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TEC21 2007|17-18
Baustoffe
TEC21 2007|17-18
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Ökologisch auswählen

Bauprodukte belasten während ihrer gesamten Lebensdauer die Umwelt. Bauherrschaften und Planende können durch ihre Materialwahl aber wesentlich zur Verminderung dieser Belastungen beitragen. Die nötigen Informationen dafür liefert der Deklarationsraster des SIA.

Nur wenige ArchitektInnen und Planende sind so umfassend ausgebildet, dass sie sich im Dschungel der Bauchemie ohne Hilfe zurechtfinden. Und doch müsste sich jeder am Bau Verantwortliche auch von diesem Aspekt des Bauens ein Bild machen, um Produkte auswählen zu können, welche die Umwelt möglichst wenig belasten. Um dies zu erleichtern, hat der SIA die Norm 493 «Deklaration ökologischer Merkmale von Bauprodukten» geschaffen. Im Deklarationsraster dokumentieren die Hersteller die wichtigsten ökologisch relevanten Daten für alle Lebensphasen eines Produktes von der Herstellung und Verarbeitung über die Nutzung bis hin zur späteren Entsorgung. Der Raster ist Grundlage für eine klare, standardisierte Verständigung zwischen Herstellern und Anwendern. Herstellern ermöglicht der Raster eine einheitliche, übersichtliche Deklaration von ökologisch relevanten Merkmalen ihrer Produkte. Den Anwendern erleichtert er das Abfragen dieser Merkmale und hilft damit, in einem wenig bekannten Fachgebiet professionell zu entscheiden und die ökologische Qualität der Baukonstruktionen zu verbessern.

Mittelweg zwischen Volldeklaration und Label

Natürlich erhält man noch mehr Informationen, wenn man das Datenblatt eines Produktes studiert, allerdings ist die Volldeklaration für Laien oft unverständlich. Im Raster werden dagegen gezielt nur die ökologisch relevantesten Eigenschaften erfasst und so dargestellt, dass sie für die Anwender leichter interpretierbar sind.
Der Deklarationsraster beschränkt sich dabei auf eindeutige und objektiv überprüfbare Merkmale. Zwar gehören beispielsweise auch das Alterungsverhalten oder allenfalls der Wartungsaufwand zu den wesentlichen Angaben für eine ökologische Beurteilung von Baustoffen, aber da diese Daten nicht eindeutig definierbar sind, fehlen sie im Deklarationsraster. Es macht wenig Sinn, sie vom Hersteller deklarieren zu lassen, da jeder Angaben nach seiner eigenen Auffassung machen würde.

Trotzdem enthält der Raster aber so viele Daten, dass sie bei den meisten Fragestellungen für eine Entscheidung ausreichen. Anders als beispielsweise ein Label, das nur anzeigt, ob ein Produkt als ökologisch gut oder schlecht eingeschätzt wurde, ermöglicht der Raster differenziertere Entscheidungen. Es gibt nicht nur gute oder schlechte Produkte, sondern für eine bestimmte Anwendung geeignete oder weniger geeignete.

Interpretation liegt beim Anwender

Das heisst, die Anwender müssen die Daten im Deklarationsraster selbst interpretieren. Dafür gibt es eine Interpretationshilfe (siehe Kasten Seite 28). Nach der Lektüre ist man noch lange kein Bauchemiker, doch wichtige tägliche Entscheide kann man selbst fällen.

Bauherrschaften verlangen giftstofffreie Baustoffe. Wesentlich ist beim Begriff «Gift» jedoch die Menge. Eine Meldung, dass im Mehl Arsen gefunden worden sei, muss nicht zwangsläufig zur Meidung aller aus Mehl hergestellten Nahrungsmittel führen. Rasteranwender werden zuerst nach dem Anteil des Arsens an der Gesamtmenge fragen und dann entscheiden. In den letzten Jahren wurden etliche Baumaterialien mit Hinweisen auf Spuren von Schadstoffen disqualifiziert, obwohl diese Spuren zum Teil weit unter einer humantoxikologischen Relevanz lagen. Andererseits gibt es Stoffe, die schon in sehr kleinen Mengen schädlich sein können. Diese Grenzen sind von Stoff zu Stoff verschieden. Die Interpretationshilfe zeigt Planenden, wo wie viel von einem Schadstoff relevant ist.

