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TEC21 2009|21
Opus Caementitium
TEC21 2009|21
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Nachhaltigkeit von Zement

Der Baustoff Beton gilt allgemein nicht als besonders ökologisch. Meistens wird seine Herstellung mit Ressourcenverschwendung und, was die Komponente Zement betrifft, übermässiger CO2-Produktion gleichgesetzt. Eine ganzheitliche Betrachtung, unter Berücksichtigung rezyklierter Rohmaterialien und alternativer Brennstoffe, ergibt aber ein differenzierteres Bild.

Die Schweiz verfügt über ausreichende natürliche Lager von Kies, Sand, Kalkstein und Mergel, um den Bedarf an Kiessanden und Zement in den kommenden Jahrzehnten zu decken. Trotz einer gewissen räumlichen Konzentration der natürlichen Lagerstätten können nahezu alle Schweizer Regionen versorgt werden, ohne dass erhebliche Transportdistanzen überwunden werden müssen. Der Abbau der Kieslagerstätten erfolgt mit einem relativ geringen Energieaufwand, denn 65 % aller Kieslager der Schweiz produzieren Rundkies, der direkt zu Beton weiterverarbeitet werden kann.[1] Die restlichen 35 % der Kiesvorkommen erfordern ein zusätzliches, energieintensives Brechen des Gesteins. Die Schweiz ist ausserdem ein hervorragend durch die Bahn erschlossenes Land, sodass beachtliche 46 % aller Zementtransporte auf dem Schienenweg erfolgen.[2] Auch zur Energieversorgung kann die Industrie zu einem grossen Teil auf heimische Rohstoffe zurückgreifen. Im Durchschnitt aller Zementwerke wurden 2008 über 46 % des Brennstoffbedarfs durch sogenannte Sekundärbrennstoffe, d. h. Brennstoffe, die in anderen Industrien als Abfälle anfallen, gedeckt.[3] Die Grundlage dazu bildet die Richtlinie des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) «Entsorgung von Abfällen in Zementwerken».

Ein aktuelles Forschungsprojekt im Rahmen des Forschungsprogramms «Nachhaltige Sied lungsund Infrastrukturentwicklung» des Schweizerischen Nationalfonds (NFP 54) zeigt, dass die verbleibenden Risiken eines Eintrags von Schwermetallen in den Beton durch den Einsatz von Sekundärbrenn- und -rohstoffen für Mensch und Umwelt vertretbar sind.[4] Beton ermöglicht die Konstruktion von Bauwerken mit langer Lebensdauer und kann bei ihrem Abbruch in einer Qualität wiedergewonnen werden, die seine Verwendung als Kiesersatz erlaubt.

Was kommt jetzt auf die Industrie zu?

Heute steht die Industrie vor Herausforderungen, die die bestehenden Strukturen verändern werden. Dazu gehören einerseits globale und nationale Initiativen zum Klimaschutz. CO2-Reduktionsziele sind sowohl in der privaten Wirtschaft als auch in der Umweltpolitik weit verbreitet und beginnen aktuell zu wirken. Die Zementindustrie setzt und realisiert eigene CO2-Reduktionsziele, um ihre Handlungsspielräume unter verschärften klimapolitischen Rahmenbedingungen zu erhalten.[5]

Der zweite grosse Problemkreis ist der Umbau des Bauwerks Schweiz: Seit Beginn des letzten Jahrhunderts wächst das umbaute Volumen in der Schweiz ununterbrochen, und der Bestand an Infrastrukturen nimmt ebenfalls kontinuierlich zu.[6] Ein grosser Teil dieses «Bauwerks» wird in den kommenden Jahrzehnten das Ende seiner technischen Lebensdauer erreichen. Zusammen mit dem anhaltend hohen Druck, den begrenzten Siedlungsraum möglichst effizient zu nutzen, wird dies zu steigenden Abbruchraten führen. Damit wird Gesteinskörnung für die Betonherstellung, die aus Bauabfällen gewonnen wird (vgl. TEC21 10/2004, 3-4/2005, 10/2006), zu einer spürbaren Konkurrenz für Material aus dem Kiesabbau.

Ersatz von Primärressourcen als Lösung

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen hat die Schweizer Zement- und Betonindustrie weitgehende Handlungsmöglichkeiten durch den Einsatz von Sekundärbrenn- und -rohstoffen in der Produktionskette von Beton (Abb. 2). Vereinfachend betrachtet, besteht diese aus den drei Schritten Klinkerproduktion, Zementproduktion und Betonproduktion. Im ersten Schritt wird in einem Hochtemperaturprozess Rohmehl (Gesteinsmehl) zu Klinker verarbeitet.

Im Rohmehl können die Primärressourcen Kalkstein und Mergel durch Sekundärrohstoffe wie kontaminiertes Erdreich oder Trockenklärschlamm ersetzt werden. Zur Feuerung des Drehrohrofens können neben den Primärressourcen Kohle und Schweröl auch Sekundärbrennstoffe wie Tiermehl, Trockenklärschlamm, Altreifen, Altöl oder Lösungsmittel und Kunststoffabfälle eingesetzt werden.

Im zweiten Produktionsschritt – der Zementherstellung – wird der Klinker mit Zumahlstoffen, beispielsweise Kalkstein, gemischt und gemahlen. Auch hier können Sekundärrohstoffe eingesetzt werden, die teilweise als Rückstände anderer Hochtemperaturprozesse ähnliche zementöse Eigenschaften haben wie der Klinker – beispielsweise Hüttensand aus Hochöfen oder Flugasche aus Kohlekraftwerken. In der Betonproduktion, dem dritten Produktionsschritt, werden Zement, Kies, Sand und Wasser sowie in speziellen Fällen auch Zusatzstoffe wie beispielsweise Flugasche eingesetzt. Hier können Kiessande aus dem Abbau natürlicher Kieslager durch Gesteinskörnungen aus Betonabbruch ersetzt werden.

Reduktion der CO2-Emissionen

Um dieses Ziel zu erreichen, bietet der erste Produktionsschritt die grössten Möglichkeiten, weil der massgebliche Teil der CO2-Emissionen bei der Klinkerproduktion entsteht. Verantwortlich dafür ist neben der Verbrennung fossiler Energieträger im Zementofen vor allem der Ausstoss von Kohlendioxid beim Brennen (Kalzinieren) von gemahlenem Kalkstein zu Klinker. Diese sogenannten geogenen CO2-Emissionen sind naturgegeben und können durch den Einsatz alternativer Brennstoffe nicht vermindert werden. Gelingt aber die Reduktion des Anteils von Klinker pro Tonne Zement, werden sowohl die geogenen CO2-Emissio nen als auch die Emissionen aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen gesenkt. In der Schweiz ist dieser Weg erfolgreich beschritten worden (Abb. 1). Zementarten mit einem hohen Klinkeranteil wie Portlandzement haben deutlich an Marktanteil verloren – mit den entsprechenden positiven Auswirkungen für den Klimaschutz.

Allerdings hat die Schweizer Zement- und Betonindustrie in dieser Entwicklung eine denkbar schlechte Ausgangslage. In der Schweiz sind weder Hochöfen noch Kohlekraftwerke vorhanden, sodass Hüttensande und Flugaschen über weite Distanzen importiert werden müssen. Andere Länder verfügen hingegen über Quellen von Zusatzstoffen mit klinkerähnli chen Eigenschaften. In Italien sind dies beispielsweise natürliche Puzzolane aus Vulkantätigkeit; in Deutschland, Frankreich und Österreich sind es die lokal anfallenden Rückstände aus Stahlhütten oder Kohlekraftwerken.

Der zweitwichtigste Schritt auf dem Weg zu den CO2-Zielen ist der Einsatz von Sekundärbrennstoffen im Zementofen. Interessant sind vor allem hochkalorische Abfälle wie Altöl oder Lösungsmittel. Deren Verfügbarkeit ist aber begrenzt. Die Schweizer Abfallpolitik hat über Jahrzehnte die stoffl iche Wiederverwertung, beispielsweise von PET, gefördert und die zahlreichen Kehrichtverbrennungsanlagen auf den neuesten Stand der Technik gebracht. Diese Massnahmen sind abfallpolitisch sicher sinnvoll, sie schränken aber die Möglichkeiten der Zementindustrie ein, durch Verbrennung von Sekundärbrennstoffen ihre CO2-Reduktionsziele zu erreichen, da deren Verfügbarkeit auf dem Abfallmarkt abnimmt.

Der Einsatz von Betonabbruchgranulat als Kiesersatz bringt keine wesentliche Reduktion des CO2-Ausstosses. Dieser Ausstoss hängt massgeblich von der eingesetzten Zementmenge und der Zementart ab.[7] Verwendet man für Beton mit einem hohen Anteil von Betonabbruchgranulat – d. h. Recyclingbeton – mehr Zement als für Beton mit natürlicher Gesteinskörnung, kann dies in der Gesamtbilanz sogar zu mehr CO2-Emissionen führen.

Der Umbau des Bauwerks Schweiz

Bis heute können in den meisten Schweizer Kantonen die anfallenden Mengen an Betonabbruchgranulat in loser Form als Kiessande wiederverwertet werden – zumeist im Strassenbau. Dabei werden sehr hohe Wiederverwendungsquoten von über 90 % erreicht, einfach weil heute wesentlich mehr gebaut als abgebrochen wird (Abb. 3). Wird jedoch davonausgegangen, dass das Abbruchvolumen im Verhältnis zum Neubauvolumen steigt, dann wird in einigen Kantonen in den nächsten Jahren mehr Betonabbruchgranulat zur Verfügung stehen, als in der bisherigen Form eingesetzt werden kann. Die Kantone Genf und Zürich propagieren daher den vermehrten Einsatz von Betonabbruchgranulat in der Betonproduktion.

