Zeitschrift

TEC21 2010|40
Mülimatt
TEC21 2010|40
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Faltwerk aus Spannbeton

Das Sportausbildungszentrum Mülimatt in Brugg neben der Bahnlinie in Richtung Zürich fällt durch seine Form auf: Das markante Faltwerk gibt dem Gebäude seinen Charakter. Fürst Laffranchi Bauingenieure entwickelten das Tragwerk für den Neubau an der Aare aufgrund der architektonischen Ideen von Livio und Eloisa Vacchini. Sie investierten dafür viel in die Detaillierung und schöpften die technologischen Möglichkeiten des Betonbaus aus.

Das neue Sportausbildungszentrum mit den beiden Dreifachturnhallen (Abb. 1) wird durch ein sichtbares vorfabriziertes Faltwerk aus Spannbeton überdacht. Das Tragwerk umhüllt das über dem Gelände herausragende Gebäudevolumen von 80 m Länge und 55 m Breite und wirkt zugleich als wetterfeste Haut. Die Glasfassaden und die Turnhallendecke liegen innerhalb der Faltwerkhülle. Der Raumabschluss erfolgt unter den Dachträgern respektive an der Innenleibung der Faltwerkstiele mit der Glasfassade.

Die charakteristische Tragstruktur spannt in Querrichtung, das heisst in kurzer Richtung des Ausbildungszentrums, und erstreckt sich im leicht zur Aare hin abfallenden Gelände über die gesamte Fassadenhöhe und Dachfläche – von dem um ein Geschoss tiefer liegenden nördlichen Bankett zum südlichen Bankett auf der Seite der SBB-Linie. Daraus resultiert ein asymmetrischer Rahmen mit zwei unterschiedlich langen Stielen (Abb. 6). Formgebende Rahmen und stabilisierendes Zugb and Das statische System des Faltwerks setzt sich aus 27 Rahmeneinheiten zusammen. Sie sind in zwei Bankette eingespannt, die auf 7 bis 11 m langen Bohrpfählen liegen. Die Pfähle tragen die Lasten in die kompakte, mittel bis dicht gelagerte Aareschotterschicht ab. Die innerhalb des Fachwerks errichteten Hallenbauten aus Sichtbeton sind unabhängig davon in der oberen Schotterschicht flach fundiert. Diese in der Faltwerkhülle eingeschlossenen, statisch unabhängigen Betonbauten werden allerdings genutzt, um den Schub der Faltwerkrahmen aufzunehmen: Der Boden der Dreifachturnhallen ist als vorgespannte Zugscheibe ausgebildet, die bei jedem Rahmen einen Horizontalschub von maximal Nd = 900 kN aufnimmt. Der Anschluss von zwei Edelstahl-Zugstangen erfolgt auf der Südseite der Sporthallendecke über eine Kupplung ins Ortbetonbankett und auf der Nordseite infolge der Höhendifferenz direkt und sichtbar an die Rahmenstiele (Abb. 4). Um relative Vertikalverschiebungen zwischen Faltwerk und Halle bis 5 mm zu ermöglichen, wurden die gerippten Zugstangen über eine Länge von 1 m mit einem weichen Zylinder umhüllt.

Die als Zugscheibe wirkende Hallendecke ist 26 bis 30 cm stark und im Bereich der Spannweiten von 14 m – über den Gymnastiksälen – durch Unterzüge verstärkt. Mit der aufgrund der Biegebeanspruchung erforderlichen Vorspannung wurde der Querschnitt derart überdrückt, dass die Spannkräfte den Zugkräften aus Rahmenschub entgegenwirken. Diese Vorspannung dient zudem der Risssicherung für die Zugbeanspruchung und damit indirekt der Kontrolle des Spannungszustandes im Faltwerk.

