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TEC21 2010|22
An die Arbeit!
TEC21 2010|22
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Wo die Firma zuhause ist»

Das Büro ist längst ein Synonym für den Arbeitsplatz geworden. Etwa zwei Drittel aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Schweiz arbeiten heute in Büros. Aber obwohl 10 % der Gesamtbürofläche in der Schweiz leer stehen, werden weiterhin Büros gebaut. Was muss das Büro der Zukunft können, und wie sieht die Beziehung Mensch – A rbeitsplatz aus? Ein Gespräch mit Toni Lengen vom Zürcher Büroentwickler und -planer OFF Consult.

28. Mai 2010 - Tina Cieslik
TEC21: Was sind momentan die Hauptbedürfnisse Ihrer Kunden? Gibt es einen Wandel vom Repräsentationsbedürfnis zu Aspekten wie Gesundheit oder Steigerung der Produktivität?
Toni Lengen: Die Steigerung der Produktivität ist nach wie vor ein Thema – allerdings kein lautes. Die Ressource Arbeitskraft, vor allem die der hoch qualifizierten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, ist in der Schweiz sehr wertvoll. Es wird also nichts umgesetzt, was die Mitarbeitenden verärgern könnte. Das macht es schwierig, unkonventionelle Ideen zu realisieren. Wir glauben, dass in der Schweiz mit leer stehenden Büroarbeitsplätzen eine immense Fläche vergeudet wird. Das Einzelbüro ist immer noch ein Statussymbol, obwohl es das hierarchische Büro praktisch nicht mehr gibt.

TEC21: Wie sind Ihre Erfahrungen mit offenen, multipel genutzten Flächen?
TL: Im Gegensatz zu den Grossraumbüros der 1970er- und 1980er-Jahre, bei denen die Motivation darin lag, Kosten zu sparen, sind die Erfahrungen dort, wo man bewusst geplant hat, positiv. Eines der wichtigsten Themen in der Büroplanung ist die Kommunikation. Wir glauben, dass die Ressource ‹Mitarbeiter-Know-how› riesig ist und in vielen Betrieben dennoch schlecht genutzt wird. Eine ideale Formel für eine offene Fläche ist die Teamgrösse. Zwar kann eine offene Fläche mehrere Teams beherbergen, aber die Zonen sollten gegeneinander abgegrenzt sein. Eine Teamgrösse um die 15 Leute ist optimal: Die Leute sollen sich miteinander unterhalten können, um voneinander zu profitieren.

TEC21: Wie liesse sich diese Ressource besser nutzen, ausser über solche offenen Flächen?
TL: Es ist eine ganze Kette von Massnahmen, die zum Tragen kommen muss. Dazu gehören klassische Aspekte wie Mitarbeiterführung, Aus- und Weiterbildung und ein langfristiges Personalmanagement. Weitere Elemente sind die Infrastruktur und das Büro. Nach unserer Meinung mit offenen Zonen – aber intelligenten offenen Zonen. Natürlich spielen auch die Prozesse eine Rolle. Wie unterstützt man diese, damit eine optimale Zusammenarbeit möglich ist?

TEC21: Entspricht es dem Wunsch der Firmen, die Prozesse auch durch bauliche Massnahmen zu optimieren, indem man das Organigramm eines Betriebes räumlich umsetzt?
TL: Wir haben einige Kunden, bei denen wir sogenannte ‹One-Roof-Konzepte› umgesetzt haben, die im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit, Flexibilität und auch bessere Arbeitsstrukturen sinnvoll waren. Es kann aber durchaus sein, dass gewisse Unternehmenseinheiten an einem anderen Standort gut aufgehoben sind. Auch bei den einfachsten Projekten werden zunächst die Arbeitsabläufe betrachtet. Bei der vertieften Betrachtung werden die Prozesse der einzelnen Abteilungen miteinander abgestimmt, um beurteilen zu können, welche Struktur am besten funktioniert. Auch wenn in bestimmten Positionen ein Einzelbüro sinnvoll ist, denken wir, dass Multi-Space-Büros eine Zukunft haben. Die Menschen werden den persönlichen Kontakt immer schätzen – aber nicht jederzeit. Deswegen müssen auch Rückzugsmöglichkeiten angeboten werden.
Der Kontakt zwischen den Mitarbeitern wird auch bei der Diskussion um Home-Office und mobile Arbeitsplätze unterschätzt. Die Sozialisation als Teil jeder Firmenkultur lässt dort eine Firmenidentität entstehen, wo das Unternehmen daheim ist. Das ist in der Regel ein Haus, ein Ort, eine Adresse. Wir haben eine Firma betreut, die mit ‹virtuellen› Büros angefangen und jetzt wunderschöne Büroräume bezogen hat. Dabei handelte es sich um eine Neugründung, die sich aus verschiedenen Konstellationen heraus entwickelt hat. Man merkte jedoch schnell, dass es irgendwo eine Postadresse geben muss, rechtlich gesehen braucht es einen Firmensitz. Selbstverständlich ist aber auch eine Kombination möglich: Home-Office oder Satellitenbüros sind grosse Themen. Die Büroimmobilie wird trotzdem nie aussterben.

TEC21: Der Internet-Suchdienst Google bietet seinen Mitarbeitern am Standort Zürich unkonventionelle Arbeitsplatzumgebungen. Wird diese Philosophie als Trendsetter betrachtet oder eher als exotisch gesehen?
TL: Ich denke nicht, dass dies Trendsetter sind. Büros haben heute stark mit Recruiting und Marketing zu tun; zum einen auf der Kundenseite, aber auch, wenn es um zukünftige Mitarbeiter geht. Google hat bewusst einen Weg gesucht, über ihre Büroinfrastruktur bestimmte Leute anzusprechen. Sie haben einen sehr werbewirksamen Auftritt gewählt, die Arbeit muss aber auch dort mehrheitlich an einem ganz normalen Arbeitsplatz erledigt werden. Das Angebot wird zwar genutzt, aber nicht von einer breiten Masse.
Das ist eine Erfahrung, die auch wir machen: Bietet ein Kunde im Rahmen eines Gesundheitskonzeptes Regenerationsmöglichkeiten an, wird immer nur ein kleiner Teil der Belegschaft solche Angebote nutzen. Viele Leute kann man gar nicht ansprechen. Sie sind der Meinung: Ich gehe arbeiten, mehr brauche ich nicht.
Um aber auf die Produktivität zurückzukommen: Das Fraunhofer-Institut in Stuttgart hat eine Studie dazu gemacht, die auch die Frage der Regeneration aufwirft.[1] Die Wissensarbeit ist komplexer als vor dreissig Jahren, als es repetetive Arbeit gab, die heute der Computer übernommen hat. Man ist anders gefordert, arbeitet in anspruchsvollen Jobs auch tendenziell länger. Es muss daher sensibel beobachtet werden, wie die tatsächliche Produktivität der Menschen aussieht. Die Studie zeigt, dass bei einem Achtstundentag nur während sechs Stunden tatsächlich produktiv gearbeitet wird.
Wenn man es also schafft, von diesen zwei Stunden unproduktiven Arbeitens noch eine Stunde produktiv zu leisten, würde dies eine enorme Steigerung der Effektivität bedeuten. Die Regeneration zur Steigerung der Leistungsfähigkeit müsste Teil der Firmenkultur werden. Leider ist das heute noch nicht so. Auch bei Firmen, die mit unseren Angeboten konform gehen, ist die Mentalität immer noch: Ich gehe zum Arbeiten ins Büro, nicht zum Schlafen. Wenn man während der Arbeitszeit Entspannungszeiten einschiebt, wird das als Zeichen von Schwäche interpretiert.

TEC21: Das liegt möglicherweise auch an der Art, wie solche Angebote präsentiert werden und ob sie Teil der Unternehmenskultur sind.
TL: Wir erleben oft während eines Projektes, dass wir auf solchen Konzepten nicht bestehen können. Sie würden nicht funktionieren, weil sie nicht zur Unternehmenskultur passen. Wir haben z. B. in einer Firma Stehkonferenztische eingebaut. In diesem Fall kam etwa zeitgleich ein neuer CEO, der das ganze Konzept verworfen hat. Bei solchen Projekten weiter Druck zu machen, würde an der Unternehmenskultur vorbeigehen. Früher ging es sehr stark um den grossen Wurf. Mittlerweile wissen wir, dass es nicht funktionieren kann, wenn der Mensch einer Entwicklung nicht folgen kann.

TEC21: Werden von Ihnen nach einiger Zeit Evaluationen der Projekte durchgeführt, der Soll- mit dem Ist-Zustand verglichen?
TL: Das ist durchaus üblich, vor allem bei Projekten, die wir substanziell mit- oder komplett neu entwickeln. Bei Firmen, die wir über lange Zeit begleitet haben, interessiert es uns natürlich, wie sich die Konzepte im Alltag bewähren. Auch dort kämpft man mit der Tatsache, dass sich das Konzept konventioneller weiterentwickelt, als wir uns das wünschen. Man schreckt noch immer davor zurück, den Vollarbeitsplatz in das System aufzunehmen und z. B. Desk-Sharing zu praktizieren. Aber auch da muss man sich mit den letzten dreissig Jahren Bürogeschichte auseinandersetzen. Damals hat man sehr konventionelle Büros gebaut. Treiber waren Optimierung der Fläche und Kosteneinsparungen, während heute eher das Knowledge-Management im Vordergrund steht. Damals wurden unter Umständen die Abteilungen auch auseinandergerissen; heute würde man wahrscheinlich eher die Wand abreissen. Das ist auch im sozialen Sinn eine positive Entwicklung.

TEC21: Im Bauen werden aktuell Nachhaltigkeitsthemen wie Energiesparen oder baubiologisch korrekte Materialien stark diskutiert. Ist das in der Büroplanung ein Thema?
TL: Absolut. Wobei man sagen muss, dass bei Herstellern und Lieferanten von Büroeinrichtungen lösungsmittelfreie Farbe und Lacke längst dem Standard entsprechen. Andererseits ist es erstaunlich, wie leichtfertig man mit anderen Themen umgeht. Nachhaltigkeit ist eine Frage der Definition. Bei der Forumsveranstaltung ‹Green Office›, die wir zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation angeboten haben (vgl. «Das optimale Büro?», S. 35), ging es nicht nur um den Umgang mit der Energie, obwohl das ein wichtiger Faktor war. Ein nachhaltiges Büro ist nicht nur ökologisch vorbildlich ausgerichtet, sondern auch gegenüber den Mitarbeitenden. Insofern ist Gesundheit auch ein Thema der Nachhaltigkeit.

TEC21: Gibt es heute in der Büroplanung ein ‹must-have›, ein Statussymbol?
TL: Wir haben festgestellt, dass man der Konferenzinfrastruktur zunehmend wieder eine andere Beachtung schenkt, die Menschen wieder ‹zu sich nach Hause holt›. Das hat mit klassischer Gastfreundschaft zu tun, aber auch mit dem Wunsch, die eigene Authentizität erlebbar zu machen. Nach wie vor spielt auch die Architektur eine grosse Rolle. Leider ist bei der Planung die Aussen-Innen-Betrachtung immer noch wichtiger als die Innen-Aussen- Betrachtung, die wir verfechten. Spannend sind die Projekte, bei denen wir schon in der Wettbewerbsphase mit einbezogen sind und das Briefing der Architekten durchführen können. Wir hatten ein paar Mal die Chance, bei der Erstellung des Betriebsprogramms die Anforderungen an die Primärstruktur mitzudefinieren. Diese Betrachtung entspricht dem Menschen auch besser. Nicht alles, was schön ist, ist auch dienlich, um darin zu arbeiten. Andererseits gibt es einen wachsenden Kreis von Architekten, der durchaus einsieht, dass es die sogenannten ‹work environment specialists› genauso braucht wie den Tragwerksplaner oder den Sanitäringenieur.

TEC21: Gibt es durch die wachsende Durchmischung der Arbeitswelt – z. B. durch die zunehmende Internationalisierung oder durch eine höhere Anzahl von Frauen in Führungspositionen – einen Wandel der Bedürfnisse?
TL: Diese Frage ist mir zuletzt im Zusammenhang mit älteren Mitarbeitern gestellt worden. Der Unterschied der Generationen ist in den Büros bald nicht mehr so riesig. Der 65-jährige Mitarbeiter arbeitet mit der gleichen Infrastruktur und benutzt die gleichen Kommunikationswege wie die Jungen. Es gibt körperliche Aspekte, die man berücksichtigen muss, z. B. dass ausreichend Licht vorhanden ist, dass man unter Umständen lärmempfindlicher ist. Diese Bedürfnisse müssen ernst genommen werden.
Was das Internationale anbelangt, wird künftig eher eine Rolle spielen, in was für einem Umfeld eine Firma steht, in der Stadt oder auf der grünen Wiese. Mit tendenziell jüngeren Mitarbeitern befindet man sich besser in einer urbanen Umgebung. Hier kommt auch das Umfeld insgesamt zum Tragen: Gibt es Einkaufs- und Ausgehmöglichkeiten, ein kulturelles Angebot, Betreuungsangebote für Kinder? Ein Bürohaus kann heute nicht mehr isoliert betrachtet werden. Im Gegenteil: Gerade auf der grünen Wiese werden ergänzende Dienstleistungen um den Arbeitsplatz immer wichtiger. Dazu gehören die Reinigung der Kleider oder Convenience-Angebote zur Verpflegung ausserhalb der Öffnungszeiten der Kantine.

