsdifferenzen erzeugt werden, ist es äusserst leise, was für den bevorzugten Einsatz zur Umweltbeobachtung günstig ist.[2] Ein grosses Potenzial besteht für EAP-angetriebene Luftschiffe mit Ersatz für teure Satelliten oder laute Helikopter im Telekommunikationsbereich, insbesondere als Kommunikationsplattform, gewissermassen als schwebende Antennen, für die Mobiltelefonie oder als Träger für Fernsehausrüstung bei Veranstaltungen.
Anmerkungen
[1] Bock, J. B., Knauer, B.: Leichter als Luft – Transport- und
Trägersysteme – Ballone Luftschiffe Plattformen. Verlag Frankenschwelle KG, Hildburghausen, 2003.
[2] www.gefa-flug.de/gefa/news12082003.htm
[3] Hertel, H.: Struktur Form Bewegung. Krausskopf-Verlag, Mainz, 1963.
[4] Bar-Cohen, J. (Ed.): Electro-active Polymer (EAP) Actuators as Artificial Muscles. Reality, Potential and Challenges. SPIE Press, Bellingham, Washington, USA, 2001.
[5] Thomann, H. H., Merkli, P.: Strömungslehre I. AMIVVerlag,
Zürich, 1975.
[6] www.isd.uni-stuttgart.de/lotte/lotte/index.htm

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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