Zeitschrift

TEC21 2011|27-28
Unter der Oberfläche
TEC21 2011|27-28
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Tiefer Einschnitt

Der Baugrund ist der grösste Unsicherheitsfaktor, wenn neue Verkehrswege unter die Erdoberfläche, in Einschnitte und Tagbautunnels, verlegt werden. Auch die Rhoneebene bei Turtmann hat sich beim Bau des Tagbautunnels der A9 als weicher, instabiler Baugrund erwiesen. Die Grundbautechnik ist hier mehrfach gefordert: In der tiefen Baugrube kann der Tunnel nur gebaut werden, wenn die Sicherungskonzepte für Wände und Sohlen funktionieren.

1. Juli 2011 - Hermann Kaeser, Jörg Meier
Zwischen Sierre und Visp wird die vierspurige Autobahn A9 unter der Bauherrschaft des Kantons Wallis, Amt für Nationalstrassenbau, erstellt. Neben der Umfahrung Visp, als grosse Untertagebaustelle, sind auf dem ganzen Abschnitt verschiedene Ingenieurbauwerke im Bau, darunter der gedeckte Einschnitt Turtmann mit einer Länge von 1350 m. Die bautechnische Herausforderung ist hier der schwierige Baugrund und die dadurch bedingte Baugrubensicherung. Die teilweise geringen Abstände zu setzungsempfindlichen Produktionsanlagen erfordern den Einsatz deformationsarmer Baumethoden mit grossem Planungsund Überwachungsaufwand.

Der Tagbautunnel Turtmann wird zwischen den SBB-Gleisen im Norden und dem Industriegebiet von Turtmann im Süden mit maximalen Baugrubentiefen bis ca. 17 m geführt (Abb. 1). Das Bauwerk besteht aus zwei miteinander verbundenen Gewölben mit doppelspurigen Fahrstreifen der A9 sowie einem oben liegenden Leitungskanal (Abb. 3 unten).

Bautechnische Rahmenbedingungen

Zwischen dem Schuttfächer des Illgrabenbaches und der Engstelle beim Schuttfächer Gampel/ Steg resp. Riedberg liegt die Talebene Turtmann. Gebildet wurde sie durch mehrmalige Zyklen von Bergstürzen bzw. Murgängen mit nachfolgendem Rückstau der Rhone und erfolgter Stauverlandung und partieller Erosion der Auflandungsebene. Als Ergebnis liegt nun eine quartäre Talfüllung von grosser Mächtigkeit vor, wobei die Schichten in etwa oberflächenparallel verlaufen. Diese Schichten lassen sich als Wechsellagerung von locker gelagerten, wasserführenden Sanden und deformationsempfindlichen, wasserundurchlässigen siltig-tonigen Zwischenschichten von bis zu 15 m Mächtigkeit charakterisieren. Das Grundwasser steht bis auf Niveau der Terrainoberfläche.

Im nahen Umfeld des Bauwerks befinden sich Industriehallen mit sensiblen Fertigungsstrassen, ein Käsereibetrieb, der SBB-Bahnhof Turtmann sowie eine Strassenbrücke, bei der zwei Stützenfundamente von dem Tunnelbauwerk aufgrund ihrer Nähe direkt betroffen sind.

Bauphase 2004/2005

5Das Bauwerk wurde in drei Lose unterteilt und jeweils separat vergeben («Wanne West», «Wanne Ost» und «Haupttunnel»). In den Jahren 2004 und 2005 wurden die beiden Wannen erstellt und ab Mitte 2005 mit den Arbeiten am Haupttunnel im Bereich des tiefsten Aushubs (Pumpwerk) begonnen.

Während des Baugrubenaushubs und des Einbaus der zweiten Ankerlage stellten sich bereits sehr grosse Deformationen sowohl der Baugrubenwände (Spundbohlen) als auch der Geländeoberfläche ausserhalb der Baugrube ein. Die Arbeiten wurden deshalb unterbrochen und Massnahmen zur Beherrschung dieser neuen Gegebenheiten realisiert:

– Verdichtung der Bodenuntersuchungen inklusive zusätzlicher Labor- und Feldversuche

– Verdichtung des Monitorings der Baugrube und des Umfeldes

– Anpassung der Baumethoden und Optimierung des Baugrubenkonzeptes zur Minimierung der Verformungen

– Bauliche und technische Massnahmen zur Minimierung des Einflusses eventueller Verformungen und Verkippungen bei den umliegenden Bauwerken und Industrieanlagen.

Baugrubensicherung

Die Messungen der Setzungen der Geländeoberfläche haben gezeigt, dass die ursprünglich vorgesehene Baugrubensicherung mit durch Vibrationshammer einvibrierten 31 m langen Spundwandbohlen inakzeptable Setzungen verursachte. Als Alternative wurde im vorliegegenden weichen Baugrund das teilweise Einpressen der Bohlen mit hydraulischen Pressen erprobt, was aber zu ungewissen Ergebnissen führte. In den Bereichen mit Industrie- und Infrastrukturbauten favorisierten die Ingenieure deshalb eine Baugrubensicherung mit Schlitzwänden. Mit dieser verhältnismässig aufwendigen Baumethode konnten die Setzungen und die Ausführungsrisiken minimiert werden. Zudem reduzierte diese Baumethode die Anzahl Abspriessungen bzw. Rückverankerungslagen und die Verformungen der Bodenvolumina hinter der Baugrubenwand durch die Wahl einer deutlich steiferen Verbaulösung.

Optimierung des Baugrubenkonzeptes

Mit Blick auf die festgestellten Verformungen wurde das Hauptbauwerk in ca. 300 m lange Abschnitte eingeteilt. Somit war es möglich, die unterschiedlichen Randbedingungen der Abschnitte optimal zu berücksichtigen und in die Planung der Baugrubenabschlüsse detailliert einfliessen zu lassen. Die einzelnen Baugrubenabschnitte sind durch Querschotte voneinander getrennt und können unabhängig gebaut werden. Sobald ein Querschott gebaut ist, kann der Bauabschnitt hinterfüllt und in diesem die Wasserhaltung abgestellt werden. Mit der Simulation verschiedener Ausführungsvarianten mit klassischen und FE-Methoden konnte das Baugrubenkonzept technisch und kostenmässig optimiert und die Verformungen konnten minimiert werden. Die FE-Simulationen führten dazu, dass die ursprünglich geplante, rückverankerte Spundwand teilweise durch Schlitzwände mit vorgespannten Spriessen er- setzt wurde. Eine wichtige Folgerung der Simulationen ist auch das Einbringen einer unterirdischen Spriesslage in Form einer Jettingsohle (vgl. Kasten S. 26) zur Stützung der Baugrubenwände vor dem Baugrubenaushub.

Aus den Untersuchungen resultierten zwei (in Abb. 2 und 3 dargestellte) Baugrubenkonzepte. Beide Varianten stützen sich auf eine als unterirdische Spriesslage wirkende Jettingsohle unterhalb der Baugrubensohle. Die in Abbildung 3 gezeigte Lösung mit vorgespannten Spriessen in Kombination mit einer Schlitzwand kommt im Bereich der Industrieanlagen zum Einsatz, in dem die Verformungen des Baugrubenumfeldes möglichst minimiert werden sollen. In den anderen, weniger kritischen Bereichen wurde eine Rückverankerung mittels Jettingankern entweder mit einer Schlitzwand oder einer Spundwand vorgesehen (Abb. 1).

Jettingsohle

Die Jettingsohle, die als unterirdische Spriesslage die nur in geringem Umfang vorhandene Tragfunktion des Bodens zwischen den Baugrubenwänden unterhalb der Baugrubensohle übernimmt, trägt entscheidend zum stabilisierenden Effekt des Baugrubenverbaus bei. Bei der nach der Einbringung der Baugrubenwände (Spundwände oder Schlitzwände) erstellten Jettingsohle sind die Säulen nicht als durchlaufende Front angeordnet; zur Minimierung der Spannungsinduzierung sind sie in einer zufälligen Reihenfolge erstellt worden (Abb. 5). Abbildung 4 zeigt die Auswirkung der Jettingsohle im Schema links auf die Verformung der Baugrubenwand im Bereich mit einem rückverankerten Spundwandverbau (Diagramm rechts). Der im Diagramm blau hinterlegte Schwankungsbereich zeigt die Verformungen ohne Jettingsohle. Für diesen Fall findet eine Verschiebung des Spundwandkopfes in Richtung Baugrube von 8 bis 15 cm statt. Diese Deformation ist mit einer vergleichsweise geringen Biegung der Spundwandbohlen verbunden. Das Verformungsbild der Spundwandbohlen kann eher als Verdrehung um den Fusspunkt charakterisiert werden, wobei durch das unter der Baugrubensohle verbliebene Bodenvolumen keine ausreichende Stützwirkung mobilisiert werden kann. Eben diese fehlende Stützwirkung wird durch die nun verwendete Jettingsohle übernommen, sodass der im Diagramm grün hinterlegte Deformationsbereich mit Jettingsohle am Kopf der Spundbohlen ±0 cm beträgt. Ein weiteres interessantes Detail zeigt sich für das Verformungsbild der Spundwand mit Jettingsohle auf Höhe der Jettingsäulen: Der vor dem Jetting eingebaute Verbau wird durch die mit dem Jetting verbundenen Drücke leicht nach aussen gedrückt. Dieser Effekt ist im Diagramm als Ausbauchung sichtbar.

