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TEC21 2009|14-15
Luege, lose, plane
TEC21 2009|14-15
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Lehren lernen

Das Projekt Architektur und Schule des Bundes Schweizer Architekten bemüht sich seit vielen Jahren, Architektur als Thema in der Volksschule zu etablieren. In Pilotprojekten auf allen Schulstufen hat es viele Erfahrungen gesammelt. Dabei hat sich der anfängliche Fokus auf architektonisches Gestalten weit geöff net zugunsten einer breiten Sensibilisierung der Schülerinnen und Schüler für ihre gestaltete Umwelt. Zurzeit entstehen zwei Lehrmittel, die das Thema in den regulären Unterricht integrieren helfen.

3. April 2009 - Hansjörg Gadient
Die mittlerweile über zehnjährige Geschichte des Schulprojektes ist eine Geschichte des Lernens, wie Architektur erfolgreich vermittelt werden kann. Im Zentrum der ersten Pilotprojekte standen kleine Entwurfsaufgaben, die von Architektinnen und Architekten im Unterricht begleitet wurden. Die Jugendlichen schätzten diese Begegnungen und die Arbeit am eigenen Projekt sehr; die Lehrpersonen fühlten sich sicher mit den sorgfältig vorbereiteten Übungen. Von Seiten der Architektenschaft allerdings wurden Vorbehalte laut, dass die Architektur durch die didaktisch notwendige Vereinfachung zu sehr banalisiert werde. Ein praktischer Nachteil war, dass sich die Aufgaben wegen des Aufwandes vor allem für den Projektunterricht innerhalb einer Woche eigneten und weniger für den regulären Stundenplan. Einer grossen Verbreitung dieser Übungen stand ausserdem die Tatsache im Wege, dass eine architektonisch vorgebildete Person für den Unterricht notwendig war.

Didaktische Grundsätze

Aus diesen und anderen Erfahrungen liessen sich einige Grundsätze ableiten, die in den weiteren Pilotprojekten verfolgt wurden. Die Übungen sollten kürzer sein, sodass sie im normalen Unterrichtsschema Platz finden würden. Aus mehreren Aufgaben sollten modular aufgebaute Kurse zusammengestellt werden können, die sich über kürzere oder längere Zeiträume erstrecken. Auf allen Stufen sollten neben dem gestalterischen auch andere Zugänge zu Architektur und Umweltgestaltung geschaffen werden, etwa über planerische, soziale oder ökonomische Fragestellungen. Wichtig war es auch, Unterrichtseinheiten zu entwickeln, die ohne eine Begleitung durch Fachleute auskommen und den Lehrpersonen die grosse Scheu vor der Profession Architektur nehmen können.

Auch diese Ansätze bergen Gefahren, unter anderem die, dass Übungen nicht unbedingt im Sinne der Verfasser durchgeführt werden und dass unter Umständen Gewichtungen entstehen, die aus fachlicher Sicht nicht unbedingt gerechtfertigt sind. Damit muss aber jede Fachdisziplin leben, die ihre Inhalte in den Schulunterricht tragen will, insbesondere wenn es sich nicht um eine exakte Wissenschaft handelt.

Entscheidend für den didaktischen Erfolg ist neben einer spannenden Übungsanlage die Stufengerechtigkeit. In allen Pilotprojekten wurde deshalb intensiv mit den Lehrpersonen zusammengearbeitet, um sicher zu sein, dass die Lehrinhalte und der Ablauf des Unterrichts auf die jeweilige Alterstufe abgestimmt sind. Sehr wichtig ist auch, dass die Kinder und Jugendlichen nicht nur mit Informationen «gefüttert» werden, sondern sich aktiv beteiligen können. So erleben sie, dass Gestaltung «gemacht» wird, und erinnern sich später leichter an das Gelernte.

