Zeitschrift

TEC21 2011|14
Zimmer mit Aussicht
TEC21 2011|14
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Sommerfrische, wiederbelebt

Am Ende des Maderanertals im Kanton Uri liegt das Hotel «Maderanertal». Das Ensemble aus dem 19. Jahrhundert ist ein Bauzeuge aus der Frühzeit des Tourismus. Der prekäre Zustand der meist originalen Bausubstanz machte 2009 eine Sanierung notwendig. Planung und Ausführung berücksichtigten die schwer zugängliche Lage der Bauten, die kurzen Zeitfenster und den engen finanziellen Rahmen. Im Sommer 2010 wurde die erste Bauetappe fertiggestellt.

1. April 2011 - Tina Cieslik
In Amsteg, auf dem Weg zum Gotthardpass, befindet sich eine Abzweigung ins östlich gelegene Maderanertal. Die Strasse führt bis nach Bristen, von dort aus gelangt man zu Fuss in etwa zwei Stunden zur Balmenegg, einer von Wald umgebenen Felsterrasse auf 1349 m ü. M. Hier wurde 1864 auf Initiative von Basler Alpinisten das Hotel «Zum Schweizer Alpenclub» erbaut. Der Name war eine Reverenz an den 1863 gegründeten Schweizer Alpen-Club, ansonsten bestanden aber keine Verbindungen zum SAC. Zunächst entstand das klassizistische Haupthaus, als einfaches Gasthaus mit 19 möblierten Zimmern. Der beginnende Alpentourismus führte schon fünf Jahre später zum Bau des südöstlich gelegenen, luxuriöser ausgestatteten «Engländerhauses» mit 33 Zimmern, das auch eine Bibliothek und einen Pianosalon beherbergte.

Gleichzeitig wurde gegenüber, das Haupthaus flankierend, ein Waschhaus gebaut, dessen Sockelgeschoss später zusätzlich als Bäckerei diente. Damit war die Basis für ein fast städtisch anmutendes Ensemble gelegt: Nach einem Brand im Jahr 1880, der das Haupthaus komplett zerstörte, folgte nicht nur der direkte Wiederaufbau: 1887 wurde eine Kapelle gebaut, in der wegen der zahlreichen englischen Gäste neben katholischen auch anglikanische Gottesdienste gefeiert wurden. In der Folge entstanden weitere Bauten wie die Villa der Hotelierfamilie (ca. 1910), eine Kegelbahn (ca. 1910), ein Teepavillon (1910) und unterstützende Infrastruktur in Form eines Postbüros, einer Arztpraxis, eines Kiosks und eines Coiffeursalons. Ergänzt wurden diese Bauten durch die Aussenanlagen, den Zentralplatz mit Brunnen und Alpengarten und den natürlichen Butzlisee (Abb.1). Die Hotelgäste, unter ihnen illustre Vertreter wie der britische Science-Fiction-Autor H. G. Wells, der deutsche Reichspräsident Paul von Hindenburg oder Friedrich Nietzsche, blieben in der Regel mehrere Wochen. Da bis 1922 keine Strasse nach Bristen existierte, transportierten ortsansässige Träger die Gäste von Amsteg, später von Bristen, in Sänften bis ins Hotel.1 Für einige Gäste gehörte diese Abgeschiedenheit zum Programm: Dokumentiert ist, dass der Bristener Pfarrer Rupert Schäffeler 1916 Massnahmen gegen das grassierende Nacktwandern im Maderanertal verlangte. Bis in die 1960er-Jahre blieb das Hotel im Besitz der Erbauerfamilie Indergand, anschliessend wurde es dreissig Jahre vom Bristener Bergführer Hans Z’graggen geführt. 1967/68 fanden die letzten grösseren Bautätigkeiten statt: Der neue Besitzer erweiterte das Restaurant talseitig um eine Gartenwirtschaft. Es folgten eine Zeit der Stagnation und die Umbenennung zum Hotel «Maderanertal».

Seit Mitte der 1990er-Jahre wird das Hotel von Anna Fedier-Tresch, die zuvor als Angestellte im Hotel wirkte, und ihrem Sohn Tobias Fedier geführt. Durch fehlende Investitionen in der Vergangenheit existierte zwar noch ein Grossteil der originalen Bausubstanz, allerdings befand sich diese teilweise in so schlechtem Zustand, dass im Sommer 2009 eine Sanierung anstand.

Stufenweiser Planungsprozess

Initiiert wurde die schrittweise Erneuerung des Hotelensembles vom Schweizer Heimatschutz, der 2002 im Zuge des Schulthess-Gartenpreises unter dem Motto «Historische Gar- tenanlagen» auf das Ensemble aufmerksam wurde. Schnell war klar, dass eine isolierte Restaurierung der Aussenanlagen wenig sinnvoll war, daher wurde die Altdorfer Architektin Margrit Baumann beauftragt, eine Machbarkeitsstudie zur Sanierung der Gesamtanlage durchzuführen. Nachdem ein realistisches Konzept vorlag, das auch die Eigentümerfamilie überzeugte, übernahm der Heimatschutz das Patronat der Sanierung. Planung und Ausführung erfolgten durch das Architekturbüro Margrit Baumann. Aufgrund der kurzen Bauphasen – das Hotel ist jeweils von Juni bis Oktober geöffnet, gebaut werden kann von Ende April bis zum Saisonanfang sowie vom Saisonende bis zum ersten Schneefall – wurde das Projekt in zwei Teile mit mehreren Unteretappen aufgeteilt (vgl. Kasten S. 27). Diese zeitliche Staffelung korrespondiert auch mit der Finanzierung des Projekts, das auf Spenden angewiesen ist. Im Sommer 2010 konnte der erste Teil der ersten Etappe fertiggestellt werden. Diese Phase umfasste die Instandstellung der Gartenanlage sowie die Renovation des ersten Obergeschosses und den Einbau von sanitären Einheiten im 1. OG und im Saalgeschoss. Zudem konnten alle Häuser neu mit Strom und einer eigenen Unterverteilung versorgt werden.

Vorhandenes Nutzen, ergänzen, auffrischen

Im Zentrum des Sanierungskonzepts steht eine sanfte Renovation. Wichtig war den Beteiligten, mit den vorhandenen Mitteln eine hochwertige, aber der Umgebung angepasste Qualität in die Interieurs zu bringen. Das Haupthaus, ein mit Holzschindeln verkleideter fünfgeschossiger Holzständerbau, wird axial von der Platzseite her erschlossen, die Korridore liegen in der Längsachse. Die Grössen der auf drei Geschosse verteilten 23 Hotelzimmer entsprechen dem durch den Ständerbau vorgegebenen Raster.

Zunächst wurde die unter den Umbauten der letzten Jahrzehnte liegende ursprüngliche Bausubstanz freigelegt: Holzböden und Papiertapeten. Letztere stammen aus verschiedenen Jahrzehnten – wo möglich, wurden sie restauriert, stellenweise auch ersetzt. Die neuen Tapeten sind wie der Bestand mit Tier- und Pflanzenmotiven bedruckt (Abb. 9). Farblich entschied man sich bei Decken, Türen, Fenstern und Sockelleisten für Anstriche in warmen, hellen Tönen, die auf der Tonalität der vorgefundenen Tapeten aufbauen. Um Risse zu vermeiden, wurden die Wände des Korridors mit einem Putz mit hohem Kalkanteil versehen, der die Bewegungen des Holzbaus besser aufnehmen kann als ein Gipsputz. Das Prinzip der Auffrischung und Instandsetzung des Bestehenden wurde auch bei den Möbeln – Antiquitäten, meist aus Nussbaumholz – und Accessoires wie Waschschüsseln und -krügen angewendet. Eine weitreichende Massnahme bestand im Einbau eines Etagen-Baderaums mit einer Dusche, einem Lavabo und zwei WC. Dafür wurde der ursprüngliche Zugang zu den WC vom Treppenhaus in den Korridor verlegt und eine Wand versetzt (Abb. 6). Dieses Vorgehen erlaubte nicht nur die Schaffung eines grossen Baderaums, das Treppenhaus konnte dadurch auch als separater Brandabschnitt geschlossen und mit einer Brandabschnittstür versehen werden. Die Nasszellen bestehen aus in die Bausubstanz eingestellten Kuben aus beschichteten Kunstharzplatten. Neu ist jedes Geschoss elektrifiziert, die Leitungen konnten unsichtbar in der minimal abgehängten Decke im Flur verlegt werden. Die Elektroleitungen wurden vertikal durch ehemalige Cheminées gelegt, sodass keine neuen Schächte gezogen werden mussten.