Die Gefährdung kann je nach Beobachtungsbereich unterschiedlich sein. Bei der Herstellung treten oft ganz andere Gefährdungen auf als bei der Anwendung, der Nutzung oder der Entsorgung. Alle Gefährdungen müssen bei einer Stoffbewertung mit berücksichtigt werden. Die Resultate sind nicht immer eindeutig.

Wenn es um die Bewertung von Konstruktionen geht, müssen neben ökologischen Merkmalen auch noch andere Aspekte wie die Leistungsfähigkeit (Tragkraft, Dämmeigenschaften usw.), der Preis, aber auch ästhetische Belange mit einbezogen werden. Daraus versteht sich von selbst, dass der Deklarationsraster nur Hilfe, aber nie Hauptbewertung sein kann.
Der Raster zeigt dem Anwender auch die Grenzen seiner Fachkompetenz. Für spezielle Fragen wird der Planer nicht auf eine Zusammenarbeit mit Fachleuten verzichten können.

Gegenseitige Kontrolle

Die Rasterblätter, in welche die Produktehersteller ihre Daten eintragen, wurden früher in Papierform verschickt. Später konnte eine ganze Anzahl der Raster auf der Internetseite des SIA abgefragt werden. Ab Ende Juni 2007 ist die Rasterabgabe in Papierform durch die Hersteller nicht mehr konform. Raster sollen nur noch vom Netz heruntergeladen werden können (www.sia.ch/­deklaration). Weshalb hat die Normenkommission diesen Weg empfohlen? Vom SIA können die Deklarationen nicht auf ihre Richtigkeit geprüft werden. Es wird auf die gegenseitige Überwachung durch Mitbewerber gebaut. Ins Netz gestellt, sind die Daten jederzeit von der Konkurrenz einsehbar.

Anwendungsbereiche
Der Raster kann heute von den Planenden in drei Arbeitsbereichen eingesetzt werden:
– bei der aktiven Ausgrenzung von Produkten (z.B. solche mit FCKW und HFCKW)
– bei der Information über unbekannte Produkte im Fall von Variantenofferten bei Submissionen
– bei der ökologischen Optimierung von Bauteilen und Konstruktionen

Wie die Anwendung des Deklarationsrasters in der Praxis aussehen kann, sollen zwei Beispiele ­illustrieren. Im ersten Fall, bei der Sanierung des Polizeigebäudes in Schwyz, wurden mit Hilfe der Rasterinformationen Baumaterialien ausgewählt, die ein gesundes Innenraumklima garantieren.Das um 1900 erstellte Gebäude wurde 2005/2006 saniert. Da die Bauherrschaft ein gesundes ­Innenraumklima verlangte, wurde der Umbau mit der Planungsleistung Innenraumklima begleitet. Ziel dieser Leistung ist die Auswahl bestmöglicher Baumaterialien zur Einhaltung tiefer Schadstoffkonzentrationen nach Bezug der Baute. Dies wird durch gezielte Überprüfung und Optimierung der Materialentscheide in den verschiedenen Planungsphasen und durch Kontrolle auf der Baustelle erreicht. Für den Innenraumspezialisten stellen Deklarationen das zentrale Werkzeug dar. Anhand der darin enthaltenen Informationen werden die Baumaterialien bezüglich des Emissionspotenzials beurteilt und wenn nötig Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Zusätzlich werden in einer Zielvereinbarung einzuhaltende Schadstoffwerte vereinbart, die durch den Auftragnehmer (Bauunternehmer) verpflichtend einzuhalten sind. Werden die in der Zielvereinbarung definierten Grenzen überschritten, ist der dafür verantwortliche Unternehmer zur Herstellung des vereinbarten Zustandes verpflichtet. Im konkreten Beispiel wurden 55 Baumaterialien beurteilt. Für rund ein Fünftel der untersuchten Produkte wurden ein hohes Emissionspotenzial ermittelt, und es wurden Optimierungsvarianten vorgeschlagen. Betroffen davon waren die Arbeitsbereiche Inneneinrichtung, Bodenbeläge und Malerarbeiten. So wurden beispielsweise Spanplatten im Wandbereich durch Gipskartonplatten ersetzt, um Formaldehydemissionen zu vermeiden.

Aber auch bei einer bereits eingetretenen Schadstoffbelastung im Innenraum können die Deklarationen die Suche nach der Schadstoffquelle erleichtern. Ein typisches Beispiel ist eine Wohnung in Zürich, in der die Eigentümer noch ein Jahr nach dem Kauf über eine nach Fisch riechende Geruchsbelästigung klagten. Die Verkäuferin entschied, das Problem fachgerecht abklären zu lassen. Dabei wurde, wie bei Geruchsproblemen üblich, schrittweise vorgegangen. Zuerst wurde in der Raumluft nach chemischen Auffälligkeiten gesucht, jedoch wurden keine solchen gefunden. In einem zweiten Schritt listete man daher alle im Raum verwendeten Baumaterialien auf und suchte aufgrund von Deklarationen und Geruchsprüfungen nach der Geruchsquelle. Bei den Deklarationen stützte man sich auf Sicherheitsdatenblätter, VSLF- (Farben und Lacke) und SIA-Deklarationen. Auf der Basis grundlegender Kenntnisse in Materialkunde, Chemie und Innenraumproblematik wurden aus diesen Daten Materialien identifiziert, die als Geruchsquelle in Frage kamen. Durch Geruchsprüfungen an Materialproben der verdächtigen Baustoffe konnte der verwendete Trittschallschutz im Unterlagsboden als Quelle des Fischgeruchs identifiziert werden. Als Grund wurde ein zu hoher Ammoniakgehalt im Baustoff vermutet. Ammoniak wird standardmässig im Herstellungsprozess von Trittschallschutzmatten gebraucht. Aufgrund der hohen Flüchtigkeit entweicht der Stoff in der Regel schnell. Werden Platten mit einem hohen Ammoniakrestgehalt jedoch zu schnell eingebaut und durch den Bodenbelag eingeschlossen, können lang andauernde Immissionen entstehen. Zur Abführung des restlichen Ammoniaks wurde der Unterlagsboden mittels Dämmschichttrocknung saniert. Seither sind die Käufer vom Fischgeruch ­befreit.

Intuition und Information

Der Deklarationsraster trägt zu einer Versachlichung der Diskussion über das ökologische Bauen bei. Er sensibilisiert Hersteller und Benützer und bietet gleichzeitig eine Orientierungshilfe an. Die Hilfe ist so gestaltet, dass sie nicht fertige Entscheide liefert (wie z.B. ein Ökolabel), sondern dass für Entscheide nachprüfbare Fakten geliefert werden. Nicht bei jeder Materialwahl, sicher aber dann, wenn ökologisch relevante Merkmale diskutiert werden müssen, ist der Deklarationsraster ein unerlässliches Hilfsmittel.

Es gibt Planende die sich nicht um «derart technische Dinge» wie Inhaltstoffe und Bauprodukt­deklarationen kümmern. Sie entscheiden nach Gefühl und wollen sich bei einer solchen Wahl auf ihre Intuition und Erfahrung verlassen. Die Intuition ist ohne Zweifel ein wichtiges Element in der Planung. Eine Sichtweise jedoch, die sich ausschliesslich auf die Intuition verlässt, ist wenig professionell und oft auch falsch.

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Kasten 1:
Blick über die Grenze

Das Quantifizieren der Umweltauswirkungen von Bauprodukten beschäftigt nicht nur die Schweiz. Auch international befassen sich immer mehr Architektinnen und Planer, Forschungsinstitute und Industrieverbände mit Fragen rund um die Belastung der Umwelt durch das Errichten, Nutzen und Rückbauen von Gebäuden. Der SIA hat mit dem Deklarationsraster auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet. In den letzten Jahren wurden in einigen Ländern Umweltproduktdeklarationen (EPD, Environmental Product Declaration) für Produkte aus den verschiedensten Bereichen entwickelt (z.B. Nahrungsmittel, Chemikalien, Strom, Bauprodukte).

Eine Umweltproduktdeklaration von Baustoffen enthält wie der Deklarationsraster auf wenigen Seiten umweltrelevante Informationen zum gesamten Lebensweg eines Produktes. Neben bauphysikalischen Informationen werden Angaben gemacht zu den Grundstoffen und deren Herkunft, der Herstellungsprozess wird beschrieben, und Hinweise zur Verarbeitung werden gegeben. Die Umweltproduktdeklaration kann Angaben enthalten zur Nachnutzungsphase. Auch Nachweise (zum Beispiel bezüglich Brennbarkeit) und Prüfungen sind dokumentiert. Kernelement der Umweltproduktdeklaration ist eine Ökobilanz nach klar vorgegebenen Regeln. Für jedes Produkt müssen Ökobilanzdaten zur Verfügung gestellt werden, von der Rohstoffnutzung bis zum Fabriktor, optional auch inklusive der Nutzungs- und Nachnutzungsphase. Insofern gehen EPD deutlich mehr in die Tiefe als der Deklarationsraster. Neben EPD auf Bauproduktebene können auch EPD von Bauelementen und ganzen Gebäuden (inklusive Rückbau) nach einer einheitlich vorgegebenen Methodik bereitgestellt werden.

EPD im Baubereich gibt es mittlerweile beispielsweise in Frankreich, Grossbritannien oder den Niederlanden. In den letzten Jahren wurde auch eine internationale Norm für Umweltproduktdeklarationen im Baubereich entwickelt, die ISO-Norm 21930. Zurzeit wird im Rahmen des CEN-Mandats 350 an einer europäischen Norm gearbeitet, welche die internationale Norm umsetzt und in ausgewählten Bereichen weiter präzisiert. In der Schweiz wird man diese Entwicklung abwarten und dann entscheiden, ob und inwiefern der Deklarationsraster angepasst wird.

Rolf Frischknecht, Dr. sc. techn., ESU-services Ltd.,
Uster, frischknecht(at)esu-services.ch
Weitere Informationen: www.environdec.com

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Kasten 2:
Dokumente zum Deklarationsraster

Norm 493
Die eigentliche Norm ist lediglich für Hersteller und Materiallieferanten interessant. Sie beschreibt, wie deklariert werden muss.
rasterblätter

Die Rasterblätter, in welche die Daten von den HerstellerInnen eingetragen werden, stehen pro Materialgruppe mit materialspezifischen Fragen zur Verfügung. Für folgende Materialgruppen sind bis heute Raster vorhanden:
– 01 Beton, Mauersteine und andere Massivbaustoffe
– 02 Mörtel und Putze
– 03 Flachglas
– 04 Metallbaustoffe
– 05 Holzwerkstoffe
– 06 Klebstoffe
– 07 Fugendichtungsmassen
– 08 Dichtungsbahnen und Schutzfolien
– 09 Wärmedämmstoffe
– 10 Tapeten
– 11 Bodenbeläge
– 12 Türen
– 13 Rohre
– 14 Beschichtungen und Verbundmaterialien
– 15 Neutraler Raster für andere Materialien

Herstelleranleitung
Für die Hersteller stehen Anleitungen zum Ausfüllen der Raster zur Verfügung. Sie machen über die Norm hinaus noch detailliertere Angaben zu branchenspezifischen Problemen.

Interpretationshilfe
Quasi als Handbuch zur Norm wurde eine Interpretationshilfe geschaffen (SIA D 093
«Deklaration ökologischer Merkmale von Baustoffen nach SIA 493 / Erläuterungen
und Interpretationen»). Sie soll den Anwendern helfen, den Raster zu verstehen. Hinweise
auf Bewertungsmethoden zeigen einige mögliche Anwendungen. Ein grosses Literaturverzeichnis
erleichtert auch Anfängern den Einstieg in die Materie.
Bezugsquelle: Schwabe AG, 4132 Muttenz, distrubution(at)sia.ch

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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