Zugänge ermöglichen

Als Maxime dient der Begriff der Sensibilisierung. Die Kinder sollen Zugangsmöglichkeiten zum Thema erhalten, aber es kann nicht darum gehen, ihnen in Tagen ein Fachwissen zu vermitteln, für dessen Erarbeitung Studierende mindestens fünf Jahre Vollstudium brauchen. Eines der wichtigsten Ziele ist es, Kinder und Jugendliche auf das Thema aufmerksam zu machen und ihr Interesse zu wecken. Aus der Dissertation des deutschen Psychologen Riklef Rambow weiss man, dass Laien, insbesondere auch Kinder und Jugendliche, praktisch blind sind für ihre gestaltete Umwelt.[1] Sie erleben sie als schicksalshaft und kommen kaum auf den Gedanken, dass es sich um absichtsvolle und begründete Gestaltung handelt. Erst wenn ein Neubau farblich oder formal besonders auffällt oder wenn er in irgendeinem Sinn «stört», wird er wahrgenommen. Neben diesem ernüchternden Befund gibt die Studie aber auch Anlass zu Hoffnung. Es sei nämlich vergleichsweise einfach, Kinder und Jugendliche auf die Gestaltung ihrer gebauten Umwelt aufmerksam zu machen. Sie liessen sich sehr schnell auf das Thema ein und begännen, sich aktiv damit zu beschäftigen. Die Erfahrungen der Fachstelle Architektur und Schule bestätigen diese Aussage. Selbst Zehnjährige beginnen nach wenigen Vorübungen, sich in ihrem Wohnort umzuschauen und ihre Beobachtungen auszutauschen. So spazierte beispielsweise eine vierte Primarschulklasse nach ihrem Pilotprojekt zum Thema Wohnen durch eine andere Stadt und diskutierte eifrig, ob in der Altstadt noch Leute wohnten oder alles nur noch Läden und Büros seien.

Verankerung im Unterricht

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind die Sachzwänge des Unterrichtsbetriebes. Bei der Wahl von Lehrmitteln haben die Lehrenden einen untrüglichen Sinn für Machbarkeit entwickelt. Schwer zu realisierende Übungen, die viel Vorbereitung erfordern, Inhalte, die zu viel Fachwissen voraussetzen oder materiell zu aufwendig sind, haben daher keine Chance auf Akzeptanz und Verbreitung. Ausserdem muss ein Thema in den Lehrplan passen. Deshalb kann es nicht darum gehen, ein Fach «Architektur und Umweltgestaltung» anzustreben. Vielmehr sollen die Übungen zu diesem Thema im Schema der bestehenden Fächer und in der Logik der Lehrpläne Platz finden. Steht im Lehrplan für Bildnerisches Gestalten zum Beispiel Farbe auf dem Programm, soll das Architektur-Lehrmittel Übungen bereithalten, in denen Farbe anhand von Architektur behandelt werden kann.

