Zeitschrift

TEC21 2009|27-28
Vielschichtig
TEC21 2009|27-28
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Aktive Doppelhaut

Lobreden auf neue Gebäude oder Vorschusslorbeeren auf geplante Bauwerke werden zuweilen nichtig, wenn die Nutzer die geplante Qualität, den versprochenen Komfort nicht erfahren. Sämtliche Sollwerte und Simulationsresultate, die während der Planung eingebracht werden, erfahren in der Regel nach frühestens einjähriger Nutzung ihr Bestehen oder Scheitern. Erst dann haben alle Jahreszeiten das Klima im Gebäude beeinflusst. Das Stadthaus Köniz besteht diese Prüfung durch die aktiv bewirtschaft ete doppelhäutige Glasfassade und durch geschickte Klimatechnik. Der gesamte Gebäudekomplex – Altbau und Neubau – erfüllt den Minergiestandard.

3. Juli 2009 - Walter Enkerli
In der Gemeinde Köniz bestand – aus praktischen Gründen und für eine höhere Qualität der Dienstleistungen – das Bedürfnis, die verschiedenen Verwaltungsteile an einem zentralen Standort zusammenzufassen. Zudem sollte ein konzentrierter Begegnungsort der Bevölkerung und Verwaltung geschaffen werden. Das Projekt für den Anbau des Stadthauses Köniz basiert auf einem Wettbewerb des Jahres 1996, der von den Architekten Cornelius Morscher und Joachim Bolliger gewonnen und umgesetzt wurde. Seit 2004 ist das neue Verwaltungszentrum in Betrieb und ergänzt die bestehende Gemeindeadministration.

Das Verwaltungsgebäude aus dem Jahr 1899 steht unter Denkmalschutz und musste erhalten bleiben. Um den heutigen energetischen, funktionalen und ästhetischen Ansprüchen gerecht zu werden, sollte der neue Anbau sinnvoll mit dem Bestehenden verbunden werden. Die Architekten strebten das gleichwertige Zusammengehen von Alt und Neu an. Geschaffen wurde ein sich gegenseitig verstärkender und kontrastierender Gebäudekomplex: der eine Teil historisch massiv, der andere transparent und aufgelöst. Das Verwaltungsgebäude bildet dabei als Solitär wie ein Anker weiterhin ein eigenständiges Volumen an der Nordostecke der neuen, filigranen Glas- und Betonkonstruktion. Das alte Gemeindehaus wird so als markanter Punkt zwischen Bahnlinie und Hauptstrasse in seiner Eigenständigkeit belassen.

Bauliches Konzept und Nutzung

Der Neubau bildet zusammen mit dem Altbau ein im Grundriss quadratisches Gebäude von ungefähr 34 m Seitenlänge und bietet Raum für 135 Arbeitsplätze. Im Zentrum steht der helle Innenhof mit Glasdach und transluziden Wänden. Die Büroräume im Neubau wurden bewusst nicht bis an den Altbau herangeführt, sondern durch zwei ca. 2.5 m breite Lichtfugen, im Zusammenspiel mit dem verbindenden Innenhof, optisch freigestellt. Viel Licht und Transparenz prägen das neue Gebäude und signalisieren einen offenen Verwaltungsstil. Der Zugang zum gesamten Verwaltungskomplex erfolgt über den neu gestalteten Stadtplatz in den Altbau. In diesem sind die Eingangshalle mit Empfangs- und Informationsschalter, Büros, die Cafeteria sowie das Sitzungszimmer des Gemeinderates untergebracht.

Durch die Eingangshalle erfolgt der Zugang auf die multifunktional nutzbaren Galerien des dreigeschossigen Neubaus, welche die verschiedenen Abteilungen durch die transparente Bauweise gut sichtbar erscheinen lassen. Entlang den Aussenfassaden sind die Büros angeordnet. Im Hochparterre sind die Verwaltungsbüros für die Kundenbetreuung untergebracht. Die formale Kommunikation zwischen Alt und Neu wird auf der funktionalen Ebene wieder aufgenommen, indem die Räume der Übergangsbereiche (Lichtfugen) als Besprechungszimmer genutzt werden.

