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db deutsche bauzeitung 12|2010
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Ein Zuhause für eine Stadt

Kultur- und Bürgerzentrum »Junction« in Goole

Unter großem Engagement aller Beteiligten vom Bauherrn bis zum Generalunternehmer entstand das neue Kultur- und Bürgerzentrum, das ganz selbstverständlich seinen Platz im Herzen von Goole einnimmt. Es überfordert die Einwohner nicht mit aufsehenerregenden Gesten. Dennoch ist es nicht stumm, im Gegenteil: Die Bürger fühlen sich von dem Bau angezogen und haben ihn in ihr tägliches Leben integriert.

1. Dezember 2010 - Dagmar Ruhnau
Goole ist ein Binnenhafen mit etwa 18 000 Einwohnern im Osten Yorkshires. Von einem wohlhabenden Umschlagplatz für Kohle entwickelte es sich zu einer Stadt mit hoher Arbeitslosigkeit. Das im November 2009 eingeweihte Kultur- und Bürgerzentrum gibt der Stadt sowohl architektonisch und städtebaulich als auch sozial eine neue Mitte und hat dem kaum noch vorhandenen Bürgerstolz neues Leben eingehaucht. Ein multifunktionaler Veranstaltungssaal mit 170 Plätzen und auf höchstem technischen Niveau bietet das erste Kino seit einer Generation und eine Bühne für Theater, Rockkonzerte und Kindershows. Darüber hinaus werden Kurse zur beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie Theater- und Musikworkshops für alle Altersgruppen angeboten. Gleichzeitig ist das Gebäude neuer Sitz der Stadtverwaltung und damit zentrale Anlaufstelle für alle Bürger.

Obwohl die Initiative zu diesem Bürgerzentrum von der Stadt ausging – in Person des heutigen Leiters von Junction, Charlie Studdy –, dominiert in der Außenwirkung und vom Volumen her das Theater. In seiner Blütezeit hatte Goole zahlreiche Kinos und Theater, von denen das letzte 1980 schloss. Erst 1992 eröffnete wieder eine Bühne, die sich rasch überregional einen Namen machte, deren Räume in einer ehemaligen Kirche jedoch völlig unzulänglich waren. Der Arts Council England sagte 2004 Unterstützung in Höhe von 300 000 Pfund (etwa 375 000 Euro) zu, die Suche nach einem geeigneten Gebäude dauerte jedoch noch bis 2005, als eine Markthalle aus den 80er Jahren im Stadtzentrum frei wurde. Die Stadt wollte die wenigen verbliebenen qualitätvollen Standpächter in die benachbarte, ebenfalls nicht ausgelastete »Viktorianische Markthalle« umquartieren und außerdem ihre eigenen unzureichenden Räume in einem Reihenwohnhaus aufgeben. Damit entstand die Idee, Stadtverwaltung und Theater in einem Bau zu vereinen. Charlie Studdy schaffte es mit Hartnäckigkeit und Fantasie, die nötigen finanziellen Mittel aufzutreiben und die Bürger in den Entstehungsprozess einzubeziehen. Mit 3,2 Mio. Pfund betragen die Kosten von Junction das Dreifache des städtischen Haushalts, und so begab sich der Bauherr mit Marktstudien und Businessplänen auf die Suche nach Geldgebern.

Neben dem Arts Council gehören dazu die nächste Verwaltungsebene, das East Riding of Yorkshire, und die regionale Entwicklungsgesellschaft Yorkshire Forward. Einen Teil trug die Stadt durch den Verkauf von zwei Gebäuden selbst bei. Über eine kleine Anzeige in der Zeitschrift Building Design und nach einem Auswahlverfahren mit sechs Büros fand man die Architekten: das Büro Henley Halebrown Rorrison, dessen Gründer erst Mitte 40 sind und das bereits mehrfach vom RIBA ausgezeichnet wurde. Nachhaltigkeit ist mehr als Solarthermie

Die sogenannte »New Hall« steht an einer Fußgängerstraße, die von einem wenige Jahre alten Einkaufszentrum mit großem Parkplatz zur eigentlichen Fußgängerzone führt. Diese verlor durch die Mall zunehmend an Bedeutung, und das unattraktive Äußere der Markthalle trug auch nicht dazu bei, Kunden von dort wegzulocken: ein 2 m hoher Klinkersockel und eine fensterlose Wellblechverkleidung auf einer einfachen Stahlrahmenkonstruktion. Der Sponsor Yorkshire Forward knüpfte an seinen Beitrag von 1,7 Mio. Pfund die Bedingung, den neuen Bau nachhaltig und entsprechend dem britischen Energiestandard BREEAM (s. db 3/2008, S. 68) zu planen. Doch weder Solar- oder Windenergie noch Grauwassernutzung konnten genügend Energie liefern und ausreichend flexibel auf die unterschiedlichen Nutzungen reagieren.

Deshalb entschieden die Architekten, so viel Bausubstanz wie möglich zu erhalten und eine dicke Wärmedämmung zu ergänzen, um die geforderte Energiebilanz zu erreichen. Für Simon Henley umfasst Nachhaltigkeit allerdings noch mehr: »Die Erinnerung der Menschen an ein Gebäude aufzugreifen, ist auch eine Form der Nachhaltigkeit.« Deshalb lehnten sich die Architekten in der Außengestaltung an die vertraute Form und Farbgebung der bestehenden Halle an. Wie diese zeichnet der Baukörper das unregelmäßige Grundstück nach, doch wurden die zwei Tore im sich aufweitenden Teil durch einen großzügigen Freibereich und einen breiten Durchgang ersetzt, der von der Straße zum rückwärtigen Hof und zur Viktorianischen Markthalle führt. Ebenfalls vom Vorgänger übernommen ist die horizontale Teilung, die dreidimensional verstärkt wurde. Statt schwarz gestrichenem Wellblech verkleiden jetzt anthrazitfarbene Faserzementplatten das OG. Der erhöhte mittlere Gebäudeteil markiert den Übergang zum Freibereich und Durchgang. Gleichzeitig setzt hier das goldfarbene Vordach an, das parallel zum Gebäude einen weiteren neuen, über einige Stufen bzw. eine Rampe erreichbaren Vorbereich ausbildet. Unterhalb des Vordachs wurde die abweisende Klinkerverblendung durch eine helle Holzständerkonstruktion aus Fichte in Kombination mit Fichte-Sperrholzplatten, Glas und rot gestrichenen Stahltüren ersetzt.

Die vorhandene Stahlkonstruktion blieb bestehen, ebenso die Bodenplatte und sogar die Grundleitungen, die durch ihre Anschlüsse letztlich den Grundriss bestimmen. Dieser ist als »enfilade« organisiert: Vom Eingang geht es rechts durchs Café in den Workshop-Raum und von diesem wieder hinaus in den Durchgang, der die Fläche des Workshops gezielt erweitert. Links des Eingangs befindet sich der Empfang, erste Anlaufstelle sowohl für Theaterbesucher als auch für Bürger. Für letztere schließt sich direkt ein privates, durch eine Glastür aber einsehbares Sprechzimmer an.

Eine schmale Treppe führt zu den Büros der Stadtverwaltung und zum Sitzungszimmer, zum Projektor- und Regieraum. Trotz der diversen konstruktiven Zwänge entwickeln sich die Raumfolgen in allen drei Dimensionen bemerkenswert elegant und dabei pragmatisch, bisweilen sogar nonchalant. Doch ist diese Selbstverständlichkeit hart erarbeitet: Für den Umbau entwickelte das ohnehin sehr gründlich arbeitende Büro noch mehr Details als sonst. Die städtischen Räume wirken bis auf das Sitzungszimmer allerdings ein wenig wie auf Restflächen untergebracht; andererseits spiegelt diese betonte Zurückhaltung wider, dass hier die Nutzer und die Kultur im Vordergrund stehen und nicht die Repräsentation einer Stadt.

Geglückte Integration

Keine Schwellenangst entstehen zu lassen, ist ein erklärtes Ziel der Architekten – Gebäude sollen berührbar sein. Das ist auch gelungen: Passanten nutzen im Vorbeigehen den erhöhten Weg entlang der hölzernen Fassade und die Abkürzung von der Straße zur Markthalle, und ständig kommt jemand ins Café. Zu dieser »Volksnähe« tragen auch die Materialien bei: Fichtenholz, gestrichene Gipskartonwände, Linoleum. Repräsentativ ist das Gebäude dennoch. Die satten, kräftigen – dem viktorianischen Theater entlehnten – Farben strahlen Solidität aus, die dunkle Faserzement-Fassade Diskretion, und das goldfarbene Vordach aus poliertem Edelstahl (s. S. 59) verbindet Gediegenheit mit einem weiteren Verweis auf das Theater.

Dieses Vordach ist zentrales Element des Baus. Es bringt zusammen mit der hölzernen Fassade das Gebäude zum Leuchten. Gleichzeitig bildet es eine Übergangszone: Hier werden bei schönem Wetter Stühle und Tische aufgestellt, im Durchgang vermischen sich Workshop-Publikum und Passanten.

Der Innenausbau ist als Holzkonstruktion realisiert – nicht nur wegen der guten CO2-Bilanz von Holz, sondern auch, weil so keine neuen Fundamente nötig waren. Lediglich der Projektor für die Filmvorführungen bekam ein eigenes, erschütterungsfreies Betonpodest (das im EG als Schleuse in den Saal dient); und wegen der notwendigen Projektionshöhe wurde das Dach teilweise angehoben, wodurch der Platz für die Verwaltungsräume und das Sitzungszimmer entstand. Anspruchsvoll ist der Schallschutz, der den Theatersaal einerseits gegen den Lärm der nahe vorbeifahrenden Züge schützt und andererseits die Passanten auf der Straße gegen die Klänge von drinnen. Vor die Primärkonstruktion wurde eine Ständerwand mit 200 mm Mineralwolle und sehr dichten Gipsplatten gestellt; eine zweite Schale, ebenfalls mit Gipsplatten verkleidet, sitzt innen zwischen den alten Stützen. Wesentlich sind die schallentkoppelten Doppeltüren, die nur durch Schienen miteinander verbunden sind und 60 dB Schalldämpfung bieten. Nebeneffekt der dicken Dämmung: Der geforderte Wärmeschutz wird gleich mit erfüllt, und im vergangenen Winter musste nicht ein Mal geheizt werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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