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TEC21 2008|05
Instrument LBP
TEC21 2008|05
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Ökologische Gesamtschau

Bauen ist immer auch ein Eingriff in die ökologischen und ästhetischen Charakteristika der Landschaft. Damit dieser Aspekt neben den technischen und funktionalen Anforderungen an ein Bauwerk nicht auf der Strecke bleibt, wurde das Instrument der Landschaftspfl egerischen Begleitplanung geschaffen. Ein Gespräch mit Joachim Kleiner, Professor für Landschaftsgestaltung an der Hochschule für Technik in Rapperswil.

28. Januar 2008 - Claudia Carle, Daniela Dietsche
TEC21: Könnten Sie erläutern, was die Aufgabe der Landschaftspfl egerischen Begleitplanung (LBP) ist?

Joachim Kleiner: Die LBP versteht sich als begleitender Beitrag zu einem Bauprojekt, sei es aus dem Hoch- oder dem Tiefbau, und behandelt die Themen Natur und Landschaft. Mit der LBP versucht man, eine ökologische und ästhetische Gesamtschau und Optimierung des Projekts zu erreichen. Idealerweise begleitet sie dieses durch alle Projektierungs- und Bauphasen. Das Wesentliche ist der frühe Beizug des Landschaftsplaners, damit man rechtzeitig die richtigen Entscheidungen fällen kann. Es gibt viele Beispiele von Strassenplanungen mit langer Projektierungsgeschichte, bei denen die gewählte Linienführung zur Zerschneidung von Lebensräumen führte und daher später teure Wildbrücken erstellt wurden. Hätte man im Rahmen einer LBP die Landschaft als Ganzes betrachtet, hätte man vielleicht eine Linienführung gefunden, bei der keine Wildbrücke nötig gewesen wäre.

TEC21: Im Zusammenhang mit Bauprojekten existieren im Bereich Umwelt und Ökologie viele verschiedene Begriffe. Wie kann die LBP gegenüber anderen Instrumenten, zum Beispiel der Umweltbaubegleitung (UBB) oder der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), abgegrenzt werden?

Joachim Kleiner: Die Frage zeigt ganz gut, wo das Problem liegt: Die verschiedenen Instrumente und deren Bezeichnungen führen auch bei vielen Fachleuten oder Auftraggebern zu Verwirrung. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass man mit der LBP versucht, schon bei der Variantendiskussion oder der Standortwahl in die Planung einzusteigen, während sich beispielsweise die UBB auf den eigentlichen Bauprozess konzentriert. Ein weiterer Unterschied ist, dass die LBP inhaltlich schmäler ist. Sie beschäftigt sich mit Natur und Landschaft, die eine qualitative Diskussion erfordern. Bei der UBB geht es dagegen um quantifi zierbare Aspekte wie Erschütterungen, Lärm, Staub et cetera und um das Einhalten der entsprechenden Grenzwerte. Die UVP betrachtet ebenfalls die gesamte Breite der Umweltaspekte. Sie ist aber in erster Linie eine Bewertung dessen, was projektiert wurde, und macht gegebenenfalls Aufl agen. Die UVP ist ab einer bestimmten Projektgrösse vom Umweltschutzgesetz vorgeschrieben. Grundsätzlich müssen sich aber auch kleinere Projekte nach denselben gesetzlichen Vorschriften richten wie UVP-pfl ichtige Projekte. Die LBP ist wie die Umweltbaubegleitung oder die ökologische Baubegleitung nicht gesetzlich verankert. Alle diese Instrumente haben bisher keinen normativen Charakter. Darinunterscheidet sich die Schweiz von Deutschland, wo die LBP – zumindest bei Strassenprojekten – gesetzlich vorgeschrieben ist.

TEC21: Wie lange gibt es die LBP in der Schweiz schon?

Joachim Kleiner: Dieser Begriff kommt aus Deutschland und wurde mit einer SIA-Dokumentation1 aus dem Jahr 2001 in der Schweiz eingeführt. Aber trotz des gleichen Begriffs ist die LBP in der Schweiz und in Deutschland inhaltlich nicht dasselbe. Wir legen Wert darauf, dass sich die LBP für sämtliche Landschaftseingriffe eignet, während sie in Deutschland nur beim Bau von Verkehrswegen angewendet wird.

TEC21: Wer entscheidet, ob eine LBP durchgeführt wird?

Joachim Kleiner: Die Verantwortung dafür liegt beim Auftraggeber. Bisher wird die LBP erst vereinzelt angewandt. Das liegt sicher auch an den vielen verschiedenen Instrumenten. Sie behindern sich gegenseitig, obwohl sie mit verschiedenen Schwerpunkten dasselbe Ziel verfolgen. Im Grossteil der Fälle, in denen heute LBP durchgeführt werden, sind Kantone, Gemeinden oder der Bund die Auftraggeber. Einige Deutschschweizer Kantone – vor allem der Kanton Aargau, aber auch Solothurn und Zürich– verlangen heute eine LBP. Oft fordert sie auch das Bundesamt für Umwelt.

TEC21: Bei welchem Anteil an Bauprojekten wird heute eine LBP durchgeführt? Joachim Kleiner: Das ist eine interessante Frage, aber da müsste man zuerst eine Recherche machen. Meines Wissens ist der Anteil bei Strassenbauprojekten im Kanton Aargau sehr hoch, in Zürich, Solothurn und Bern immerhin wahrnehmbar.

TEC21: Kommen wir nochmals zurück zu den Aufgaben der LBP. Sie sagten, es gehe um Natur und Landschaft, um eine ökologische und ästhetische Gesamtschau des Projekts.

Joachim Kleiner: Ja, Zielsetzung ist eine gesamtheitliche Betrachtung der Landschaft. Dazu gehört das Lesen und Begreifen der Ausgangslandschaft und von deren Charakteristika. Diese Charakteristika können ökologische oder gestaltgebende sein. Es geht dabei sowohl um Fauna und Flora als auch um die Sicht des Menschen, der die Landschaft wahrnimmt. Wenn dies geschehen ist, überlegt man sich, wie die Landschaft nach dem Eingriff aussieht.

TEC21: Und Ziel der LBP ist es dann, dass das neue Bauwerk diese Landschaft möglichst wenig verändert?

Joachim Kleiner: Oft ist es so, dass man einen möglichst unauffälligen Eingriff möchte. Das ist wie bei einer Tiefgarage, einem Tunnel oder einer Überdeckung – aus den Augen, aus dem Sinn. Wir können es uns fi nanziell leisten. Es gibt aber auch Eingriffe, die nicht unauffällig gestaltet werden können, diese müssen dann gut gemacht werden. Die Sunibergbrücke bei Klosters beispielsweise ist überhaupt nicht unauffällig, aber sie ist gut. Und sie tut der Landschaft gut. Der integrative Ansatz mag an vielen Orten richtig sein. Man legt zum Beispiel die Strasse etwas tiefer, damit die Ebene nicht zerschnitten wird. Aber an manchen Orten müssen wir die Strassen auch zeigen und mit dem Eingriff eine neue Landschaft entwickeln. In diesen Fällen ist gestalterische Kreativität gefragt. Unauffälligkeit führt nicht immer zur besten Lösung.

TEC21: Welchen Anteil der Kosten verursacht die LBP an den Gesamtbaukosten?

Joachim Kleiner: Grundsätzlich entstehen die Kosten nicht durch die LBP, von den Planungskosten einmal abgesehen. Die Kosten entstehen durch die gesetzlichen Auflagen.Das Umweltschutzgesetz und das Natur- und Heimatschutzgesetz schreiben vor, dass bei einem Eingriff für Ersatz oder Ausgleich ökologisch wertvoller Landschaftselemente gesorgt werden muss. Meiner Meinung nach sparen wir durch den frühzeitigen Einbezug der LBP Kosten: Flick- oder Reparaturlösungen sind immer teurer.

TEC21: Nach aussen entsteht oft der Eindruck, dass nur wegen einer Käferkolonie oder ein paar Feldhasen teure Lösungen in Kauf genommen werden müssen.

Joachim Kleiner: Das ist richtig, der Eindruck entsteht und wird leider zu wenig korrigiert. Wir reden hier von marginalen Beträgen, die durch diese Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen entstehen. Wenn ein neuer Amphibienstandort 100000 Franken kostet, ist das für eine Autobahn nicht viel. So viel kostet auch eine grosse Verkehrstafel. Wir bewegen uns da im Bereich des Kunstprozents. Es geht um die ethische Frage, wie viel uns Natur und Landschaft wert sind. Abgesehen davon hat das wie gesagt nichts mit LBP zu tun, sondern mit den gesetzlichen Vorschriften.

TEC21: Wo endet die LBP zeitlich? Und wie wird die langfristige Pfl ege fi nanziert?

Joachim Kleiner: Für Umgebungsarbeiten dauert die sogenannte Anwuchspfl ege zwei Jahre. In der Dokumentation gehen wir weiter als die normalen Garantiephasen: Wir sind der Meinung, dass es eine Erfolgskontrolle braucht. Hier gibt es ein Problem im System. Wenn ein Kanton eine Strasse baut, dann hat er ein Bauprojekt mit einer Finanzierung für die Realisierungszeit mit anschliessender Garantiezeit. Irgendwann wird die Rechnung abgeschlossen – dann ist die Landschaft aber noch nicht fertig. Also ist es ganz wichtig, sogenannte Pfl egekonzepte zu entwickeln, die an den Betreiber übergehen. Wenn man das Verursacherprinzip zu Ende denkt und das Problem korrekt lösen möchte, müsste man für die Finanzierung Geld auf die Seite legen. Bisher war so viel Geld vorhanden, dass sich immer eine öffentliche Kasse gefunden hat, um später anfallende Kosten zu decken. Mit der zunehmenden Kostenwahrheit, die bei der öffentlichen Hand gefordert ist, und mit diesen ganzen Spardiskussionen wird das ein Problem. Seit 20 Jahren werden Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen gefordert, da kommen Flächen zusammen, die etwas kosten.

TEC21: Wo sehen Sie zukünftigen Verbesserungsbedarf bei der LBP?

Joachim Kleiner: Das habe ich mich auch gefragt. Wir haben die Dokumentation geschrieben, und teilweise funktioniert das Instrument LBP jetzt. Aber eigentlich müsste man für einen grösseren Bekanntheitsgrad sorgen. Die LBP ist, im Vergleich zu Städtebau und Architektur, noch nicht zur Kultur geworden. Die Schweiz hat eine Kultur des Wettbewerbs entwickelt und damit eine gute Architekturqualität bekommen. Viele wichtige Bauten werden heute mit einem Wettbewerb gelöst. Bei der Landschaft ist das noch nicht so. Ich kann mir vorstellen, dass man bei grossen Projekten in eine ähnliche Richtung gehen muss. Meine Hoffnung ist, dass sich eine neue Kultur entwickelt, die die LBP als selbstverständlich ansieht. Die SBB haben etliche Brückenwettbewerbe für Teams bestehend aus Landschaftsarchitekten und Bauingenieuren ausgeschrieben. Ich fi nde, das ist ein guter Ansatz. Die Infrastruktur in der Schweiz wird weiter ausgebaut. Es wird darum gehen, die Landschaft attraktiv zu erhalten. Die Landschaft ist ein Standortfaktor, nicht nur für den Tourismus, sondern für die Lebensqualität grundsätzlich. Landschaftseingriffe können vieles kaputt machen, wenn sie nicht gut gemacht werden.

[ Joachim Kleiner, Professor für Landschaftsgestaltung, Hochschule für Technik in Rapperswil. Interview: Claudia Carle, Daniela Dietsche ]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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