Zeitschrift

TEC21 2009|27-28
Vielschichtig
TEC21 2009|27-28
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Entwicklung im Fassadenbau

Die Gebäudehülle beansprucht immer mehr Anteil am Umfang von Neubauten und Sanierungen und hat sich zum eigenständigen Segment im modernen Hochbau entwickelt. Energieeinsparung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit werden umgesetzt, neue Technologien und Materialien entwickelt und angewandt. Ein Rückblick über fünf Jahrzehnte Fassadenbau und der Ausblick auf zukünft ige Herausforderungen.

3. Juli 2009 - Rudolf Locher
Im Laufe der Evolution hat der Mensch seine Hüllen und Behausungen ständig verändert und weiterentwickelt. Gebäudefassaden wurden mehr als nur Schutzschichten gegen Witterungseinflüsse, Wärme und Kälte. Sie mussten sich auch optisch abheben, um Identität, Status oder Macht auszudrücken, beispielsweise durch geometrische Formen, geografische Ausrichtungen, kunstvolle Schnitzereien und Farben. Auch beeinflussten seit je regionale und kulturelle Unterschiede, die Verfügbarkeit von geeignetem Baumaterial und klimatische Bedingungen die Fassadengestaltung. Die Zelte von Nomaden oder die Lehmhäuser aus dem Nahen Osten sind dabei nur zwei von zahlreichen Beispielen.

Wachsende Funktionsvielfalt

Ein Meilenstein in der Geschichte des Fassadenbaus war die industrielle Entwicklung von Stahl und Stahlbaukonstruktionen im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die Trennung von Fassade und Rohbaustruktur, von Erscheinungsbild und Funktion führte zu neuen Möglichkeiten. Die Fassade konnte vom Tragwerk unabhängig geformt werden.

Mit der wachsenden Bevölkerungsdichte in Städten und Agglomerationen kamen neue Aufgaben wie die Abschirmung von Lärmimmissionen dazu. Schallschutz ist seither fester Bestandteil im Leistungsumfang. Aber auch die Beschattung und der bewusste Umgang mit Licht wurden immer mehr zum Thema. Dabei haben insbesondere die Fenster grosse Entwicklungen erfahren. Die Schwerpunkte in der Fenster- und Verglasungstechnik wurden in den 1970er-Jahren auf Energie, Komfort, Tageslichtnutzung und Zuverlässigkeit gelegt. Die Eigenschaften von Glas veränderten sich in der Folge dahingehend, dass eine Optimierung des Energie- und Lichtdurchlasses ohne Senkung des U-Wertes sowie eine jahreszeitunabhängige Funktionalität erreicht werden konnten. Dies war nur dank der Verbesserung von Materialeigenschaften möglich und führte auch zu erhöhter Sicherheit, Gebrauchstauglichkeit und Lebensdauer. Wärmeverlust und Wärmegewinnung können über Fenster und Fassaden gesteuert werden. Luftdichtheit und kontrollierte Lüftung tragen zu einer grossen Steigerung des Wohnkomforts bei. Schon 1970 hatte man das Gefühl, dass die Technik im Fenster- und Fassadenbau bald an ihre Grenzen stossen würde. Doch die Anforderungen an die Fassaden haben sich bis heute nochmals vervielfacht, und die Technik hat sich in gleichem Mass weiterentwickelt.

Sanierung statt Neubau

Das Bauland wird knapper, die Anzahl Neubauten nimmt ab. Dennoch sieht man überall Gebäude mit «neuen» Fassaden. Sanierungen machen heute fast die Hälfte am gesamten Gebäudebauvolumen aus. Die Bauwerke aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts entsprechen nicht mehr den üblichen Baustandards. Statische und sicherheitstechnische Defizite, Alterung und Korrosion, hoher Energieverbrauch für Heizung und Kühlung, defekte Fenster, schlechte Isolierung und unzureichende Tagesbelichtung zählen zu den häufigsten Mankos der Gebäude aus den 1950er- bis 1970er-Jahren. Der Energieverbrauch ist in Bezug auf heutige Standards zu gross. Man rechnet bei Gebäuden, die vor 1970 gebaut wurden, mit einem durchschnittlichen jährlichen Energieverbrauch von 500 MJ / m2. In einem Neubau liegt dieser Wert bei rund 250 MJ / m2 im Jahr, also um die Hälfte tiefer. Dazu kommen Probleme mit Asbest und PCB-kontaminierten Bauteilen (TEC21 36 / 2008). Doch können die Gebäude nicht nach Belieben umgebaut werden. Vielmehr sollen sie sich auch nach der Sanierung ins Stadtbild einfügen und den zukünftigen technischen Veränderungen standhalten können. Zeitgeschichtliche Zeugen müssen erhalten bleiben.

Energiesparen als Triebfeder

Mit den diversen Minergiestandards werden sowohl Neubauten als auch Sanierungen von Altbauten erfasst. Im Zentrum der heutigen Fassadentechnik steht die Reduktion von Wärmeverlust, Komfortlüftung, Energiegewinnung etc. Die Fenster von modernen Bauten lassen sich kontrolliert öffnen, und deren wärmegedämmte Konstruktion führt zu einem konstanten Raumklima. Mittels Fotovoltaik- und Warmwasserkollektoren wird die Sonneneinstrahlung genutzt. Um die renovationsbedürftigen Gebäude wieder auf den energetisch neusten Stand zu bringen, müssen sowohl an den Fenstern als auch an den übrigen Fassadenbauteilen Änderungen vorgenommen werden. Bei den Fensterrahmen wird heute auf einen möglichst geringen Flächenanteil geachtet, um diese potenziellen Wärmebrücken auch flächenmässig zu minimieren. Mit einem modernen Fenster können heute U-Werte von 0.9 bis 1.3 W / m2K erreicht werden. Auch die Fassade kann mittels einer leistungsfähigen Fassadendämmung zur Energieregulierung beitragen. Nach Minergiestandard darf der maximale U-Wert einer Fassade noch 0.2 W / m2K erreichen (zum Vergleich: Bei Gebäuden aus den 1970er-Jahren liegt der U-Wert zwischen 0.8 und 1.2 W / m2K). Bei solchen Sanierungen müssen jedoch Wärmebrücken beachtet und die empfohlene Aussenwanddämmung von 14 bis 20 cm eingehalten werden. Klimagerechte Gebäudehüllen müssen ähnlich wie die Haut (sensorische Stimulation) den kontrollierten Austausch von Luft, Wärme und Licht mit der Umwelt zulassen. Fassaden sind heute Energiegewinnungssysteme, die im Austausch mit der Umwelt stehen. Die moderne Fassade generiert visuellen und thermischen Komfort, verschafft Kühlung, Aussicht oder frische Luft, und sie senkt die CO2-Konzentration im Raum.

Blick in die nahe Zukunft

Die Fassaden der Zukunft bringen die ökologischen, bauphysikalischen und ökonomischen Ziele unter einen Hut. Auch ästhetische und kulturelle Randbedingungen werden berücksichtigt und führen sie zu einem ganzheitlichen Konzept zusammen. Einige in den vergangenen Jahren realisierte Projekte zeigen, dass die Komponenten zum Erreichen dieser Ziele bereits vorhanden sind. Zur Optimierung des Zusammenspiels werden die einzelnen Elemente weiter verfeinert, wirtschaftlicher hergestellt und intelligenter miteinander verknüpft. Es kann aus einer schier unerschöpflichen Vielfalt an Materialien, Farben, Formen und Techniken ausgewählt werden. Bei der Kombination verschiedener Materialien sorgen neue Technologien dafür, dass sich die Kompenten verbinden und so ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Doch nicht nur die passiven Aspekte werden immer wichtiger: Aus der Fassade wird zukünftig noch mehr Energie in Form von Strom, Wärme und Kühlung gewonnen werden. Gerade weil fossile Energie immer teurer wird, werden wirtschaftliche und ökologische Alternativen gefragter sein denn je. Weiter muss die Gebäudehülle vermehrt Funktionen zur Sicherheit und Automation erfüllen. Einbruchhemmung und Brandschutz, aber auch die Integration von kompletter Anlagetechnik für Klimatisierung, Heizung und Energieversorgung sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Schwachstellen der heutigen Fassaden können durch bessere Dämmung und Abdichtung ausgebessert werden. Der Energieverlust wird bei neuen Gebäudehüllen z. B. durch grosse Flächen aus Dreischeiben-Isolierglas und durch Paneele mit leistungsfähiger Wärmedämmung – zunehmend Hochleistungswärmedämmung – verkleinert. Energiegewinne werden durch «aktive» Fassadensysteme ermöglicht: Im Winter wird die Sonnenbestrahlung zugelassen, während sie im Sommer verhindert wird. Lösungen bilden z. B. bewegliche, automatisch gesteuerte Sonnenschutzanlagen. Ein weiterer Punkt, der zu Energieersparnissen führen wird, ist die richtige Beleuchtung. Genügend Tageslicht kann nur durch die Fassade kommen. Auch tiefe Räume werden zukünftig mittels Lichtleit- bzw. Lichtlenksystemen ausgeleuchtet. Das manuelle und individuelle Öffnen der Fenster führt insbesondere im Winter zu einem Energieverlust. Die automatische Steuerung von Zu- und Abluft über die Fassadenhaut wird dem entgegenwirken. Die Fassade der Zukunft wird deshalb den Luftzustand messen und bei Bedarf Frischluft importieren – kontrolliert und mit Wärmerückgewinnung energetisch optimiert. Der Energiebedarf wird zudem zukünftig vermehrt über eine zweischalige Fassade reduziert. Eine aktive Bewirtschaftung des Luftpolsters im Fassadenzwischenraum ist der Schlüssel dazu. Passive Systeme, wie sie heute teilweise noch anzutreffen sind, nutzen das Potenzial der Doppelhaut in dieser Hinsicht nicht aus.

Gebäudehülle - mehr als nur Fassade

Ziel von Architekten, Ingenieuren, Bauherrschaften und Fassadenspezialisten muss und wird es sein, den politischen Vorgaben zur Optimierung des Energieverbrauchs zu entsprechen, ohne dabei Architektur, Qualität, Ökologie und Ökonomie ausser Acht zu lassen. Die Gebäudehülle wird zu einem «Multi-Player», der gleichzeitig Licht-, Luft- und Energieflüsse zu koordinieren und kontrollieren weiss.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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