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Verlag: Verlags-AG

Max Vogt, SBB-Architekt

Wer in der Ostschweiz Zug fährt, kennt seine skulpturalen Bauten aus rohem Beton: das Zentralstellwerk Zürich, die Bahnhöfe im Limmattal, an den Zürichseeufern und bis hinauf nach Landquart und an den Bodensee.

13. Mai 2008 - Ruedi Weidmann
Max Vogt prägte von 1957 bis 1989 als SBB-Architekt die Bahnarchitektur im damaligen SBB-Kreis III und das Corporate Design der SBB. Wie viele Bauten er realisiert hat, weiss niemand. Die wichtigsten davon sind hervorragende Zeugen der «Nachkriegsmoderne» und Denkmäler der Schweizer Baukultur im 20. Jahrhundert. Doch sie sind in Gefahr – weil die Bahn in Bewegung ist. Max Vogt wirkte von 1957 bis 1989 in der Sektion Hochbau der SBB-Kreisdirektion III in Zürich als leitender Architekt, ab 1974 als Sektionschef. Zuvor hatte er 1945–49 an der ETH Zürich bei Friedrich Hess, William Dunkel und Hans Hofmann studiert und danach bei Robert Winkler in Zürich und bei Walter Belart und Hermann Frey in Olten gearbeitet. 1957 meldete er sich auf ein Stelleninserat der SBB.

Mit rund zwanzig Angestellten funktionierte die Sektion Hochbau wie ein Architekturbüro. Sie realisierte rund vierzig Projekte pro Jahr. Als Vogt seine Arbeit aufnahm, hatten die SBB seit Jahren keine architektonisch richtungsweisenden Bauten mehr erstellt. Die Architektur orientierte sich an Konventionen, die schon lange nicht mehr reflektiert worden waren. Seit Mitte der 1920er-Jahre hatten die SBB kaum gebaut, ja nicht einmal die zur Substanzerhaltung ihrer Anlagen nötigen Investitionen getätigt. Das Geld floss vor allem in die Elektrifizierung. Nach dem Krieg bestand deshalb grosser Erneuerungsbedarf; gleichzeitig verdoppelte sich von 1945 bis 1965 der Bahnverkehr. Doch erst zwischen 1955 und 1965 verdreifachten die SBB die Investitionen, nachdem der Bundesrat die gesetzliche Investitionsbeschränkung gelockert hatte. Nun wurden Knotenpunkte erweitert, neue Grenzrangierbahnhöfe erstellt, zahlreiche Strecken auf durchgehende Doppelspur ausgebaut und die Bahnhöfe entsprechend angepasst; neue Stellwerke erhöhten Kapazität und Sicherheit. Die Bauprojekte der Sektion Hochbau waren meist Teil dieser grösseren Programme; Max Vogt übernahm als leitender Architekt sämtliche Neubauten.

Spielräume und Systemzwänge

Bahnbauten waren gewissermassen «exterritorial»: Soweit sie dem Betrieb und der Sicherheit des Bahnverkehrs dienten, galten kommunale Zonenpläne und Bauvorschriften auf Bahnarealen nicht. Nur Bauten oder Bauteile, die nicht Betrieb und Sicherheit dienten, etwa Wohnungen, blieben den Baugesetzen unterworfen und benötigten eine Baubewilligung der Gemeinde. Diese Freiheit des SBB-Architekten wurde allerdings durch technische und bürokratische Zwänge des Grosssystems Bahn eingeschränkt. Die SBB machten zwar keine Stilvorgaben, doch aus Sicherheitsgründen war das Bauen am Gleis reglementiert. Das betraf etwa äussere Abstände, aber auch Innenräume: Die Angestellten eines Bahnhofs verfügten über festgelegte Instrumente, die an vorgeschriebenen Plätzen standen. Sogar die Schubladeneinteilung der Pulte und Schalterkorpusse war normiert, damit «Ambulante» (Ablöser) oder im Notfall einspringende Beamte sich sofort zurechtfanden und die Arbeit aufnehmen konnten. Im Prinzip galt eine gewisse Normierung auch für die Wohnungen. Das Karrieremodell der SBB sah vor, dass die Beamten oft versetzt wurden. Weil ihr Hausrat in jede Dienstwohnung passen musste, durften diese keine ungewöhnlichen Grundrisse aufweisen.

Max Vogts Vorstellung von Architektur gab während seiner gesamten Zeit beiden SBB Anlass zu Konflikten. In seiner Auffassung bildeten Gebäude, Vorplatz, Unterführung, Perronaufbauten, Perrondächer und Beleuchtung eine gestalterische Einheit. Doch eine solche Gestaltung stand quer zur Verwaltungsstruktur der SBB. Die Bauabteilung des SBB Kreises III umfasste neben Vogts Sektion Hochbau sechs weitere Sektionen. Für Planung und Bau der Perrondächer war die Sektion Brückenbau zuständig, für Unterführungen die Sektion Tiefbau, für die Beleuchtung der Gebäude die Sektion Niederspannung und Fernmeldewesen. Die Sektion Fahrleitung platzierte die Fahrleitungsjoche. Die Gestaltung der Aussenräume geschah in Zusammenarbeit mit dem Sachbearbeiter für Strassenverkehrsfragen in der Betriebsabteilung. Die unterschiedlichen Prioritäten der Sektionen waren schwer unter einen Hut zu bringen. Die Kompetenzbereiche waren klar definiert. Eine übergeordnete Rolle des Architekten war nicht vorgesehen. Mit seinen Gesamtentwürfen frass Vogt auf allen Seiten über den Zaun. Das löste Widerstand aus, Vogt galt als Enfant terrible der Bauabteilung. Doch sein Vorgesetzter, Sektionschef Max Fehr, half ihm, seine Bauten zu realisieren. Ohne diese Unterstützung wäre Vogts Schaffen beiden SBB wohl nie fruchtbar geworden. Aber auch von Vogt selbst war viel Überzeugungsarbeit gefragt und manchmal eine gute Portion Sturheit.

Vogt nahm unterschiedlich stark Einfluss auf die Projekte; nicht alle interessierten ihn gleichermassen. Er verteilte die Aufgaben unten den Angestellten, je nachdem, was er ihnen zutraute. Bei weit entfernten Stationen betraute er oft lokale Privatarchitekten mit der Ausführung und machte nur das Vorprojekt selber. Wegen dieser Entwurfspraxis ist Vogts Handschrift an den Bauten der Sektion Hochbau unterschiedlich deutlich, und sein Werk wird deshalb wohl nie eindeutig eingegrenzt werden können. Immerhin ist seine Autorschaft in zahlreichen Fällen belegt. In seinem vor allem in den 1960er- und 70er-Jahren entstandenen Werk finden sich Aufnahme- und Nebengebäude, Güterschuppen und Wohnungen, Stellwerke, Lokremisen, Unterwerke und viele Kleinbauten – die meisten aus Beton, aber auch Hallen aus Stahl und Landbahnhöfe aus Backstein und Holz.

Ölkrise, Denkmalschutz und die Neuerfindung der Bahn

1974 wurde Vogt zum Sektionschef befördert. Danach fand er nur noch selten Zeit zum Entwerfen und musste das Ausführen anderen überlassen; er beschränkte sich auf Vorprojekte und Bauten, die ihm besonders wichtig waren. Gleichzeitig veränderten gesellschaftliche Umbrüche die Rahmenbedingungen für die Sektion Hochbau. Ölkrise und Rezession knickten die Wachstumseuphorie der Hochkonjunktur; auch die Einnahmen der SBB sanken. Das plötzliche Bewusstsein von der Endlichkeit der Ressourcen, der Zerstörung der Natur und der Unwirtlichkeit der Städte zerbrach Gewissheiten, löste politische Unsicherheit und Identitätskrisen aus, verschob Wahrnehmungen, Weltbilder und Werte.

Für die Bahn wurde die Krise zur Chance; sie erfand sich quasi neu. In Zürich entstand das erste S-Bahn-Netz der Schweiz. Max Vogt musste vor allem koordinierende Aufgaben in grossen Projekten übernehmen: Unter seiner Leitung wurde 1976–1980 in Zürich das Aufnahmegebäude von Jakob Friedrich Wanner von 1871 restauriert. Die Bahnhöfe wurden komplexer. Der Flughafen Kloten wurde unterirdisch ans Bahnnetz angeschlossen, im Hauptbahnhof Zürich musste der unterirdische S-Bahnhof Museumsstrasse integriert werden. Bei rasch wachsenden Pendlerzahlen wurde die Kommerzialisierung der Bahnhöfe zum Programm; der «Knoten Zürich» wurde durch verschiedene Privatarchitekten zu einem Shopping- und Dienstleistungszentrum ausgebaut. Vogt musste eine ganzheitliche Gestaltung sicherstellen. Seine Sektion Hochbau organisierte nun vermehrt Wettbewerbe, etwa jenen für den Bahnhof Zürich Stadelhofen, der zum Neubau durch Santiago Calatrava führte. 1989 wurde Max Vogt pensioniert. Er war der letzte bauende SBB-Architekt. Seit 1996 unterliegen die SBB den Vorschriften über das öffentliche Beschaffungswesen und müssen Architekturaufträge ausschreiben.

Poetischer Funktionalismus?

Vogts Werk lässt sich in drei Phasen einteilen: Auf einige frühe, eher feingliedrige Kompositionen wie den Bahnhof Effretikon und das Ablaufstellwerk Buchs SG, in denen jedoch alle späteren Qualitäten bereits angelegt sind, folgt die «Reifeperiode» mit ausdrucksstarken, schweren Betonskulpturen wie dem Zentralstellwerk Zürich, den Bahnhöfen Killwangen- Spreitenbach, Altstetten und zahlreichen Bahnhöfen an den beiden Zürichseelinien. Die Bauten nach 1974 sodann können nur noch teilweise an diese Qualitäten anschliessen, etwa die rund dreissig Gebäude im Rangierbahnhof Limmattal oder der Bahnhof Schwerzenbach. Nun häufen sich Verunklärungen in Formensprache und Materialisierung, die Konstruktionen werden sichtbarer, die Körper lösen sich teilweise auf. Dies betrifft allerdings vor allem die Ausführung, die Vogt nun abgeben musste, und nicht die Funktionalität und Klarheit der räumlichen Organisation auf der Ebene der Vorprojekte, die er weiterhin selber machte. Vorsicht ist bei dieser vorläufigen Einschätzung angebracht, weil zahllose nachträgliche Veränderungen, die oft wenige Jahre nach Fertigstellung einsetzten und deshalb nicht immer sofort als solche erkennbar sind, viele Bauten beeinträchtigen.

Vogts Architektur hat ihre Wurzeln in der modernen Architektur der 1920er- und 30er-Jahre und im Werk Le Corbusiers nach 1945. Vogts Bauten sind Kompositionen aus reduzierten, ineinandergeschobenen Körpern. Die Volumen sind möglichst rein. Die rohen Formen sind vom rechten Winkel dominiert, ohne Details, spröd und rau. Die Wände sind fugenlos, die Konturen hart, die Kanten scharf, ohne Kanthölzer betoniert. Die Fassaden wirken sehr grafisch, vor allem durch die scharfen Schatten tiefer Einschnitte, Vor- und Rücksprünge. Die von Vogt selber ausgeführten Betonbauten sind ausnahmslos monolithisch betoniert. Eine gewisse Verwandtschaft zum britischen «New Brutalism» um 1960 besteht in der Verwendung des rohen Betons, nicht aber in Bezug auf die Transparenz der Konstruktion: Vogt integrierte die Tragstrukturen in die Baukörper.

Aus der Ferne wirken die Betonbahnhöfe hermetisch, undurchdringlich, erinnern an Felsen oder gar Bunker. Doch betritt man sie, überrascht ihre überdurchschnittliche Funktionalität. Eingang, Schalter oder Toiletten findet man auf Anhieb. Es ist hell, wo es Licht braucht, offen, wo man passieren muss, weit, wo Platz gefragt ist. Für Vogt musste ein Bahnhof funktionieren wie ein Uhrwerk. Die einfachen, sauberen Entwürfe sind bis ins Detail durchgezogen; es gibt keinen Sicherungskasten, keinen Blechdeckel, der nicht Teil der Komposition wäre. Vogt entwarf Brunnen und Pflanzentröge aus Beton, Möbel und Leuchten. Es waren immer etwa dieselben, sehr einfachen Formen.

So funktional die Räume sind, ihr Ausdruck erschöpft sich keineswegs im Rationalen. Immer schwingt noch anderes mit – raffinierte Raumverschränkungen, vielfältige Lichteinfälle, überraschende Formen, formale Spannung, ein witziges Spiel mit Mass und Masse. Eine Klassifizierung Vogts als Funktionalist würde die Bedeutung des freien Gestaltens, die skulpturalen Qualitäten und damit gerade das Spezielle an seiner Architektur ausser Acht lassen. Ein angenehmes Raumgefühl rechnete er zu den Bedürfnissen, welche die Bauten zu erfüllen hatten. Für die Wirkung der Räume, ihre Proportionen und Verhältnisse zueinander sowie die Wirkung des Lichts auf das Wohlbefinden der Benutzer galten alte Regeln. Zum Beispiel die, dass man ein Gebäude lieber betritt, wenn auf eine kleine Vorhalle ein grösserer Raum folgt und wenn keine Säule oder Wand im Weg steht. So führen seine Eingänge oft auf ein Fenster zu.

Die Bauten weisen keine durchgehenden Raster auf; Ordnungen bleiben lokal, auf ein Fensterband oder eine Stützenreihe beschränkt. Das Platzieren von Fenstern oder die Einteilung von Stahl-Glas-Fassaden an Schalter- und Wartehallen geschah in freier Gestaltung. Wichtiges Hilfsmittel war der Goldene Schnitt. Doch vieles, was nach freier Gestaltung aussieht, ist bei Vogt noch von einer Funktion abgeleitet. Ein schmales, hochrechteckiges Fenster ist nicht einfach ein formales Element zur Fassadengestaltung, sondern funktional begründet durch ein bestimmtes Licht, das es im Innenraum bewirken muss. Wohn-, Schlafoder Durchgangsräume erhielten deshalb verschiedene Fenster. Vogt gelang es, diesen Nutzen im Inneren mit der angestrebten starken Wirkung gegen aussen zu verbinden.

An Vogts Bahnhöfen war vieles neu – neben Formen und Material auch die Typologie. Die Kompaktheit alter Landbahnhöfe ist aufgelöst, die Funktionen nach Betriebsabläufen, Lärmschutz, Besonnung und örtlichen Bedingungen gegliedert, zum ersten Mal beim Bahnhof Effretikon von 1961. Hier ist der Wohntrakt um 90 Grad vom Bahnlärm weg- und der Sonne zugedreht. Er schwebt aufgeständert über Aufnahme- und Nebengebäude, zwischen denen so eine vier Meter hohe Halle mit gedeckter Vorfahrt entsteht. Die Dachterrassen der Maisonettewohnungen mit Sicht in die Alpen und ein begrüntes Atrium für die Aufenthaltsräume des Personals waren für die SBB revolutionär.

Gesten am Gleis

Zum Entwurfsprozess gehörte für Vogt auch das Ordnen von Funktionen der Umgebung. Abgesehen von der Organisation des Verkehrs betraf das auch ästhetische, städtebauliche Bedürfnisse. Vogt sagt dazu: «Die Strassenseite ist ein räumlich gefasster Platz, die Gleisseite ein linearer Raum ohne sichtbare Enden. Dazwischen steht der Bahnhof – man muss ihn anbinden! Er darf nicht davonfahren! Man muss ihn am Ort, im gefassten städtischen Raum verankern. Wenn es keinen festen Ort gibt, muss man einen schaffen, an dem der Bahnhof verankert ist, damit er an der Gleislinie ein Zeichen, einen Haltepunkt markieren kann.»2 Diese Geste, den Haltepunkt zu markieren, machen Vogts Bahnhöfe auf verschiedene Arten: mit einem Querbau (Effretikon, Buchs SG), einem Tor als Ortseingang (Oberrieden), einer Erhöhung in der Dachkante (Dietlikon) oder einem Kamin als Vertikalakzent (Seebach). Auf der Gleisseite betonen die Bauten die Linearität des Raums. Die Vordachkante von Aufnahmegebäude, Nebengebäude und Güterschuppen bildet eine einzige dynamische Linie mit vertikalen Versätzen, die auf Passagen, Eingänge und Tore weisen.

Vogts Bauten halten stand: im wörtlichen Sinn der starken Beanspruchung durch Bahnbetrieb und Publikum und im übertragenen Sinn dem Zug des linearen Raums oder dem Tempo des vorbeifahrenden Betrachters. Vogt baute seine Bahnhöfe im Hinblick auf die perspektivische Sicht der Passagiere. Für die beabsichtigte Wirkung rechnete er mit den stürzenden Vertikalen und den sich in den Fluchtpunkten treffenden Horizontalen. Ein Bahnhof war für ihn eine durch extreme Perspektiven geprägte, durch Gleise und Fahrleitungen linierte Landschaft. In sie hinein komponierte er seine Volumen, Körper, Skulpturen.

