Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 12|2011
Redaktionslieblinge
db deutsche bauzeitung 12|2011

Mehr als ein »Lückenfüller«

Wohn- und Geschäftshaus in Konstanz

In der Konstanzer Altstadt wurde im vergangenen Jahr eine seit Jahrzehnten bestehende Baulücke mit einem Gebäude komplett aus Sichtleichtbeton geschlossen. Das Wohn- und Geschäftshaus schafft es dabei, zwischen einem Kaufhaus aus den 60er Jahren und der ansonsten mittelalterlichen Stadtstruktur zu vermitteln – sowohl über seine städtebauliche Einbindung als auch über seine plastische Materialität.

5. Dezember 2011 - Barbara Mäurle
Die 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts standen in Deutschland im Zeichen für Neubeginn und Aufschwung. Nach langen Kriegsjahren und Entbehrungen musste vielerorts auch intakte, historische Bausubstanz weichen, um Platz für das Wirtschaftswunder zu schaffen. So auch in der Konstanzer Altstadt: Direkt im Zentrum wurden 1961 der größte noch erhaltene mittelalterliche Stadtblock durch zwei neue Gassen in vier Blöcke geteilt und das barocke Stadtpalais der vorderösterreichischen Landesregierung (Architekt: Peter Thumb) sowie zahlreiche kleinere Wohngebäude abgerissen. Entstanden ist in der Hussentraße ein in seinen Proportionen für die Konstanzer Mitte zu groß geratenes Kaufhaus, durch das die kleinteilige Stadtstruktur sowie die gute Belichtung über Hinterhöfe und Gärten der angrenzenden Häuser verloren gingen. Neben dem Kaufhaus lag seit damals ein 10 m breiter und 30 m tiefer Bauplatz brach. Kein Wunder, dass die Bebauung der Baulücke aufgrund der schwierigen städtebaulichen Situation annähernd 50 Jahre auf sich warten ließ. Kraus Schönberg Architekten konnten 2007 einen geladenen Wettbewerb zwischen ortsansässigen Planern für sich entscheiden: Sie entwickelten ein Gebäude, dem es gelingt, zwischen der historisch gewachsenen Altstadt und dem 60er-Jahre-Bau zu vermitteln.

Vordergebäude versus Gartenhaus

Das schmale Grundstück ist heute mit einem C-förmigen Baukörper fast komplett überbaut. Im EG ist ein Ladengeschäft angesiedelt, die Räume im 1. OG sind einer gewerblichen Nutzung vorbehalten und die restlichen drei Etagen wurden als Wohnungen konzipiert. Die Lochfassade zur Fußgängerzone hin schließt die Baulücke vollständig und wirkt durch die tiefen Fensterlaibungen sowie die monolithische Bauweise aus Sichtleichtbeton äußerst plastisch. Oberhalb der Traufe springt das Gebäude zurück und bildet einen kleinen, schräg zulaufenden Balkon aus – damit ist der Neubau an die historische Bebauung städtebaulich angebunden. Die Hofseite überrascht im Vergleich zur kompakten Straßenfront: Terrassen, Laubengänge und zahlreiche Glasflächen belichten das Gebäude von Süden großzügig. Die C-förmigen Grundrisse (ab dem 1. OG) sind auch den Abstandsflächen geschuldet und dabei teilweise nur mit einem hohen Maß an Einfallsreichtum zu nutzen: Im 2. und 3. OG bleibt als Verbindung zwischen dem Vordergebäude zur Hussenstraße hin und dem »Gartenhaus« im Hof (darin befindet sich jeweils ein kleines Schlafzimmer mit angeschlossenem Bad) nur ein schmaler, verglaster Gang. Dieser wurde jedoch von einem Mieter z. B. sehr geschickt zur Bildergalerie umfunktioniert. Im 4. OG liegt dieser Übergang gänzlich im Freien: Hier wird das Gartenhaus zurzeit als Abstellraum genutzt, jedoch sind die Anschlüsse für eine Sauna vorhanden. Alle Etagen – abgesehen vom obersten Geschoss, da es Teil einer Maisonette-Wohnung ist und über eine innenliegende Treppe verfügt – werden durch ein gemeinschaftliches Treppenhaus sowie einem Aufzug erschlossen. Wobei der Treppenaufgang einen gestalterischen Blickfang darstellt: Wie ein überdimensionales Kunstwerk schraubt er sich mit einer sichtbaren Brettverschalung am Treppenunterlauf in die Höhe. Das Treppenauge ist mit dunklem Blech bekleidet, was den Effekt einer begehbaren Skulptur noch verstärkt.

Baukörper: Von plastisch zu flächig

Annähernd alle Außen- und Innenwände des markanten Wohn- und Geschäftshauses bestehen aus Leichtbeton in Sichtbetonoptik. Dadurch, dass das hochwärmedämmende und gleichzeitig wärmespeichernde Baumaterial überall sichtbar ist, entstanden »fließende« Übergänge zwischen außen und innen. Zur Straßenseite beträgt die Wanddicke ca. 50 cm, zum Innenhof hin sind es nur noch 25 cm. Die Betonstelen werden in der Tiefe des Grundstücks schrittweise schlanker, sodass mehr Licht in die Innenräume einfallen kann und die Konstruktion leichter und offener erscheint. Architekt Tobias Kraus: »Mit dem sukzessiven Zurücktreten der Konstruktion hinter die Wandöffnung verwandelt sich das Gebäude von einem plastischen in einen flächigen Baukörper.« Was durchaus gelungen ist. Die spezifische Wärmeleitfähigkeit des verwendeten Leichtbetons liegt bei 0,45 W/mK (Bemessungswert). Da die dickeren Wände zur Straßenseite mehr Energie speichern als die schlanken zum Hof, jedoch die größeren Fensterflächen auf der Rückseite mehr Wärme einlassen, ist das Raumklima im Gebäudeinnern konstant. Insgesamt wurden bei dem Gebäude rund 85 m³ Leichtbeton (Liapor) verbaut: »LC 16/18« und »LC 25/28«, jeweils als Mischung aus Unterkorn Rot der Körnung 4-8 mm sowie Sand der Körnung 0-4 mm. Alle weiteren Einbauelemente wie Bodenbelag, Fenster und Türen sind aus Holz Eichenholz und bilden einen gelungenen Kontrast zum ansonsten allgegenwärtigen Sichtbeton bzw. Sichtleichtbeton.

Baulücken, die es zu schließen gilt, gibt es in deutschen Altstädten noch genug. Nachverdichtung ist im Sinne der Nachhaltigkeit sicherlich auch der richtige Weg, um mehr Wohnraum oder zusätzliche gewerbliche Nutzflächen zu schaffen. Wenn der Neubau durch zeitgemäße Baumaterialien und eine gute städtebauliche Einbindung so überzeugen kann wie in Konstanz, ist das wünschenswert. Im Moment steht in der Stadt am Bodensee noch aus, wie der Wiederaufbau der im Dezember 2010 abgebrannten und nur einen Steinwurf vom neuen Wohn- und Geschäftshaus entfernten historischen Häuser aussehen soll. Architekten mit guten Ideen wären sicherlich vor Ort.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: