Zeitschrift

UmBau 23
Diffus im Fokus - Focus on Blur
UmBau 23
zur Zeitschrift: UmBau
Herausgeber:in: ÖGFA

Das Entgleiten der Form

Über das Diffuse in der Architektur

24. Januar 2008 - Manfred Russo
Ist die Tendenz zur Diffusität in der Gegenwartsarchitektur als Anzeichen eines pathologischen Symptoms, eines neosurrealistischen Revivals, einer unkontrollierbaren Generierung des architektonischen Schaumes zu sehen oder sogar als ein Schritt in die Richtung einer Ontologie des Nichts? Dieser Text versucht eine Erklärung dieser Tendenzen, wonach Diffusität in ihrem allgemeinsten Sinn als eine Unklarheit der Form ein zentrales Thema der Kunst- und Architekturgeschichte darstellt, das in unregelmäßigen Rhythmen auftaucht und sich auf eine Grundfrage im künstlerischen Kontinuum der Formenvielfalt bezieht, die unterschiedlich formuliert werden kann.

Diffusität kann unterschiedlich verstanden werden: Schon Hegel hat die Kunst der Antike innerhalb seines geschichtsphilosophischen Systems im Sinne einer Aufstiegs- und Verfallslogik aufgefasst, wonach sich im griechischen Tempel das Heraustreten aus der Diffusität gezeigt hat, ehe sich der Geist überhaupt aus der Kunst zurückgezogen hat und in die Sphäre der Religion übergewechselt ist. Sie kann auch im Sinne einer Öffnung und Schließung der Form verstanden werden, wie von Wölfflin anhand seiner Analyse des barocken Bauwerkes und der dort beobachteten Zunahme an Atektonik festgestellt worden ist, was in weiterer Folge sogar auf den Gegensatz zwischen dem Dionysischen und Apollinischen zurückgeführt werden kann. Neben Hegel, Winckelmann, Wölfflin und Riegl kündigt sich im 20. Jahrhundert das Thema der Vermischung und Auflösung der Form bis hin zur Dematerialisierung, in immer dichter werdenden Wellen an. Auch gilt bei vielen Autoren mit einer Präferenz für das Diffuse nun der urbane Kontext als der bestimmende Rahmen der Architektur. Texte von Benjamin, Giedion, Constant und Lyotard werden als Zeugen dafür angeführt.

Am Begriff des Diffusen wird auch deutlich, dass Architektur durch die Begriffe einer Geschichte des Stils nicht erschöpfend erklärt werden kann. Sie ist immer auch Ausdruck eines Zeitgeistes, der durch bestimmte, schwer zu ergründende kulturelle und soziale Kräfte hervorgerufen wird und sich in der Kunst in besonderer Weise manifestiert. Der Status der Diffusität entspricht daher auch der Mischung der kulturellen Explosion, die seit der Postmoderne im Gange ist und den ganzen Fundus der Kunstgeschichte in Stellung gegen die lange dominierende und kontrollierende Haltung der klassischen Moderne bringt. Daher soll der Versuch einer Darstellung und Erklärung verschiedener Typen des Diffusen in der Architektur zunächst mit einer einfachen Analyse dieses Begriffes angestellt werden.

Architektur in der Antike nach Hegel

Wenn wir bei unserem Erklärungsversuch das Diffuse als das Ergebnis einer Ergießung oder Ausstrahlung einer uns weit entfernten oder unbekannten Lichtquelle sehen und das universelle metaphysische Bild einer Kongruenz von Licht und Idee beibehalten, haben wir uns einen Leitfaden zur Hand gegeben, der noch Nützliches zu leisten vermag. Wenn wir ihn auf die Philosophie Hegels anwenden, so müssen wir festhalten, dass für seine Theorie der Ästhetik das Schöne im Zentrum der Manifestation eines sinnlichen Scheinens der Idee steht.(1) Da die Idee mit der Wahrheit identisch ist, ist auch das Schöne mit dem Wahren gleichzusetzen. Die Diaphanie der Idee im Kunstwerk entspricht daher einer Vermutung der Abnahme der Diffusität, da dieses Durchscheinen des absoluten Geistes nichts anderes als eine zunehmende Gottesnähe bedeuten kann.(2) Der Grad der Diffusität meint hier den Grad der Ergießung des Geistes in der Form des Durchleuchtens der Idee im Kunstwerk, wobei hier im Begriff des Diffusen selbst eine Widersprüchlichkeit sichtbar wird.

Kunst ist für Hegel eine Gestaltung des absoluten Geistes, der auf dem Weg des Sichselbstverstehens die Stationen der Kunst über die Religion zur Philosophie durchläuft, wo sich die Reinheit der Idee durch den wahren Begriff verwirklichen sollte. Kunst ist daher eine Bewusstseinsform der Idee, die noch nicht den höheren Status einer Vorstellung des Geistes wie die Religion und des Wissens wie die Philosophie erreicht hat, sie kann nur eine Darstellung oder ein Scheinen der Idee in sinnlicher Gestalt vermitteln.(3) Wenn wir diesen Sachverhalt in unseren Arbeitsbegriff des Diffusen übertragen, können wir der Kunst nach Hegels Logik prinzipiell nur den Status wachsender oder sich verringernder Diffusität verleihen.

Die Anwendung von Hegels geschichtsphilosophischem Ansatz auf die Ästhetik folgt dieser Logik und sieht in der Architektur eine komplizierte Entwicklung, die von den organischen Wurzeln der ägyptischen Bauwerke eine Entwicklung zu einer idealen Form des griechischen Tempels und der Statue hin vollzieht, ehe sie wieder in die kreatürliche Dimension der Natur zurückfällt, die mit der Desintegration der Form einhergeht. Hier verläuft die Entwicklung grob vereinfacht so: diffus – ideal – diffus, oder Aufstieg – Höhepunkt – Verfall.