Numerische Nachrechnung der Optimierungen

Als Ergänzung zu den klassischen Bemessungsverfahren wurden FE-Modelle verwendet, um die zu erwartenden Verformungsbilder der einzelnen Verbaulösungen und Verbauvarianten möglichst realistisch abzuschätzen. Neben der detaillierten Modellierung der einzelnen Arbeitsschritte, ausgehend von einem Zeitpunkt vor Baubeginn bis zum hinterfüllten und in Betrieb genommenen Tunnel, wurde besonderes Augenmerk auf die realistische Darstellung des initialen Zustandes des Bodens und dessen konstitutive Modellierung gelegt. Die einzelnen Materialmodelle und zugehörigen Parametersätze wurden an verschiedenen in situ und im Labor bestimmten Messwertreihen validiert und kalibriert. Als Beispiel für die durchgeführten Berechnungen zeigt Abbildung 6 Ausschnitte aus den Resultaten der numerischen Modellierung der Unterfangung der Strassenbrücke Getwing, die den Einschnitt ungefähr rechtwinklig quert, im Zustand des Endaushubs. Zwei nahe am zu erstellenden Tunnel gelegene Brückenpfeiler wurden mittels Jetting unterfangen. Durch die wasserdichte Ausführung dieses Jettingkörpers konnte die Unterfangung auch gleichzeitig als Baugrubenwand verwendet werden. Wie in den restlichen Baugrubenabschnitten wirkte wiederum eine aufgelöste Jettingsohle als unterirdische Spriesslage. Auf der Basis dieser Berechnungen konnten die Verformungen des Brückenbauwerks abgeschätzt und ihre Warn- und Grenzwerte festgelegt werden. Die in den verschiedenen Jettingkörpern bestimmten Spannungen wurden den klassischen Nachweisverfahren gegenübergestellt und die damit verbundenen Nachweise geführt.

Projektstand

Mittlerweile ist der erste Baugrubenabschnitt von ca. 350 m im Osten fertig und hinterfüllt; im zweiten − und zugleich tiefsten − Abschnitt von weiteren ca. 300 m mit der Pumpstation ist der Baugrubenaushub fertig, die Pumpstation und die Hälfte des Tunnels sind gebaut. In den restlichen Bereichen sind die Baugrubenabschlüsse erstellt und die Jettingsohle in Arbeit. Im Bereich der Industrieanlage werden momentan die vorgespannten Spriesse eingebaut. Nach dem Terminplan der Bauherrschaft sind die Rohbauarbeiten 2014 beendet. Im Jahr 2015 erfolgt der Innenausbau, und 2016 werden die Betriebs- und Sicherheitseinrichtungen angebracht. Somit kann der Tunnel voraussichtlich 2017 in Betrieb genommen werden.


Jetting

Jetting, deutsch Düsenstrahlverfahren, ist ein Verfahren zur Stabilisierung bzw. Verfestigung des Baugrunds im Tief- und Tunnelbau. Zunächst wird eine Rohrlanze mit wenigen Zentimetern Durchmesser in den Baugrund vorgetrieben. Die Rohrlanze verfügt kurz nach ihrer Spitze über meist zwei seitliche, senkrecht zur Rohrachse gerichtete Düsen. Durch diese Düsen wird eine wässrige Zementsuspension («Zementmilch ») seitlich in den Baugrund injiziert. Durch langsame Rotation und gleichzeitigen Rückzug der Rohrlanze entsteht ein säulenförmiger, mit Zementsuspension gesättigter Bereich im Baugrund. Nach der Erhärtung der Zementsuspension weisen die so entstandenen Jettingsäulen, die Durchmesser von über zwei Meter erreichen können, eine wesentlich höhere Festigkeit und Tragfähigkeit auf als der unverfestigte Baugrund.

Je nach den gewählten Herstellungsparametern der Jettingsäule wird der Baugrund lediglich verdichtet, teilweise oder auch ganz ausgetragen und durch Zementstein ersetzt. Jettingsäulen können, je nach Funktion, vertikal oder in beliebigen Winkeln hergestellt werden. Sie werden als einzelne Säulen (Pfähle), eindimensional überschneidend als Jettingwände oder zweidimensional überschneidend als Jettingsohlen angeordnet.
[Aldo Rota]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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