Beton und andere Materialien

Vogt schätzte die plastische Formbarkeit von Beton. Beton war robust und alterte besser als andere Materialien, was bei der grossen mechanischen Beanspruchung durch Publikum und Bahnbetrieb wesentlich war. Schwer Bauen war sinnvoll am Gleis, die Masse minimierte die Erschütterungen durch Loks und Züge, und es passte thematisch zur Bahn mit ihren schweren Lokomotiven, ihren Stützmauern und Brücken aus Beton. Die Eigenschaften von Vogts Architektur – schwer, kraftvoll, robust und gleichzeitig präzis – sind auch die Eigenschaften der Bahn. Seine Bauten können deshalb als «typisch Bahn» gelesen werden und bilden dank ihrem einheitlichen Charakter und ihrer weiten Verbreitung einen Teil des Corporate Designs der SBB.

Ein Ensemble dieser Betonarchitektur entstand rund um das Gleisfeld im Zürcher Hauptbahnhof mit Zentralstellwerk, Betriebsleitzentrale Langstrasse, Stellwerk Nord, TEE-Halle und Wohnhochhaus beim Depot G. Zahlreiche Betonbauten finden sich auch unter den rund dreissig Hochbauten des 1967–1981 erstellten Rangierbahnhofs Limmattal. Zu diesem grössten Ensemble von Vogt-Bauten gehören ein Hauptdienstgebäude mit Büros, Personalräumen, Kantine, Werkstätten und Magazinen, zwei grosse Stellwerke, zwei Einfamilienhäuser mit Dienstwohnungen, eine Wagenreparaturwerkstätte, ein Lokdepot, Güterumschlaghallen, diverse Dienstgebäude und Kleinbauten. Sie sind noch vergleichsweise nahe am Originalzustand.

Beton war aber nicht das einzige Baumaterial, das Vogt auf bemerkenswerte Art einsetzte. Stahlbauten zeigen dieselben entwerferischen Qualitäten. Vor allem frühe Bauten spielen mit starken Materialkontrasten. In ländlichen Gegenden nahm Vogt Rücksicht auf die Umgebung, etwa in Mörschwil oder beim Bahnhof Dietlikon, wo ein Satteldach aus Eternitschiefer über Giebelfeldern aus Lärchenholz und Sichtbacksteinmauern liegt.

Zur Bedeutng von Max Vogts Architektur

Die wichtigsten Bauten von Max Vogt sind Denkmäler der Schweizer Baukultur im 20. Jahrhundert. Sie sind hervorragende Zeugen der «Nachkriegsmoderne», einer unbeschwerten, ungebrochen fortschrittsgläubigen Baukultur während der Hochkonjunktur zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Ölkrise. In jener Zeit gab es noch kaum Diskussionen um Baukosten oder umweltfreundliches Bauen – und damit mehr Freiheit für die Architekturschaffenden. Seither ist diese Art zu bauen unmöglich geworden. Zahlreiche Auflagen für die Umweltverträglichkeit und eine kritischere Öffentlichkeit haben die Bauplanung komplizierter gemacht. Heute ist der Entwurfsansatz der meisten Architekturschaffenden geprägt von der Suche nach spezifischen Lösungen für jede Bauaufgabe und jeden Ort, nach neuen Formen und Materialien. Max Vogt hingegen hatte ein festes Vokabular, das ihm richtig schien. Auch von dieser vergangenen Kultur fragloser Selbstsicherheit zeugen seine Bauten.

Vogts Arbeitsbeginn beiden SBB fällt mit einem Umbruch in der Schweizer Architekturszene zusammen. In der politisch und militärisch isolierten Schweiz hatten sich die Architekturschaffenden jahrelang auf einen eigenen Weg konzentriert. Vom Krieg verschont und nicht durch ein totalitäres Regime eingeschränkt, konnten sie die moderne Architektur kontinuierlich weiterentwickeln. Nach 1945 fand die Schweizer Architektur in Europa starke Beachtung. Zehn Jahre später wandte sie sich wieder dem Geschehen im Ausland zu.3 Zwischen 1955 und 1960 fand an der Architekturabteilung der ETH Zürich ein Generationenwechsel statt, der zu dieser Öffnung beitrug: Mit Hans Hofmann, Friedrich Hess und William Dunkel (1959) trat die Generation ab, die die gemässigte moderne Architektur der Landi-Schweiz etabliert hatte. Alfred Roth, Albert Heinrich Steiner, Charles-Edouard Geisendorf, Werner M. Moser, Rino Tami und Jacques Schader nahmen ihre Lehrtätigkeit auf. Gleichzeitig begann eine junge Architektengeneration zu bauen, die sich stark am internationalen Architekturschaffen orientierte, insbesondere an den Vorbildern Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright und Alvar Aalto. Jean Tschumi in Lausanne, das Atelier 5 in Bern, die «Solothurner Schule» am Jurasüdfuss und zahlreiche weitere Architekten schufen die ersten Bauten der sogenannten Nachkriegsmoderne. Vogts Werk, so eigenständig es ist und so unabhängig es entstand, ist Teil dieser Bewegung und war ein wichtiger Beitrag zur kulturellen Öffnung der Schweiz in der Nachkriegszeit.

