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TEC21 2008|05
Instrument LBP
TEC21 2008|05
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Mehr als ein Feigenblatt

In der Praxis hat die Landschaftspfl egerische Begleitplanung (LBP) häufig einen schweren Stand und umfasst oft nicht viel mehr als die Begrünung des Bauwerks. Doch was braucht es, damit der Faktor Landschaft in Planung und Ausführung als gleichberechtigter Projektbestandteil behandelt wird?

28. Januar 2008 - Joachim Wartner
Die LBP ist als Planungsinstrument Teil der Projektierung eines Vorhabens. Je nach Projektart ist der Landschaftsarchitekt dabei federführend (z. B. bei Sportanlagen, Abbauund Rekultivierungsprojekten im Materialabbau, kleineren Fliessgewässern), oder er ist als begleitender FachpIaner im Planungs- oder Projektierungsteam vertreten, so in der Regel bei Bauten der Verkehrsinfrastruktur oder der Energieübertragung. Das Ziel bleibt unabhängig von der Rolle dasselbe: ein Bauwerk oder eine Nutzungsart ökologisch, funktional und gestalterisch optimal in Landschafts- und Siedlungsräume einzubinden. Ausgehend von einem umfassenden Landschaftsbegriff (vgl. Kasten) setzt sich die LBP auch mit den Qualitäten privater und öffentlicher Freiräume in der Siedlung und mit Aspekten der Ortsbildentwicklung auseinander, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Gestaltung von Lärmschutzbauten.

Dieser umfassende Ansatz in der Aufgabenstellung der LBP führt zu einer wichtigen Koordinationsrolle. Die LBP ist prädestiniert, schnittstellenübergreifend zu denken und gesamthafte Lösungen zu entwickeln. Dabei geht es um räumliche Schnittstellen (z. B. offene Landschaft – Baugebiet, Bauwerk – umgebendes Gelände), um fachliche Schnittstellen (zu Verkehrsplaner, Bauingenieur, Akustiker, Architekt, Geologe etc.), um funktionale Schnittstellen (Ökologie, Bodenhaushalt, Wasserhaushalt, Erholung, Kulturgüterschutz) und um administrative Schnittstellen (politische Grenzen, Projektgrenzen bei Aufteilung in Lose, Zuständigkeit verschiedener Fachstellen im Bereich Natur und Landschaft).

Frühzeitig einbeziehen

Wo verläuft die neue Strasse, die neue Hochspannungsleitung? Wo wird der Hochwasserschutzdamm des neuen Retentionsraumes platziert? In der Phase der strategischen Planung oder einer Planungsstudie mit Varianten besteht der grösste Handlungsspielraum, Konfl ikte frühzeitig zu erkennen und potenzielle Beeinträchtigungen für den Naturhaushalt und das Landschaftsbild zu vermeiden. Die Landschaftsverträglichkeit bei Standortentscheiden wird oft nur unzureichend geprüft und meist, ohne Landschaftsfachleute einzubeziehen. Bauliche Nutzungen ausserhalb des Siedlungsgebietes werden auf der Stufe der kantonalen oder regionalen Richtplanung festgelegt, wo andere Nutzungs- und Schutzinteressen meist grösseres Gewicht erhalten. Hinzu kommt in vielen Kantonen eine schwache Verankerung der Landschaftsentwicklung in der räumlichen Planung. Falls eine Standortentscheidung zu einem erheblichen Eingriff in einem landschaftlich hochwertigen Raum führt, wird in den meisten Fällen eine LBP verlangt, was impliziert, eine LBP könne jedes Projekt landschaftsverträglich machen. Dass dies nicht der Fall ist, liegt auf der Hand, aber die LBP kann ein Projekt an einem festgelegten Standort so optimieren, dass die Verträglichkeit mit der Landschaft und den ökologischen Eigenschaften entscheidend verbessert wird. In manchen Fällen kann sogar in Verbindung mit Massnahmen gemäss Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) Art.18b Abs.2 (siehe Kasten) eine ökologische und gestalterische Aufwertung der Gesamtsituation erzielt werden. Hierfür werden bereits in der ersten Planungsstufe die Weichen gestellt.

Schadensverhütung beginnt bei den Grundlagen

Weitere Voraussetzung für eine wirksame Strategie des «Vermeidens» ist eine sorgfältige Grundlagenerhebung. So muss zum Beispiel das lagegenaue Einmessen von Gehölzbe-ständen und Strukturelementen wie Trockenmauern Teil der ersten Vermessungsarbeiten durch den Projektingenieur sein. Dies erspart Nachmessungen und vor allem böse Überraschungen, wenn plötzlich ein gemäss Projektplan zu erhaltender Einzelbaum den notwendigen Geländeanpassungen entlang der neuen Strasse im Weg steht. Gleichzeitig sieht auch der projektierende Ingenieur die landschaftlichen Elemente von Beginn an auf seinem Grundlagenplan.

