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db deutsche bauzeitung 12|2011
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Brücke in Vorarlberg

Brücke bei Lorüns (A)

Nur wenige Meter von der Autobahnausfahrt Bludenz-Montafon in Vorarlberg entfernt, erstreckt sich am Straßenrand zwischen Schnellstraße und Fluss eine Fuß- und Radwegbrücke, die auf den ersten Blick mehr Kunstwerk als Ingenieurbauwerk zu sein scheint, mehr Skulptur als Brücke. Gestalterisch prägnant und in Beton gegossen, behauptet sie sich massiv gegen den Autoverkehr und wirkt mit ihren organisch geformten Fachwerkträgern zugleich feingliedrig.

5. Dezember 2011 - Christine Fritzenwallner
Je nach Blickwinkel und Wetterlage ist es eine unspektakuläre oder eine landschaftlich reizvolle Umgebung. Einerseits rauscht unmittelbar nebenan der Verkehr über die Schnellstraße, hinter der sich ein paar triste Gewerbeareale und ein Zementwerk ausdehnen. Südlich ein Fluss, von dessen Ufer dunkle Bäume den schattigen Hang hinaufklettern. Ringsum ragen Strommasten in die Höhe, deren (u. a. Hochspannungs-)Leitungen die Landschaft durchziehen. Keine Stelle, an der man sich gerne und länger aufhalten würde, erst recht nicht an einem neblig-grauen, kalten Herbsttag. Andererseits erstrecken sich hinter dem Zementwerk am Himmel die im Sonnenschein glänzenden Berge des Rätikon; das klare Wasser der Ill in ihrem steinigem Flussbett vermag Wanderern und Radlern im Sommer, türkisblau schimmernd, Erfrischung bescheren – oder, im Falle von Hochwasser, mächtige Naturgewalten. Direkt unter der Fuß- und Radwegbrücke ein weiteres Gewässer, die Alfenz, Hauptfluss des Klostertals im Süden Vorarlbergs. 26 km hat sie bis hierher zurückgelegt, bevor sie nun in die Ill mündet. An dieser Stelle, die zugleich den Eingang ins touristisch begehrte Montafon-Gebiet markiert, mehr als eine gewöhnliche Brücke zu platzieren, hat also auch aufgrund der geografischen Lage seine Berechtigung.

Nicht 08/15

Der auf der Schnellstraße vorbeibrausende Autofahrer wird die Brücke womöglich dennoch kaum wahrnehmen. Ihm wird allenfalls eine graue, merkwürdige Betonskulptur am Wegesrand auffallen. Diese liegt knapp 2 m unter Straßenniveau auf dem neu errichteten Verbindungsweg zwischen Bludenz und Lorüns, der auf 750 m an der Ill entlang verläuft. Er ist Teil jener Infrastrukturmaßnahmen, mit der Vorarlberg seinen (mit über 15 % aller zurückgelegten Wege) ohnehin schon hohen Radverkehrsanteil weiter steigern möchte. Mit der Planung des Erschließungswegs und infolge dessen der Überquerung der Alfenz wurde das Ingenieurbüro M+G beauftragt – das sich wiederum gestalterische Unterstützung bei den Vorarlberger Architekten Marte.Marte holte, mit denen es bei deren Hochbauprojekten oft zusammenarbeitet. Nur konsultierten die Ingenieure, diesmal umgekehrt, die Architekten. Das führte wie auch schon bei der auf ähnliche Weise zustande gekommenen eindrucksvollen Schanerlochbrücke bei Dornbirn (2005) zu einem reizvollen Ingenieurbauwerk, wie man es häufiger vorzufinden wünscht.

Die Rahmenbedingungen für Entwurf und Erstellung waren bei der Alfenzbrücke schwierig und engten sowohl die Standortwahl als auch die Brückenart ein. Aufgrund von Sicherheitsabständen stand nur ein kleiner, höhenmäßig eingeschränkter Korridor zum Bauen zur Verfügung: Nach unten war man eingeschränkt wegen eines bei Unwetter eventuell hohen Flusspegelstands, nach oben wegen eines Hochspannungsnetzes. Und weiter zum Mündungsbereich hin zu bauen, erlaubte der Naturschutz nicht, sodass man also nahe an die Schnellstraße rücken musste. Drei Konstruktions- bzw. Materialvarianten wurden daraufhin erwogen – eine Brücke aus Holz, eine aus Stahl und eine aus Stahlbeton –, die Materialisierung in Beton erschien am sinnvollsten, u. a. weil sie keinerlei Verbindungsmittel benötigte. »Wegen der Hochspannungsleitung hätten wir sonst jede Schraube erden müssen«, erklärt Stefan Marte. Außerdem liegt die Brücke aufgrund der wenige Meter entfernten Schnellstraße im Winter in deren Salznebel. So ist der Beton tausalzbeständig und frostsicher ausgebildet, hat ansonsten aber keinerlei spezielle Zuschlagstoffe und Beschichtungen. Wegen der stark befahrenen Straße ist die Brücke überdacht und zur Straße etwas geschlossener als zur Ill hin. Beim Passanten soll das beim Überqueren ein sicheres und angenehmeres Gefühl erzeugen.

