Zeitschrift

TEC21 2010|27-28
Musik und Architektur
TEC21 2010|27-28
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Lautsprecher

Mit freiem Blick auf die imposante Baustelle der Elbphilharmonie steht auf der obersten Ebene der Hamburger Magellanterrassen ein Kubus. Ein abstrakt gehaltener Körper, im unteren Bereich schwarz und geschlossen, im oberen Teil verglast und durchlässig. Aus der Orthogonalität und dem Massstab seiner Umgebung ausbrechend, nachts mittels Beleuchtung sogar vom Boden abgehoben, behauptet sich der kleine Bau auf diesem zentralen Platz der Hafencity: der Infopavillon Elbphilharmonie, errichtet vom Hamburger Studio Andreas Heller.

2. Juli 2010 - Monika Isler Binz
Der Pavillon steht sowohl geometrisch als auch inhaltlich in Beziehung zur Elbphilharmonie: Er ist auf die rechte Kante des Kaispeichers A und damit auf den Sockel der Elbphilharmonie ausgerichtet und beherbergt eine Ausstellung, die über die Architektur und den musikalischen Betrieb der von Herzog & de Meuron entworfenen Elbphilharmonie informiert. Zudem kann im Obergeschoss das 1:10-Modell des grossen Konzertsaals besichtigt werden. Der dreigeschossige Pavillon ist als «fliegender Bau» konzipiert und kann nach Erfüllung seiner Aufgabe leicht entfernt werden. Das Ephemere des Baus sowie die Lage am Wasser legte die Ausführung in Stahl nahe. Die Abmessungen des Kubus spielen mit ihren 10 × 10 × 10 m auf ein normiertes Mass an, sollen mit den Worten von Architekt Andreas Heller «keine Bedeutung » haben. Der unter anderem dadurch erreichte Abstraktionsgrad hebt sich bewusst vom expressiven Gestus der Elbphilharmonie ab und lässt das Bild einer Vitrine entstehen, in der das Akustikmodell der Elbphilharmonie wie ein Schmuckstück präsentiert wird.

Spiegelungen

«Der Pavillon zitiert in seinem Baukörper die Elbphilharmonie», sagt Architekt Heller, und wahrlich offenbaren sich trotz der eigenständigen Kubatur auf den zweiten Blick einige formale Bezüge: Wie die Elbphilharmonie ist der Pavillon in einen unteren, geschlossenen sowie einen oberen, gläsernen und nachts leuchtenden Teil gegliedert. Bei beiden Bauten ist der Konzertsaal – auch wenn im Pavillon lediglich in Form des Modells – von aussen sichtbar und die mittlere Ebene, die Plaza bzw. das erste Obergeschoss, als Aussichtsplattform gedacht. Sogar in Details wie der Punktrasterung und den Farbverläufen an den Fassaden ist die Referenz auf das Konzerthaus spürbar.

Bei näherem Herantreten offenbart der Pavillon jedoch eine ihm ganz eigene Facette. Er macht sich akustisch bemerkbar, sendet in den dichten, lauten Klangteppich der Umgebung eigene akustische Signale aus und lockt die Passanten den griechischen Sirenen gleich mit Ausschnitten konzertanter Musik zu sich heran. Diese ertönen aus an der Fassade angebrachten «Klanghörnern», in ihrer Form frei entworfenen Schalltrichtern, die aus Aluminium- Druckguss gefertigt sind. Farblich in die Fassade integriert, öffnen sie das Gebäude nach aussen hin. So wird das Gebäude selbst zum Instrument, das durch die Trichter mit den Besucherinnen und Besucher zu kommunizieren beginnt.

Der Pavillon tritt aber nicht nur auf einer akustischen, sondern auch auf einer taktilen Ebene mit den Besuchern in Kontakt. Diese müssen nämlich ihre Köpfe dicht an die Hörtrichter heranhalten, um die Musik deutlich zu hören bzw. die in einigen wenigen Trichtern gezeigten Filmeinspielungen des NDR-Symphonieorchesters zu sehen. Entsprechend deuten die Schalltrichter mit der unterschiedlichen Abschrägung ihres äusseren Abschlusses verschiedene Körperhaltungen an und gehen mit ihrer in der Höhe springenden Setzung an der Fassade auf die diversen Körpergrössen der Besucher ein. Das abstrakte, strenge Fassadenbild der Aluminium- und Glasplatten wird somit von einer verspielten Ebene überlagert und erhält eine musikalische Konnotation, wie sie André Baltensperger anhand von Le Corbusiers – bzw. Iannis Xenakis’ – «pans de verres ondulatoires» für das Kloster La Tourette beschreibt: «Die ‹Musik› entsteht somit durch die Bewegung des Auges, welches über die architektonischen Elemente hinweggleitet und deren rhythmische Gliederung wahrnimmt.» Die eigentliche Ausstellung im Inneren des Gebäudes ist den Themen Architektur und Musik entsprechend zweigeteilt. Dazu wurde das Erdgeschoss durch einen offenen Durchgang mittig geteilt, der seinerseits auf die Baustelle der Elbphilharmonie ausgerichtet ist und diese damit in den Blickpunkt rückt. Beidseits des Durchgangs werden zum einen die Geschichte des Ortes, die Architektur der neuen Elbphilharmonie und deren Nutzung, zum anderen die musikalische Tradition, das Musikerlebnis sowie das künftige Programm des Konzerthauses erläutert.

In der Akustik berühren sich Musik und Architektur

Im ersten Obergeschoss des Pavillons dominiert das räumlich-visuelle Erlebnis. Ab Brüstungshöhe ist der Raum vollständig verglast und bietet ein Panorama mit Blick auf die Elbphilharmonie, den Schiffhafen und den entstehenden Sandtorpark. Aufgrund der von unten ausgefachten Einhängevorrichtung für das Akustikmodell scheint der Raum eher niedrig, einzig direkt an den Fenstern zeigt sich seine volle Höhe. Im Zentrum dieses Geschosses, das auch für kleinere Veranstaltungen genutzt wird, steht einer Gangway gleich der mobile Aufgang zum Modell.

Das Modell im Massstab 1:10 war für die Akustikplanung von grosser Bedeutung. Unter der Vorgabe eines hervorragenden Klanges im grossen Saal arbeiteten die Architekten Herzog & de Meuron schon seit Beginn des Projektes mit Yasuhisa Toyota (Nagata Acoustics Inc.), einem der weltweit renommiertesten Akustikdesigner, zusammen. Der Grosse Konzertsaal ist eine radikale architektonische Weiterentwicklung der philharmonischen Bautypologien. Zwar ist die Grundidee eines Raums, in dem sich Orchester und Dirigent inmitten des Publikums befinden, eine bekannte Typologie. Auch die Tatsache, dass die Architektur und die Anordnung der Ränge sich aus der Logik von akustischer und visueller Wahrnehmung ableiten, gehört zum Stand der Technik. Hier führt diese Logik jedoch zu einem anderen Schluss: Die Ränge reichen hoch in den Gesamtraum hinein und bilden mit Wand und Decke eine räumliche Einheit. Dieser neue Raum, vertikal aufragend, beinahe wie ein Zelt, wird nicht primär von der Architektur bestimmt, sondern von den 2150 Zuschauenden und Musikern, die sich gemeinsam versammeln, um Musik zu machen und Musik zu hören. Die aufragende Geste des grossen Saals ist die formgebende statische Struktur für den gesamten Baukörper und zeichnet sich dementsprechend in der Silhouette des Gebäudes ab.