Die Dauerhaftigkeit von Bauwerken aus Recyclingbeton ist dabei ein neuer Aspekt, auf den im folgenden Beitrag hingewiesen wird. Diese Initiative schlägt sich auch im neu entwickelten Baustandard «Minergie-Eco» nieder,[8] in dem ein Mindestanteil von Recyclingbeton in Bauprojekten vorgeschrieben wird, falls dieser innerhalb von 25 km Transportdistanz verfügbar ist. Dies erhöht den Druck auf die Betonproduzenten, Recyclingbeton anzu bieten. Vorreiter sind dabei Unternehmen, die über begrenzte natürliche Kiesvorkommen verfügen. Vor den Entscheid gestellt, in die teure Erschliessung neuer Vorkommen zu investieren oder auf den neuen Markt für Recyclingbeton zu setzen, fällt die Wahl nicht schwer. Denn beim Recyclingbeton lässt sich heute zweimal verdienen: bei der Aufbereitung des Bauabfalls und beim Verkauf des Betons.

Unternehmen mit ausreichenden natürlichen Kiesvorkommen warten hingegen eher ab. Denn ein tatsächlicher Angebotsüberhang von Betonabbruchgranulat ist erst in Jahrzehnten zu erwarten. Gleichzeitig sind die Gewinne bezüglich «Klimaschutz» – dem aktuell wichtigeren Thema für die Industrie – unter dem Strich bestenfalls gering.

Durchzogenes Zukunftsszenarios

Die Schweiz ist ein rohstoffarmes Land. Für eine CO2-freundliche Zement- und Betonproduktion fehlen ausreichende Sekundärbrenn- und -rohstoffe. Ihr Reichtum an natürlichen Kiesvorkommen hingegen verzögert den Strukturwandel hin zu einer Produktion von Beton aus Abbruchgranulaten. Deshalb besteht Handlungsbedarf. Die Zement- und Betonindustrie ist sicher gut beraten, wenn sie (weiter) versucht, den Einsatz von Sekundärbrenn- und -rohstoffen zu fördern – unter Gewährleistung einer positiven Bilanz für den Klimaschutz und als Beitrag in Richtung energieautarker Produktion in der Schweiz. Dabei sollten die Spielräume in der Beschaffung von Sekundärbrenn- und -rohstoffen mit der Abfallpolitik neu ausgehandelt werden. Aus Sicht des Staates sollte dabei die Frage erlaubt sein, ob es nicht auch Synergien zwischen Abfall- und Wirtschaftspolitik geben kann. Gefordert sind jedoch auch – und vor allem – Innovationen in der Zement- und Betonindustrie selbst. Das Ziel ist eine Produktionsweise in der Schweiz, die die vorhandenen Standortvorteile nutzt, um weiterhin eine führende Position in der nachhaltigen Zement- und Betonproduktion einzunehmen.

[ Susanne Kytzia, Prof. Dr., Professur für Nachhaltigkeit im Bauwesen, Institut für Bau und Umwelt IBU, Hochschule für Technik Rapperswil HSR, Christina Seyler, Dr. sc. Nat., Ernst Basler Partner AG, Zollikon ]
Anmerkungen
[1] Kellenberger, D., Althaus, H.-J., Jungbluth, N., Künniger, T.: Life Cycle Inventories of Building Products. Final report ecoinvent 2000 No. 7, Empa Dübendorf, Swiss Centre for Life Cycle Inventries, Dübendorf 2003
[2] Cemsuisse. Jahresbericht 2006. Bern 2006. www.cemsuisse.ch
[3] Angaben von Cemsuisse (Gespräch mit Heiner Widmer am 15. 4. 2009)
[4] Kytzia, S., Seyler, C., Leuz, A.-C. und Johnson, A.: Sustainable Development of the Built Environment. Evaluation of structural changes in the Swiss building industry, Final Scientifi c report (to be published)
[5] Siehe dazu auch Informationen zur Branchenvereinbarung der Zementindustrie mit dem Bund. www.cemsuisse.ch
[6] Arioli, M. und Haag, M.: Bauabfälle Schweiz – Mengen, Perspektiven und Entsorgungswege. Band 1 und 2. Umwelt-Materialien Nr. 131, Buwal, Bern 2001
[7] Künniger, T., Werner, F. und Richter, K.: Ökologische Bewertung von Kies, Zement und Beton in der Schweiz (Kurzfassung). Verlag Empa-Akademie, 2001
[8] Siehe Dokumentation zum Minergie-Standard: www.minergie.ch

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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