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Hochparterre 04|2006
Zeitschrift für Architektur und Design
Hochparterre 04|2006
zur Zeitschrift: hochparterre

Der Ruf der Stadt

Mitten in der Stadt Zürich schreibt das Amt für Hochbauten einen offenen Wettbewerb aus. Über 100 Architekturbüros haben sich beteiligt, fast die Hälfte davon stammt aus Deutschland. Warum scheuen die Stadt und die Beteiligten diesen Aufwand nicht? Zum Betrachten und Mitmachen eine lustvolle Aufgabe, für die Stadt ein qualitativ hoch stehendes Resultat.

27. April 2006 - Sue Lüthi
Die Adresse lockt, die Stadt lädt ein: Zur Ausstellung der 106 Wettbewerbsprojekte, die beim Zürcher Amt für Hochbauten für einen Neubau an der Ecke Langstrasse- Neugasse in Zürich eingegangen sind. Das ist ei-ne ungeheure Zahl, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Aufgabe um ein einzelnes Wohnhaus mit nur neun Wohnungen und Gebäudekosten von 3,2 Millionen Franken handelt. In der Ausstellung kommt man nicht aus dem Staunen: In den spektakulärsten Farben und Formen präsentieren die Pläne den Neubau. «Einige Teilnehmende sahen hier den Ort für eine überspannte, fast monumentalisierende Geste als gegeben», ist dem Jurybericht zu entnehmen. Ein A0-Papierausdruck pro Projekt verhilft zum schnellen Überblick und Erfassen der Ideen und soll den Aufwand auf allen Seiten aufs Minimum begrenzen. Diese Abgabeform und das kleine Gebäudevolumen von 4770 Kubikmeter lockten viele Büros zur Beteiligung.

Hohe Beteiligung aus Deutschland Doch vor allem hat dieser Ort eine magische Anziehung – nicht für die Beleber des Zürcher Rotlichtmilieus, für sie ist das alte Haus unbedeutend – aber für Architektinnen und Architekten: Der Entwurf eines Wohngebäudes im Blockrand von 1895 an einer grossen Strasse mitten in der Stadt Zürich reizte Planer bis weit über die Landesgrenzen. 37 Büros aus Deutschland haben sich an der Konkurrenz beteiligt (HP 11/04), 41 aus der Stadt Zürich und jedes investierte im Durchschnitt über 200 Stunden Arbeit.

Nur wenige sahen ihre Teilnahme als «Gag» mit limitiertem zeitlichen Einsatz, um Ideen zu liefern und spielerisch auszuprobieren, was sich mit der Ecke anstellen liesse. Wie kommt ein Büro aus Berlin, Leipzig oder Wien dazu, sich mit dieser verrufenen Ecke auseinander zu setzen? Genau der Ruf sei es, so der Inhaber der Archifactory aus Bochum, nämlich der Ruf von hoher architektonischer Qua-lität in der Schweiz, dazu die genannte städtebauliche Attraktion und das kleine Volumen. Ferner loben Architekten aus Deutschland die perfekte Organisation der Wettbewerbe in der Schweiz, im speziellen die klare, überblickbare Aufgabe, vorzügliche Unterlagen, nachher eine Ausstellung und ein schön gestalteter Jurybericht mit allen Projekten. Dickes Lob auch von den Zürcher Büros für die Ausloberin. Für die Stadt plant man gern, die Beurteilung ist von hoher Qualität und die Projekte werden realisiert, ergänzt die Zürcher Architektin Zita Cotti, die Verfasserin des Siegerprojekts.

Jeder Neubau ein Wettbewerb

Die Stadt Zürich sucht sich für alle ihre Neubauten Planungspartner mittels Wettbewerb. Dieses vorbildliche Ver- halten ist ein Beitrag an die Baukultur und Nachwuchsförderung. Doch es kostet. 100 000 Franken Eigenaufwand pro Wettbewerb, etwa zehn pro Jahr fallen an, eingerechnet auch jene, welche die Stadt als Dienstleistung für andere Bauherrschaften organisiert, wie zum Beispiel für Wohnbaugenossenschaften. Diese entscheiden sich meist für einen selektiven Wettbewerb – die vielen Eingaben schrecken Private vom offenen Verfahren ab. Das Amt für Hochbau-ten aber setzt das Werkzeug ‹offener Wettbewerb› wo immer möglich ein (HP 10/05), er ist ein «faires, transparentes Vorge-hen für die Auswahl des Architekten und vor allem auch eine Qualitätssicherung für die ganze Projektphase», wie Ursula Müller vom Amt für Hochbauten begründet, «und eine effiziente Projektentwicklung zahlt sich aus»

Lohnt sich diese Arbeit denn auch beim kleinen Wettbewerb ‹Langstrasse›? Klar steht in diesem Fall der Aufwand des Wettbewerbs in keinem Verhältnis zur Bausumme, das ist sich das Amt für Hochbauten bewusst. Doch eine Wettbewerbsveranstaltung koste nun mal so viel, der administrative Aufwand sei enorm, ob offen oder selektiv. Der Wettbewerbsorganisator Volker Götz holt aus: 300 Programme versenden, 106 Pakete öffnen und sortieren, Pläne aufhängen, CDs checken, Fragen aufnehmen und beantworten, ungültigen E-Mail-Adressen nachrennen und so weiter. Die Grösse des Projekts fällt dabei gar nicht so sehr ins Gewicht. Bei selektiven Wettbewerben ist zwar meistens die Zahl der Beteiligten geringer, jedoch aber sind sie intensiver in der Vorprüfung, weil zum Beispiel die Ämter miteinbezogen werden, erklärt Götz, der Vorprüfer des Wettbewerbs ‹Langstrasse›.

Beim offenen Verfahren wird die Vorprüfung auf einen Check auf Vollständigkeit, termingerechte Abgabe und baurechtliche Korrektheit reduziert. Schon bei dieser Sichtung – im Durchschnitt drei Minuten pro Projekt – stellte Volker Götz bei 70 Prozent der Projekte Lärmschutz-Ver-stösse fest. Und dies, obwohl das Wettbewerbsprogramm klar auf die Problematik Lärmschutz und Belüftung hingechwiesen hatte. Trotzdem wurden sie zur Beurteilung zuge-lassen, zu viele hätten ausgeschlossen werden müssen und man wollte sich keinen guten Grundriss entgehen lassen. Schlussendlich bleiben einige Namen und Eindrücke der Teilnehmer bei der Jury haften und es kann vorkommen, dass ein positiv auffallendes Architekturbüro in die Jury oder gar zu einem Wettbewerb eingeladen werden.

Die Stadt ist nicht überrascht über die hohe Teilnehmerzahl. Es sei nicht ungewöhnlich, dass sich 300 Büros bewerben und 100 einreichen. Interessant ist jedoch, dass beim Wettbewerb an der Langstrasse sämtliche sechs Preisgelder an Zürcher Büros vergeben wurden (‹Offener Projektwettbewerb›, unten). Liegt es an der Darstellung oder der Bearbeitungstiefe der Projekte? «Nein», ist die klare Antwort der Architektin Ursula Müller, Vorsitzende der Fachjury. Dieser Regionalismus ist der Stadt zwar bekannt, doch auch ihr ein Rätsel. Fast nie kommt ein ausländisches Büro in die Ränge, selten eines aus einem anderen Kanton. Ein Grund dafür kann die Ortskenntnis, die Nähe zur Situation, aber vielleicht auch die Jury sein, spekuliert Ursula Müller. Obwohl sie bei der Zusammensetzung des Preisgerichts auf einen guten Mix von Ortsansässigkeit, Alter und Geschlecht achten – was nicht einfach sei –, eine Gemeinsamkeit ist da: Fast alle sind ETH-Zürich-Abgänger. Der Hochschulregio-nalismus? Das Phänomen der lokalen Sieger ist weit bekannt. Es trifft auch auf Lausanne, Basel oder Berlin zu.

Der Weg zum Auftrag

Auch die Deutschen wundern sich, dass alle sechs Ränge an Zürcher Büros gingen, würdigen aber gleichzeitig die hohe Qualität der Schweizer Architektur. Dass sich so viele Büros aus Deutschland beteiligen, liegt nicht nur an Zürichs Attraktivität, sondern auch an der dortigen desolaten Auftragslage in der Branche. Es gebe einfach zu viele Architekten, ist auf Anfrage zu hören, zudem sind offene Wettbewerbe selten. Bei den wenigen schnellt die Zahl der eingereichten Projekte zum Beispiel auf 890 für den Neubau einer Schule bei München, wovon 30 in die zweite Stufe aufgenommen wurden.

Die deutschen Büros, die sich in Zürich beteiligt haben, konnten sich bis jetzt mit Direktaufträgen über Wasser halten, keines der angefragten gewann durch einen Wettbewerb einen Auftrag. Nicht so für die prämierten Zürcher Büros: Sie gaben an, dass für sie der Wettbewerb der einzige Weg ist, um an Aufträge zu gelangen. Zürich ist ein hartes, aber verlockendes Architekturpflaster.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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