Zeitschrift

ARCH+ 204
Die Krise der Repräsentation
ARCH+ 204
zur Zeitschrift: ARCH+

Nagelhaus Zürich

2. November 2011 - Anh-Linh Ngo, Cornelia Escher
Anfang 2007 lobte die Stadt Zürich einen Wettbewerb zur Neugestaltung des Escher-Wyss-Platzes aus, der die Wiederbelebung dieses städtischen „Unortes“ unter dem Viadukt der Hardbrücke zum Ziel hatte. Das prämierte Konzept – eine Zusammenarbeit des Berliner Künstlers Thomas Demand mit dem Londoner Architekturbüro Caruso St. John – schlägt unter dem Viadukt zwei Gebäude vor, die als „archäologische Fragmente“ auf die einst kleinteilige Bebauung an diesem Ort vor dem Bau der Hochtrasse in den 1960er Jahren verweisen.

Eine inhaltliche Aufladung erfährt das Projekt durch die Referenz an das Nagelhaus in der chinesischen Metropole Chongqing, welches vor einigen Jahren in der internationalen Presse für Aufsehen sorgte. Hier hatte der hartnäckige Widerstand der Besitzer gegen des Abriß eines ganzen Stadtviertels durch Immobilienentwickler ein einzelnes Haus isoliert in der ansonsten leergeräumten Fläche stehen lassen. Der Begriff Nagelhaus hat sich in China aus den Protesten einzelner Hauseigentümer gegen großangelegte Neubauplanungen entwickelt: Das stehen gebliebene Gebäude wird mit einem Nagel verglichen, der in einem harten Stück Holz steckt und nicht entfernt werden kann.

Für das Züricher Nagelhaus greifen Demand/Caruso St. John nicht nur die Nutzung des Referenzgebäudes in Chongqing auf. Entstehen sollte auch ein materialisiertes Nachbild des Ereignisses, dessen abstrahierte und geglättete Haut nicht das Originalgebäude, sondern das mediale Bild reproduziert und dem Platz auf symbolischer Ebene ein Quentchen widerborstiger Urbanität injiziert.

Über die funktionale und stadträumliche Intention des Projekts zur Belebung eines stadträumlich problematischen Areals legen sich eine Auseinandersetzung mit der Thematik von Kopie und Original, von Reproduktion und Rekonstruktion, wie sie Thomas Demand in seiner Kunst thematisiert. Der Verweis auf ein mediales Monument individuellen politischen Handelns erhielt durch die politische Realität eine nicht intendierten Pointe: Das Projekt kam aufgrund einer Volksabstimmung zu Fall, in deren Verlauf die Schweizerische Volkspartei (SVP) das Haus mit dem polemischen Spruch „7 Millionen für a Schissi“ plakativ auf dessen Funktion als Toilettenhäuschen reduziert hatte.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: ARCH+

Ansprechpartner:in für diese Seite: Anh-Linh Ngoberlin[at]archplus.net

Tools: