Zeitschrift
Zuschnitt 37
Im Kindergarten
Erwachsenen- oder Kinderträume?
Essay
16. März 2010 - Gert Kähler
Auf wen ist eigentlich die Architektur von Kindergärten zugeschnitten? Auf die Kinder? Dann wären Türen höchstens 1,50 Meter hoch, Räume gerade noch 2 Meter, Brüstungen 50 cm: eine Zwergenwelt – Gulliver lässt grüßen. Schade, dass die betreuenden Erwachsenen das Haupt senken müssen – gesundheitsschädlich, jedoch konsequent. Wie auch sollte man die dezidiert für Kinder errichteten Bauten nicht konsequent an deren Bedürfnissen ausrichten?
Die Antwort scheint einfach, ist es aber nicht. Wenn es „kindlich“ aussieht, freut sich der erwachsene Mensch spontan für die lieben Kleinen: fröhliche Farben, kleine Fenster, niedrige Brüstungen, Kuschelecken und „warme“ Materialien. Also viel Holz und viel Hundertwasser. Als Erwachsener findet man Hundertwasser eher bedenklich. Die Gewerkschaft untersucht sogar die Folgen von Jahrhundertwasserschäden bei Kindergärtnerinnen.
Die Antwort trägt auch nicht weit genug. Denn man muss fragen, wer den Kindergarten baut (also bezahlt) und zu welchem Zweck. Er ist Teil eines Erziehungssystems und somit eines Systems, mit dem der Staat Staats-Bürger hervorbringen will. Es ist ein Irrglaube, Kindergärten seien für Kinder da; das wäre nur der Fall, wenn sich das, was kindgerecht ist, mit dem Staatsziel deckte. Denn Erziehung ist immer Erziehung zu etwas – und das wird nicht vom Kind definiert, sondern von einer externen Institution (und sei es die Familie), die nicht das Wohl des Kindes, sondern ihr eigenes im Auge hat. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass das eine mit dem anderen übereinstimmt, das muss es aber nicht. Diktaturen pflegen die Kinder- und Jugenderziehung besonders rigoros; doch es folgt daraus nicht, dass die Demokratie frei von Beeinflussung ist: Auch die „Erziehung zur Demokratie“ ist eine Indoktrination. Wären Kinder und das Ausleben ihrer Bedürfnisse allein Ziel der Architektur, könnte diese überall gleich aussehen. In der ddr und der brd sahen die Kindergärten durchaus unterschiedlich aus – so wie bei Robert Owen, Charles Fourier oder Maria Montessori.
Gerade die historische Perspektive verdeutlicht, wie sehr die Erziehung der Kinder immer einem übergeordneten, allgemein-gesellschaftlichen Ziel folgte. Wir sind heute nicht weiter: Wenn über Kindergärten die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund vorangetrieben und die deutsche Sprache verstärkt vermittelt werden soll, weil andere Methoden nicht funktionieren, ist das nicht etwas, das von den Kindern ausgeht.
„Dieser Garten der Kinder hat aber außer dem allgemeinen Zwecke das Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen, des Gliedes zum Ganzen, gleichsam des Kindes zur Familie, des Bürgers zur Gemeinde darzustellen …“ [1] So beschrieb Friedrich Fröbel (1782 – 1852) die Gärten seiner Kindergruppen und prägte damit den Begriff Kindergarten. Und er begründete das eigene Haus für Kinder mit deren Rolle als Teil des Ganzen einer Gesellschaft.
Das „Jahrhundert des Kindes“, als das die schwedische Lehrerin Ellen Key das 20. Jahrhundert bezeichnete, sollte die Perspektive einer „Erziehung vom Kinde her“ bringen. Aber es blieb bei der Sicht der Erwachsenen auf das, was sie für die „Erziehung vom Kinde her“ hielten, denn auch dabei wurde nicht etwa eine Meinungsumfrage unter Kindern zugrunde gelegt. Erst Rudolf Steiner entwickelte ein architektonisches Gesamtkonzept von Kindergarten und Schule, das auf die vermutete Kindesentwicklung reagiert. Ob seine architektonischen Schlüsse richtig sind, lässt sich allerdings schwer beweisen.