TEC21: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
TL: Eines unserer wegweisenden Projekte ist PricewaterhouseCooper in Zürich Oerlikon. PwC ist ein Multi-Space-Konzept, das wir ganzheitlich bearbeiten konnten. Ursprünglich wurde die Arealüberbauung zusammen mit ABB-Immobilien entwickelt. Wir haben den Grundausbau auf der Mieterseite begleitet sowie den ganzen Innenausbau geplant und realisiert. Themen waren u.a. die Gesundheit und die Mobilität. Das Mobilitätskonzept wurde gemeinsam mit einem darauf spezialisierten Ingenieurbüro entwickelt. Leider wurde es dann nicht im geplanten Umfang umgesetzt.

TEC21: Wie sah dieses Konzept aus?
TL: Es sollte kostenneutral realisiert werden, und bei der Summe wurde von den Subventionen für die Parkplätze ausgegangen. Dieser Betrag wurde neu verteilt. Die wenigen Parkplätze, die es gab, waren nicht mehr so günstig, dafür hätten alle Mitarbeitenden einen Beitrag an das Abonnement für den öffentlichen Verkehr erhalten. Dass sich das Konzept letzten Endes nicht durchsetzte, hatte auch mit der Rekrutierung von neuem Personal zu tun. Solange Studienabgänger ihre Prioritäten auf Einzelbüro und reservierten Parkplatz setzen, hat ein solches Konzept keine Chance.

TEC21: Die Unternehmen könnten so ein Konzept ja auch zu Marketingzwecken nutzen, um sich als nachhaltige Firma zu positionieren.
TL: Dies geschieht auch zunehmend. PricewaterhouseCoopers hat beispielsweise viel Neues gewagt, ist aber trotzdem ein eher traditionelles Unternehmen mit konservativer Kundschaft. Allzu progressive Ideen würden als Schwäche ausgelegt, nicht als Stärke – zumindest damals beim Bezug der neuen Büros. Unsere Welt ist nach wie vor geprägt von einer gewissen Bequemlichkeit.

TEC21: Welches sind die Zukunftsvisionen in der Büroplanung?
TL: Es wird erst dann im Büro einen Quantensprung geben, wenn die Technologie wieder einen Quantensprung macht, so wie das mit der Einführung der Desktop-Computer geschehen ist. Es gibt spannende Innovationen wie Digitalstrom, bei dem sich Daten über das bestehende Stromnetz übertragen lassen.[2] Das sind allerdings Neuerungen, die den Mitarbeitenden im Arbeitsprozess nicht unbedingt tangieren. Man wird sicher auch stärker versuchen, Nachhaltigkeitsziele wie die der 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen. Ich denke, der ganzheitliche Ansatz wird zunehmend zum Tragen kommen, zum Beispiel das Thema ‹Wohnen und Arbeiten› in einer vernünftigen Entfernung, zum Beispiel in Velodistanz.


[Gesprächspartner: Toni Lengen, Inhaber und Seniorconsultant OFF Consult AG, Zürich (www.offconsult.ch). Seit 26 Jahren im Bürobereich tätig, 20 Jahre davon selbstständig mit der Innovationsplattform Office LAB AG, www.officelab.ch]


Anmerkungen:
[01] Empirische OFFICE-21-Studie «Office Performance», Fraunhofer IAO, Stuttgart, 2002, www.office21.de/forschung/office_performance.htm
[02] Digitalstrom ist ein Bus-System zur Steuerung und Überwachung elektrischer Verbraucher über das vorhandene Stromnetz. Das System wurde an der ETH Zürich entwickelt

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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