Zeitschrift

TEC21 2012|31-32
Kuppelbauten
TEC21 2012|31-32
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Riesenkuppel aus Holz

In Rheinfelden AG wurde Mitte Mai der grösste Holzkuppelbau Europas mit einer Spannweite von 120 m eingeweiht – der zweite Saldome der Schweizer Rheinsalinen. Darin können über 100 000 t Streusalz gelagert werden. Die Bauingenieure des Unternehmens Häring aus Pratteln planten und realisierten das Tragwerk aus Holz.

Im strengen Winter 2010/11 wurden allein in der Stadt Zürich 4750 t Streusalz ausgetragen. Da im Dezember 2010 nicht garantiert war, dass die Salzvorräte bis Ende der Saison ausreichen würden, befreite man vielerorts nur noch die Hauptverkehrsachsen von Schnee und Eis. Dass Streusalz kurzfristig zur Mangelware wird, kommt in der Schweiz immer wieder vor. Vor diesem Hintergrund ist es weitsichtig, die Lagerkapazität zu vergrössern. Einen ersten sogenannten Saldome – einen Kuppelbau aus Holz zur Lagerung von Streusalz – erstellte das Unternehmen Häring bereits 2005 für die Vereinigten Schweizer Rheinsalinen im Rheinfeldener Ortsteil Riburg im Kanton Aargau. Diese Holzkuppel mit 93 m Durchmesser und 30 m Höhe fasst 80000t Salz. Damit konnten die Rheinsalinen insgesamt 130000t Salz zentral lagern. Da auch diese Lagerkapazität nicht immer genügte, errichteten die Rheinsalinen zusammen mit denselben Planern 2012 den «Saldome 2», eine noch gössere Kuppel mit einem Durchmesser von 120 m, einer Firsthöhe von 32 m und einem Fassungsvermögen von rund 110000t Salz.

Kuppel, Kugelkalotte und RundlagerKonzept

Als die Rheinsalinen Mitte der 1990er-Jahre Ausschau nach Tragkonstruktionen für bedeutend mehr Lagervolumen hielten, waren die bestehenden Salzlagerhallen in Schweizerhalle und Rheinfelden – konventionelle Dreigelenkbogenhallen in Holzbauweise – nach wie vor bewährte Konstruktionen. Trotz der korrosiven Atmosphäre wiesen die Holztragwerke auch nach über 40-jähriger Nutzung noch eine überzeugende Dauerhaftigkeit und Beständigkeit auf. Mehr Schüttgutvolumen als in solchen Hallen und reduzierte Lagerkosten pro Tonne sind nur bei einer Erhöhung des Rauminhaltes und einem leistungsfähigeren Tragwerkssystem möglich. Die Kugel ist die beste Form für die materialoptimierte Umhüllung eines Raumes. Die Kugelkalotte wiederum schützt den Salzkegel bei grösstmöglicher Grundfläche und kleinstmöglicher Oberfläche vor Witterungseinflüssen (Abb. 2 und 3). Ein Rundlagerkonzept mit zentraler Befüllung im Pol und zentraler Entnahme an der Basis konzentriert ausserdem die Mechanik der Anlagelogistik. Dieses Konzept wurde mit dem Bau des Saldome 1 erstmals angewendet (Abb. 1).

Holznetzschale namens Ensphere

Grosse «Timber Dome Structures» kamen in den 1970er- und 1980er-Jahren in den USA in verschiedenen Mehrzweck- und Sportstadien zum Einsatz. Die geodätische Netzstruktur wurde auch als sogenannte Fuller’sche Raumfachwerkstruktur bekannt (vgl. Kasten S. 20). 1982 erstellten die Architekten McGranahan und Messenger in der Stadt Tacoma im US-Bundesstaat Washington für eine Mehrzweckhalle aus Holz die damals weltweit grösste frei tragende Schale mit 160 m stützenfreier Spannweite. Die dabei eingesetzte Netzstruktur wurde «Ensphere» genannt. Sie entspricht einer Modifikation der geodätischen Netzstruktur und eignet sich besser für flache Kuppeln mit Kugelkalottenform. Die Entwicklung der Ensphere-Struktur geht auf den deutschen Architekten Wendell E. Rossmann zurück.[1] Die Geometrie der Ensphere-Holznetzschale entsteht in einem mehrstufigen Algorithmus: Ein Raster gleichseitiger Dreiecke auf einer gedanklich über der Kugel schwebenden Ebene wird auf die Kugeloberfläche projiziert (Abb.5) und ein konstanter Abstand zwischen den 48 Widerlagern vorgegeben. Mit wenigen Irregularitäten im Auflagerbereich bilden so drei sich durchdringende, optisch geradlinige Bogensysteme das wirkungsvolle Tragwerk – der Kraftverlauf in den Drucktrajektorien ist offensichtlich. Jeder Tragwerksstab liegt auf einem Grosskreis der Kugel, deren Zentrum beim Saldome 2 rund 40 m unter Terrain liegt. Damit haben alle Brettschichtholzträger denselben Radius von 72 m und können auf einer einzigen Bogenschablone verleimt werden. Die Flucht der Kreuzungsknoten zeigt ebenfalls auf das Kugelzentrum und erzeugt damit bei allen Brettschichtholzbögen rechtwinklige Schnitte (Abb. 8). Neben den genannten Konstanten zeichnet sich die Netzstruktur durch zwei variable Parameter aus. Die erste Variable ist die Stablänge: Die drei sich durchdringenden Bogensysteme erzeugen sechs baugleiche Sektoren, in welchen jeder Stab eine individuelle Länge besitzt (Abb. 7). Die 534 Stäbe unterscheiden sich also in 89 Typen. Die zweite Variable sind die Winkel, die die Stäbe an den Kreuzungsknoten aufspannen. Daraus ergeben sich für die 163 «Zentral-Knoten» 28 unterschiedliche Typen.

Reduzierter Materialaufwand und flexibler Kräftefluss

Schalen als Membrantragwerke nehmen gleichmässige Lasten sehr effizient auf. Die Natur liefert mit der Eierschale und der Seifenblase eindrückliche Beispiele für diese Materialoptimierung. Ein reales Bauwerk ist aber nicht nur gleichmässigen, sondern vielen verschiedenen Einwirkungen und Belastungen ausgesetzt (Abb.6), weshalb die Optimierungsaufgabe nicht mehr eindeutig lösbar ist. Insbesondere können die Lasten symmetrisch oder asymmetrisch und verteilt oder konzentriert auftreten; zudem fehlt im Holzbau, einer Leichtbauweise, ein klar dominierender Belastungszustand (Eigengewicht und Schnee). Unter diesen Gesichtspunkten heben sich die Vorteile der Netzschale hervor: Das 1000 m³ grosse Materialvolumen an Brettschichtholz ist nicht etwa auf eine Membran konstanter Dicke von rund 7cm auf der Oberfläche von 14000 m² verteilt, sondern in Primär- und Sekundärträgern konzentriert. Durch die Diskretisierung der Fläche und die Materialkonzentration auf die Stäbe gewinnt das Tragwerk an Biegewiderstand, wodurch sich insgesamt der Widerstand gegenüber asymmetrischen und konzentrierten Belastungen erhöht. Bei hochgradig statisch unbestimmten Systemen wie der Netzstruktur der Saldome, besteht ausserdem eine Redundanz, welche die Wahrscheinlichkeit eines fortschreitenden, von einer lokalen Schwachstelle im Tragwerk ausgehenden Kollapses verschwindend klein macht. Allerdings ist bei solchen Tragsystemen der Kraftfluss in der Netzschale nicht mit letzter Genauigkeit vorherzusagen, er passt sich sensibel den Reaktionen der Fundamente an. Kraftspitzen können sich zudem nicht wie beispielsweise bei Tragsystemen aus Stahl durch plastische Verformungen abbauen. Bilden Ingenieure also hochgradig statisch unbestimmte Systeme im Holzbau aus, müssen sie die Sensitivität der auftretenden Kräfte auf äussere Einflüsse abschätzen (vgl. Kasten links). So tragen sie den grundsätzlich linear-elastisch-spröden Materialeigenschaften Rechnung und erhalten auf der sicheren Seite liegende Schnitt- und Auflagerkräfte beziehungsweise Verschiebungen an den Widerlagern.

Bemessung der Tragwerksteile

Für die Bemessung des Saldome 2 legten die Bauingenieure die Knoten auf die auftretenden Kräfte aus und wiesen die Stabilität der unter grossen Druckkräften stehenden Holzträger nach. Im Knicknachweis der mit 12 m längsten Stäbe, die eine Druckkraft von 900kN aufnehmen, berücksichtigten sie die Sekundärträger als seitliche Halterung. Die Knoten sind mit acht eingeklebten Gewindestangen im Holz verankert. Diese Stangen sind in einem Anschlussteil zusammengefasst und über zwei hochfeste Bauschrauben an einem Zentralrohr verschraubt. Das Zentralrohr ist zweiteilig unterbrochen und erlaubt damit eine zwängungsfreie Querdehnung der Holzträger. In den Knoten treffen auf engstem Raum – der kleinste Winkel zwischen zwei Stäben beträgt 39° – grosse Kräfte aufeinander. Über die im oberen und unteren Trägerdrittel angeordneten Anschlussteile werden Druckkräfte von 600kN und Zugkräfte von 300kN im Bemessungszustand übertragen. Die hohen Anschlusskapazitäten, die mit eingeklebten Gewindestangen erreichbar sind, sind nicht in den Schweizer Tragwerksnormen erfasst. Die Vorbemessung der Anschlüsse erfolgte deshalb mit Werten, die auf Versuchsresultaten der Klebstoffhersteller basieren. Weitere Sicherheit zum Design des Knotenanschlusses wurde durch speziell für dieses Projekt durchgeführte Versuche in Zusammenarbeit mit dem Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich gewonnen. Die Ingenieure machten Ausziehversuche an einzelnen eingeklebten Gewindestangen und an Gruppen von eingeklebten Gewindestangen. Mit Zugversuchen ermittelten sie die effektive Fliessgrenze und Zugfestigkeit der Gewindestangen.

Fundamentring aus Einzelfundamenten und Ringzugband

Bei Bogen- und Kuppeltragwerken ist eine hohe Auflagersteifigkeit entscheidend dafür, dass sich die angestrebte Tragwirkung ausbildet. Für die flache Kuppelgeometrie des Saldome 2 mit einem Pfeilverhältnis von rund 1:4 gewinnt dieser Aspekt zusätzlich an Bedeutung. Die Fundation des Saldomenn 2 geschieht über eine Kombination von Einzelfundamenten zur Übertragung der konzentrierten Vertikalkräfte in den Baugrund und einem Ringzugband aus Stahlbeton zur Aufnahme des Bogenschubs (Abb.7). Die entscheidende radiale Steifigkeit der Widerlager setzt sich unter Gebrauchslasten aus der Steifigkeit des Ringzugbandes und der Einzelfundamente zusammen. Die Primärträger sind in die Einzelfundamente eingespannt – dadurch war es im Übrigen auch möglich, das Tragwerk ohne Hilfsgerüste im Freivorbau zu montieren.

Doppelt gekrümmte Dacheindeckung

Eine wesentliche Neuerung beim Saldome 2 gegenüber dem Saldome 1 – die sich ansonsten nur in den Abmessungen voneinander unterscheiden – nahmen die Planenden bei der Dacheindeckung vor. Bei doppelt gekrümmten Dachflächen ist es eine Herausforderung, mit den gängigen, einfach krümmbaren Plattenwerkstoffen eine ästhetisch überzeugende und dichte Bedachung auszuführen. Eine einfach zu konstruierende Membrandachhaut aus transparenten Kunststoffplanen kam aus bauphysikalischen Gründen nicht infrage. Stattdessen wählten sie Holzwerkstoffplatten. Diese haben eine feuchtigkeitsausgleichende Wirkung, welche wiederum zusammen mit der durch den Kamineffekt angetriebenen natürlichen Lüftung die Kondenswasserbildung einschränkt. Die Planenden verfeinerten das Stützraster des Primärtragwerks mit zusätzlichen Sekundärträgern, sodass man die einzelnen Dachelemente losgelöst von der Netzstruktur entlang von Breitenkreisen unterteilen konnte (Abb. 4). Die Elemente wurden mit «fliegenden» Stössen, die nicht auf der Netzstruktur auflagen, verbunden. Die 13 m langen und etwa 2 m breiten, leicht konisch zugeschnittenen sowie längs gekrümmten Dachelemente konnten rationell als Teil der automatisierten Produktionskette vorgefertigt werden. Ein neuartiger Flüssigkunststoff mit aufgestreuten Schieferschuppen dichtet das Dach ab und wurde im Werk auf die Dachelemente aufgebracht. Die Ränder entlang der Elementstösse kamen unbeschichtet ab Werk und wurden auf der Baustelle verklebt und beschiefert. Die fertige Dachhaut des Saldome 2 erscheint aus diesem Grund mit nur noch schwach sichtbaren Elementübergängen.


Anmerkung:
[01] Wendell E. Rossmann, 1926 in München geboren, absolvierte seine Schulzeit und die Ausbildung zum Zimmermann in der Schweiz und wanderte als junger Mann nach Kanada aus. Er studierte an der University of Alberta Architektur und promovierte als Ingenieur in München. Seine Firma gründete er in Phoenix USA. Er stellte die auf dem Varax-System (Varax = Variable Axis) beruhende Holzkuppelbauweise 1983 unter anderem in dieser Zeitschrift vor (vgl. Wendell E. Rossmann: Netzschalen aus Holz für grosse Spannweiten, in: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 25/1983) und erregte damals grosse Aufmerksamkeit in der Fachwelt.

Rossmann plante und baute mehrere derartige Hallen und auch Kirchenbauten. Er verstarb 1997. Christoph Häring, dessen Unternehmen die Tragkonstruktion der Saldome geplant und realisiert hat, hat sich bereits in den 1970er-Jahren mit Rossmann fachlich ausgetauscht. Er hat die Ensphere- Holznetzschale weiterentwickelt und vor allem die Knotensysteme verbessert (vgl. Christoph H. Häring: Zur Konstruktion von Holznetzschalen, in: Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 25/1983)

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: