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TEC21 2010|33-34
Auf Herz und Nieren
TEC21 2010|33-34
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schallemissionsanalyse

Das Verfahren der Schallemissionsanalyse (SEA ) macht sich zunutze, dass plötzliche Veränderungen im Gefüge eines Werkstoffs, die durch chemische, mechanische oder thermische Vorgänge ausgelöst werden, auch zur Emission von Schall führen. Hat man die Schallwellen erfasst, erlaubt deren Analyse Rückschlüsse auf den Zustand des Werkstoffs bzw. des Bauteils. Aber: zuhören allein reicht nicht, man muss die Signale auch verstehen.

13. August 2010 - Christian Grosse
Im Inneren mechanisch beanspruchter Materialien können sich Mikrorisse bilden, deren allmähliches Zusammenwachsen schliesslich zum Bruch führen oder das Bauteil in seiner Funktionsfähigkeit erheblich negativ beeinflussen. Bildung und Wachstum von Rissen führen zur Freisetzung von elastischer Energie in Form von Schallwellen. Dieses Phänomen wird als Schallemission bezeichnet und seit mehr als 50 Jahren im Rahmen der Schallemissionsanalyse systematisch untersucht. Häufig bestehen diese Signale aus einem sehr prägnanten kurzen Wellenzug, dem sogenannten «Burstsignal». In diesem kurzen Signal ist ein breites Frequenzspektrum von Wellen enthalten; nicht nur aus dem Ultraschallbereich (US), sondern teilweise sogar bis in den hörbaren Bereich hinein. Der Frequenzbereich von Schallemissionen beim Beton liegt zwischen 10 und 200 kHz mit entsprechenden Wellenlängen zwischen 2 und 40 cm.

Hören und verstehen

Selbst kleine Risse strahlen einen breiten Frequenzbereich und somit auch Wellen mit grösserer Wellenlänge als die Inhomogenitäten des Betons ab. So lassen sich mit diesem Verfahren im Gegensatz z. B. zu Ultraschallmethoden auch sehr kleine Fehlstellen lokalisieren. Da der Riss quasi selbst das Messsignal produziert, ist einerseits der Laufweg zum Aufnehmer kürzer als bei einer US-Durchschallung, und andererseits können mit einem Aufnehmer theoretisch ganze Bauteile «auf einen Schlag» (also integral) untersucht werden. Zuerst muss eine Schallemission erzeugt werden, d.h. das Bauteil muss belastet werden. Ganz so einfach ist dies allerdings nicht, da nach dem Kaiser-Effekt diese Belastung höher sein muss als alle vorher auf das Bauteil angewendeten. Für Beton (und evtl. auch für einige andere Materialien) scheint dieser Effekt jedoch zeitlich begrenzt zu sein. Als Nachteil bleibt, dass dieses passive Messverfahren in der Regel nur irreversible Vorgänge messen kann. Eine Ausnahme sind die Reibungen der Rissflächen aneinander (Rissuferreibung), jedoch ist dieses Phänomen für die meisten Baustoffe noch nicht befriedigend erforscht. Ausserdem kann es bei der plastischen Verformung von Materialien zu einer kontinuierlichen Emission von Schallsignalen kommen (Abb. 1). Die Analyse der Schallemissionssignale ist kompliziert. Alle Informationen über den Defekt stecken in dem von ihm ausgesendeten Signal – man muss die Signale allerdings richtig interpretieren. Die Interpretationsmethoden, nach denen die SE-Signale ausgewertet werden können, beruhen meist auf seismologischen Verfahren, da man es bei der Erdbebenkunde mit ganz ähnlichen Fragestellungen zu tun hat.

Verfeinerung der Technik

Mithilfe von SEA-Apparaturen war früher nur die Aufnahme von wenigen typischen Signalparametern (Ankunftszeit, Amplitude, Abklingzeit etc.) möglich; die Signale selbst wurden nicht aufgezeichnet. Die Auswertung beschränkte sich daher häufig auf eine zeitliche Statistik der Schallemissionen. Deswegen bezeichnet man diese Art der Anwendung häufig auch als «parameterbasierte Schallemissionsanalyse». Heute setzt sich jedoch immer mehr die Erkenntnis durch, dass – soweit möglich – eine sorgfältige Analyse der gesamten Signalform zur Interpretation erforderlich ist. Für diese sogenannte «signalbasierte Schallemissions analyse» ist eine Lokalisierung eines Ereignisses eine der wichtigsten Vorbedingungen. In einem dreidimensionalen Körper sind zur Ortung eines Ereignisses mindestens vier Aufnehmer nötig, da vier Unbekannte (drei Raumrichtungen und die Ursprungszeit) bestimmt werden müssen. Aus der relativen Laufzeit der einzelnen Signale zu den Aufnehmern kann auf den Ursprungsort geschlossen werden. Weitaus schwieriger ist die bruchmechanische Klassifizierung des Risses mithilfe der SEA. Hier befindet sich die Wissenschaft erst am Anfang. Anregungen für geeignete Auswertemethoden liefert hier ebenfalls die Seismologie (Herdflächenlösung, seismisches Moment).

Die Unterschiede zwischen parameter- und signalbasierter Schallemissionsanalyse haben einen grossen Einfluss auf die Aufzeichnungstechnik und die Auswertemethoden. Als passives zerstörungsfreies Verfahren eignet sich die Schallemissionsanalyse überwiegend für die Langzeitbeobachtung von Bruchprozessen im Labor oder bei der Dauerüberwachung von Bauwerken (Structural Health Monitoring). Während signalbasierte Verfahrend eher im Laborbereich angewendet werden, sind parameterbasierte Techniken oft die Wahl bei Bauwerksuntersuchungen.