Synergie zwischen Architekt und Fassadenberater

Bei den heutigen, gut wärmegedämmten Fassaden ist das Problem des winterlichen Wärmeschutzes meist gut lösbar. Dagegen liegt die Schwierigkeit oft in der Minimierung der notwendigen Kühlleistung im Sommer. Bei möglichst früher Konsultation eines Fassadenplaners können, mit etwas mehr Aufwand bei der Fassade, die HLKS-Anlagen kleiner ausgelegt werden. Langfristig ist so ein positiver Beitrag zur Nachhaltigkeit und zur Verringerung des Energieverbrauchs gegeben. «Beratung kommt vor der Planung», betont der Fassadenspezialist Reto Demont. Er sieht den Fassadenplaner als wichtigen Berater zwischen Bauherrschaft und Architekt mit dem Auftrag, alle Randbedingungen aus Architektur, Statik, Bauphysik, Wirtschaftlichkeit, Behördenauflagen etc. zu berücksichtigen und sein Gewerk danach zu projektieren. Beim Gemeindehaus Köniz wurde zu Beginn ohne Fassadenberater geplant. Während des Planungsprozesses wurde er dennoch nötig, um die einzelnen Komponenten optimal zu kombinieren und den maximalen energetischen Nutzen mit der Fassade zu erreichen. Eine Nutzungsvereinbarung speziell für das Gewerk Fassade wurde durch den Fassadenplaner erstellt. Dieses Dokument diente als Basis für alle weiteren Arbeiten und wurde im Planungsprozess laufend aktualisiert. Ein zentrales Anliegen von Architekt Cornelius Morscher war in Bezug auf die Gebäudehülle, dass «die verschiedenen Funktionen getrennt bleiben und nicht in eine Einheit integriert werden. Die Lebensdauer von Fassadentragwerk, Glas, mechanischen Teilen sowie die der installierten Technik ist unterschiedlich. Deshalb müssen die einzelnen Komponenten durch einfache Schnittstellenausbildung klar getrennt bleiben und gut auswechselbar sein.»

Technik und Energie

Altbau und Neubau als Ganzes erfüllen die Anforderungen des Minergiestandards und weisen eine hohe Energieeffizienz und einen schonenden Umgang mit Ressourcen auf. Dies resultiert aus einem sinnvollen Oberflächen-Volumen-Verhältnis, einer guten Tageslichtsituation und einer Doppelfassade als thermischem Puffer. Der Neubau und die Büros im Altbau verfügen über eine Komfortlüftung. Die Zuluft wird über ein Erdregister geführt, wo sie je nach Jahreszeit gewärmt oder gekühlt wird. Die aufbereitete Frischluft wird in die Büroräume verteilt und als Abluft über das Dach weggeführt. Die Luftwechselrate kann bei Bedarf zusätzlich durch das Öffnen der Metallflügel erhöht werden. Die Energie für die Heizung und das Warmwasser werden über eine Wärme-Kraft-Kopplung der Gemeinde Köniz bezogen. Die Minergiekennzahl beträgt beim Neubau 33.8 kWh / m2a und beim renovierten Altbau 53.4 kWh / m2a. Gerechnet über die ganze Energiebezugsfläche von 5503 m², ergibt dies einen Durchschnitt von 37.4 kWh/m2a.

Aktive Bewirtschaftung legitimiert Doppelhaut

Die 1080 m² umfassende Glas-Doppelhautfassade des Neubauteiles schützt vor Witterung, Bahn- und Strassenlärm. Das kann auch eine einschichtige Hülle leisten. Dass die Wahl trotzdem auf die aufwendigere Doppelhaut fiel, hat denn auch primär energetische Gründe. Das stehende Luftpolster im Fassadenzwischenraum verbessert den U-Wert der gesamten Fassade im Winter um 10 bis 15 %. Im Sommer würde ein stehendes Luftpolster jedoch erhitzt und das Innenraumklima durch den indirekten Wärmeeintrag negativ beeinflussen. Deshalb sind im oberen Dachrandabschluss der Doppelfassade elektromechanisch zu öffnende Glasklappen eingebaut, über die das Warmluftpolster abgeführt wird. Solch einfache aktive Bewirtschaftung des Fassadenzwischenraumes ist entscheidend für die positive Wirkung von Doppelhautfassaden. Regenwächter schliessen die Klappen automatisch, um Verschmutzungen der inneren Glasebene durch eindringendes Meteorwasser zu minimieren. Der 65 cm breite, windgeschützte Zwischenraum enthält auf Höhe der Geschossdecken begehbare Gitterroste für Wartungsarbeiten an Fassadenkonstruktionen und die Vertikalmarkisen für den Sonnen- und Blendschutz. Diese Storen sind aluminiumbedampft und verfügen über einen tiefen Energiedurchlass von aussen nach innen (g-Wert). Ab einer bestimmten Sonneneinstrahlung schliessen sie sich durch Signale von Sonnenwächtern. Die schuppenartig überlappende Anordnung der Stoffstoren hat nicht gestalterische Gründe, sondern verhindert Blendstreifen durch direktes Sonnenlicht weitgehend. Die innere Fassade besteht zu ca. 70 % aus Isolierglas mit Rahmen aus thermisch getrennten Edelstahlprofilen. 30 % der Fassadenfläche sind opak in Form von wärmegedämmten Metallpaneelen und metallbekleideten, wärmegedämmten Ortbetonscheiben. Den Zugang zum Zwischenraum ermöglichen auf allen Geschossen raumhohe Flügel in den Metallpaneelen. Alle sichtbaren Edelstahloberflächen sind matt geschliffen. Auf Wunsch der Bauherrschaft wurden nur Materialien mit möglichst geringer grauer Energie verwendet. Daher wurde die gesamte Fassade praktisch ohne Aluminium ausgeführt. Der Kostenunterschied zwischen Aluminium und Edelstahl war geringer als erwartet, weil Edelstahl nach dem Schleifen nicht nachbehandelt werden muss. Konsolen, Gitterroste und Halterungen der Doppelhaut bestehen aus feuerverzinktem Baustahl.

Um Energieverluste über die Fassade zu minimieren, wurden die Aussenbauteile wie Wände und Fenster und damit auch das Glas hinsichtlich wärmedämmender Eigenschaften optimiert. Die Kenngrösse, die diese Funktion charakterisiert, ist der Wärmedurchgangskoeffizient, der U-Wert. Er gibt an, wie viel Wärmeleistung pro Quadratmeter bei einer Temperaturdifferenz von 1 Grad Kelvin aus dem warmen Innenraum zur kalten Aussenluft verloren geht. Er beträgt bei den verwendeten Gläsern 1.0 W/m2K (nach EN 673 gerechnet), bei den Metallpaneelen der Fassade 0.3 W/m2K, und beim Flachdach mit einer 26 cm dicken Wärmedämmung ist er geringe 0.15 W/m2K.

Komfort trotz Transparenz

Die Nutzer haben das neue Gebäude positiv angenommen. Dies ist bei grossflächig ver glasten Fassaden im Allgemeinen und bei Doppelhautfassaden im Speziellen keine Selbstverständlichkeit, denn Glashäuser reagieren schnell mit Aussenklima und Besonnung. Klassische Probleme sind Kaltluftabfall im Winter, Überhitzung im Sommer, Schallprobleme etc. Hier fühlen sich die Mitarbeitenden trotz der lichten Architektur geborgen und erfahren gute Komfortbedingungen. Offenheit und Abschirmung, Aussicht und Intimität – dies sind die Grundelemente dieses Gebäudes, das als ein Ort der Begegnung und des Austausches für die ganze Gemeinde Köniz dient.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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