Zeitschrift

TEC21 2010|09
Vertikalgrün
TEC21 2010|09
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Vertikale Gärten

Das Grün erklimmt zurzeit eine neue Dimension: Besonders im dichten, urbanen Umfeld ist die Bepflanzung von Fassadenflächen eine wichtige und willkommene Möglichkeit, Natur zu integrieren. Noch ist die Zahl vertikaler Gärten nicht sehr gross, jedoch stehen verschiedene, konstruktiv erprobte Systeme zum Einsatz bereit.

26. Februar 2010 - Kerstin Gödeke
In der letzten Zeit macht eine neue Form von Grün im Aussenraum zunehmend auf sich aufmerksam: der vertikale Garten, pflanzliche Vorhänge, die sich über die ganze Fassade erstrecken und die Atmosphäre des Ortes wesentlich mitbestimmen. Sie gehen konstruktiv weit über die allgemein bekannten Berankungen von Häusern hinaus. Der Wunsch, einen Garten in der Höhe zu entwickeln, ist allerdings nicht neu – als Beispiel seien hier nur die Hängenden Gärten von Babylon genannt, die bereits 600 Jahre v. Chr. angelegt wurden. Grundsätzlich existieren drei Prinzipien, Pflanzen in der Höhe anzusiedeln: 1. Bepflanzung mit Selbstklimmern, Rank- oder Schlingpflanzen, die eine Höhe zwischen 10–20 m erreichen können. Hier sind kaum bauliche Massnahmen bzw. nur einfache Kletterhilfen notwendig. Die Pflanzen sind meist direkt im Erdreich am Fuss der Fassade gesetzt. Ranken die Pflanzen direkt an der Fassade hoch, können Probleme mit den Haftwurzeln auftreten, da sie auch in kleinste Risse eindringen.

2. Punktuell oder in der Fläche aufgestellte Pflanztröge, in denen Pflanzen in Substrat gesetzt sind. Das Substrat besteht in der Regel aus Erde oder, bei neuen Systemen, aus adäquaten Ersatzstoffen, die leichter sind und über eine hohe Wasserspeicherkapazität verfügen, wie zum Beispiel Blähton. Diese können sowohl am Fuss der Fassade als auch in der Höhe als modulares System integriert werden.

3. Kultivierung von Pflanzen, die ohne Substrat lebensfähig sind. Sie gehören grösstenteils der sogenannten Gruppe der Epiphyten an. Epiphyten (grch. epi = auf über; phyton = Pflanze) oder «Aufsitzerpflanzen» finden sich in völlig unterschiedlichen Pflanzengruppen. Allen gemeinsam ist, dass sie nicht auf dem Boden, sondern auf anderen lebenden oder abgestorbenen Pflanzen wachsen, ohne von diesen zu schmarotzen, und die lebenswichtigen Nährstoffe über ihre Wasserversorgung aufzunehmen. In den gemässigten Breiten sind dies vor allem Algen, Moose und Flechten. Der dünne und sehr leichte Aufbau erlaubt vollflächige Bepflanzungen.

Allgemein berücksichtigen die neuen Techniken die mögliche Gefahr von Gebäudeschäden durch die Pflanze und vermindern deren Angriffspunkte, wie das Eindringen selbst feinster Wurzeln in kleine Spalten und Fugen, deren fortschreitendes Dickenwachstum zu Sprengungen führen kann.

Der Pionier

Eine zentrale Rolle bei dem dritten System spielt Patrick Blanc, 1953 in Paris geboren, Professor der Botanik und Mitglied des hochangesehenen Centre National de la Recherche Scientifique. Inspiriert durch die üppige Pflanzenwelt Südostasiens, die auch ohne Substrat wächst, solange genügend Licht, Wasser und Mineralstoffe vorhanden sind, begann Blanc ab 1982 in seinen eigenen Innenräumen mit tropischen Pflanzen zu experimentieren und ein System zu entwickeln, das auf Mauern kleine Pflanzenparadiese spriessen lässt. Daraus entstand ein eigenes Patent, das sogenannte «Verfahren zur Kultivierung von Pflanzen ohne Substrat auf vertikalen Flächen», bei dem sich die Wurzeln auf einer dünnen Schicht Vlies entwickeln und nicht in einem Substratkörper. Erst 1994 tauchen seine Grünen Wände mit entsprechender Artenauswahl auch im Aussenraum auf (vgl. «Retour à la nature», TEC21 11/2004). Der Grundaufbau besteht in der Regel aus einem Metallgerüst, das direkt an der Stützmauer befestigt wird und eine stetige Luftzirkulation ermöglicht. In diesem Metallraster liegen 10 mm dicke Hartschaumplatten. Sie dienen als Träger für die in zwei Schichten darübergespannten 3 mm starken Filzlagen. Die Pflanzen werden durch Schnitte in der ersten Lage hineingeschoben und wachsen zwischen den beiden Filzschichten. Die Bewässerung erfolgt mit einem perforierten Kunststoffrohr, das waagerecht am oberen Ende der grünen Wand angebracht ist. Die Pflanzen stützen durch die Ausbildung von Wurzeln die Tragkonstruktion mit, sodass der Aufbau ca. 30 kg/m2 wiegt.

Blancs «Grüne Hüllen» beeindrucken nicht nur durch ihre Grösse und Pflanzendichte, sondern vor allem auch durch ihre Artenvielfalt und Blatttexturen. Patrick Blanc sieht 30 Pflanzen pro Quadratmeter vor. Beim Projekt Caixa Forum in Madrid (vgl. «Kunst elektrisiert», TEC21 36/2008), das in Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron entstanden ist, bestücken insgesamt 20 000 Pflanzen aus 300 Arten eine Fassadenseite.

Begrünung mit System

Es existieren verschiedene Systeme zur Fassadenbegrünung im Aussenraum. Europaweit betrachtet sind die meisten Methoden in Deutschland, den Niederlanden und England entwickelt worden. Die Anwendung ist aufgrund der kälteren und längeren Winter wesentlich diffiziler, und die Auswahl der Pflanzen ist relativ klein. Üppige Pflanzwände à la Blanc sind im Freien schwieriger realisierbar.

Ein bekannter Schweizer Anbieter ist die Firma Forster in Golaten – aufbauend auf einem System zur Dachbegrünung entstanden die «HF-Vegetationswände»: Nach Montage der vorgefertigten, feuerverzinkten Stahlelemente mit vollflächiger Rückseite auf ein Stahlgerüst werden diese nach und nach mit Pflanzen und Substrat gefüllt. Gleichzeitig eingesetzte Querlamellen geben Halt. Die Standardmasse sind 90 oder 180 cm in der Höhe, 120 cm in der Breite, und 12.5 cm in der Tiefe. Die Wand kann als fertig bepflanztes Element gesetzt oder vor Ort bepflanzt werden. Be- und Entwässerung kann integriert werden, ihre Bedienung ist automatisiert oder auch per Hand möglich. Das Gewicht liegt in bepflanztem, wassergesättigtem Zustand bei 150 kg/m2.

Beim Um- und Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses in der Berner Altstadt spannt sich zwischen Vorder- und Hinterhaus ein schmaler Innenhof auf. Diesen versteckten Ort nutzten BSR Bürgi Schärer Raaflaub Architekten aus Bern in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsarchitekten David Bosshard, Bern, für eine grüne Inszenierung der Brandmauer (Abb. 3–5).[1] Die Vegetationswand besteht weitgehend aus den standardisierten Pflanzgefässen der Firma Forster und wird automatisch bewässert. Die seitlichen Einfassungen, die Unterkonstruktion sowie die begehbaren Sprossen wurden speziell für das Projekt entwickelt. Die Vegetationswand ist mit immer- und wintergrünen sowie saisonalen Pflanzenarten bestückt, die zusammen eine flächendeckende Grundbepflanzung mit üppigen Akzenten bildet. Hierzu gehören verschiedene Farne und Gräser durchmischt mit Stauden, die in einem Blau-Lila-Rosa-Farbspektrum blühen, wie Bergenien, Prachtspieren und Kaukasus- Vergissmeinnicht. So zeigt sich während des ganzen Jahres ein lebendiges Gesamtbild, das dem kleinen Hof eine eigene Identität verleiht, die dank grossen Fensteröffnungen bis in die Innenräume ausstrahlt.