Klang materialisiert als Abdruck des Schals

Nachdem die akustischen Effekte des entsprechend konzipierten grossen Saales erst in digitalen 3D-Modellen simuliert worden waren, konnte insbesondere das Entstehen ungewollter Echos im 1:10-Modell überprüft werden. Dazu wurde das mit entsprechender Bestuhlung und Oberflächenstrukturen versehene Modell mit 2150 in Filz gewandeten Püppchen besetzt, mit diversen Mikrofonen ausgestattet, gegen aussen luftdicht abgeschlossen und mit Stickstoff gefüllt, um das Modell gasdicht abzuschliessen, was verfälschende Einflüsse der Atmosphäre auf die Messungen verhindert. Die ausgesendeten Tonsignale wurden massstabsgetreu umgerechnet. Die aus den Messungen resultierende Optimierung der Raumakustik schlug sich in Anpassungen der strukturierten Verkleidung sowie Modifizierungen einiger Brüstungswinkel nieder.

Heute ist das Modell Herzstück des Pavillons und ermöglicht schon vor der Eröffnung der Elbphilharmonie einen Blick in den grossen Konzertsaal. Den meist einzeln ihre Köpfe von unten in das Modell steckenden Besuchern bietet sich denn auch ein Eindruck, der durch den Moment des Alleinseins und den Standpunkt «mitten im Saal» intensiviert wird: Ineinander verschränkte Ränge schieben sich – den engen Platzverhältnissen auf dem Kaispeicher geschuldet – zu einem steilen Zuschauerkessel zusammen. Dem Inneren einer Schnecke oder einer von Wasser geformten Höhle gleich ordnen sie sich unregelmässig um die zentrale Bühne herum an. Es scheint, als ob der Klang die feste Materie geformt hätte und sich die Architektur weniger als Friedrich von Schellings «erstarrte Musik», sondern vielmehr als Abdruck des sich ausbreitenden Schalls präsentiert. Die Musik wird quasi in der Architektur sichtbar, der optische Eindruck und das mit dem Saal verknüpfte akustische Erlebnis decken sich.

Dieses Phänomen gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass sich die Architektur und die darin gespielte Musik in jüngerer Vergangenheit auseinander entwickelt hatten. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts stimmten Architektur und Musik stilistisch nämlich überein, die Musik wurde in der Regel für einen bestimmten Anlass und den entsprechenden Raum komponiert. Mit dem Übergang zu einem «musealen» Konzertbetrieb, in dem vor allem Musik aus vergangener Zeit gespielt wird, und den erweiterten Möglichkeiten in der Architektur ging die Einheit des visuellen und des akustischen Erlebnisses verloren. Der grosse Konzertsaal der Elbphilharmonie knüpft auf seine Art direkt an das Hörerlebnis an und stellt so wieder einen mitnichten formalen, dafür aber sinnlichen Bezug zwischen Musik und Architektur her.

Klingende Architektur

Dies zeigt sich auch in einem Detail des Saals, das seiner akustischen Feineinstellung dient. Mit der sogenannten Weissen Haut, einer neuartigen Wandverkleidung, soll der Klang optimal reflektiert und jeder Platz des Saals mit perfektem Klang versorgt werden. Sie besteht aus etwa zwölftausend Gipsplatten von hoher Dichte, deren individuelle Fräsung auf 3DBerechnungen und der Überprüfung im Modell basiert. Als akustisch wirksames Element wird die Weisse Haut nicht versteckt, sondern zum prägenden Ausdrucksmittel stilisiert und damit die Ausbreitung bzw. Reflexion des Schalls architektonisch thematisiert. Zusammen mit einem riesigen, trichterförmigen Schallreflektor über der Bühne ermöglicht sie die Optimierung von Form und Oberfläche des Saales, der einem gestimmten Instrument gleich der Musik als Resonanzkörper dient.

In diesem Sinne kann Andreas Hellers Aussage, dass «die Idee der Architektur ist, der Musik einen Raum zu geben», sowohl auf den Pavillon als auf den grossen Konzertsaal der Elbphilharmonie bezogen werden – und um den Nachsatz ergänzt werden, dass bei beiden über die Visualisierung der Akustik die Architektur auf ihre Art zu klingen beginnt.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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