Lehrmittel wohnen

Das gegenwärtig wichtigste Vorhaben der Fachstelle Architektur und Schule ist die Erarbeitung von zwei Lehrmitteln, um das Thema im allgemeinen Unterricht zu verankern. Das erste entsteht im Auftrag des Bundesamtes für Wohnungswesen. Es ist dem Thema Wohnen und dessen vielfältigen Abhängigkeiten und Bezügen gewidmet. Die Zielgruppe ist die Sekundar- I-Stufe, das heisst Kinder im Alter von 11 bis 14 Jahren. In einem Schuber werden sechs Hefte mit je sechs Lernmodulen zu einem Thema zusammengestellt. Mit ihnen soll auch fachübergreifendes Lernen möglich sein. Die Themen sind: Wohnumfeld und Aussenraum, Lebensweise und Wohnform, Haushaltsformen und Raumangebot, Landverbrauch und Flächennutzung, Heimat und Zersiedelung, Infrastruktur und leibliches Wohl. Die darin enthaltenen Übungen beruhen alle auf Pilotprojekten, die auf dieser Stufe mit Erfolg durchgeführt wurden. Dabei zeigt die Erfahrung, dass oft schon kleine Korrekturen der Aufgabenstellung zu wesentlich besseren Ergebnissen, grösserem Lernerfolg und einem spannenderen Lernerlebnis führen können. Als Beispiel sei die Übung «Mein Lieblingsraum, wenn ich 25 bin» genannt. Die Kinder sollen lernen, eigene Wünsche und Bedürfnisse zu formulieren, diese Wunschvorstellung räumlich umzusetzen und in einer perspektivischen Skizze zu bearbeiten. Dazu schreiben sie ein Szenario und ergänzen es mit einer Zeichnung. Sie überlegen sich, was ihr Lieblingsraum sein wird, wie gross er ist, was es für eine Aussicht gibt, was für eine Form er hat und welchen Funktionen er dient. Mit diesen Vorstellungen bauen sie ein Modell, das sie mit bereitgestellten Klötzchen möblieren. Der Blick in dieses Modell wird mit der zugehörigen Aussicht fotografiert und schwarzweiss ausgedruckt und dient als Grundlage für eine farbige Überarbeitung, die mit Referenzbildern zu Materialien, Farben, Möbeln oder Funktionen ergänzt wird. So gelingt es den Schülern, ihre Vorstellungen stufengerecht umzusetzen.

Die Kinder sollen sich aber nicht nur auf der gestalterischen Ebene mit der Wohnung beschäftigen. So studieren sie beispielsweise in Zeitungen und im Internet den Wohnungsmarkt und suchen für eine imaginäre Patchworkfamilie, die zusammenziehen will, eine geeignete Wohnung. Dazu gehört auch die Berechnung der Miete, die sich die Familie aufgrund der Einkommen und der Lebenshaltungskosten leisten kann. Im Modul «Ist die Schweiz eine Stadt?» beschäftigen sie sich im Fach Mathematik mit Bevölkerungsstatistik und Flächenverbrauch in den verschiedenen Siedlungsformen. Im Modul «Auch draussen wird gewohnt» gibt es ein Rollenspiel, in dem die Bewohner einer Siedlung aushandeln, wie der gemeinsame Aussenraum genutzt werden soll. So lernen die Kinder das Thema Wohnen auf verschiedensten Ebenen kennen.

Lehrmittel Architektur und Umweltgestaltung

Das zweite Lehrmittel in Vorbereitung richtet sich an Sekundarschulen und Gymnasien mit Schülerinnen und Schülern im Alter von 14 bis 20 Jahren. In einem Schuber werden 80 Bildkarten mit architektonischen und ingenieurbautechnischen Werken, Städten, Gärten und Landschaften enthalten sein. Auf der Vorderseite steht jeweils eine prägnante und möglichst vielfältig lesbare Abbildung, auf der Rückseite sind zusätzliche Bilder, Pläne, Textinforma tionen und Quellenhinweise zu finden. Diese Bildkarten bilden den Ausgangspunkt für die Übungen, die im beigelegten Heft für die Lehrperson beschrieben sind. Sie können aber auch frei verwendet werden, zum Beispiel für kurze Vortragsübungen oder eine Einführungsdiskussion. Das Übungsheft enthält konkrete Angaben für die Lehrpersonen, wie sie eine Unterrichtseinheit durchführen können, dazu Variationsmöglichkeiten und Abbildungen von Schülerarbeiten aus den durchgeführten Tests.

Auch dieses Lehrmittel kann in verschiedenen Fächern eingesetzt werden. Im Bildnerischen Gestalten beispielsweise wird das Thema Licht als Material der Architektur behandelt. Anhand der Bildkarten zur Kapelle von Ronchamp, zum Centre du Monde Arabe, zum Farnsworth House, zu einem Engadiner Bauernhaus, zu Franz Füegs Kirche in Meggen und weiteren Gebäuden lernen die Schüler die unterschiedliche Behandlung von Licht kennen. Darauf schneiden sie aus einem Kartonwürfel Lichtöffnungen und fotografieren den Innenraum. Resultat sind die so entstandenen «Lichtbilder». Die Übung kann ergänzt werden durch zeichnerische Übungen von Licht und Schatten im Schulhaus oder durch Kurzvorträge der Schüler zu je einer der genannten Bauten.

Im Fach Mensch und Umwelt schlägt eine Übung vor, eine historische Abbildung der Landschaft am Wohnort auszuwählen und am selben Ort heute eine Aufnahme zu machen. Diese werden verglichen und diskutiert. In einem dritten Schritt gestalten die Schülerinnen und Schüler eine Collage mit der zukünftigen Entwicklung, oder sie schreiben einen Text darüber. Als Vorbereitung dienen Bildkarten, die die Entwicklung der Schweizer Landschaft zeigen oder die sich sonst mit Erscheinungsformen von Siedlungen und Landschaft beschäftigen. Eine Übung widmet sich dem Thema Einfamilienhaus und Zersiedelung. In einer Diskussion übernehmen die Schülerinnen und Schüler die Rollen von verschiedenen Interessengruppen wie Landbesitzer, Investor, Kaufinteressentin, Umweltschützer, Gemeindeverwaltung usw. und diskutieren die Vor- und Nachteile einer Einfamilienhausbebauung. Der Test einer solchen Diskussionsrunde zur Planung des Hardturmstadions in Zürich hat wider Erwarten sehr erfreuliche Ergebnisse gezeigt. Die Schüler vertiefen sich in die Motive ihrer Rolle und schwelgen in ihren schauspielerischen Talenten; gleichzeitig lernen sie, dass Architektur und Umweltgestaltung nicht von Einzelnen bestimmt, sondern immer von vielen Akteuren beeinflusst werden.

Hohe Anforderungen an Lehrmittel

Lehrmittel müssen sich auf dem Markt behaupten. Verlage und Interessengruppen – vom WWF bis zu den Milchproduzenten – buhlen um die Aufmerksamkeit der Lehrpersonen. Ein neues Lehrmittel muss nicht nur ein relevantes Thema behandeln, sondern attraktiv und niederschwellig sein und die Lehrenden mit guten Übungsbeispielen animieren. Es muss erschwinglich, möglichst offen und modular gegliedert sein und Raum lassen für eigene Anwendungen. Dies gilt insbesondere für Lehrmittel in den Fächern Bildnerisches Gestalten, Sprache oder Mensch und Umwelt, in denen Architektur und Umweltgestaltung Platz finden sollen. Diese Rahmenbedingungen musste die Fachstelle Architektur und Schule erst kennen lernen und in die Konzeption ihrer Lehrmittel integrieren. Der Schulverlag, der voraussichtlich die beiden geplanten Lehrmittel produzieren und vertreiben wird, hat da mit seinem didaktischen und merkantilen Wissen entscheidend mitgeholfen. Die Fachstelle Architektur und Schule plant, nach der Einführung ihrer ersten beiden Lehrmittel in der Deutschschweiz französische und italienische Versionen zu erarbeiten.

Trotz dem Fortschritt bei der Etablierung des Vereins «Spacespot» und der Erarbeitung der Lehrmittel bleibt der Erfolg einer breit abgestützten Sensibilisierung für die gebaute Umwelt auch weiterhin von den Anstrengungen der Fachleute abhängig, die sich im Schulunterricht engagieren. Die Fachstelle Architektur und Schule ruft sie deshalb auf, jede Gelegenheit zu nutzen, interessierte Lehrpersonen mit Rat und Tat zu unterstützen. Die persönliche Begegnung mit Architektinnen oder Ingenieuren im Unterricht ist eine der wirksamsten Methoden, Schüler und Schülerinnen für das Thema zu begeistern.


Anmerkung:
[1] Riklef Rambow: Experten-Laien-Kommunikation in der Architektur. Münster, 2000

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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