Design und Optimierung neuer Werkstoffe

Die Schallemissionsanalyse ist ein exzellentes Werkzeug, um Bruchprozesse in Werkstoffen zu beobachten. In Kombination mit der numerischen Simulation können so Schädigungsprozesse analysiert und ein Werkstoff für bestimmte Anforderungen optimal hergestellt werden. Abb. 2 zeigt eine typische Anwendung, bei der das Verbundverhalten zwischen Bewehrung und Zementmatrix von Stahlbeton untersucht wurde, um die Rippengeometrie und die Betonmischung zu optimieren. Im Zusammenspiel mit der Modellierung ergeben sich neue Möglichkeiten für das Bauteildesign, sodass sich kosten- und zeitintensive Serienversuche erübrigen.

Ein weiteres Beispiel für solche Anwendungen ist die Entwicklung von Hochleistungsbeton für die Verwendung in Tunnelinnenschalen. Beton mit besonders hoher Druckfestigkeit (> 100 N/mm²) zeigt aufgrund seiner Gefügedichte bei hohen Temperaturen allerdings ein ungünstiges Abplatzverhalten. Die Schallemissionsanalyse lässt sich zur Untersuchung der Rissbildung und der Abplatzprozesse einsetzen (Abb. 3 und 4).[1] Derzeit wird die Schallemissionsanalyse auch benutzt, um Beton zu entwickeln, der selbstheilende Eigenschaften besitzt. Über die Zugabe von Nano- oder Mikrokapseln mit Kunstharz, die den Klebstoff bei Rissbildung ausschütten, soll ein Fortschreiten der Risse verhindert bzw. sollen aufgetretene Risse geschlossen werden.

Dauerüberwachung

Auf dem Gebiet der Schallemissions- und Datenanalyse hat die Entwicklung von Verfahren zur umfassenden Schädigungscharakterisierung in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte gemacht. Im Hinblick auf eine Dauerüberwachung von Ingenieurbauwerken sind allerdings zwei zentrale Punkte noch nicht gelöst: Zum einen ist die heutige Sensortechnik nicht in der Lage, Daten kostengünstig und in hinreichender Qualität für die Anwendung komplexer Inversionsmethoden zu liefern. Aufgrund der Dämpfung der Schallwellen in Beton sind für die vollständige Überwachung eines Bauwerks viele Sensoren notwendig. Diese Tatsache trifft auch dann zu, wenn nur besonders kritische Punkte der Konstruktion untersucht und mit Sensoren appliziert werden. Andererseits ist die kabelgebundene Datenübertragung von Sensoren an verschiedenen Messpunkten, die bei grossen Bauwerken weit voneinander entfernt sein können, zum Aufzeichnungsgerät ein Problem.

Deswegen besteht aktueller Bedarf an neuen Sensortechniken und Auswertungsmethoden, die für ein dauerhaftes Monitoring von Bauwerken technisch geeignet und finanziell attraktiv sind. Eine Lösung zeichnet sich hier durch die Adaption verschiedener neuer Entwick- lungen aus anderen Bereichen wie der Kommunikations- oder der Mikrosystemtechnik ab.

Das Problem der Datenübertragung kann durch den Einsatz geeigneter kabelungebundener Lösungen («wireless LAN») in Verbindung mit adaptiven Netzwerken («adaptive self configuring wireless systems») gelöst werden. Prinzipiell ist es möglich, die notwendige Energie für den Betrieb der Sensoren über Hochleistungsbatterien oder ebenfalls kabelungebunden aus den Bauwerksschwingungen oder über Solarzellen zu gewinnen («energy harvesting»). Die Übertragung der Daten kann dann vom Bauwerk automatisch an jeden beliebigen Computer erfolgen.

Kleine Helfer

Winzige und kostengünstige Miniatursensoren – sogenannte Mikroelektromechanische Systeme (MEMS) – können für die Messung von Temperatur, Feuchte, Neigung, Druck, Verformung oder Beschleunigung eingesetzt werden. Diese Sensoren können mit einerentsprechenden «Intelligenz» versehen werden (Computerchips), die wichtige von unwichtigen Daten trennt. Die dabei verwendeten digitalen Signalprozessoren (DSP) können so programmiert werden, dass beispielsweise ein Teil der Signalanalyse bereits unmittelbar nach der Signalaufzeichnung durchgeführt wird, sodass nur noch relevante Daten weiterverarbeitet werden. Mehrere dieser sogenannten Sensorknoten können in Sensornetze zusammengefasst und so zur Gebäudeüberwachung eingesetzt werden. Neue Entwicklungen binden auch die Schallemissionsanalyse in diese Sensornetze ein, um vor einem strukturellen Versagen warnen zu können, was sich beispielsweise durch eine er- höhte Schallemissionsaktivität ankündigt. Eine viel versprechende Anwendung der – allerdings noch kabelgebundenen – Schallemissionsanalyse bei Bauwerken stellt die Detektion von Drahtbrüchen in Spannbetonbrücken dar, wie Untersuchungen der ETH Zürich zeigen (Abb. 5).[3]


Anmerkungen:
[01] C. Grosse, R. Richter: Schallemissionsverfahren zur Schädigungsanalyse bei Beton unter Brandeinwirkung. DGZfP Jahrestagung 2010, Erfurt, DGZfP: Berlin, BB94-CD (2005), V47, S. 356–363, (CD-ROM)
[02] S. Fricker: Schallemissionsanalyse zur Erfassung von Spanndrahtbrüchen bei Stahlbetonbrücken. Dissertation ETH Zürich Nr. 18692 (2010), 168 S.
[03] C. Grosse, M. Ohtsu (Hrsg.): Acoustic Emission Testing in Engineering - Basics and Applications. Springer publ., Heidelberg (2008), 404

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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