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TEC21 2010|35
Transformation
TEC21 2010|35
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Auf Zahnstochern

Die Umnutzung der Markthalle in Basel wird von Blaser Architekten geplant und ausgeführt. Die Halle soll im Frühling 2012 mit ihrer neuen Nutzung eröffnet werden und einem breiten Publikum zugänglich sein. Die Ingenieure von Walt Galmarini und Ulaga Partner führen die Indstandsetzungsarbeiten aus und haben kürzlich eine spannende Rohbauphase abgeschlossen: Sie haben die Kuppel abgefangen, eine Stütze verlängert und auf tieferem Niveau neu fundiert. Nun werden die Arbeiten auf «festem Boden» fortgesetzt.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Basler Barfüsserplatz als Marktplatz genutzt. Der Aufschwung nach dem Ersten Weltkrieg führte zu einer betrieblichen Ausweitung auf die umliegenden Strassen und zu einem enormen Verkehrsaufkommen – ein Zustand, der bald als unhaltbar betrachtet wurde. Der Regierungsrat empfahl deshalb, den Marktbetrieb auf den ehemaligen Kohleplatz beim Bahnhof zu verlegen. Eine überdachte Anlage entsprechend vorbildlichen Bauten in Frankreich und Deutschland wurde erst durch die zu diesem Zweck gegründete Markthallengenossenschaft Basel und durch deren engagierte Geldmittelbeschaffung realisiert.

Massivkuppel nach Vorbildern im Ausland

Im Rahmen eines Variantenstudiums wurden verschiedene Arten von Längshallen untersucht und auf Anregung der Baukommission um die Möglichkeit eines Kuppelbaus erweitert. Die Planer stellten fest, dass mit diesem Gebäudetyp die Ausnutzung der unförmigen und abfallenden Parzelle viel besser gelingt. Die 1929 im Baurecht fertiggestellte Anlage bestand schliesslich aus drei strukturell unterschiedlichen Bereichen: der Halle unter der Stahlbetonkuppel, dem Bereich unter dem Flachdach und der Randbebauung.

Die Stahlbetonkuppel hat einen Durchmesser von 60 m und eine Höhe von 25.7 m. Die Wandstärke beträgt im Allgemeinen 8.5 cm (Abb 4). Die Rippenschale mit achteckigem Grundriss war zur Zeit der Erstellung die drittgrösste Massivkuppel der Welt. Die Fläche der Halle entspricht ungefähr derjenigen des Barfüsserplatzes. Acht Betonstützen tragen den «Schirm». Sie durchdringen den Boden sowie das darunterliegende Geschoss und sind auf Einzelfundamenten mit Grundrissabmessung von 4.8 × 4.8 m fundiert.

Das Flachdach neben der Halle besteht aus einer dreistufigen Stahlkonstruktion. Die Hauptbinder sind Fachwerke mit Spannweiten bis 29 m bei einer statischen Höhe von 2.5 m. 12 m lange Fachwerkpfetten bilden die Sekundärträger, sie spannen von Binder zu Binder. In die Pfetten sind Einzelprofile mit Zwischenabstand von 80 cm eingelegt, die als Verteilträger dienen. Sie sind mit einer Dach-Hourdiskonstruktion ausgefacht. Die am Flachdach anschliessende Randbebauung hat ein Sockelgeschoss mit variabler Höhe und gemauerten Wänden. Die Decken sind Hourdiskonstruktionen. Einzelne Bereiche wurden später aufgestockt.

Erweiterungs- und Umbauprojekt

Der Kuppelraum wurde während 75 Jahren für Marktzwecke genutzt. Die Konsumgüterverteilung hat sich in dieser Zeit gewandelt, sodass nach Ablauf des Baurechtvertrags 2004 eine neue Verwendung für die Anlage gesucht wurde. Der Kanton Basel-Stadt formulierte die Ziele und hielt fest, dass eine publikumsorientierte Nutzung angstrebt und das Ensemble unter Denkmalschutz gestellt werden soll. Ausserdem durfte ein zusätzlicher Baukörper erstellt werden. Der Vorschlag der Allreal und Blaser Architekten ging als Siegerprojekt aus dem Investorenwettbewerb hervor. Künftig dient der Kuppelraum als offener Platz für Veranstaltungen. Darum herum und in der darunterliegenden Ebene werden Läden und Lokale bereitgestellt. Eine Kaskadentreppe im Norden, neue Haupteingänge und eine Verbindungs rolltreppe sollen eine publikumsfreundliche Erschliessung sicherstellen. Im Nordwesten wird die Anlage um ein Wohnhochhaus erweitert. Mit neuen Untergeschossen wird Nutzfläche für Technik und Parking sowie Kellerabteile für die Bewohner des neuen Hochhauses geschaffen.

Da die Anlage während der ursprünglichen Nutzung Schaden nahm durch Nässezutritt von aussen, Kondenswasser von innen und Tausalzwasser von Fahrzeugen und keine vollumfängliche Instandsetzung stattgefunden hatte, müssen entsprechende Sanierungsmassnahmen im Rahmen des vorliegenden Projekts durchgeführt werden.

Abfangung einer Kuppelstütze

Die Grundstücksfom und die Bestrebung nach maximaler Nutzflächengewinnung führen zu komplexen geometrischen Verhältnissen und zu Verflechtungen zwischen Abbruch und Aushub bzw. zwischen bestehender und neuer Bausubstanz. Die neuen Untergeschosse befinden sich zu einem grossen Teil unter den Gebäudeeinheiten von 1929. Für die Realisierung mussten darum bestehende Fundamente abgefangen und bis 5 m tiefer neu abgestellt werden. So werden im nördlichen Bereich bis zu vier neue Kellergeschosse in den Boden unter der Halle eingelassen. Da eine der Stützen in dieser Zone steht und sich deren Funda- mentsohle ca. 4.5 m über der neuen Bodenplatte befindet, musste die Stütze abgefangen, verlängert und auf tieferem Niveau neu fundiert werden. Die beiden benachbarten Stützen liegen jeweils knapp neben den neuen Kellergeschossen. Sie mussten deshalb zwar nicht verlängert, für die Erstellung der Baugrube aber ebenfalls temporär abgefangen werden.

Die Stützen mit einem Querschnitt von 1.5 m × 1.5 m sind 11° aus der Vertikalen zum Kuppelzentrum hin geneigt, sodass die Kombination aus Vertikallast und Horizontalschub zu einer praktisch reinen Normalkraft in den Stützen führt. Im Gebrauchszustand beträgt die Normalkraft in jeder Kuppelstütze 3.8 MN (380 t). Die Abfangung war so zu konstruieren, dass diese Normalkraft in Stützenlängsrichtung bis in den Baugrund weitergeleitet wird. Ebenso müssen Ablenkkräfte senkrecht zur Stützenachse abgetragen werden. Sie resultieren aus der asymmetrischen Kuppelbeanspruchung durch Wind-, Schnee- und Temperatur- einwirkungen oder aus geometrischen Imperfektionen wie der Abweichung der geneigten Abfangkonstruktion von der Sollrichtung und der Differenz zwischen vorhandener und projektierter Kuppelgeometrie.

Bevor die Unterfangungsarbeiten begannen, wurde die Abfangkonstruktion mittels kraftgesteuerten Pressen «aktiviert». Die Stahlkonstruktion und die eingebohrten Mikropfähle wurden dabei mit der errechneten Gebrauchslast der Stütze belastet. Trotz Vermessung der Stützengeometrie und anschliessender Ausführungsplanung der Abfangkonstruktion in 3D waren erhebliche Ausführungstoleranzen zu berücksichtigen. Die ganze Konstruktion besteht deshalb aus Stahl S235, womit ein Grossteil der Verbindungen vor Ort geschweisst und gleichzeitig eine notwendige Robustheit erzeugt werden konnte. Sobald die verlängerte Stütze und die ersten zwei Geschossdecken erstellt waren, wurde die Stahlkonstruktion abgesenkt.

Die Stützenkraft wurde dann in die neue Stützenverlängerung umgeleitet. Die bei diesem Vorgang gemessene Setzung war kleiner als 1 mm, da die Pfähle im Stützenfundament verblieben und sich der Spannungszustand im Boden praktisch nicht veränderte.

Überwachung der Kuppelbewegungen

Die bestehende Kuppelkonstruktion ist während des Baus diversen Einflüssen ausgesetzt. Um diese quantifizieren und notfalls gezielt Gegenmassnahmen einsetzen zu können, wird die Bewegung der Schale an 33 Punkten laufend überwacht. Technisch erfolgt dies mit einem fest installierten Theodolit, der die an der Innenseite befestigten Messprismen automatisch vermisst. Die Ergebnisse sind über einen Datenserver und das Internet jederzeit einsehbar; ergänzend existiert ein Alarmierungskonzept.

Neben möglichen Deformationen aus der Unterfangung bestehender Bauteile sind weitere Faktoren wie beispielsweise Temperaturveränderungen zu erwarten, die die Deformation der Kuppel beeinflussen. Der Unterschied der Tages- zur Nachttemperatur wirkt sich aufgrund der trägen Konstruktion nicht messbar aus. Der saisonale Temperaturunterschied hingegen erzeugt ein messbares «Pumpen»: Der Scheitel bewegt sich bei Erwärmung von 25° um 7 mm nach oben, der untere Rand gleichzeitig um 4 mm radial nach aussen. Um diese Einflüsse herauszufiltern, starteten die Ingenieure die Deformationsüberwachung bereits vor Baubeginn. Während der Bauzeit wird in der Regel alle drei Tage gemessen – in der kritischen Phase der Stützenabfangung wurde die Messung verdichtet und während des Pressvorgangs täglich mit zusätzlichen Einzelmessungen ergänzt.

Den signifikantesten Einfluss auf die Bewegung der Kuppel bewirkte der Aushub für den neuen Gebäudeteil im Norden. Durch die Entlas tung des Baugrundes hob sich der Boden und der darauf stehende Pfeiler; die Kuppel hob sich im Norden um 6 mm. Diese Hebung geht wieder zurück, sobald die Auflast des neuen Gebäudeteils aufgebracht ist. Die messbaren Bewegungen infolge der Unterfangungsarbeiten blieben wie erwartet gering. Beim Umsetzen der Last von der Stütze auf die Schiftkonstruktion wurden mit 2 mm in Stützenlängsrichtung die grössten Bewegungen aufgezeichnet.

Zum Vergleich seien die beim Ausrüsten der Kuppel gemessenen Deformationen erwähnt: Am 9. August 1929 ermittelte der damalige Prüfingenieur Max Ritter bei seiner Überwachungsmessung maximale absolute vertikale Deformatio nen von 2 mm im Bereich der radialen Rippen und bis 5 mm in den Feldern der Tonnengewölbe. Diese Zahlen bestätigen die im Laufe des Bauvorhabens beobachtete hohe Gesamtsteifigkeit der Kuppelkonstruktion.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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