Wenn der Besuch des Kindergartens als Teilstück auf dem Wege zum Erwachsenen gesehen wird, soll man dann überhaupt kindgerecht bauen? Soll der Architekt so bauen, wie es den Kindern gemäß ist (sofern er in der Lage ist, das herauszufinden), oder vielmehr so, wie es zur Einübung in die Welt der Erwachsenen dienlich ist? Eher Hundertwasser, Günter Behnisch, Rudi Steiner oder doch lieber quadratisch, praktisch gut? Beraubt man das Kind durch einen vermeintlich kindgerechten Bau nicht der Chance zu wachsen, über das Kindgerechte hinauszugelangen? Müsste man ihm nicht das Ziel bauen, in dem es leben wird: die Erwachsenenwelt? Ein Esstisch der Erwachsenen, vier Beine und eine Platte, wird für das Kind kraft seiner Fantasie Haus, Höhle, Burg, wogegen die von Architekt oder Spielzeugindustrie angebotenen Häuser, Höhlen, Burgen diese Fantasie beschneiden. Der Kindergarten als Burg, als gestrandetes Schiff – sind das nicht Bilder, die Erwachsene in die Kinderwelt projizieren?
Die Waldorf-Pädagogen haben ihre eigene Antwort: „Alles soll kleinteilig sein, auf den kindlichen Maßstab zugeschnitten; möglichst viele individuelle Situationen, lebendige und anspruchsvolle Formen sind gefordert. Das alles wird mit einfachsten Mitteln und Materialien gemacht. Die Wände schlicht gemauert, die Steine soll man sehen. Holz von einfachster Art. Alles möglichst rustikal, auch wenn dem Erwachsenen zu primitiv. Nicht ästhetisch, nicht durchgeklügelt, nicht zu fertig.“ [2]
Weg von der fantasiereduzierenden Konkretion hin zum Elementaren: Das klingt gut – außer vielleicht für die Kindergärtnerinnen –, ist jedoch ebenfalls eine Projektion, die nur die Sehnsucht des erwachsenen Menschen nach der Kindheit zeigt. Die Kinder aber antworten auf ihre Art, mit ihrer sehnsuchtsvollen Projektion: „Wenn ich einmal groß bin, dann …“
Die Antwort scheint einfach, ist es aber nicht. Wenn es „kindlich“ aussieht, freut sich der erwachsene Mensch spontan für die lieben Kleinen: fröhliche Farben, kleine Fenster, niedrige Brüstungen, Kuschelecken und „warme“ Materialien. Also viel Holz und viel Hundertwasser. Als Erwachsener findet man Hundertwasser eher bedenklich. Die Gewerkschaft untersucht sogar die Folgen von Jahrhundertwasserschäden bei Kindergärtnerinnen.
Die Antwort trägt auch nicht weit genug. Denn man muss fragen, wer den Kindergarten baut (also bezahlt) und zu welchem Zweck. Er ist Teil eines Erziehungssystems und somit eines Systems, mit dem der Staat Staats-Bürger hervorbringen will. Es ist ein Irrglaube, Kindergärten seien für Kinder da; das wäre nur der Fall, wenn sich das, was kindgerecht ist, mit dem Staatsziel deckte. Denn Erziehung ist immer Erziehung zu etwas – und das wird nicht vom Kind definiert, sondern von einer externen Institution (und sei es die Familie), die nicht das Wohl des Kindes, sondern ihr eigenes im Auge hat. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass das eine mit dem anderen übereinstimmt, das muss es aber nicht. Diktaturen pflegen die Kinder- und Jugenderziehung besonders rigoros; doch es folgt daraus nicht, dass die Demokratie frei von Beeinflussung ist: Auch die „Erziehung zur Demokratie“ ist eine Indoktrination. Wären Kinder und das Ausleben ihrer Bedürfnisse allein Ziel der Architektur, könnte diese überall gleich aussehen. In der ddr und der brd sahen die Kindergärten durchaus unterschiedlich aus – so wie bei Robert Owen, Charles Fourier oder Maria Montessori.
Gerade die historische Perspektive verdeutlicht, wie sehr die Erziehung der Kinder immer einem übergeordneten, allgemein-gesellschaftlichen Ziel folgte. Wir sind heute nicht weiter: Wenn über Kindergärten die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund vorangetrieben und die deutsche Sprache verstärkt vermittelt werden soll, weil andere Methoden nicht funktionieren, ist das nicht etwas, das von den Kindern ausgeht.
„Dieser Garten der Kinder hat aber außer dem allgemeinen Zwecke das Verhältnis des Besonderen zum Allgemeinen, des Gliedes zum Ganzen, gleichsam des Kindes zur Familie, des Bürgers zur Gemeinde darzustellen …“ [1] So beschrieb Friedrich Fröbel (1782 – 1852) die Gärten seiner Kindergruppen und prägte damit den Begriff Kindergarten. Und er begründete das eigene Haus für Kinder mit deren Rolle als Teil des Ganzen einer Gesellschaft.
Das „Jahrhundert des Kindes“, als das die schwedische Lehrerin Ellen Key das 20. Jahrhundert bezeichnete, sollte die Perspektive einer „Erziehung vom Kinde her“ bringen. Aber es blieb bei der Sicht der Erwachsenen auf das, was sie für die „Erziehung vom Kinde her“ hielten, denn auch dabei wurde nicht etwa eine Meinungsumfrage unter Kindern zugrunde gelegt. Erst Rudolf Steiner entwickelte ein architektonisches Gesamtkonzept von Kindergarten und Schule, das auf die vermutete Kindesentwicklung reagiert. Ob seine architektonischen Schlüsse richtig sind, lässt sich allerdings schwer beweisen.
Wenn der Besuch des Kindergartens als Teilstück auf dem Wege zum Erwachsenen gesehen wird, soll man dann überhaupt kindgerecht bauen? Soll der Architekt so bauen, wie es den Kindern gemäß ist (sofern er in der Lage ist, das herauszufinden), oder vielmehr so, wie es zur Einübung in die Welt der Erwachsenen dienlich ist? Eher Hundertwasser, Günter Behnisch, Rudi Steiner oder doch lieber quadratisch, praktisch gut? Beraubt man das Kind durch einen vermeintlich kindgerechten Bau nicht der Chance zu wachsen, über das Kindgerechte hinauszugelangen? Müsste man ihm nicht das Ziel bauen, in dem es leben wird: die Erwachsenenwelt? Ein Esstisch der Erwachsenen, vier Beine und eine Platte, wird für das Kind kraft seiner Fantasie Haus, Höhle, Burg, wogegen die von Architekt oder Spielzeugindustrie angebotenen Häuser, Höhlen, Burgen diese Fantasie beschneiden. Der Kindergarten als Burg, als gestrandetes Schiff – sind das nicht Bilder, die Erwachsene in die Kinderwelt projizieren?
Die Waldorf-Pädagogen haben ihre eigene Antwort: „Alles soll kleinteilig sein, auf den kindlichen Maßstab zugeschnitten; möglichst viele individuelle Situationen, lebendige und anspruchsvolle Formen sind gefordert. Das alles wird mit einfachsten Mitteln und Materialien gemacht. Die Wände schlicht gemauert, die Steine soll man sehen. Holz von einfachster Art. Alles möglichst rustikal, auch wenn dem Erwachsenen zu primitiv. Nicht ästhetisch, nicht durchgeklügelt, nicht zu fertig.“ [2]
Weg von der fantasiereduzierenden Konkretion hin zum Elementaren: Das klingt gut – außer vielleicht für die Kindergärtnerinnen –, ist jedoch ebenfalls eine Projektion, die nur die Sehnsucht des erwachsenen Menschen nach der Kindheit zeigt. Die Kinder aber antworten auf ihre Art, mit ihrer sehnsuchtsvollen Projektion: „Wenn ich einmal groß bin, dann …“
[1] Friedrich Fröbel: Die Gärten der Kinder im Kindergarten, zit. nach: Wilma Grossmann: Kindergarten. Eine historisch-systematische Einführung in seine Entwicklung und Pädagogik, Basel 1987, S. 28.
[2] Werner Seyfert: Kindergärten bauen, in: Bauwelt 38/76, S. 1200.
[2] Werner Seyfert: Kindergärten bauen, in: Bauwelt 38/76, S. 1200.
Für den Beitrag verantwortlich: zuschnitt
Ansprechpartner:in für diese Seite: Kurt Zweifel