Eine projektbezogene, umfassende Bestandesaufnahme und Bewertung landschaftlicher und ökologischer Parameter, auch und gerade bei kleinen Eingriffsvorhaben, ist unverzichtbar. Der zu betrachtende Perimeter ist dabei abhängig vom zu erwartenden Einwirkungsbereich und kann für die einzelnen Schutzgüter Flora, Fauna/Lebensräume, Landschaft und Gewässer sehr unterschiedlich sein. Der Untersuchungsraum sollte grosszügig gewählt werden, denn dies lässt funktionale Zusammenhänge erkennen und schliesst gegebenenfalls den Einwirkbereich von Sekundärmassnahmen wie Anpassungen des Flurwegnetzes, Leitungen, Anlagen zur Abwasserbeseitigung ein, die oft erst in einer fortgeschrittenen Projektphase erarbeitet werden.

Sicher braucht es nicht für jedes kleine Projekt umfassende Geländeerhebungen, aber in der Regel liefern vorhandene Natur- und Landschaftsschutzinventare nur unvollständige und zum Teil veraltete Informationen. Betreffend Landschaftsbild sind projekt bezogene Erhebungen und Bewertungen der betroffenen Landschaft auf alle Fälle erforderlich, zumal wenn es um die Evaluation eines geeigneten Standorts geht. Bei der Bestandesaufnahme stellt sich für den beigezogenen Landschaftsarchitekten das Aufwandproblem, mit der Folge, dass in Konkurrenzsituationen hier oftmals wider besseres Wissen gespart wird. Eine angemessene Bestandeserhebung und Landschaftsbildanalyse kostet anfangs Geld und braucht Zeit, teilweise sogar bestimmte Zeiträume eines Jahres, um Vegetations- und Faunadaten zu erheben, unter Umständen auch mit beigezogenen Spezialisten. Daher auch hier ein Appell an die Projektträger: Je früher bei der Projektentwicklung an diese Erfordernisse gedacht wird, desto weniger «stören» diese den Projektablauf in zeitlicher und fi nanzieller Hinsicht. Das früh investierte Geld zahlt sich aus, weil nachträgliche Erhebungen oder aufwändige Projektänderungen reduziert werden.

Kann ein revitalisierter Bach die Hecke ersetzen?

Ist der Standort eines Vorhabens bestimmt, besteht die Aufgabe der LBP vor allem darin, das Gebäude oder die Anlage unter ökologischen und gestalterischen Gesichtspunkten zu optimieren. Die zwingend einzuhaltende Reihenfolge des planerischen Ansatzes lautet: zuerst alle Möglichkeiten ausschöpfen, unvermeidbare Beeinträchtigungen vermindern und einen bestmöglichen Schutz der Lebensräume, beispielsweise durch Absperrungen während der Bauphase, gewährleisten. Erst in einem weiteren Schritt geht es darum, die verbleibenden Beeinträchtigungen von schutzwürdigen Landschaften und Lebensräumen gemäss NHG durch Massnahmen zu kompensieren. Es wird dabei unterschieden zwischen Wiederherstellen und Ersetzen, und auch hier besteht eine Rangfolge: Erste Priorität hat die Wiederherstellung von zerstörten Lebensräumen an Ort und Stelle, zum Beispiel im Bereich von Flächen, die während der Bauphase benötigt wurden. Dabei ist zu beachten, dass eine funktionale Gleichwertigkeit gegeben ist und keine Beeinträchtigungen verbleiben. Diese Forderung ist in der Praxis nicht leicht umzusetzen: Eine nach der Bauzeit wiederhergestellte Hecke liegt jetzt am Rand der neuen Strasse. Die Gleichwertigkeit liegt nicht vor, da Zerschneidungseffekte die Vernetzungsfunktion herabsetzen und die Hecke beispielsweise für Vögel aufgrund der Vogelschlaggefahr weniger geeignet ist. Ist eine Wiederherstellung nicht oder nicht ausreichend möglich, werden Ersatzmassnahmen ergriffen. Für diese muss ebenfalls die funktionale und räumliche Bindung zum Ausgangslebensraum beachtet werden, es kann jedoch in begründetem und angemessenem Umfang davon abgewichen werden (z. B. Bachausdolung als Ersatz für eine Feldhecke), falls damit eine bessere ökologische und landschaftliche Gesamtwirkung erzielt wird. Entscheidend ist hier die erreichbare Qualität des Ersatzlebensraumes bezüglich Schutzwert und Integration in die Landschaft. Der zeitliche Faktor bleibt in den meisten Fällen unberücksichtigt. So kann eine junge Baumpfl anzung die ökologische und landschaftliche Gleichwertigkeit mit dem entfernten Altbestand erst nach etwa zwei bis drei Jahrzehnten erreichen. Die Bemessung der Art und des Umfangs der zu treffenden Kompensationsmassnahmen stellt ein grundsätzliches fachliches Problem dar, für das es verschiedene methodische Ansätze gibt,2 welche aber in der Praxis sehr unterschiedlich angewandt werden. Es ist festzustellen, dass bei der Festlegung der zutreffenden Massnahmen mangels wissenschaftlich ausreichend fundierter, nachprüfbarer und gleichzeitig praxistauglicher Methoden ein erheblicher Ermessensspielraum für die Fachplaner und die Bewilligungsbehörden besteht. Dies führt einerseits zu einer gewissen Ungleichbehandlung von Eingriffsvorhaben und zu einer oft nicht ausreichenden Berücksichtigung der Belange von Natur und Landschaft. Andererseits sind dadurch Spielräume vorhanden für fl exible und umsetzungsorientierte Massnahmenkonzepte, was angesichts der langen Planungszeiträume von Vorteil ist.

Bei Eingriffen, die mit erheblichen Veränderungen des Landschaftsbildes einhergehen, ist neben der Kompensation der ökologischen Beeinträchtigungen die gleichzeitige Auseinandersetzung mit dem Erscheinungsbild des Bauwerks und den neuen Terrainformen die zentrale Aufgabe der LBP. Zu Wiederherstellung und Ersatz tritt hier die bewusste Gestaltung des Bauwerks und des umgebenden Geländes. Die Haltung bei der Landschaftsgestaltung ist abhängig von der jeweiligen Situation und reicht von Verstecken über Einfügen bis zu Kontrastieren und kann auch eine umfassende Neugestaltung der Landschaft notwendig machen. Die daraus resultierenden Eingliederungs- oder Gestaltungsmassnahmen fl ankieren die ökologischen Massnahmen, im Idealfall berücksichtigen sie beide Funktionen integral. Die Gestaltung des Bauwerks selber bleibt jedoch unabhängig davon eine zentrale Aufgabe.

Sichern als Massnahmen

Die enge Zusammenarbeit zwischen Landschaftsarchitekt und Projektingenieur bzw. Architekt ist in allen Phasen erforderlich. Im interdisziplinären Planungsprozess ist beim Projekt frühzeitig und bis zum Ausführungsprojekt zu überprüfen, ob vorgeschlagene Massnahmen wie Pfl anzungen überhaupt machbar sind (Abstände, Leitungen etc.). Landschaftspfl egerische Massnahmen benötigen in der Regel dauerhaft fachgerechte Pfl ege, um die beabsichtigte ökologische oder gestalterische Funktion sicherzustellen (Zufahrt zu einem Wiesenstandort, Klärung der Zuständigkeit für den Unterhalt). Daher sind Pfl egeund Unterhaltsaspekte ebenfalls schon früh einzubeziehen, mit den Betroffenen zu besprechen und zu sichern. Alle Massnahmen der landschaftspfl egerischen Begleitplanungmüssen als gleichberechtigte Projektbestandteile einfl iessen. So ist beispielsweise die Pfl anzung eines Baumes so ernst zu nehmen wie eine Entwässerungsleitung oder eine Feuerwehrzufahrt, das heisst, im Bauprojekt darzustellen, zu genehmigen und zwingend zu realisieren. Für sämtliche Massnahmen muss spätestens zum Zeitpunkt des Bewilligungsprojektes klar sein, wie diese rechtlich gesichert werden, und es müssen entsprechende Vereinbarungen mit den Grundeigentümern vorliegen. Da ökologische Ersatzmassnahmen meist ausserhalb des engeren Projektperimeters liegen, besteht die Gefahr, dass sie im Landerwerbsplan vergessen werden – mit fatalen Folgen.

In der Realisierungsphase sollten Landschaftsfachleute damit beauftragt werden, die fachgerechte Ausführung der Begrünungsarbeiten und der ökologischen Massnahmen zu überwachen sowie die Gestaltung zu begleiten. Dies ist gerade bei kleineren und mittleren Eingriffen zu wenig der Fall, mit der Folge, dass landschaftspfl egerische Massnahmen nur ungenügend umgesetzt werden – ein Problem, das durch mangelnde Vollzugsaufsicht der Behörden verschärft wird.

Doch was geschieht mit den landschaftspfl egerischen Massnahmen nach der Schlussabnahme? Vorausgesetzt, es sind alle Massnahmen gemäss bewilligtem Projekt gebaut bzw. umgesetzt worden, so bleibt immer noch die Frage: Erreichen die realisierten Massnahmen die mit ihnen bezweckten ökologischen und gestalterischen Zielsetzungen? Und in welchem Zeitraum? Die hierfür erforderlichen, an naturschutzfachlichen und landschaftsgestalterischen Zielen ausgerichteten Unterhalts- und Pfl egepläne sowie die Erfolgskontrolle sind bislang in nur wenigen Projekten verankert. In Projekten, die nicht UVPpfl ichtig sind und keiner obligatorischen Umweltbaubegleitung (UBB) unterstehen, ist diesbezüglich ein grosses Manko festzustellen. Hier fehlen in der Regel fi nanzielle und personelle Ressourcen. Ein weiteres Problem ergibt sich, falls die Erfolgskontrolle zeigt, dass die Zielerreichung der Massnahme mangelhaft ist. Nachbesserungen wären in diesem Fall angezeigt; aber wer bezahlt diese? Ein erster Schritt wäre sicher, dass die Pfl icht des Verursachers zur Erfolgskontrolle und zur Umsetzung allenfalls notwendiger nachträglicher Massnahmen Teil der Bewilligungsaufl agen wird.

[ Joachim Wartner, Dipl.-Ing. TUB Landschaftsarchitekt BSLA / SIA ]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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