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db deutsche bauzeitung 08|2012
London olympisch
db deutsche bauzeitung 08|2012

Simply the best

London Velodrome

Mit ihren eleganten Formen hat sich die Radrennarena in die Herzen der Londoner geschwungen und wird dort wohl einen festen Platz bekommen: Auch nach den Olympischen Spielen wird der ungeschlagene Liebling von Publikum und Fachwelt der Stadt erhalten bleiben. Die Schwünge der doppelt gekrümmten Dachfläche und der Fassade aus rotem Zedernholz lassen die Dynamik und die Geschwindigkeit des Radrennsports bereits in der Außenansicht anklingen. Die beteiligten Architekten und Ingenieure haben dazu eine kostengünstige Dachkonstruktion ausgetüftelt, die sich trotz enormer Spannweiten kaum verformt.

1. August 2012 - Oliver Wainwright
Als leichte, mühelos über einem grasbewachsenen Hügel schwebende Holzschale ist das Velodrom mit Sicherheit der eleganteste Bau im seltsamen Architekturzoo des Londoner Olympiaparks. Seine doppelt gekrümmte Dachkante beschwört schon auf den ersten Blick das von Schwung und Schnelligkeit geprägte Bild einer Radrennbahn herauf: entlang der längeren nördlichen und südlichen Flanken steil ansteigend, bevor sie sich an den Schmalseiten in einer kraftvollen Krümmung wieder senkt.

Von Hopkins Architects in Zusammenarbeit mit Expedition Engineering entworfen, ist das Gebäude ein Muster an konstruktiver Effizienz – genau wie ein Fahrrad. Der Projektarchitekt Michael Taylor beschreibt, wie die Hülle ähnlich wie eine Schrumpffolie um das Volumen aus Rennbahn, Tribüne und Sichtlinien gelegt wurde, ganz ohne Materialverschwendung. Er erklärt, dass die Form des Gebäudes direkt auf die Form der Rennbahn zurückgeht – nur eben um einige Meter angehoben und um 90° gedreht, die Geometrie so scharf akzentuiert, dass das Dach auf die dramatischen Momente im Verlauf eines Rennens physisch reagiert, indem es dort absinkt, wo die Bahn zu einem Wall wird, und entlang der Geraden in den Himmel ansteigt.

Die Fassade ist komplett mit Brettern aus kanadischer Rotzeder bekleidet, die silbergrau verwittern sollen. Sie folgen der Dachform und setzen sich in das Gebäude fort, wodurch sie eine nahtlose Untersicht schaffen. Zumindest vorerst, denn während sich außen die graue Patina bildet, wird das Holz im Innern natürlich seine jetzige Farbe behalten.

Das bewegte Dach ruht auf einem voll verglasten Ring, der den Publikumszugang auf Rennbahnniveau 4 m über Gelände markiert. Der Zugang auf halber Höhe des Gebäudes beschleunigt nicht nur die Erschließung, sondern gibt auch Panoramablicke über den Park frei und erlaubt den Blick von außen auf das Geschehen auf der Rennbahn. Anders herum kann man durch das Glasband kurze Blicke auf fliegende Fahrräder erhaschen: Auf der östlich des Velodroms gelegenen BMX-Strecke nutzen die Sportler die hoch aufragende Fassade als Hintergrund für ihre telegenen Stunts.

Die 6 000 Sitzplätze – die nach den Spielen, im »Legacy Mode« (»Nachnutzungsmodus«), sämtlich erhalten bleiben werden – sind klug in zwei Bereiche aufgeteilt worden: Die eine Hälfte umschließt den Rand der Rennbahn, so dass die Zuschauer näher am Geschehen sein können als in jedem bisherigen Velodrom. Die andere Hälfte staffelt sich oben unters Dach. Diese Anordnung löst das doppelte Problem der »Mauer des Schweigens«, über die Radfahrer klagen, weil es über den Kurven üblicherweise keine Sitzplätze gibt. Zudem ist so sichergestellt, dass das Stadion auch bei Veranstaltungen mit wenigen Zuschauern niemals leer klingt.

Das Tragwerk wurde auf zwei grundlegende Elemente reduziert: ein steifes Tribünenrund und ein davon abgehängtes, straff gespanntes Netz aus Stahlseilen. 48 untereinander verbundene Stahl-Fachwerkträger sitzen auf radial platzierten Betonpfeilern über der Rennbahnebene und bilden eine Schalenkonstruktion von 130 m Durchmesser. Betonfertigteile mit abgetreppten Sitzplatzreihen liegen auf. Ganz oben verbinden sich die Träger zu einer Konstruktion, die Taylor als doppelten »Achterbahn-Ringbalken« bezeichnet. Dieser besteht übrigens aus wiederverwendeten Gasrohren, die im wellenförmigen Verlauf der Konstruktion um 12 m ansteigen und wieder absinken. Der schlanke Ringbalken hält die 16 km vorgespannter Seile unter Spannung – von Schlaich Bergermann und Partner auf die für derartige Konstruktionen üblichen engen Toleranzen von nur wenigen mm hin berechnet. Während des Baus wurde das Netz der 36-mm-Seile auf dem Boden ausgelegt und die über 1 000 Kreuzungspunkte mit eigens entworfenen Knoten fixiert (s. Detailbogen ab S. 86), bevor das Ganze angehoben und vom Ringbalken aus in Position gespannt wurde. Hochgedämmte Holz-Dachkassetten wurden dann mit einem Kran eingelegt und in geschlitzten Verbindungen verbolzt, um Bewegungen zu ermöglichen. In Längsrichtung wurden Streifen für die 2 m breiten Oberlichter freigelassen – für eine Radrennbahn ist diese großzügige Tagesbelichtung ungewöhnlich. Anschließend wurde die Konstruktion mit einem Stehfalz-Aluminiumdach gedeckt, insgesamt beläuft sich das Gewicht auf 30 kg/m². Für die Seile wurden etwa 100 t Stahl benötigt, zu deren Montage es nur weniger Hilfskonstruktionen bedurfte. Lässt man den Ringbalken und die Fachwerkträger außer Acht, wird der Unterschied zum Aquatics Centre deutlich, das über einer etwa gleich großen Fläche 3 000 t Stahl verschlang und während des Baus einen ganzen Gerüstwald brauchte.

Dass das Projekt so erfolgreich ist – es wurde als Favorit für den Stirling Prize gehandelt und nur knapp von Zaha Hadids Evelyn Grace Academy in Brixton geschlagen –, liegt zum größten Teil am fixen Programm. Während alle anderen für die Nachnutzung vorgesehenen Veranstaltungsorte in unterschiedlichen Konfigurationen, einmal für die Olympiade und einmal für die Zeit danach, entworfen werden mussten, behielt das Velodrom glücklicherweise während der gesamten Planungszeit dasselbe Programm und hatte außerdem von Anfang an einen klar definierten »Legacy Mode«.

Warum Radfahren im olympischen Nachnutzungs-Plan eine so zentrale Rolle spielt, lässt sich in gewisser Weise durch den heiß geliebten Eastway Cycle Circuit erklären, der sich 30 Jahre lang exakt an dieser Stelle befand. Dass er den Olympischen Spielen weichen musste, führte zu einer erbittert geführten Kampagne für eine dauerhafte Fahrrad-Infrastruktur in der Folge der Spiele – in Form des 105 Mio. Pfund teuren London Veloparks mit BMX-Bahn, einer 6 km langen Mountainbike-Strecke, einem 1,6 km langen Straßen-Rundkurs und natürlich dem 90 Mio. teuren Velodrom. Wenn man an die schlaglochübersäte Asphaltstrecke von früher denkt, hat die Radfahrerlobby nun allen Grund zur Freude

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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