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TEC21 2012|31-32
Kuppelbauten
TEC21 2012|31-32
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Hightech-Hülle für exotische Pflanzen

27. Juli 2012 - Andreas Buss
Die drei Schaugewächshäuser des Botanischen Gartens der Universität Zürich bieten exotischen Pflanzen adäquate, konditionierte Lebensräume. Die 1977 von den Architekten Hans und Annemarie Hubacher mit dem Architekt Peter Issler und dem Ingenieur Max Walt erbauten Kuppeln beruhen auf einem damals in den USA seriell hergestellten Kuppeltyp. Mittlerweile sind sie zum Wahrzeichen des Gartens avanciert. Daher wird die ursprünglich einfache Konstruktion bis Ende Oktober 2012 mit grossem Aufwand und speziell angefertigten Elementen instand gesetzt und den heutigen energetischen Anforderungen angepasst.

Der heutige Botanische Garten der Universität Zürich wurde 1975 bis 1977 im Quartier Weinegg angelegt. Zuvor hatte sich die Anlage seit 1833 auf dem Bollwerk «zur Katz» in der Innenstadt befunden, wo sie bis heute als Park weiterbesteht. In das neue, mit 5.6 ha dreimal grössere Areal an der Zollikerstrasse sind die Gebäude des Instituts für systematische Botanik und des Instituts für Pflanzenbiologie sowie Schau- und Anzuchtgewächshäuser eingebettet (Abb. 1). Neben seiner Bedeutung als Wissenschafts- und Bildungseinrichtung ist der Garten auch ein beliebter Erholungsort. Die Anlage wurde ab 1971 vom Landschaftsarchitekten Fred Eicher (vgl. TEC21 35/2004), von den Architekten Hans und Annemarie Hubacher, vom Architekten Peter Issler und vom Ingenieur Max Walt geplant. Ihre räumliche Gliederung, die Wegführung und das Erscheinungsbild lassen Prinzipien eines Landschaftsgartens erkennen, in den Teile des ehedem dort bestehenden Anwesens Schönau integriert sind. Die Topografie ist vielseitig: Auf dem gegen die Zollikerstrasse hin abfallenden Moränenrücken erheben sich die Institutsgebäude, während sich das Areal nach Osten in eine geschützte Senke hinein ausdehnt. Der darin eingebettete Teich bildet einen pittoresken Vordergrund zu den drei unterschiedlich hohen Kuppeln der Schaugewächshäuser (Abb. 2). Darin wird die nach Habitaten geordnete Sammlung exotischer Pflanzen kultiviert und präsentiert.

Die Besucher treten über einen Vorhof und durch das Foyer, metaphorisch als Grotte zu verstehen, von unten in die Hemisphären ein. Ihre eingesenkten Innenwelten sind von Rundwegen durchzogen und illusionistisch inszeniert: Funktional in den Komplex integrierte Einrichtungen wie Werkhof und Anzuchtgewächshaus entziehen sich den Blicken der Besucher. Vor der Instandsetzung band die Materialisierung mit dem schalungsrauen Beton im Sockelbereich, den Mauern aus porösem Tuffstein, dem Bronzeton der strukturellen Metallteile sowie der getönten Kuppelverglasung landschaftliche und architektonische Elemente zusammen. Eine erdige Schwere charakterisiert auch die nahe gelegenen Institutsgebäude mit ihren dunklen Vorhangfassaden.

Die Ökonomie des konstruktiven Systems

In ihrer elementaren Geometrie und konstruktiven Finesse sind die Kuppeln von bemerkenswerter ästhetischer Qualität. Es handelt sich um Kugelkalotten mit einem filigranen Tragwerk aus gebogenen Aluminiumrohren, das analog einer globalen Netzgeometrie aus Meridianen und Latituden aufgebaut ist (Abb. 4, 5). An den Kreuzungspunkten sind die einzelnen Rohre auf gegossene Knotenstücke gesteckt und fixiert (Abb. 10). Die rotationssymmetrische Anordnung aller Glieder um die gedachte Polachse ermöglicht die Wiederholung nur weniger Typen von Strukturelementen. So sind alle Rohre, die sich zur Stütze (= Meridiane) zusammensetzen, identisch geformt, ebenso alle Knotenstücke. Nur die ringförmigen, horizontalen Verbände weisen, je nach Höhenlage der jeweiligen Latitude, voneinander abweichende Krümmungsradien und Elementlängen auf. Die ursprüngliche Verglasung der Struktur bestand aus einer einschichtigen Haut bombierter Acrylglaselemente (PMMA), deren Fugen kongruent zur Rohrstruktur verliefen. Gekoppelt wurden die Glaselemente durch Klemmung ihrer Ränder zwischen zwei Aluminiumprofile, von denen das innere auf einem Steg des lastabtragenden Aluminiumrohrs aufsass. Derart in die Primärstruktur integriert, wirkten die Glaselemente als aussteifende Schubfelder gegen horizontale Einwirkungen wie Windkräfte (Abb. 7).

Die Kuppeln waren keine projektspezifische Einzelanfertigung, sondern Varianten eines seriell hergestellten Typs. Entwickelt, patentiert und kommerzialisiert von der US-amerikanischen Firma Ickes Brown Glasshouses (IBG), ist dieses System in Europa allerdings selten anzutreffen (vgl. Kasten S. 20).

Instandsetzungsbedarf und architektonische Strategie

Nach 40 Betriebsjahren war eine Instandsetzung erforderlich, die alle Teile des Gewächshauskomplexes berührt. Probleme bestanden im baulichen Zustand des Sockels, in der veralteten Gebäudetechnik und im hohen Energiebedarf. An letzterem hatten die noch vor der Ölkrise konzipierten Kuppelhüllen massgeblichen Anteil. Augenfälligstes Manko der Hüllen war die Eintrübung des Acryls. Die dadurch erheblich verminderte Lichtdurchlässigkeit hemmte das Wachstum der Pflanzen (Abb. 2). Eine Machbarkeitsstudie zur Instandsetzung, die zunächst auch den vollständigen Ersatz der charakteristischen Gewächshäuser in Betracht zog, begann 2005. Daraus resultierte der Auftrag für die Instandsetzung an die ARGE Botanik (Architekturbüros Hubacher Peier und Haerle Hubacher, Zürich). Ein von ihr geführtes Expertenteam verfolgte Lösungsansätze, die den architektonischen Gestus der Anlage der 1970er-Jahre zugleich respektieren und pflegen, ihre technische Funktionalität aber verbessern sollten. Obwohl die Kuppeln nicht als denkmalpflegerisches Schutzobjekt klassiert sind, setzte man die Prämisse, sie in ihrer Erscheinung möglichst wenig zu beeinträchtigen. Aus der engen Verknüpfung ihrer Struktur und Hülle, besonders aber der Wechselwirkung mit dem Gedeihen der Pflanzen, entstand ein Anspruch, der mit Standardlösungen nicht erfüllt werden konnte. Der Weg zur Realisierung führte über einen Prototyp, bei dem die bestehende Einfachverglasung lediglich erneuert und mit einem raumseits eingehängten, transluziden Membrankissen als thermische Isolation ergänzt wurde. Da das Ergebnis bauphysikalisch noch nicht überzeugte und mineralisches Glas wegen seines Gewichts nicht infrage kam, entschied man sich schliesslich für den Neuaufbau einer doppelten, aussenliegenden Verglasungsebene aus Acryl. Darin wurden bauphysikalische, strukturelle, aber auch montagetechnische Belange zu einer funktionalen und ästhetischen Einheit mit dem Bestand zusammengeführt.

modifikation der kopplung von Hülle und Tragstruktur

Anstelle von Glas und Eisen – Werkstoffe, die den Gewächshausbau zu Beginn des 19. Jahrhunderts revolutionierten (vgl. Kasten links) – sind in den Kuppeln Aluminium und Kunststoff (PMMA) kombiniert. In ihrem Zusammenwirken sind diese in ihren Eigenschaften so unterschiedlichen Werkstoffe nicht problemlos. So zeigten die Ecken der 40 Jahre alten Gläser eine durch Zwängungen bei Temperaturdehnung bedingte Rissbildung, zudem waren sie unter UV-Einfluss versprödet, weshalb sie nur noch eingeschränkt als Schubfelder funktionierten. Dem wirkt nach der Instandsetzung nun einerseits eine neue, elastische Form der Kopplung entgegen, andererseits die Wahl des PMMA, die den bestmöglichen Kompromiss aus hoher Lichttransmission und der Absorption materialschädigender Wellenlängen darstellt.

Für die Instandsetzung wurden Doppelglaspaneele mit Randverbund entwickelt, die aus zwei miteinander verklebten PMMA-Scheiben bestehen und somit ein geschlossenes Element bilden (Abb. 8). Entscheidend für die Kraftübertragung zwischen neuem Glaselement und bestehender Primärstruktur ist eine elastische Klebefuge aus Spezialsilikon, die einen genau definierten Bewegungsgrad zulässt, denn die thermische Ausdehnung von PMMA ist ca. zehnmal höher als bei mineralischen Gläsern. Die signifikante, schon im Ursprungszustand vorhandene Wölbung der Gläser federt ebenfalls einen Teil ihrer Temperaturdehnung ab und steift die Elemente in sich aus.

Der insgesamt schwerere Aufbau der neuen Hülle, eine infolge des verbesserten U-Werts (vgl. Kasten S. 16), erhöhte Schneelast und Alterungsprozesse in der Aluminiumlegierung der über 600 Gussknoten erforderten eine Stabilisierung der Tragkonstruktion. Die Ingenieure von Walt+Galmarini brachten deshalb eine Ringvorspannung mit Stahlseilen entlang mehrerer unterer Latituden auf (Abb. 10). Die Vorspannkraft hält die Knoten in allen Gebrauchszuständen unter Druck und minimiert so das Risiko von spröden und spontanen Zugbrüchen.

Eigener Belüftungskreislauf für die Hülle

PMMA ist nur bedingt gas- und dampfdicht. Die übliche Füllung des Scheibenzwischenraums mit Inertgas wäre daher nicht dauerhaft. Der Isolationseffekt wird stattdessen durch eine Luftschicht erreicht, wobei eingedrungener Wasserdampf kontrolliert aus dem Scheibenzwischenraum abgeführt werden muss. Dazu wurde ein eigener Belüftungskreislauf mit miniaturisierten Installationen eingerichtet, der in dieser Form hier erstmals angewendet wird. In die untere Reihe der Paneele wird über eine Ringleitung Luft eingeblasen. Da diese jeweils abgeschlossene Einheiten bilden, sind sie untereinander mit speziellen Tüllen verbunden, die den inneren Luftstrom in der Vertikalen weiterleiten, bis er rings um das obere Kuppelauge gesammelt und durch das Grundprofil, das den tragenden Aluminiumrohren aufgesattelt ist, zurückgeführt wird (Abb. 8). Die Luft wird getrocknet und gefiltert, da nicht nur eindringender Dampf, sondern auch Feinstaub die Lichtdurchlässigkeit beeinträchtigen würde. Ein zusätzlicher Effekt wird im Ausgleich von Temperaturspitzen innerhalb der Aussenhaut erwartet.

Interaktion von Pflanzen und Technik

Die Konditionierung des Pflanzenraums bildet ein davon getrenntes System, in dem die technisch regulierten Komponenten Temperierung, Belüftung und Befeuchtung mit der natürlichen Licht- und Wärmeeinstrahlung sowie den Aktivitäten der Pflanzen selbst in Wechselwirkung stehen. Pflanzen sind in der Lage, Luftfeuchtigkeit und Umgebungstemperatur durch gezielte Transpiration zu beeinflussen. Im Aufzeigen solcher Anpassungsmechanismen an die klimatischen Bedingungen ihrer natürlichen Habitate liegt auch ein neuer didaktischer Schwerpunkt in den Schaugewächshäusern.

Das Lüftungskonzept wurde erstmalig bei der 2003 eingeweihten Masoalahalle im Zoo Zürich (Gautschi Storrer Architekten, Zürich) angewandt und nun im Rahmen der Instandsetzung auf die Schauhäuser des Botanischen Gartens übertragen. An der Fassade umlaufende Spezialdüsen, die entweder Aussenluft zuführen oder selber Raumluft ansaugen können, sorgen für eine gute Durchmischung der Raumluft, um Schichtungen mit hohen lokalen Luftfeuchtigkeiten und Kaltluftseen zu verhindern. Je nach Tages- und Jahreszeit wird mit Radiatoren geheizt, Aussenluft zur Kühlung und Feuchtigkeitsregulierung zugeführt oder Luft umgewälzt. Das System, das ohne Kältemaschine auskommt, erfordert ein fliessendes Ineinandergreifen verschiedener Mechanismen, etwa beim Wechsel von freier Thermik zu mechanischer Lüftung (Abb. 6). Insgesamt soll sich mit der optimierten Hülle (U-Werte, Lüftung, solarer Gewinn) der Energieverbrauch um etwa die Hälfte reduzieren.

Landschaft und Bepflanzung

Die ursprünglichen Wege im Innern wurden durch einige Seitenpfade ergänzt, die innere Topografie und ihre Ausstattungselemente aber weitgehend beibehalten. In den bisher als Tropen, Subtropen und Savanne ausgewiesenen Hemisphären werden nach der Wiedereröffnung im Frühjahr 2013 neu Pflanzengemeinschaften des Tieflands (mit Regenwald), des Bergwalds und der Trockengebiete der Erde angesiedelt. Temperaturverlauf, Feuchtigkeitsgehalt der Luft und Luftbewegung unterscheiden sich dementsprechend. Die Bewässerung wird zum grössten Teil mit Regenwasser gedeckt, das in einer 250 m³ grossen Zisterne gesammelt wird.

Die Kuppelform birgt aus botanischer und gärtnerischer Perspektive durchaus auch Schwierigkeiten. So kann der Schattenwurf hoher Pflanzen, die der Raumform entsprechend eher im Zentrum angesiedelt sind, ihre kleineren Nachbarn in der Peripherie benachteiligen. Umgekehrt führt die Höhenstaffelung der Pflanzen zu einem visuell harmonischen Übergang zwischen Innen- und Aussenraum.

Das Gewächshaus als Gesamtkunstwerk

In kaum einem Gebäudetypus sind natürliche und technische Prozesse enger verknüpft als im Gewächshaus. Wie schon das gusseiserne Palmenhaus im alten Botanischen Garten der Universität Zürich lässt sich der Komplex der Kuppelgewächshäuser in die über 200-jährige Tradition moderner Schaugewächshäuser einreihen. Die Instandsetzung verändert zwar das Erscheinungsbild, indem sie der Struktur mehr Kontrast und Härte verleiht, respektiert aber ihren konstruktiven und funktionalen Zusammenhang. Ein Teil der ursprünglichen Einfachheit der Konstruktion verschwindet, da sie nun mit zusätzlichen Funktionen angereichert wird. Dass sich die Instandsetzung trotzdem schon jetzt als gelungen darstellt, führt die erfolgreiche Interaktion von Architekten, Spezialisten und Unternehmern in einem komplexen Planungsprozess vor Augen – eine Tatsache, die man sich im Umgang mit vergleichbaren, industriell gefertigten Bauten der 1960er- bis 1970er-Jahre häufiger wünschen würde.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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