Aussenanlagen mit Gletscherblick

Neben den Massnahmen im Haupthaus konnte in der ersten Etappe auch der historische Garten restauriert werden. Im Detail sah das Konzept vor, die Weg- und Platzränder nachzuarbeiten, teilweise auch neu zu definieren sowie die mittlerweile bewachsenen Kiesbeläge zu sanieren und zu ergänzen. Unerwünschte Materialien wie Betonplatten und unpassende oder verwilderte Sträucher und Bäume wurden entfernt, insbesondere im Bereich des ehemaligen Teehauses. Der Hof mit dem zentral angeordneten Brunnen erhielt seine Bedeutung als Mittelpunkt der Hotelanlage zurück. Ein neuer Kiesbelag und die Wiederbelebung der den Brunnen einfassenden Rabatten als mit Blütenstauden und Steingartengewächsen be- pflanztes Alpinum machen die Qualität der ursprünglichen Anlage wieder spürbar. Der Standort des 1978 abgerissenen Teehauses wurde mit Natursteinen und einem neuen Kiesrasen markiert, und eingefallene Natursteinmauern wurden wieder aufgebaut. Ein Rundweg um den Kapellenhügel bietet wie früher Aussicht auf den – jetzt allerdings weiter entfernt liegenden – Hüfigletscher. Als zweiter, eher privater, Aussenraum dient die Aussichtsterrasse mit Blick ins Tal. Sie konnte ebenfalls instand gesetzt und mit einem Kiesrasen versehen werden.

Projektgerechtes Vorgehen

Die abgelegene Lage der Baustelle erforderte eine besondere Arbeitsweise: So fand die Kommunikation mit den Handwerkern hinsichtlich der Ausführung ausschliesslich über Raster und Bezugshöhen statt, da absolute Masse in dem fast 150-jährigen Bau nicht existierten und zwischen Baustelle und Architekturbüro im Zweifelsfall spontan auch nicht eruierbar waren. Auch der enge finanzielle Rahmen, zunächst als Korsett empfunden, führte zu einem sehr bedachten Vorgehen, durch das die nötigen Eingriffe sehr gezielt geplant wurden. Ein Beispiel: Ursprünglich waren zwei Baderäume pro Etage geplant, aus finanziellen Gründen konnte aber nur einer realisiert werden. Im Nachhinein erwies sich der Verzicht als durchaus sinnvoll: Da das Hotel das Wasser aus dem von Gletscherwasser gespeisten Butzlisee bezieht, wäre bei zu vielen Sanitärräumen im Sommer möglicherweise mit Wasserknappheit zu rechnen. Durch die aktive Mitarbeit der Bauherrschaft bei den Sanierungsarbeiten konnten zudem nicht nur finanzielle Einsparungen erzielt werden. Die langen Winter im Maderanertal erfordern einen sorgfältigen Umgang mit der Bausubstanz. Die Mitarbeit an der Sanierung sensibilisierte die Eigentümerfamilie für die Bedürfnisse der Bauten, was sich in erhöhter Sorgfalt im Umgang mit der Substanz ausdrückt.

Blick zurück nach vorne

Die noch anstehenden Sanierungsarbeiten können mit den Erfahrungen aus der ersten Etappe angegangen werden. Es existieren Pläne, den Zentralplatz wie zu seinen Blütezeiten als «städtischen» Platz zu reaktivieren, mit öffentlichen Nutzungen in den Erdgeschossen wie einem Ausstellungsraum im Engländerhaus, einer Sauna im Ökonomiegebäude und Zugang zu Restaurant und Speisesaal im Haupthaus. Das abgelegene Hotel an der Schnittstelle zwischen landwirtschaftlich genutzter Natur und wilder Landschaft dient dann nicht mehr illustren Gästen als wochenlange Sommerfrische, sondern bietet einen Rückzugsort für all jene, die einige Tage in die Atmosphäre und den Rhythmus des 19. Jahrhunderts eintauchen möchten. Mit der Sanierung kehrt das ehemalige Kurhotel zurück zu seinen Ursprüngen als einfaches Berghaus – und das ist an diesem Ort ohnehin viel angebrachter.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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