Wenn die Sphinx die Urform des ägyptischen Symbols war(4), ein Wesen halb Tier und halb Mensch, so erkennt sich der griechische Geist erstmals in der Gestalt des Menschen, der das Animalische völlig abgelegt hat. Wenn die Pyramide die wesentliche architektonische Form Ägyptens war, ein von Hegel als misslungenes Symbol des erlösenden Aufstiegs in den Himmel zur Begegnung mit den Göttern gedeutetes Bauwerk, das sich durch gigantische stereometrische Formen ohne Fenster und Türen auszeichnete, aufgrund dieses Umstandes keinen Austausch zwischen dem Außen und Innen zuließ und nur die Mumie als Zentrum des Totenkultes barg, so war der griechische Tempel das charakteristische Bauwerk der Griechen, die ihn als die erste perfekte Form humaner Architektur im Sinne der Naturüberwindung durch Tektonik hervorbrachten. Darin manifestierte sich die Fähigkeit zur Überlistung der Schwerkraft, die auf fundamentalen Naturgesetzen beruhte und den Kosmos zusammenhielt. Daher galt Hegel die Säule als das Grundelement architektonischer Zweckmäßigkeit und Schönheit, die beim Tempel das Dach des beherbergten Gottes trug.

Trotzdem ist die Idealform des Gebäudes, der Tempel, nicht nur durch Tektonik, sondern auch durch eine bestimmte Form der Offenheit gekennzeichnet, die sich wiederum durch den Charakter der Säule ergibt. „In diesen Prostylen und Amphiprostylen, diesen einfachen und doppelten Säulengängen, die unmittelbar ins Freie führen, sehen wir die Menschen offen, frei umherwandeln, zerstreut, zufällig sich gruppieren; denn die Säulen sind überhaupt nichts einschließendes, sondern eine Begrenzung, die schlechthin durchgängig bleibt, so daß man halb innen, halb außen ist und wenigstens überall unmittelbar ins Freie treten kann.“(5)

Für Hegel entsprach der griechische Tempel dem klassischen Ideal der Architektur als Inbegriff der Mitte, der Peripteros war von keiner Wand umgeben, der Säulenumgang machte das Gebäude durchlässig und ohne feste Begrenzung. Hier kann der einmalige Fall einer Öffentlichkeit, die mit einer inneren Geborgenheit einhergeht, eintreten, hier kommt es zum Paradox einer geschlossenen Form, die nach außen hin offen ist, denn sie bedeutet die Versöhnung des Allgemeinen mit dem Besonderen.

Doch diese ideale Situation ist nur von kurzer Dauer. Mit der Mauer, die den Raum abschließt, lässt sich das Ideal der Baukunst nicht mehr aufrechterhalten, denn sie bringt eine Trennung von außen und innen mit sich. Mauern waren „Sache der Not und des Bedürfnisses, nicht aber der freien architektonischen Schönheit, weil es in der klassischen Baukunst zum Tragen keiner Wände und Mauern bedarf“(6). Der Schutz der privaten Besitztümer war nicht mit Poesie und sinnlicher Schönheit zu vereinbaren. Damit bricht dieser einmalige Balanceakt der Griechen, in dem sie den Geist mit der Natur verbunden haben, ab und die Geltung der Formel Winckelmanns von der edlen Einfalt und stillen Größe der Griechen geht verloren. Sie spielten jenes Spiel, das nach Hegel einen höheren Ernst als das Leben besaß, da seine Regeln nicht von den niederen Bedürfnissen des Lebens abgeleitet waren.

Erst der Einbruch der Natur des bürgerlichen Subjektes erzeugte auch in der Architektur eine neue Diffusität, die sich aus der Einsicht in die Notwendigkeit der Bekleidung ergab, da die Ära der edlen Nacktheit, in der der Mensch dem Gott gleich wurde, vorübergegangen war. Die völlige Klarheit des Gebäudes, wie sie im Tempel verkörpert war, wird durch Mauern verschlossen und durch die diffusen Beziehungen zwischen privat und öffentlich zersetzt. Für Hegel ist diese Entwicklung vom Symbol der noch unzulänglichen, ägyptischen Darstellung des Absoluten hin zur Kunstreligion der Griechen, in der der Gott in menschlicher Gestalt auftrat und der Mensch erstmals eine freie Subjektivität und eine Wirklichkeit, in der er bei sich sein konnte, entwickelt hatte, nur Zeichen des fortschreitenden Geistes.(7) Der nachfolgende Verlust der Harmonie in der griechischen Kunst mit ihren Verfallserscheinungen ist für Hegel letztlich ein Zeichen für den Rückzug des absoluten Geistes aus der Kunst, der sich nun im Sinne seiner Lehre in die Religion des Christentums verlagert hat.(8) Nach der Hochblüte der griechischen Kultur, die den Inbegriff der Schönheit darstellte und vielleicht deshalb schon den Keim des Verfalls in sich trug, musste die Kunst, „da sie nicht weiter hinausgieng, zurückgehen“(9). Winckelmann, der Hegels zentrale Quelle war, beschreibt den Weg, der zum Malerischen, aber auch Diffusen führt: „Es wurden [...] durch die Bemühung, alle vermeynte Härte zu vermeiden, und alles weich und sanft zu machen, die Theile, welche von den vorigen Künstlern mächtig angedeutet waren, runder aber stumpf, lieblicher aber unbedeutender.“(10) Zurück bleibt nur, um mit Beat Wyss zu sprechen, die „Trauer der Vollendung“(11).

Die offene Form bei Wölfflin

Auf dem Weg von Hegel zu Wölfflin hat sich die Sicht des Diffusen deutlich verändert und verläuft analog zum Übergang von der Philosophie des Idealismus zu der des Vitalismus und der Lebensphilosophie. Während sich bei Hegel nach dem Kulminationspunkt des Scheins in der griechischen Tempelarchitektur der Weltgeist in andere Sphären zurückzieht, sieht Wölfflin in der Geschichte der Kunst eine rhythmische Grundfigur des Wechsels zwischen den Polen der offenen und geschlossenen Form, der Klarheit und Unklarheit, des Linearen und Malerischen, Flächenhaften und Tiefenhaften, sowie der Vielfalt und Einheit.

Wölfflin stellte das Problem der Auflösung der Form anhand seiner Analyse des barocken Bauwerkes und der dort beobachteten Zunahme an Atektonik fest. Woran erkennt dies Wölfflin? Zunächst an der Ablösung der Plastik von der Architektur, denn die plastische Figur hat ihre Wurzeln in der Architektur und ihre Freimachung ist bereits ein Akt der Aufweichung der Form. „Der Sockel, die Anlehnung an eine Wand, die Orientierung im Raum – es sind alles architektonische Momente. Nun beginnt hier etwas Ähnliches, wie wir es im Verhältnis von Bildfüllung und Bilderrahmen beobachtet haben: nach einer Periode gegenseitiger Rücksichtnahme fangen die Elemente an sich zu entfremden. Die Figur entwindet sich der Nische, sie will die Mauer im Rücken nicht mehr als verbindliche Macht anerkennen, und je weniger in der Gestalt die tektonischen Achsen fühlbar bleiben, um so mehr reißt die verwandtschaftliche Beziehung zu jeder Form von baulicher Unterlage.“(12) Diese Flucht der Figuren aus ihren Nischen kündigt den Einbruch der Atektonik der offenen Form in der Kunst an. Während der tektonische Stil auf gebundener Ordnung und klarer Gesetzmäßigkeit und einem Sinn für Begrenzung und Sättigung beruht, öffnet der atektonische Stil die geschlossene Form und überführt die gesättigte in die weniger gesättigte Proportion. Die fertige Gestalt wird durch die unfertige, die begrenzte durch die unbegrenzte ersetzt. Anstelle von Ruhe entsteht der Eindruck von Spannung und Bewegung. Dazu kommt als weiterer Schritt zur Eröffnung eines Raumes des Diffusen „die Umbildung der starren Form in die flüssige Form“(13). Zunächst verläuft dieser Prozess eher in Andeutungen, da und dort wird ein Fries bauchig gestaltet, ein Haken krümmt sich zur Kurve. Wenn für die Klassik das streng geometrische Element Anfang und Ende bedeutete, so vollzieht sich im Barock ein eher naturnaher Prozess, „wenn er von den kristallinen Gestaltungen zu den Formen der organischen Natur aufsteigt“(14) und Wölfflin ergänzt noch: „Das wahre Feld der vegetabilisch freien Form ist daher nicht die Architektur, sondern das von der Mauer losgelöste Möbel.“(15) Mit dieser Passage wird nicht nur daran erinnert, dass das mit einem Blumenmuster überzogene Sofa einst auf einem tektonikflüchtigen Gestaltungsdrang des Architekten beruhte, der mit dieser Geste Natur in den Innenraum holte und damit eine nahezu revolutionäre Handlung zur Erzeugung von Diffusität vollzog, sondern auch daran, dass durch die Behauptung eines Aufstieges von den kristallinen zu den vegetabilischen Formen die Existenz eines höheren evolutionären Gesetzes mit größerem Freiheitsgrad angedeutet wird. Ohne die vermutlich von Ernst Häckel inspirierte Theorie der Naturformen im Weiteren verfolgen zu wollen, ist bei Wölfflins Theorie zumindest der Tatbestand der offenen, malerischen Form durch die Annäherung der Tektonik an eher atektonische vegetabile Naturformen aufzunehmen und sind die damit einhergehenden Auflösungserscheinungen des Festen und Geschlossenen zu untersuchen. Nun ist diese schleichende Veränderung des Baugedankens schon im englischen Garten des 18. Jahrhunderts erkennbar und der Rückzug des Gebäudes hinter große, rauschende Bäume drückte damals den Wunsch nach einem Verschwinden in der Natur aus, ehe deren Hegemonie durch die Revolutionsarchitektur endgültig geworden ist. Durch diese Zuwendung zur Natur, vom englischen Sensualismus vorbereitet und von der Französischen Revolution zur Doktrin gemacht, gibt die dionysische Öffnung zum Wald die Richtung des neuen Programms an.

Zurück zu Wölfflins Grundbegriffen. Es gibt den überzeugenden Hinweis einer Übereinstimmung der „offenen Form“ Wölfflins mit dem Begriff des Dionysischen bzw. der geschlossenen Form mit dem Apollinischen, die auf Schopenhauers Begriffen von Wille und Vorstellung beruhen.(16) Schon in seiner Dissertation hatte Wölfflin den Kontrapunkt der Architektur in einer Abwandlung und Verbesserung von Schopenhauers Gegensatz von Stütze und Last als den Gegensatz von Stoff und Formkraft bezeichnet.(17) Das geschlossen Lineare sowie das offen Malerische stellen die zwei Pole eines Kontinuums wie zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen dar, innerhalb dessen das Kunstwerk angesiedelt ist. Diffusität, so die These, wird durch die Bewegung in Richtung des offen Malerischen bzw. des Dionysischen erzeugt. Nach Nietzsche, der dieses Begriffspaar berühmt gemacht hat,(18) entspricht das Apollinische der Kunst des Bildners, das Dionysische der unbildlichen Kunst, der Musik, das Apollinische der Kunstwelt des Traumes, das Dionysische der des Rausches. „Der apollinische Rausch hält vor allem das Auge erregt, so daß es die Kraft der Vision bekommt. Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind Visionäre par excellence. Im dionysischen Zustand ist dagegen das gesamte Affektsystem erregt und gesteigert: so daß es alle seine Mittel des Ausdrucks mit einem Male entladet und die Kraft des Darstellens, Nachbildens, Transfigurierens, Verwandelns, alle Art Mimik und Schauspielerei zugleich heraustreibt.“(19) Hier scheint sich ein nachhaltiger Paradigmenwandel in der Architektur zwischen dem Typus des Apollinischen, wie Le Corbusier und seine zeitgenössischen Epigonen, und dem neuen Typus des Dionysischen, wie eben die Architektur von Diller Scofidios Blur Building mit seiner Wolkenform, mit R Sie und ihrem Museum aus einer Staubhülle, mit Jean Nouvels Museum für Guggenheim in Tokio, abzuzeichnen; eingedenk Nietzsches Satz: „Das wesentliche bleibt die Leichtigkeit der Metamorphose.“(20) Nietzsche selbst hat dem Architekten sowohl den apollinischen als auch den dionysischen Zustand abgesprochen, denn immer stand der große Willensakt zu sehr im Vordergrund, im Bauwerk sollte sich der „Sieg über die Schwere, der Wille zur Macht versichtbaren. Architektur ist eine Art von Macht-Beredsamkeit in Formen, bald überredend, selbst schmeichelnd, bald bloß befehlend. [...] Die Macht, die keinen Beweis mehr nöthig hat, die es verschmäht, zu gefallen“(21). Hier bezieht sich Nietzsche allerdings auf die Rolle des Architekturproduzenten, die nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Rezeptionstheorie Wölfflins zu bringen ist. Außerdem konnte sich Nietzsche dieses Urteil nur aufgrund der Kenntnis der Architektur der Klassik und des Historismus bilden. Ob er angesichts der neuen Architektur des Diffusen seine Meinung geändert hätte?

Riegl und das Primat des Blicks

Alois Riegl ist noch stärker als Wölfflin von Hegels Darstellung der Antike in der Geschichte der Ästhetik beeinflusst, wie sich unschwer an der Struktur seiner „Spätrömischen Kunstindustrie“ feststellen lässt. Allerdings hält auch er an einem zeitgemäßen Begriff des Kunstwollens fest, der zwar nicht mit Hegels Geist der Geschichte kompatibel ist, aber immerhin eine historische Entwicklung im Sinne eines Fortschreitens und zunehmender Abstraktion darstellt. Für Riegl ist die Kunstgeschichte vom alten Ägypten bis zum späten Altertum die Geschichte der Wendung des Kunstwollens von der haptischen (oder taktilen) zur optischen (oder visuellen) Art des Wahrnehmens. Dieses Kunstwollen entspricht der Weltanschauung und ist eine Äußerungsform des menschlichen Wollens, das sich in der Gestaltung der Welt und den sinnlich wahrnehmbaren Dingen manifestiert.(22) Diese Entwicklung vom haptischen Stadium, das auch eine Nahsichtigkeit erfordert und das am reinsten in der altägyptischen Kunst zum Ausdruck gebracht wird, verläuft über die haptisch-optische Phase der Griechen hin zur dritten Phase der antiken Kunst des späteren römischen Kaiserreiches, die im Wesentlichen optisch und fernsichtig ist. „Pyramide und Pantheon bezeichnen somit zwei entgegengesetzte Extreme der antiken zentralisierenden Baukunst, das griechische Säulenhaus dazwischen gewissermaßen die ausgleichende klassische Mitte. Die Grabkammern und das Dreieck der Pyramide sind noch taktile Formen ohne Tiefe, eher ein Bildwerk(23), im griechischen Säulenhaus erweitert sich der Blick bereits, es gibt bereits Ansätze einer Raumbildung, „erste Anerkennung der Dreidimensionalität“(24) und im Pantheon „muß die Fernsicht eintreten, [...] denn nicht zwei Punkte einer Zone derselben liegen in der gleichen Ebene [...] die stetige Tiefenwirkung zieht den Blick des Beschauers unwiderstehlich in die Tiefe [...] und appelliert an die ergänzende Hilfestellung des subjektiven Bewußtseins“(25). Diese Entwicklung des Blicks gipfelt im Tempel der Minerva Medica, wo durch die Anbringung von Fenstern im Tambour die geschlossene Form aufgebrochen wird, die für die Annahme einer fernsichtigen Kultur erforderlich ist. Ansonsten wäre „das in der Nahsicht oder Normalsicht gesehene Fenster ein störendes Loch in der Wand, eine mißfällige Unterbrechung des Taktisch-Stofflichen durch ein rein optisch-farbiges wesenloses Nichts, gleich einem Schatten“(26). „Wer den Tempel der Minerva Medica betrat, genoß nicht mehr jenes Zaubers absoluter beruhigender Einheit, der noch heute vom Innenraum des Pantheons ausströmt [...] die erfolgte Veränderung lag [...] hauptsächlich an den Fensteröffnungen, die [...] zugleich auch den Blick aus der stofflichen Hülle hinaus in den unendlichen Raum lockten.“(27)

Walter Benjamin schrieb in einer Rezension: Riegl „erkannte in dem, was bisher ,Rückfall in die Barbarei’ geheißen hatte, ein neues Raumgefühl, ein neues Kunstwollen“(28). Die Geschichte der Kunst verläuft nicht in den vermeintlich vorgezeichneten Bahnen des objektiven Geistes, sondern sie ist ein offener Prozess, denn während sie bei Hegel nach dem griechischen Tempel als Verfallsgeschichte weitergeht, ist sie bei Riegl ein Abstraktionsprozess, der mit einer Geschichte des Blickes einhergeht und auf ein Offenes hin ausgerichtet ist. Daher ist in diesem Zusammenhang die Wahl eines Begriffes der Diffusität wenig Erfolg versprechend, es sei denn, man ginge von einem Urzustand größter Diffusität aus, der einer zunehmenden Erleuchtung weicht. Jedenfalls trifft dieser Begriff des Kunstwollens auf eine Entwicklung der Architektur zu, die ein neues Verhältnis zum Raum gewinnt und als Instrument der Raumbildung selbst in Erscheinung tritt. Damit wurde auch die Ausgangsbasis der Moderne abgesteckt. In Hinblick auf die Architektur ist daher Riegls Ansatz vielleicht sogar höher als der Wölfflins einzuschätzen, da letzterer eher von der Malerei ausging und auf ein flächiges Sehbild, auf die Fassade und weniger auf den Raum, vor allem den Innenraum, hin ausgerichtet war.(29)
Riegl antizipierte bereits eine Entwicklung, in der das Subjekt selbst den Raum als wahrnehmendes betritt und sein eigenes Erleben zum Gegenstand der Erörterung macht. Wenn man den Raum nicht mehr als abstrakte Form auffasst, sondern über das Medium der eigenen Wahrnehmung bestimmt, kommt man zu völlig neuen Dimensionen des Diffusen in der Architektur, die bezeichnenderweise jetzt vom Raum der Stadt ausgehen.

Das Poröse bei Benjamin

Benjamin verfolgt in seinem Konzept der urbanen Repräsentation in seinen früheren Arbeiten eine Theorie des Porösen, mit der er das spätere Passagenwerk vorbereitet. Er beschreibt dieses Phänomen des Porösen anhand seiner Wahrnehmung der besonderen sozialen, räumlichen und zeitlichen Organisation in Neapel, das er bezeichnenderweise anlässlich eines Philosophiekongresses 1924 besucht hat und über den er Folgendes berichtet: „Spurlos fiel er im Feuerdunst der Stadt auseinander, während die Siebenjahrhundertfeier der Hochschule, zu dessen blecherner Gloriole er verschrieben worden ist, unter dem Getöse eines Volksfestes sich entfaltete. Klagend erschienen auf dem Sekretariat die Geladenen, denen Geld und Ausweispapiere im Handumdrehen entwendet waren.“(30) Diese Verwirrung der Philosophieprofessoren ist erstes Anzeichen für jenes Phänomen des Porösen, in dem die Regeln ihre Geltung verlieren, sich auch der normale Reisende nicht mehr zurechtfindet und trotz aller Hinweise im Baedeker die Kirchen nicht mehr auszumachen sind.
Die Porosität bezieht sich auf das Fehlen klarer Grenzen zwischen den Erscheinungen, der gegenseitigen Durchdringung, der Vermischung von Altem und Neuem, Öffentlichem und Privatem, Heiligem und Profanem. Die Stadt ist durch räumliche Anarchie, soziale Vermengung und vor allem Unbeständigkeit gekennzeichnet. Neben der Instabilität und den Verwerfungen der sozialen und architektonischen Formen, von innen und außen, von Archaik und Moderne zeigt die Porosität die Bedeutung dessen, was versteckt ist. Im Falle Neapels ist Verborgenheit der Schlüssel zum Verständnis urbaner Verhältnisse: „Die Stadt ist felsenhaft, aus der Höhe, wo die Rufe nicht hinaufdringen, vom Castell San Martino aus gesehen liegt sie in der Abenddämmerung wie ausgestorben, ins Gestein verwachsen. [...] Porös wie dieses Gestein ist die Architektur. Bau und Aktion gehen in Höfen, Arkaden und Treppen ineinander über. In allem wahrt man den Spielraum, der es befähigt, Schauplatz neuer unvorhergesehener Konstellationen zu werden: Man meidet das Definitive, Geprägte. Keine Situation erscheint so, wie sie ist, für immer gedacht, keine Gestalt ihr ‚so und nicht anders’.“(31)

Das Diffuse besteht nun im Zerfließen der Dinge, einer flüssigen Durchdringung von Stadt und Mensch, von Subjekt und Objekt, was in einer völligen Vermischung münden würde, wäre nicht noch die Instanz des Selbst dazwischen. Es besteht hier eine gegenseitige Ergießung von Dingen, von denen auch die Person durchdrungen oder übergossen wird.

Die Durchdringung bei Boccioni und Giedion

Freilich war diese Vermischung von außen und innen schon in den zeitgenössischen Kunstformen angelegt. Ohne jeglichen Anspruch auf systematische Darstellung sei das Beispiel des Futurismus angeführt, der auf eine Veränderung und Transparenz der Körper durch Licht und Bewegung hinarbeitet, um eine Auflösung der Distanz zwischen Betrachter und Bildraum, eine Vermischung von Bildthemen und letztlich eine völlige Immersion zu erzielen. Boccioni etwa malt 1908 das Porträt der Signora Massimino, einer Frau, die am Fenster sitzt, um hier das Thema der blickmäßigen Verschränkung einer Wohnung mit der Großstadt durch die Darstellung einer Fenstersicht von Straßenbahnen und Fuhrwerken, die von Menschenmengen umflutet werden, aufzugreifen. Drei Jahre später wird dieses Thema mit seiner alten ikonografischen Tradition völlig reformuliert und in „La strada entra nella casa“ zu einem programmatischen Manifest des Futurismus auf der ersten Futuristenaustellung in Berlin. Das im Stile des analytischen Kubismus gemalte Bild zeigt zwar immer noch eine Frau am Balkon, die auf einen Bauplatz hinabsieht, doch scheint hier der gesamte Raum über sie zusammenzustürzen. Durch die Simultanität der Bewegungen und die kubistische Fragmentierung der Häuser werden die Gegenstände zersplittert und kommen einer Verschmelzung der einzelnen Elemente entgegen. Das vom futuristischen Maler intendierte Ziel einer Versetzung des Betrachters mitten ins Bild entspricht dem Wunsch nach Immersion,(32) einer Form der Selbstergießung in das vorgestellte Thema, die mit einer Auflösung der Grenzen zwischen innen und außen vor sich geht. Diese Tendenz wird im Verlauf der nächsten Jahre auch von Vertretern der Architekturtheorie, wie Sigfried Giedion aufgegriffen, der Folgendes schreibt: „Die Gebiete durchdringen sich: Die Wände umstehen nicht mehr starr die Straße. Die Straße wird in einen Bewegungsstrom umgewandelt. Gleise und Züge bilden mit dem Bahnhof eine einzige Größe. [...] Hochhäuser werden von Bahnen durchdrungen. Das fluktuierende Element wird Teil des Baues. [...] Die Architektur ist nur ein Glied dieses Prozesses, wenn auch ein besonderes. Darum keinen ‚Stil’, keinen eigenen Baustil. Gemeinsame Gestaltung. Fließendes Übergehen der Dinge: Ihrer Gestaltung nach öffnen sich heute alle Bauten nach Möglichkeit. Sie verwischen ihre selbstherrliche Grenze. Suchen Beziehung und Durchdringung.“(33)

Zugleich aber und trotz des ähnlichen Ansatzes wie bei Benjamin ergeben sich in weiterer Folge grundlegende Differenzen. Während Giedion, der optischen Werten den Vorzug gibt, auf die Kraft des Lichts und des Blicks vertraut, auf den Sehstrahl, der alles durchdringen und letztlich in der Konstruktion seinen Ausdruck finden möge, zu einem der erfolgreichsten Apologeten des Fortschritts wird, setzt Benjamin auf die mimetische Dimension des urbanen Raumes und kann den geschichtsphilosophischen Optimismus Giedions, wie er schon zu Benjamins Lebzeiten, exemplarisch aber erst nach dessen Tod in seinem Buch Die Herrschaft der Mechanisierung (34) zutage tritt, nicht teilen. Benjamin ahnt in diesen Texten über Neapel das Passagenwerk voraus, in dem er dann durch die mimetische Verbindung mit den in den Passagen enthaltenen Dingen in die Traumwelt einsteigt, um das Vergangene zu wiederholen und im Sinne jüdischer Eschatologie daraus die Rettung zu erlangen.(35) Giedion hingegen vermeint durch die Entdeckung und Freilegung der Konstruktion aus ihrem verborgenen Dasein, das sie noch im Historismus des 19. Jahrhunderts gefristet hatte, sich der Diffusität entwinden zu können, die dieser Epoche anhaftete. Für ihn offenbart sich der Fortschritt durch das Sichtbarwerden der Konstruktion als eine geschichtsphilosophische Notwendigkeit, die über jeden Zweifel erhaben ist. Das Primat der optischen Werte führte allerdings innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer neuen Form des Diffusen, die nun die Züge einer Verlichtung trägt. Anstelle der Emergenz von Licht geht es nun um die technischen Strahlungen, die in den Raum ausgesandt werden. Sie treten in Konkurrenz zum Licht und führen eine neue Form des Diffusen durch übermäßige Strahlungen ein.

Das Immaterielle bei Lyotard

Im Konzept zur berühmten Ausstellung der Immaterialien im Centre Pompidou von 1984 beschrieb Lyotard die neue Raum-Zeit-Dimension der Museumsinstallation, wonach die sphärischen Differenzen in LA nur mehr durch ständiges Shiften der Radiosender während des Ein- und Austritts des Autos in und aus den unsichtbaren Zonen der Sendebereiche erkennbar sind. Die Opposition zwischen Stadt und Peripherie existiert nicht mehr, noch bestehen Unterschiede zwischen der gebauten und der natürlichen Umwelt, die einen Übergang markieren könnten. „Es wäre eher angemessen, von einem Nebelgebilde zu sprechen, in dem die Materialien (Gebäude, Straßen) metastabile Zustände einer Energie sind. Die städtischen Straßen sind ohne Fassaden. Die Informationen zirkulieren über Strahlungen und unsichtbare Interfaces.“(36) Die Stadt ist ein Nicht-Ort, der sich im Zustand des permanenten Flusses befindet und der als Schnittstelle einer neuen synthetischen Zeit-Raumsituation, als eine Sammlung immaterieller elektronischer Formen, serieller Flächen von Repräsentationen und Botschaften zu sehen ist. Was in diesem Zusammenhang für unser Thema von Bedeutung ist, liegt auf der Hand. Die Stadt selbst hat sich in einen Status des Diffusen begeben, der die alten Differenzierungen von Zentrum und Peripherie aufgehoben und damit die alten raumbildenden Kräfte von Endo- und Exosphäre außer Kraft gesetzt hat.

Der Betrachter ist sämtlicher visueller Markierungen beraubt, die im anthropologischen Sinne nötig sind, um Orte mit der längerfristigen Bedeutung eines Gedächtnisortes, eines anthropologischen Ortes, zu besetzen. Von hier aus entwickelt sich die Stadt in jene Richtung des Flüssigen, die nur metaphorisch durch die Begriffe wie Telepolis, Digitale Stadt, Cybercity angedeutet werden kann und deren Ideologie des Diffusen durch die Urbanistik der Virtual City repräsentiert wird.

Wenn die Stadt selbst die Form verloren hat, wie kann sie diese ihren Gebäuden verleihen? Einen Lösungsvorschlag bieten Anthony Dunne und Fiona Raby an, indem sie unter Verzicht auf die alten Messinstrumente des atmosphärischen Klimas, wie Hydro- oder Thermometer, mit ihrem Breitband-Radio-Scanner nun die electroclimates des urbanen Raumes aufzeichnen und gleich in entsprechende Töne konvertieren, um daraus eine Karte der Elektrogeografie zu erstellen.(37) Auf diese Art lässt sich jederzeit der aktuelle elektronische Fluss eines Areals verfolgen und sollte auch jede weitere Stadtforschung erübrigen, weil der urbane Raum ohnehin mit dem Hertzian Space identisch ist.

Die Werke von Anthony Dunne und Fiona Raby stellen einen Seitenstrang zur Telepolis dar, weil sie vom Geist des design noir beseelt sind, durch den sie das geheime Leben der elektronischen Objekte zu ergründen hoffen. Dieser Blick in die Welt der Elektronik gleicht einem Thriller, der im Notopia des Elektrosmogs spielt. Der Stadtbewohner von morgen wird nach ihren Vorstellungen daher dem Typus des beta-testers entsprechen, der neue Technologien ständig an seinen persönlichen Bedarf durch die Veränderung der Software angleicht und in einem Dauerdialog mit seinen Gadgets steht.(38) Damit entspricht er perfekt der Forderung der Situationisten nach permanenter Kreativität, wenngleich diese Spielart der Hertzian Tales noch nicht voraussehbar war.

Die Ergießung der Atmosphäre bei den Situationisten

Einen differenten Zugang zur Frage des Diffusen bietet die Betrachtung der situationistischen Urbanismusdebatte, deren architektonische Umsetzung in der Gestalt des Projektes New Babylon von Constant Anton Nieuwenhuys gipfelte. Denn auf der Basis einer Theorie des Spektakels, wie sie von Guy Debord programmatisch verfasst wurde, schien die moderne Stadt überhaupt nicht mehr dem Funktionalismus verpflichtet, sondern ließ sich viel eher durch die Methode des Herumstreifens, des dérives, auf der Suche nach dem Abenteuer erschließen. „Atmosphäre wird zur Basis politischen Handelns. [...] als phantastischer Endpunkt solcher Kämpfe ist New Babylon eine riesige Atmosphären-Jukebox, die nur von einer völlig revolutionären Gesellschaft gespielt werden kann.“(39) Dieser Hinweis auf die atmosphärische Verfassung der Stadt macht das Wesen dieser neuen Form des Diffusen aus, das allerdings erst für die postrevolutionäre Ära Geltung hat. Denn dann könnte ein neuer Mensch entstehen, dessen Handlungen nur mehr auf der Grundlage von Stimmungen und expressiven Setzungen beruhen und der in einer Welt lebt, wo der Lebensinhalt hauptsächlich aus der Konstruktion von mobilen Räumen und Umwelten besteht, um sich ständig eine der jeweiligen Stimmung angepasste Atmosphäre zu schaffen.(40) Das umherschweifende und abdriftende Verhalten, das dérive, entspricht dem flüssigen Charakter der neuen Stadt der Situationisten, die genau auf diese Bedürfnisse abgestimmt ist, weil dieses Verhalten des dérive zum Motor der innerstädtischen Bewegung und der ständig wechselnden Gestalt der Stadt wird.

Neben der expliziten Abneigung gegen die fordistische Stadt mit ihren Grünanlagen, Scheiben und Hochhäusern bestand der Kern des urbanistischen Konzeptes nach Constant im „Bild der bedeckten Stadt; der Entwurf von getrennten Straßen und Gebäuden ist einer kontinuierlichen, vom Boden losgelösten Raumkonstruktion gewichen, die sowohl Gruppen von Wohnungen als auch öffentliche Räume umfasst (was Bestimmungsänderungen je nach den Bedürfnissen des Augenblicks erlaubt). Da sich jeder Verkehr im funktionellen Sinn entweder unten oder oben auf den Terrassen abspielt, gibt es keine Straße mehr. Die vielen verschiedenen Durchgangsräume, aus denen die Stadt besteht, bilden einen komplexen und ausgedehnten sozialen Raum [...]“(41).

Genauere Bestimmungen über die Gestalt der Module oder die Art serieller Elemente werden nicht gegeben, da Constant offenbar auch hier von der Annahme ständiger Innovation ausging, die eine Präzisierung der Bauteile erübrigen würde. Dieses Zusammenspiel von urbaner Bewegung und synchroner flüssiger Konstruktion entspricht völlig dem Begriff des Diffusen sowie sich die daraus resultierenden Gefühle einer „Einbettung des Leibes“ den Bedingungen der Wahrnehmung von Atmosphären als etwas „räumlich Ergossenes“(42) angleichen. Die Flüssigkeit der Atmosphäre und der Stadt werden in einer Weise synchronisiert, sodass Diffusität in höchstem Maße vorliegt. Daher hat auch Peter Sloterdijk dieses Projekt neben anderen Exemplaren von Makro-Interieurs – wie das Blur Building von Diller Scofidio oder das SITE bzw. High-Rise-of-Homes-Projekt – seinem Begriff der Foam-City substituiert und deren Grundcharakter der urbanen Raumvielfalt als eine Form des städtischen Makro-Schaums beschrieben, der naturgemäß viele Züge des Diffusen aufweist.(43)
1 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, vol. 13, Vorlesungen über die Ästhetik I (Frankfurt/M: Suhrkamp, 1978), p. 151.
2 Norbert Schneider, Geschichte der Ästhetik von der Aufklärung bis zur Postmoderne (Stuttgart: Reclam, 1996), p. 86.
3 Charles Taylor, Hegel (Frankfurt/M: Suhrkamp, 1997), p. 617.
4 G. W. F. Hegel (1978a), p. 459.
5 G. W. F. Hegel, Werke, vol. 14, Vorlesungen über die Ästhetik II (Frankfurt/M: Suhrkamp, 1978), p. 320.
6 ibid., p. 318.
7 Charles Taylor (1997), p. 625.
8 G. W. F. Hegel (1978b), p. 113.
9 Johann Winckelmann, Anmerkungen über die Geschichte der Kunst des Alterthums (Dresden: 1767), p. 487; zit. n.: Ernst H. Gombrich, Kunst und Fortschritt (Köln: DuMont, 1978), p. 52.
10 Johann Winckelmann (1767), p. 236, zit. n. Ernst H. Gombrich (1978), p. 52.
11 vid. Beat Wyss, Trauer der Vollendung (München: Matthes & Seitz, 1989).
12 Heinrich Wölfflin, Kunstgeschichtliche Grundbegriffe (Basel, Stuttgart: Schwabe, 1984), p. 173.
13 ibid., p. 175.
14 ibid., p. 176.
15 ibid.
16 Werner Hoffmann, „Marsyas und Apollo“, in: Merkur, vol. 27 (Stuttgart, April/Mai 1973), p. 404.
17 Meinhold Lurz, Heinrich Wölfflin, Biographie einer Kunsttheorie (Worms: Werner, 1981), p. 240.
18 Es gibt bereits bei Plutarch eine Darstellung: Plutarch, De E apud Delphos, cap. IX, Moralia, p. 389 B; cf. Hermann Schmitz, System der Philosophie, vol. 3/4, Das Göttliche und der Raum (Bonn: Bouvier, 1977), p. 46.
19 Friedrich Nietzsche, „Streifzüge eines Unzeitgemäßen, §10“, in: Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke, Kritische Studienausgabe, vol. 6, Götzen-Dämmerung, Giorgio Colli und Mazzino Montinari (Eds.), (München Berlin: dtv de Gruyter, 1999), p. 117.
20 ibid.
21 Friedrich Nietzsche (1999), p. 117.
22 Alois Riegl, Spätrömische Kunstindustrie (Berlin: Mann, 2000), p. 401.
23 ibid., p. 36.
24 ibid., p. 39.
25 ibid., p. 44.
26 ibid., p. 49.
27 ibid., p. 50.
28 Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, vol. 3, Kritiken und Rezensionen (Frankfurt/M: Suhrkamp, 1991), p. 169.
29 Meinhold Lurz, Heinrich Wölfflin (1981), p. 240.
30 Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, vol. 4/1, Denkbilder (Frankfurt/M: Suhrkamp, 1991), p. 308.
31 ibid., p. 314.
32 vid. Christa Baumgarth, Geschichte des Futurismus (Reinbek: Rowohlt, 1966).
33 Sigfried Giedion, Bauen in Frankreich – Eisen, Eisenbeton (Leipzig Berlin: Klinckhardt und Biermann, 1928), p. 6; vid. auch p. 8.
34 vid. Sigfried Giedion, Die Herrschaft der Mechanisierung (Frankfurt/M: Athenäum, 1982).
35 Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, vol. 5/1, Das Passagen-Werk (Frankfurt/M: Suhrkamp, 1991), p. 161; vid. dazu: Manfred Russo, „Die Passage als Chronotopos, Geschichte der Urbanität Teil 13“, in: dérive, no. 19 (Wien, April/Juni 2005), p. 40.
36 Jean-François Lyotard, Immaterialität, Übersetzung Marianne Karbe (Berlin: Merve, 1985), p. 87.
37 vid. Anthony Dunne, Hertzian Tales (London: Royal College of Art, 1999).
38 Anthony Dunne, Fiona Raby, Design noir: the secret life of electronic objects (Basel: Birkhäuser, 2001), p. 6.
39 Mark Wigley, Constant’s New Babylon: the hyper-architecture of desire (Rotterdam: Witte de With, 1998), p. 13.
40 Auch Wolf D. Prix von Coop Himmelblau greift dieses Konzept auf: „Liquide Architektur ist eine Architektur mit integrierten Medien, die auf Bewegungen und Aktionen der Nutzer reagiert. Das kann durch den Transport des Gefühlslebens auf die Fassade geschehen, es können auch Bewegungen an einem Gebäude ablesbar werden.“, in: Christa Maar, Florian Rötzer (Eds.), Virtual Cities (Basel: Birkhäuser, 1997), p. 204.
41 Constant, „Eine Stadt für ein anderes Leben“, in: Der Beginn einer Epoche, Texte der Situationisten (Hamburg: Edition Nautilus, 1995), p. 81.
42 vid. Hermann Schmitz, System der Philosophie, vol. 3/2, Der Gefühlsraum (Bonn: Bouvier, 1969).
43 Peter Sloterdijk, Sphären, vol. 3, Schäume (Frankfurt/M: Suhrkamp, 2004), Kap. 2 C.

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