Filigran in Beton

Die Brücke überspannt gut 30 m, die beiden seitlichen Einfeldträger sind als Fachwerk ausgebildet, Decken und Bodenplatte wirken als Ober- und Untergurt und tragen wesentlich zur Tragfähigkeit bei. Die Diagonalen der Fachwerkträger sitzen in unterschiedlichen Abständen, folgen statischen Belangen und scheinen doch spielerisch rhythmisiert. »Eigentlich ist es eine perforierte Röhre«, erklärt Stefan Marte, »aber das klingt so negativ.« Bauingenieur Josef Galehr spricht zusätzlich von einer integralen Brücke, die wegen der monolithischen Bauweise ohne Fugen weniger wartungsintensiv ist.

Die Brücke ist »hocheffizient und wirtschaftlich, aber absolut am Limit«, erklärt Stefan Marte und meint mit letzterem den statischen Puffer. Die aufgelösten Träger derart schlank zu halten und v. a. die unteren Knoten zu bewähren, war nicht einfach. An einigen Stellen sind sie allerdings »formal überdimensiert«. Hier wurde der Wunsch des Naturschutzamts, die Knoten nicht alle in gleicher Weise auszuführen, sondern mehr an die unterschiedlichen Verästelungen und die Blattstruktur der Natur anzulehnen, als Bereicherung für den Entwurf gesehen und übernommen. Aber wieso sind bereits Haarrisse im Beton? Diese könnten, ebenso wie ein paar oberflächliche Beton-Abplatzungen und fehlende Schrauben, die Brücke auf den einen oder anderen Passanten sanierungsfällig wirken lassen. Das scheinbare Problem ist laut Planer allerdings nur ein Schönheitsmakel an besonders zugbeanspruchten Stellen und kein Grund zur Sorge. Wäre der Stahlbeton »ohne Haarrisse, wäre er überdimensioniert«, zitiert Marte den Tragwerksplaner. Die wenigen Abplatzungen werden sinnvollerweise lieber akzeptiert, als Flickwerk zu betreiben, sie stammen noch aus der Bauphase: Aufgrund der schwierigen Umgebungsbedingungen kam ein Betonieren der beiden Längsträger vor Ort nicht in Frage. Die beiden Fachwerkträger wurden in 250 m Entfernung liegend gefertigt – so konnte auch die Sichtbetonqualität besser gewährleistet werden –, anschließend zum Fluss gekarrt und mit Decken- und Bodenplatte verbunden. Erst dann wurde die 300 t schwere Konstruktion in einem Stück über die Alfenz geschoben.

Subtile Details

Wirkt die Brücke im Querschnitt und aus der Entfernung wie ein Rechteck, entpuppt sie sich beim Näherkommen als leicht verzerrt und trapezförmig. Nach unten verjüngt sie sich, an den Enden ist sie unterschiedlich schräg angeschnitten. Diese kleinen Kunstgriffe verleihen der Brücke ihre dynamische Wirkung. Gleichzeitig nehmen sie ihr nur genau so viel an Massivität, dass sie sich an dieser Stelle noch behaupten kann. Eine gelungene Kompensation.

Glücklicherweise konnten die Architekten das Straßenbauamt überzeugen, statt eines gewöhnlichen Geländers, das die optische Erscheinung fatal beeinträchtigt hätte, nur ein Stahlnetz als Personenschutz anzubringen. Aus der Entfernung ist es aufgrund seiner Weitmaschigkeit nicht sichtbar. Noch unauffälliger verläuft die Entwässerung: Das Dach ist leicht geneigt und wird innenliegend entwässert, indem die Betonwände bzw. Stäbe die Entwässerungsrohre aufnehmen.

Form und Material im Einklang

Mit der Alfenzbrücke ist ein stimmiges kleines Verkehrsbauwerk entstanden, weder spektakulär noch unscheinbar, sondern dem Ort angepasst, unter sparsamer und gezielter Verwendung weniger Baumaterialien. Wie bei vielen anderen Projekten von Marte.Marte, etwa der Friedhoferweiterung mit Lehmkapelle in Batschuns (2001), der durchgängig in Glas und Cortenstahl gehaltenen »Römervilla« in Rankweil (2008) oder, um einen größeren Maßstab zu nennen, einem Alten- und Pflegeheim in Innsbruck (2009), haben die Architekten auch hier ein wohlproportioniertes, authentisches und zeitloses Bauwerk geformt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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