Moduleinheiten und homogene Faltwerkhülle

Das Tragwerk mit seinen Rahmeneinheiten wurde in einzelne Fertigteile mit einem Gewicht bis 50 t eingeteilt. Jeder Binder besteht aus drei Modulen, sodass sich allein die Dachfläche aus 81 Teilstücken zusammensetzt. Die Stiele sind in einem Stück vorfabriziert. Die 54 Module setzen sich aus einer vertikalen, 36 cm starken Scheibe und zwei angewinkelten, 20 cm dicken Scheiben zusammen (Abb. 2). Entlang einer Kante, die aus der Untersicht als Knick wahrgenommen wird, öffnet sich der Rahmenstiel mit seinen zwei Schenkeln. Er schliesst an die Dachscheibe an und geht fliessend über in das «V» der Dachbinder (Abb. 3).

Formgebung und Optimierung

Alle Fertigteile – es sind grundsätzlich fünf mal 25 identische Module und fünf mal zwei Stirnseitenmodule zu unterscheiden – haben eine Breite von 2.93 m und eine Querschnittshöhe von 2.59 m. Sie sind aus selbstverdichtendem hochfestem Feinbeton 0/8 mm der Klasse C50/60 hergestellt, und für jeden Elementtyp ist eine Schalung erforderlich. Die detaillierte Formgebung erfolgte in Abstimmung mit architektonischen, statischen, herstellungs- und montagespezifischen Aspekten. Funktionale Bedingungen gaben den Tragelementen Formund Detailausbildungen vor. Der Dachuntergurt musste beispielsweise eine variable Stärke bzw. ein Gefälle aufweisen, um den Wasserabfluss zu gewährleisten. Denn entwässert wird offen über die Dach- und Stielflächen (vgl. «Krustentier und Vogel», S. 18). Produktions-, transport-, montagespezifische und wirtschaftliche Gründe beeinflussten die Neigung der Scheiben, die statische Höhe und die Faltenbreite. Krantraglasten limitierten die Gewichtseinheiten, Bahnunterfahrten auf dem Transportweg hatten maximale Durchfahrtshöhen und -breiten, und mit der Neigung der Scheiben im Querschnitt um 60 ° konnte im Werk mit selbstverdichtendem Beton «über Kopf» (Abb. 8) betoniert werden, sodass sich nahezu keine Lunkern bildeten.

Die Definition und Optimierung der Querschnittsformen erfolgte aber vor allem iterativ mit der Bestimmung des Vorspannkonzeptes, weil die Verlegung der Spannkabel eine statisch sinnvolle Form der Rahmenquerschnitte bedingte. Grössere Durchbiegungen sind nicht erwünscht, weder an den Stirnseiten, wo die Glasfassade von unten anschliesst, noch im Feldbereich, wo Sportgeräte unter der abgehängten, dämmenden Decke installiert sind. In jeder Rahmeneinheit sind im Dach sechs Kabel mit einer initialen Spannkraft von 1.1 MN eingebaut (Abb. 4 und 6). In den Stielen ist der Vorspanngrad kleiner: Sechs Kabel mit einer initialen Spannkraft von je 0.78 MN sind einbetoniert.

Dünnwandige Scheiben und Vorspannung

Die 16 cm starken Dachscheiben sind mit Litzenspanngliedern im Verbund vorgespannt. Während die Stielvorspannung komplett im Werk ausgeführt wurde, betonierte man in den Trägermodulen nur die Hüllrohre ein. Die Litzen wurden erst nach der Montage der Trägermodule eingezogen, gespannt und injiziert. Dabei erfolgte das Spannen über Zwischenverankerungen an der Dachaufsicht, wobei die Nischen nachträglich bündig mit der Dachoberfläche geschlossen wurden (Abb. 3 und 6). Die Querfugen zwischen den Trägermodulen sind 26 cm breit und wurden nach der Montage der Fertigteile mit selbstverdichtendem Beton 0/16 mm vergossen. Die Längsfugen im Dachfirst zwischen den Rahmeneinheiten sind 3 cm breit und wurden mit Vergussmörtel geschlossen. Stahleinlagen dienen als Montagesicherung und gewährleisten zudem die Kraftübertragung im Endzustand.

Mit den Hüllrohren, der schlaffen Bewehrung und den erforderlichen Überdeckungen waren die Platzverhältnisse in den Scheibenquerschnitten eng. Dennoch beträgt der Bewehrungsgehalt nur etwa 135 kg/m3 in den Trägern und etwa 180 kg/m3 in den Stielen. Im Bereich der Rahmenecken, wo sich Stiel- und Dachträgervorspannung kreuzen, war es durch die räumliche Führung der Kabel notwendig, die Wandstärke auf 24.5 cm zu erhöhen und feste Anker mit Spreizung der Litzen in einer Ebene einzusetzen. Bedingt durch den Transport- und den Montagezustand musste ausserdem für die Stiele eine zusätzliche Montagevorspannung aus acht Monolitzen ohne Verbund angeordnet werden.

Statische Modelle und dargestelltes Kräftespiel

Die Faltwerkkonstruktion wurde an einem Rahmenmodell mit Zugband bemessen. Für die Untersuchung der Wirkung von Wind und Erdbeben sowie zur Kontrolle stark beanspruchter Bereiche wurde auch eine Bemessung an Schalenmodellen durchgeführt. Das Kräftespiel im Rahmeneck liess sich mit Vektorgeometrie an einem räumlichen Stabmodell untersuchen, in dem unter anderem die Geometrien der Spannglieder von Träger und Stiel nachgebildet waren. Daraus wurde die Beanspruchung der formerhaltenden Diagonalscheibe unter Dach auf der Innenseite des Rahmenecks erkennbar (Abb. 9 und 10). Gemäss diesem Modell müssen Druckkräfte über die Elementfuge auf der Aussenseite des Rahmenecks übertragen werden. Auf der Innenseite ergibt sich aus der räumlichen Kraftumlenkung auf der Höhe des Trägerdruckgurtes eine Zugkraft in Längsrichtung. Die Rahmeneinheiten stützen sich jeweils gegenseitig, sodass in diesem Zugglied lediglich die Zugkraft aus den stirnseitigen Rahmen verbleibt. Um die Ablenkkraft an den Stirnseiten der Halle aufzunehmen, musste an den Hallenenden die Diagonalscheibe über Dach geführt werden. Ein stirnseitiges Bauteil unter Dach im Rahmeneck als Fortsetzung der Diagonalscheibe in Hallenlängsrichtung erübrigte sich und wäre auch ästhetisch nicht erwünscht gewesen (vgl. «Krustentier und Vogel », S. 18).

Fachkompetenz und Synergien

Die Vorfabrikation der Betonelemente spielte für die Umsetzung des Faltwerks und für den «Zusammenklang» der tragenden Elemente eine wesentliche Rolle. Sie war gemäss Bauingenieur dem Erfolg des Projektes zuträglich, denn die Qualität des wetterfesten Faltwerks profitierte davon. Für die Elementherstellung im Werk wurden Stahlschalungen – ihre Herstellung beanspruchte drei Monate – verwendet, weshalb keine Schalungsverformungen entstanden und keine Strukturbilder auf den Elementoberflächen sichtbar sind. Die Kanten der vorfabrizierten Elemente sind scharf, unverletzt und in stets gleicher Präzision hergestellt. Wegen der optimierten Rezeptur des selbstverdichtenden Feinbetons sind die Oberflächen ausserdem sehr kompakt und weisen die Betoneigenschaften konstante Werte auf. Anspruchsvoll in der Bearbeitung waren die Verbindungen und die Detailgestaltung der Bewehrung in den engen Platzverhältnissen. Da die Elementformen aber bereits in den ersten Planungsschritten festgelegt und beibehalten wurden, konnte die aufwendige und zeitintensive Vorfabrikation früh beginnen.

Dieses Bauvorhaben konnte nur gelingen, weil fachspezifische Kompetenzen bei der Ausführung in allen Fachbereichen vorhanden waren und Synergien genutzt wurden. Das Verhältnis zwischen Bauingenieuren, Architekten und Vorfabrikanten widerspiegelt sich im Endergebnis: Tragwerk und Architektur bedingen sich gegenseitig.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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