Zustand und Zukunft der Bauten

Vogts Werk ist durch die fortlaufende Entwicklung der Bahn gefährdet. Wegen der beschriebenen Arbeitsteilung in der Sektion Hochbau sind nicht alle Bauten gleich wertvoll. Doch je mehr vom Gesamtwerk erhalten bleibt, umso grösser bleiben sein Wert und seine Wirkung als Corporate Design der SBB. Einige Bauten wurden in den letzten Jahren sorgfältig renoviert, so die Aufnahmegebäude in Effretikon, Killwangen-Spreitenbach und Altstetten. Der Bahnhof Altstetten ist bisher als einziges Gebäude Vogts in einem Denkmalinventar aufgeführt; unter Schutz steht keines. Viele wurden weniger rücksichtsvoll umgebaut. Denn nach Ablauf der zweijährigen Garantiefrist gingen alle Hochbauten in die Verantwortung der Sektion Bahndienst über, viele wurden vom Bahndienst oder von anderen Architekten umgebaut. Ein Problem ist, dass Vogt in seinen funktional ausgeklügelten Monolithen die damalige Nutzung buchstäblich in Beton gegossen hat. Er hat dabei das Tempo des gesellschaftlichen Wandels unterschätzt. Die Anforderungen an Bahnhöfe haben sich massiv verändert.

Doppelstockzüge benötigen mehr Platz, die Passagiere brauchen Rampen und Lifte, die Bauten eine bessere Isolation. Vor allem aber braucht ein Bahnhof heute kommerzielle Flächen. Die Fernsteuerung der Anlagen hat zwar Betriebsräume überflüssig gemacht, doch sind diese für Läden eher zu klein und zu niedrig. Vogts Solitäre sind nicht für modulare Erweiterungen gedacht. Bei Umbauten müssen tragende Wände durchbrochen, Anbauten erstellt und umlaufende Vordächer abgeschnitten werden, was die sorgfältigen Kompositionen beeinträchtigt.

Ein kritischer Punkt ist das Altern des Betons. Am Bahnhof Altstetten wurde Ende der 1990er- Jahre eine Betonsanierung vorgenommen. Eine versiegelnde Lasur verleiht dem Beton seither einen speckigen Glanz, der dem Bau seine raue, felsige Wirkung und damit einen Teil seiner Eigentümlichkeit und Kraft nimmt. Das zeigt der Vergleich mit Vogts originalen Perrondächern. Noch weiter vom Original entfernen sich die vielen nachträglichen Verkleidungen, sei es mit Aluminium wie bei der Betriebsleitzentrale Langstrasse in Zürich, Holz wie beim Bahnhof Herrliberg-Feldmeilen, Holzzementplatten wie in Seebach, Eternitschindeln am Personalwohnhaus in Ziegelbrücke oder Blech an zahlreichen Bauten. Solche Eingriffe verwischen den monolithischen Charakter der Architektur, die über die Hausecken hinweg aufgebaute formale Spannung und die gewollten Materialkontraste – glücklicherweise sind sie oft reversibel.

Max Vogt hat als hervorragender Architekt und mit zäher Beharrlichkeit gezeigt, welche kulturelle Leistung im Rahmen eines staatlichen Regiebetriebs möglich war. Sein Werk hat das Erscheinungsbild der SBB wesentlich geprägt und ist ein wichtiger Beitrag zur schweizerischen Architektur im 20. Jahrhundert. Sein Stil wurde von Architekten in den Kreisen I und II aufgenommen und hat so das Erscheinungsbild der SBB auch in der West- und Zentralschweiz beeinflusst. Mit ihrer zeitlosen Modernität und ihren dem Wesen des Bahnverkehrs verwandten Qualitäten hat diese Architektur – bewusst gepflegt – auch weiterhin ein grosses Potenzial, die Corporate Identity der SBB zu stärken – und der bahnfahrenden Bevölkerung ein Stück Heimat zu sein.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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