Beim Neubau der Firma Edipresse in Lausanne wurde das gleiche System in Form von vegetativen Schmuckbändern eingesetzt (Abb. 6–9). In der Natursteinfassade ersetzen zwei vertikale Reihen von ca. 7 m Länge die bepflanzten Stahlelemente. Sie sind hauptsächlich mit der Japansegge «Ice Dance» bepflanzt, durchsetzt von einer kleinen Ahornart, Funkien und Farnen.

Weitere Beispiele in der Schweiz

Auch bei Lausanne Jardins 2009 war vertikales Grün ein Thema. Das zum vierten Mal organisierte Gartenfestival war während der Sommermonate vergangenen Jahres Schauplatz origineller, temporärer Installationen. Exemplarisch seien hier nur zwei Projekte genannt: Der «Green Tower» von Ex Studio aus Barcelona bildete für kurze Zeit als hohes, auffallend bepflanztes Metallgerüst den Abschluss einer Gebäudereihe. In seiner Farbigkeit nahm es die angrenzenden bunten Fassaden auf, ein Spiel der Kontraste begann, und der Ort wurde neu wahrgenommen (Abb. 10 –11). Bei der Intervention «Hosepipe Garden» installierten die Planerinnen Julie Courcelle, Mathilde Merigot und Clotilde Berrou aus Marseille in der Metrostation CHUV an den Betonwänden ein Gitter mit grünen Wasserschläuchen, bewachsen mit Medizinalpflanzen. Das Geflecht sollte einen Hinweis auf das nahe gelegene Bezirkskrankenhaus geben (Abb. 12–13).

Die Firma Creaplant bietet das System «Wonderwall» an, das in den Niederlanden entwickelt wurde. Der technische Grundaufbau besteht aus einer Basiskonstruktion aus rostfreiem Metall, einer mehrschichtigen Vegetationsmatte und integrierten Bewässerungsleitungen. Vorkultivierte Pflanzen werden mit Wurzelballen in Taschen der Vegetationsmatten gesetzt. Das Gewicht liegt in unbewässertem Zustand bei 30 kg/m2. Bisher wurde dieses System vornehmlich im Innenraum angewendet – in der Schweiz beispielsweise in den Innenräumen von HydroLab in Zürich (Abb. 14–15). Der Einsatz ist aber auch im Aussenraum ohne weiteres möglich, wie das Projekt Mercato Sportplaza in Amsterdam zeigt (Abb. 16–17).

Mehrwert

Neben der Ästhetik decken die begrünten Wände auch wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit ab. In den heutigen zunehmend dichten Städten wird es immer schwerer, einen Standort für Pflanzen oder Grünflächen zu finden. Das vertikale Grün beansprucht im Vergleich zur bepflanzten Oberfläche nur eine minimale Fläche im Grundriss. Zudem trägt es unter anderem deutlich zur Verbesserung des Kleinklimas, der Rückhaltung von Regenwasser und der Wärmedämmung bei. Unerlässlich ist allerdings konstante Pflege, Aufmerksamkeit und Kontrolle, die je nach Klima, Pflanzenwahl und System mehr oder weniger intensiv ist – in diesem Sinne bleibt das vertikale Grün ein Garten.


Anmerkung:
[01] Dieses Projekt wird imTEC21-Dossier «Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft» ausführlich vorgestellt. Es erscheint demnächst als Beilage zu TEC21.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: