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TEC21 2012|46
Pumpspeicher XXL
TEC21 2012|46
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Energiekathedrale im Berg

Ein grosses Gefälle auf kurzer Distanz, bereits vorhandene Kraftwerks- und Transportanlagen und stabile geologische Verhältnisse – am Ursprung des Glarner Linthtals sind viele Voraussetzungen für den Bau eines Pumpspeicherwerks erfüllt. Deshalb baut die Axpo AG in diesem Gebiet seit 2008 das grösste Pumpspeicherwerk der Schweiz. Heute, nach der Hälfte der Bauzeit, ist das technisch anspruchsvolle Projekt auf Kurs.

9. November 2012 - Rolf W. Mathis
Ein grosses Gefälle auf kurzer Distanz, bereits vorhandene Kraftwerks- und Transportanlagen und stabile geologische Verhältnisse – am Ursprung des Glarner Linthtals sind viele Voraussetzungen für den Bau eines Pumpspeicherwerks erfüllt. Deshalb baut die Axpo AG in diesem Gebiet seit 2008 das grösste Pumpspeicherwerk der Schweiz. Heute, nach der Hälfte der Bauzeit, ist das technisch anspruchsvolle Projekt auf Kurs.

Der Kanton Glarus und die Nordostschweizerischen Kraftwerke NOK (heute Axpo) erstellten zwischen 1957 und 1968 im Quellgebiet der Linth am Ende des Glarner Haupttals (Abb. 01) die Kraftwerke Linth-Limmern (KLL).

Die Hauptstufe Limmernboden-Tierfehd ist als Speicherwerk konzipiert. Eine 146 m hohe Bogenstaumauer mit 375 m Kronenlänge staut den Limmernsee mit einem Nutzinhalt von 92 Mio. m3 auf maximal 1857 m ü. M. Das im Stausee gespeicherte Wasser wird vorwiegend im Winter in der auf 811 m ü. M. gelegenen Kavernenzentrale Tierfehd mit einer installierten Leistung von 261 mW turbiniert. Im Sommer kann ein Teil der Zuflüsse aus tiefer gelegenen Seitentälern durch zwei Pumpen mit total 34 mW Leistung zur Speicherung in den Limmernsee hinaufgepumpt werden.

Die obere Stufe der bestehenden KLL-Anlagen nutzt das Gefälle von maximal 676 m zwischen dem Stausee Limmernboden und dem auf 2446 m ü. M. gelegenen Muttsee, einem natürlichen, etwa 60 m tiefen Bergsee. Beim Bau der KLL ist dieser See mit einem Stollen angezapft worden, wodurch ein hoch gelegenes Speichervolumen von 9 Mio. m3 als Saisonspeicher verfügbar wurde. Das Triebwasser aus dem Muttsee fliesst durch eine in einem Stollen verlegte Druckleitung zur Kavernenzentrale mit 4.4 mW Leistung neben der Krone der Staumauer Limmernboden und danach in den Limmernsee.

Zwischen 2005 und 2009 realisierten die KLL das Pumpspeicherwerk Tierfehd als Erweiterung der bestehenden Stufe Limmernboden-Tierfehd. Eine zusätzliche, in einem Schacht posi­tionierte Maschinengruppe mit 140 mW Pumpleistung und ein zweites Ausgleichsbecken ­ermöglichen den Pumpspeicherbetrieb zwischen Tierfehd und dem Limmernsee.

Staumauer Muttsee

Das Gefälle zwischen dem Limmernsee als unterem Becken und dem Muttsee ist für die ­Anlage eines Pumpspeicherwerks geeignet (Abb. 03). Die natürliche Speicherkapazität des Muttsees ist aber zu klein und muss für den Betrieb einer grossen Pumpspeicheranlage ­vergrössert werden. Zunächst war vorgesehen, zu diesem Zweck einen Erddamm zu er­stellen (vgl. TEC21 1-2/2006); für das jetzt im Bau begriffene definitive Projekt wählten die ­Ingenieure schliesslich eine Betongewichtsmauer.

Die neue, ab Fundament maximal 35 m hohe Sperre am südlichen Ufer des bestehenden Muttsees weist eine Kronenlänge von 1025 m auf. Die im Grundriss zweigliedrig abgewinkelte Mauer (mit einem kleinen dritten Flügel am östlichen Ende) ist damit die längste Stau­mauer der Schweiz (Abb. 02). Die flach im anstehenden Fels fundierte Staumauer ist auf der Wasserseite vertikal und weist auf der Luftseite eine Neigung von 1 : 0.8 auf (Abb. 04). Die Kronenbreite beträgt meist 4 m, lokal 6 m, am Fundament ist die Mauer bis rund 30 m stark. Die befahrbare Krone liegt auf 2476 m ü. M., 2 m über dem Normalstau und 1 m über dem Maximalstau. Die Staumauer wird seit dem Frühjahr 2012 etappiert in 68 meist 15 m breiten Blöcken betoniert, insgesamt werden dabei rund 250 000 m³ Beton verbaut. Am Sperrenfuss verläuft wasserseitig ein 2.7 m hoher Kontrollgang in der Mauer, der auch der Ableitung des Drainage- und Meteorwassers aus der Mauer und als Zugang zur Schieberkammer des Grundablasses dient. Der bereits stillgelegte Triebwasserstollen des bestehenden Kraftwerks dient als wintersicherer Zugang zur Staumauer Muttsee.

Die Normalstaukote wird durch die Mauer auf 2474 m ü. M. angehoben, 28 m über den Wasserspiegel des natürlichen Muttsees. Das dadurch aufgestaute neue Speicherbecken wird einen Nutzinhalt von 23.43 Mio. m3 aufweisen, rund 35 % des Inhalts des Limmernsees.

Die Hochwasserentlastung des neuen Muttsees ist als geradlinige Überlaufschwelle in der Mauerkrone vor dem östlichen Ufer angeordnet (Abb. 04 rechts). Sie ist 75 m breit und liegt auf Kote 2474.6 m ü. M. Damit wird der Seestand beim statistischen Sicherheitshochwasser auf maximal 2475 m ü. M. begrenzt. Über die Schwelle der Hochwasserentlastung tretendes Wasser wird im Tosbecken am Mauerfuss aufgefangen. Die befahrbare Mauerkrone ist über der Hochwasserentlastung als fünffeldrige Brücke angelegt. Der Grundablass mit einem Abflussquerschnitt von 1 × 1.2 m ist im Mauerfuss auf der Ostseite angeordnet. Er wird mit zwei Gleitschützen geschlossen und entwässert ins Tosbecken der Hochwasserentlastung.

Ein- und Auslaufbauwerk Muttsee

Das obere Ein-/Auslaufbauwerk (Pos. 13 in Abb. 03) leitet das Betriebswasser aus dem Muttsee bei Turbinenbetrieb in den Oberwasser-Druckstollen (Pos. 9 in Abb. 03). Bei Pumpbetrieb leitet es das im Druckstollen aufsteigende Wasser in den See aus. Die teilweise ­unterirdische Stahlbetonkonstruktion am südwestlichen Seeende liegt bei Normalbetrieb vollständig unter dem Wasserspiegel. Das 76.4 m lange, im Querschnitt rechteckige Ein-/Auslaufbauwerk ist gegen den See trichterartig mit einer maximalen Breite von 34 m und einer maximalen Höhe von 25.7 m aufgeweitet. Die hydrodynamische Gestaltung dieses Bauwerks verhindert die Bildung von Turbulenzen im See und im Stollen. Die Sohle des Bauwerks liegt auf 2400 m ü. M.,  17 m tiefer als der minimale Seespiegel und rund 46 m tiefer als der Spiegel des natürlichen Muttsees. Der mittlere Bereich des Trichters ist in vier Abflusssektionen mit je einem 4.33 m breiten und 14.8 m hohen Rechen unterteilt.

Oberer Triebwasserweg

Am Ende des Ein-/Auslaufbauwerks ist der rechteckige Trichterquerschnitt von maximal rund 875 m zu einem kreisförmigen Stollenquerschnitt mit 8 m Durchmesser bzw. einem Querschnitt von rund 50 m² verjüngt. Im anschliessenden, rund 513 m langen, leicht geneigten und mit Stahlbeton ausgekleideten Oberwasser-Druckstollen (Pos. 9 in Abb. 03) fliesst das Triebwasser vom Muttsee zum Wasserschloss (Pos. 10 in Abb. 03). Vor dem Wasserschloss gabelt sich der Stollen in zwei innen mit Stahlblech gepanzerte Stollen[1] mit je 4.4 m Durchmesser mit einen Gesamtquerschnitt von rund 30 m².

Das zwischen den beiden Stollen angeordnete Wasserschloss ist als vertikaler, 130 m hoher Schacht mit einem Durchmesser von 10.5 m ausgebildet. Der mit einer Betoninnenschale ausgekleidete Schacht reicht bis zur Terrainoberfläche auf ca. 2500 m ü. M., der Schachtkopf wird nach Fertigstellung eingedeckt. Nach dem Wasserschloss enden die beiden Stollenstränge in der Schieberkaverne (Pos. 3 in Abb. 03), in der die Sicherheitsdrosselklappen untergebracht sind. Aus der Schieberkaverne fliesst das Triebwasser in zwei je 1054 m langen und 90 % geneigten, mit einer Stahlpanzerung (Abb. 05) ausgekleideten Druckschächten mit 4.2 m Durchmesser (Pos. 11 in Abb. 03) zur rund 670 m tiefer gelegenen Kavernenzen­trale (Pos. 1 und 2 in Abb. 03) zwischen Muttsee und Limmernsee. Vor dem Eintritt in die ­Maschinenkaverne teilen sich die beiden Druckstollen auf je zwei Pumpturbinensätze auf.

Unterwasserstolle

Die Kavernenzentrale liegt rund 150 m tiefer als das Stauziel des Limmernsees auf 1857 m ü. M. Bei minimalem Wasserstand beträgt die Höhendifferenz noch rund 50 m. ­Daraus ergibt sich der für den Pumpbetrieb erforderliche Gegendruck im Triebwassersystem. Er verhindert, dass Luft in die Pumpen gelangt, denn Lufteinschlüsse können schwere Schäden verursachen. Die Unterwasserstollen (Pos. 12 in Abb. 03) zwischen der Zentrale und dem Limmernsee stehen deshalb unter Druck und sind als Druckstollen ausgeführt.

Von den vier Pumpturbinensätzen führt je ein kurzer gepanzerter Unterwasserstollen mit 4 m Durchmesser zu unter der Transformatorenkaverne angeordneten Unterwasser-Schieber­kammern, in denen für jeden dieser Stollen eine Regulier- und eine Revisionsschütze installiert ist. Rund 40 m nach den Unterwasser-Schieberkammern werden je zwei dieser Stollen zu einem mit Stahlbeton ausgekleideten Druckstollen mit je 5.6 m Durchmesser zusammengefasst. Nach 405 m münden die Unterwasser-Druckstollen je in ein unterirdisch im Fels ­angelegtes, in Stahlbeton ausgeführtes Ein-/Auslaufbauwerk im Limmernsee (Pos. 13 in Abb. 03). Diese Bauwerke sind gleich aufgebaut wie das Ein-/Auslaufbauwerk im Muttsee, etwas kleiner (Länge 42 m, Breite 32 m, Höhe 20.6 m) und liegen im Normalbetrieb ebenfalls unter Wasser. Das in den Limmernsee zurückgegebene Wasser kann entweder wieder in den Muttsee hinaufgepumpt oder in der Zentrale Tierfehd turbiniert werden.

Kavernenzentrale

Die Kavernenzentrale Limmern besteht aus der Maschinenkaverne (Abb. 06, Pos. 1 in Abb. 03) und der parallel dazu unterwasserseitig angeordneten Transformatorenkaverne (Abb. 06, Pos. 2 in Abb. 03). Die im Grundriss rechteckige Maschinenkaverne ist rund 150 m lang, 30 m breit und im Scheitel des Kalottengewölbes 53 m hoch (Abb. 07). Die gleich ausge­bildete, achsparallele Transformatorenkaverne ist um 62 m in Richtung Limmernsee verschoben und etwas kleiner (131 m lang, maximal 24.3 m breit und bis zu 42 m hoch). Alle Kavernen sind mit Stahlbeton ausgekleidet.

In der Bauphase erschliessen zwei Bauseilbahnen (Abb. 05, Pos. 15 in Abb. 03) mit je 25 t Nutzlast bzw. 40 t Sonderlast die Baustellen für die Kavernenzentrale neben dem Limmernsee und für die Staumauer Muttsee. Daneben bleibt die bestehende, 1957 für den Bau der Staumauer Limmern eingerichtete Seilbahn (vgl. Titelbild TEC21 13/2008) für Personaltransporte weiter im Einsatz. Für die Montage der Hauptmaschinen und den künftigen Kraftwerksbetrieb wird ab dem vierten Quartal 2013 eine in einem Stollen angelegte, rund 4 km lange Standseilbahn mit Ausweiche, mit 24 % Gefälle zwischen dem Talboden in Tierfehd und der rund 900 m höher gelegenen Maschinenkaverne zur Verfügung stehen (Pos. 4 in Abb. 3). Die Standseilbahn ist für den Transport von Lasten bis 40 t im Normalbetrieb ausgelegt; die Anlage wird auch die Beförderung von Sondertransporten bis 215 t Nutzlast ermöglichen.

Die Kaverne ist zusätzlich vom bestehenden Tunnel, der für den Bau der Staumauer Limmernsee erstellt worden war, über einen neu angelegten fallenden Stollen zugänglich. Vom tiefsten Punkt der Zentrale aus führt ein Entlastungsstollen für die Entwässerung und Drainage des Kavernensystems ins Limmerntobel. Weitere Stollen dienen der Fortleitung der Abluft und der Entrauchung der Zentrale. Vier Kabel- und Stromschienenstollen verbinden die Maschinengruppen in der Maschinenkaverne mit den Schaltern und Transformatoren in der Transformatorenkaverne.

Die Maschinenkaverne beherbergt vier vertikalachsige Maschinengruppen[2] mit je 250 mW Ausbauleistung, die Oberwasser-Kugelschieber als Betriebs-, Not- und Revisionsverschluss und die zugehörigen Hilfsaggregate und Steuerungen. Der Innenraum mit untergehängtem Kalottengewölbe ist in sieben Geschosse unterteilt. Im Turbinenbetrieb beträgt die nominale Durchflussmenge pro Maschinengruppe rund 46 m³/s. Bei Volllast wäre damit der Nutzinhalt des vergrösserten Muttsees in weniger als eineinhalb Tagen verbraucht. Im Pumpbetrieb können pro Maschinengruppe rund 36 m³/s gefördert werden. Für den zukünftigen Betrieb der Maschinengruppen geht man von durchschnittlich 20 Starts und Stopps pro Tag und bis zu fünf Starts und Stopps pro Stunde im Turbinen- oder Pumpbetrieb aus. Die drehzahl­variablen asynchronen Motor-Generatoren ermöglichen die Regelung der Leistung im Pumpbetrieb und das Pumpen auch bei kleinen im Netz verfügbaren Leistungen. Parallel zum Pumpbetrieb sind die Maschinengruppen auch für die Netzstabilisierung[3] einsetzbar.

In der Transformatorenkaverne sind vier Maschinentransformatoren mit 280 mVA Ausbau­leistung, zwei Eigenbedarfstransformatoren, die Leistungsschalter für den Anschluss
der Maschinengruppen und die gasisolierte 400 kV-Hochspannungsschaltanlage mit zwei Energieableitungen über Kabel im Schrägstollen nach Tierfehd untergebracht.

Projektstand

Rund drei Jahre nach Baubeginn sind die Maschinen- und Trafokavernen ausgebrochen, und der Innenausbau ist im Gang (Abb. 07). Der Durchschlag des ersten, mit einer Tunnelbohrmaschine im steigenden Vortrieb aufgefahrenen Druckstollens ist im Oktober 2011 erfolgt. Gegenwärtig werden die Stahlpanzerrohre, die mit den Transportseilbahnen von Tierfehd aus antransportiert werden (Abb. 05), von der Schieberkammer aus eingeschoben.

Der zweite Druckstollen wird im Frühjahr 2013 durchschlagen sein. Der Schrägschacht für die Standseilbahn zur Kavernenzentrale ist im Frühling 2012 fertig ausgebrochen worden. Sobald der Innenausbau abgeschlossen ist, kann die Montage der Maschinengruppen beginnen. In den Sommermonaten 2012 bis 2014 wird die Staumauer am Muttsee erstellt (Titelbild). Gemäss Bauprogramm wird die erste Maschinengruppe Ende 2015 ans Netz gehen.


[Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung des Referats von Rolf W. Mathis am 11. Swiss Tunnel Congress am 14. Juni 2012 im KKL Luzern.]


Anmerkungen:
[01] Bei älteren Kraftwerken wurden in Stollenabschnitten mit guter Felsqualität noch unverkleidete Druckstollen erstellt. In neueren Anlagen sind die Druckstollen durchgehend mit Beton oder Stahlbeton ausgekleidet. Je nach hydrostatischem Druck im Stollen und den Eigenschaften des umgebenden Gesteins (Plastizität, Permeabilität, Stabilität etc.) wird der Stollen innen zusätzlich mit Stahlblech gepanzert. Eine Panzerung ist auch bei Richtungs- oder Querschnittsänderungen und beim Übergang zu frei stehenden Stahlrohren (Schieber, Drosselklappen, Verteilleitungen etc.) erforderlich. Beim Bau von gepanzerten Druckstollen wird in der Regel zuerst das innere Stahlrohr abschnittsweise eingeschoben, verlegt und verschweisst und anschliessend mit Beton hinterfüllt.
[02] Eine Maschinengruppe des Pumpspeicherwerks Linthal 2015 besteht aus einer reversiblen Francis- Pumpturbine mit verstellbaren Leitschaufeln, die mit einem drehzahlvariablen asynchronen Motor-Generator gekoppelt ist.
[03] Die Einstellung der Drehzahl im Pumpbetrieb ermöglicht die Regelung der Netzleistung. Über die produzierte Blindleistung kann gleichzeitig die Spannung reguliert werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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