Zeitschrift

TEC21 2008|11
Werkstoff Holz
TEC21 2008|11
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Kunst der Künstlichkeit

Seit den Anfängen ihres gemeinsamen Architekturbüros beschäftigen sich Marianne Burkhalter und Christian Sumi mit Holz. Vom kostenoptimierten Elementbau über raffinierte Fassadenverkleidungen bis hin zu Inneneinrichtungen aus modernen Holzwerkstoffen setzen sie sich mit fast allen Facetten des vielseitigen Materials auseinander. 2007 wurden sie im Rahmen von holz21, dem Förderprogramm des Bundesamtes für Umwelt (Bafu), für ihr bisheriges Werk ausgezeichnet.

10. März 2008 - Judit Solt
Holz ist ein natürlich gewachsenes Material, und mit ihm wächst auch die Vielfalt seiner architekturtheoretischen Deutungen. Mancher Baustoff wird seit Jahrhunderten immer wieder ähnlich bewertet: Marmor verkörpert kostbare Erhabenheit, Stahl industriellen Fortschritt. Holz dagegen weist eine breite Palette möglicher Interpretationen auf. Spätestens im 18. Jahrhundert avancierte es zum Inbegriff urtümlicher Rustikalität. Vitruv hatte die Ursprünge der menschlichen Bautätigkeit noch in drei unterschiedlich materialisierten Behausungstypen – Laubdächer, künstliche Höhlen und Gebilde aus Lehm und Zweigen – geortet und die Entstehung der Baukunst auf die Konkurrenz zwischen diesen Konstruktionstechniken zurückgeführt.[1] Im Gegensatz dazu war die Urhütte des Abbé Laugier ein reiner Holzbau: vier im Quadrat angeordnete, in die Erde gerammte Äste, vier weitere als horizontale Verbindung und ein Satteldach. Daraus hätten sich mit Säulen, Gebälk und Giebel die wesentlichen Bestandteile des dorischen Tempels entwickelt.[2]

Von der Urhütte zum Nullenergiehaus

Hundert Jahre später wies Gottfried Semper diese Theorie zwar dezidiert zurück, lokalisierte aber seinerseits die Anfänge des Bauens im «aus Pfählen und Zweigen verbundenen und verflochtenen Zaun» – und damit in einer anderen Form des Holzbaus. Er betonte, dass technische Ausdrücke wie «Decke, Bekleidung, Schranke, Zaun (gleich mit Saum)» auf den textilen Ursprung dieser Bauteile hinwiesen.[3] Moderne Theoretiker wiederum haben hervorgehoben, dass in der englischen Sprache des Mittelalters die Begriffe «timber» und «house» Synonyme waren und dass auch das deutsche Wort «Zimmer» dieselbe Wurzel habe. Demnach verweise Holz nicht nur auf ein Material, sondern auf das Wohnen schlechthin – eine Interpretation, die in der weit verbreiteten Meinung, Holz sei gemütlich, ihre volkstümliche Bestätigung findet. Von der Urhütte des «guten Wilden» bis zum heutigen Ikea-Interieur signalisiert Holz unkomplizierte, einfache Natürlichkeit. Gleichzeitig steht es aber auch für das Gegenteil: Kostbare Furniere, lackierte Preziosen, Edelhölzer, Schnitzereien und Intarsien sind bis heute Luxuserzeugnisse geblieben. Die geschwungenen Rokokomöbel im Schloss von Versailles ebenso wie die in den 1990er-Jahren schon fast obligaten Ahorn-Wandverkleidungen in Schweizer Bankfilialen sollen nicht Gemütlichkeit, sondern Exklusivität ausstrahlen.

Bei den Exponenten der frühen Moderne löste der Baustoff Holz zwiespältige Reaktionen aus. Einerseits kam er den Forderungen nach Materialgerechtigkeit, Modularität, menschlichem Massstab, Rationalisierung, Standardisierung und Vorfabrikation entgegen. Als organisch gewachsener Baustoff weist Holz Materialeigenschaften auf, die seine Anwendungsbereiche weitgehend vorgeben: Die Belastbarkeit längs zur Faser ist gross, quer zur Faser dagegen klein, der Wuchs des jeweiligen Baumes bestimmt den Massstab der Bauteile, für deren Herstellung sich eine standardisierte Vorfertigung geradezu anbietet. Traditionelle Fügungstechniken – Dübel, Keile, Federn, Schwalbenschwänze – erfordern eine hohe Präzision im Detail, das Postulat nach einer Ablesbarkeit der Konstruktion ist naturgemäss erfüllt. Andererseits lässt der Holzbau nur bedingt jene Abstraktion zu, die Le Corbusier für sein «jeu savant, correct et magnifique des volumes» postuliert.[4] Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson empfehlen denn auch entgegen aller konstruktiven Logik, bei Holzverkleidungen möglichst alle Überlappungen, Fugen und Umrahmungen zu vermeiden, weil diese die Kontinuität der Oberfläche unterbrechen könnten.[5]

Die Verunsicherung, die diese Mehrdeutigkeit auslöst, ist bis heute spürbar. Holz steht für das Urtümliche, Traditionelle, Natürliche, aber auch für kunstvolle Fügung und perfekte Detaillierung. Es gilt als «ehrliches» Material, bei dem sich Form und Konstruktion gegenseitig bedingen; in einer Zeit des formalen Reichtums – und zuweilen auch der Beliebigkeit – ist die Versuchung, die Form durch die Konstruktion gleichsam legitimieren zu wollen, zweifellos gross. Gleichzeitig ist Holz aber auch das Material der Anstriche und Abdeckleisten, die jeder «unverfälschten» formalen Radikalität zuwiderlaufen; in dieser Hinsicht ist es ein Material der Kompromisse. Seine Interpretationen sind widersprüchlich, häufig emotional bedingt und meist moralisch konnotiert. In den letzten Jahren ist ein zusätzlicher Aspekt hinzugekommen: Als nachwachsender Rohstoff, der zudem CO2 bindet, wurde Holz als ökologisch sinnvolles Baumaterial wiederentdeckt. Industrielle Holzwerkstoffe mit homogenisierten Materialeigenschaften, Fortschritte im Bereich mehrgeschossiger Konstruktionen und neue Oberflächenbehandlungen bieten fast unbeschränkte Einsatzmöglichkeiten, die Holz zu einer attraktiven Alternative zu Stahl oder Beton machen. Doch auch bei diesem scheinbar rationalen Umdenken macht sich eine moralische Komponente bemerkbar – etwa, wenn Holz in «ökologischen» Bauten trotz vergleichsweise schlechter Wärmespeicherkapazität als thermischer Puffer eingesetzt wird.

Variationen in Rot

Die Auseinandersetzung mit den kulturellen Referenzen, Materialeigenschaften und technischen Möglichkeiten von Holz prägt die Entwürfe von Marianne Burkhalter und Christian Sumi seit den Anfängen ihrer Zusammenarbeit in den 1980er-Jahren. Dabei nehmen sie sich immer wieder die Freiheit heraus, gewohnte Wahrnehmungsmuster über den Haufen zu werfen: Ihre Annäherung an das Material ist von einer sorgfältig durchdachten Freude am Experiment geprägt. Auch wenn gewisse Themen regelmässig wiederkehren, ist doch die räumliche, akustische, taktile und visuelle Wahrnehmung des Holzes stets auf die jeweilige Bauaufgabe zugeschnitten. Im Folgenden soll anhand verschiedener Projekte von Burk­halter Sumi ein Aspekt hervorgehoben werden, dem sie seit je besondere Aufmerksamkeit widmen: die Beschaffenheit der Oberfläche.

Bereits einer ihrer ersten Bauten, der Forstwerkhof in Turbenthal (1993), hat mit seiner feinfühligen Dialektik von Natur und Künstlichkeit für Aufsehen gesorgt (Bild 1). Er beruht auf einem Holzbausystem, das die Architekten im Auftrag des Hochbauinspektorats Zürich für vier Werkhöfe des Forstamtes entworfen hatten. Der Baukasten besteht aus drei Teilen, die je nach Topografie und betrieblichen Anforderungen zusammengesetzt werden können: einem Administrationstrakt, einer Garage und einer offenen Halle. Letztere besteht in Turbenthal hauptsächlich aus einem grossen Dach, unter dem der Waldboden als Chaussierung weiterläuft. Getragen wird es von grob entrindeten Stämmen in bester Laugier-Tradition; allerdings sind sie nicht in den Boden gerammt, sondern stecken, dem zeitgenössischen Stand der Technik entsprechend, in Stahlschuhen. In Kontrast dazu steht die präzise, rot gestrichene Ausfachung aus horizontalen Brettern, ein diskretes Bekenntnis zur textilen Wand Gottfried Sempers. Beim Dach durchstossen die Unterspannungen der stählernen Träger die abstrakt wirkende, ebenfalls rote Holzuntersicht. Diverse Schattierungen dieses Rots tauchen in späteren Projekten von Burkhalter Sumi wieder auf. Der Erweiterungsbau des Hotels Zürichberg in Zürich (1995, Bild 2), der Pavillon Wildpark Langenberg in Langnau am Albis (1998), das Laubenhaus in Laufenburg (1996, Bild 3) oder die Wohnhäuser an der Wehrenbachhalde in Zürich (2004, Bild 4) sind nur einige Beispiele für das Wiederkehren einer Farbe, die zuweilen als Markenzeichen der Beiden betrachtet wird. Dabei beruht sie auf einer langen Tradition; das Ochsenblutrot historischer Fachwerkhäuser hat sich über die Jahrhunderte so weit zur Konvention etabliert, dass ausgerechnet dieser künstliche Anstrich als «natürlich» empfunden wird.

Täuschungen und Verfremdungen

Doch Burkhalter Sumi beschränken sich keineswegs auf Bekanntes. Ihre Frage nach der adäquaten Oberflächenbehandlung des Holzes ist immer auch eine Frage nach dessen hybridem Charakter als Natur- und Kunstprodukt: Dass Holz in aller Regel einen Witterungsschutz braucht, hat zwar mit seiner natürlichen Beschaffenheit zu tun, doch die vom Anstrich gebildete äusserste Haut ist immer eine künstliche. Die direkt am Zürichsee gelegene Wohnüberbauung Ziegelwies in Altendorf (2002, Bild 5) ist in einem matten Grün gestrichen, das einerseits Assoziationen an Bootshäuser weckt, anderseits in einem Spannungsverhältnis zur umgebenden Vegetation steht. Leuchtend grün dagegen sind die Holzstützen, die die Terrasse des Restaurants «Rigiblick» in Zürich (2006, Bild 6) tragen: Gerade in unmittelbarer Nachbarschaft zum Wald erscheinen sie besonders artifiziell.

Einen speziellen Verfremdungseffekt erproben Burkhalter Sumi mit metallfarbigen Anstrichen, mit denen sie seit einigen Jahren – nicht nur in Zusammenhang mit Holz – experimentieren (vgl. TEC21 44/2003, Dossier Farbe). Ein frühes Beispiel ist die selbsttragende Ständerholzfassade des Expo-Pavillons Onoma in Yverdon-les-Bains (2001, Bild 7): Die gefaltete, glänzende Oberfläche ist mit einer umgekehrten Drehkartei, einem Akkordeon oder einem plissierten Seidenstoff verglichen worden. Die Deckenstirnen der Wohnüber­bauung Ziegelwies, die Fensterumrahmungen des Holzpavillons beim Stockalperpalast in Brig (2002, Bild 8) reflektieren das Licht; je nach Sonnenstand treten sie in den Vordergrund oder lösen sich optisch auf. Beim Doppelwohnhaus in Küsnacht (2002, Bild 11) kommt eine weitere Steigerung des Verfremdungseffektes hinzu: Das ganz in Silber gehaltene Gebäude evoziert jenen silbrig schimmernden Grauton, den unbehandelte Holzfassaden mit der Zeit annehmen; die Oberflächenbehandlung erweist sich als Verwandte eines durch Witterungseinflüsse herbeigeführten Urzustands. Ein bemerkenswertes Pendant bildet ein Einfamilienhaus in Erlenbach (2005, Bild 12): Die feingliedrige Holzlattung der Fassade wirkt naturbelassen, ist aber als Schutz gegen Alterungsprozesse mit einem durchsichtigen Nano-Anstrich behandelt und entpuppt sich damit als Hightech-Produkt.

Innenräume

Im innenarchitektonischen Bereich schliesslich lösen sich die Grenzen zwischen Natur und Künstlichkeit vollends auf. Gerade im Innenausbau bieten sich Holzwerkstoffe als vergleichsweise günstige, homogene und einfach zu bearbeitende Materialien an. Nicht zuletzt aus Kostengründen herrschen furnierte Spanplatten oder gespritztes MDF vor, während Naturholz allenfalls als Parkett zum Einsatz kommt. Die Gestaltungsfreiheit, die zeitgenössische Holzbearbetungstechniken mit sich bringt, nutzen Burkhalter Sumi, um atmosphärische Wirkungen zu generieren. Das Restaurant und Bar «Werd» in Zürich (2007, Bild 10) leuchtet in Grün und Rot; im Gegensatz dazu lassen schwarze und platinfarbene Einbauten in einem soeben bezogenen Loft in Zürich (Bild 9) die Raffinesse des bürgerlichen Wohnens in moderner Form wieder auferstehen. Zelebriert wird nicht das Material, sondern die Raumstimmungen, die dank seiner diversen Aggregatzustände erzeugt werden können. «Letztlich geht es um den stilsicheren Umgang mit Oberflächen», bemerkt Christian Sumi – und bezieht sich ungeachtet aller modernen Polemiken auf Gottfried Semper.
Anmerkungen
[1] Vitruv: Zehn Bücher über Architektur. Wiesbaden 2004, S. 52
[2] Marc-Antoine Laugier: Essai sur l’architecture. Erste Veröffentlichung 1753 (anonym)
[3] Gottfried Semper: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten. 1860/1863, Einleitung, §1 bzw. §62
[4] Le Corbusier: Vers une architecture. Paris 1995, S. 16
[5] Henry-Russell Hitchcock, Philip Johnson: Der Internationale Stil. 1932, hrsg. von Ulrich Conrads, Braunschweig-Wiesbaden 1985

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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