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db deutsche bauzeitung 01-02|2013
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db deutsche bauzeitung 01-02|2013

Empathie zum Bestand

Kunstmuseum Ravensburg

Das am südlichen Rand der Ravensburger Altstadt situierte Kunstmuseum gilt als weltweit erstes zertifiziertes Museum in Passivhausbauweise. Ein besonderes Schmuckstück ist es aber nicht allein deshalb, sondern v. a., weil es zeigt, wie gut sich ein Gebäude in sein Umfeld einordnen kann, ohne auf eine unverwechselbare eigene Identität verzichten zu müssen.

9. Januar 2013 - Roland Pawlitschko
Ziegelsteine, Kupfer, Beton, Holz, Glas – diese Baumaterialien verleihen dem Kunstmuseum Ravensburg einen dezidiert handwerklichen und zeitlosen Charakter. Sie vermitteln Vertrautheit und Nähe, zeugen aber auch vom offenen Dialog mit der großflächig erstaunlich gut erhaltenen Altstadt. Das Gebäude nimmt sich dabei bescheiden zurück – ohne sich zugleich wegzuducken. Im Gegenteil. Durch seine nicht unerhebliche Baumasse, die Hülle aus grob verfugten Recyclingziegeln und die erhabene Geste der sanften Bogenschwünge am Dachrand ist es in der kleinteilig bebauten Umgebung so präsent wie kaum ein anderes Haus. Das gleichzeitige Bedürfnis nach städtebaulicher Integration und architektonischer Präsenz irritiert und macht neugierig: etwas Besseres hätte dem neuen Kunstmuseum einer Kleinstadt mit 50 000 Einwohnern gar nicht passieren können.

Den Kern der Ausstellungstätigkeit bildet die Kunstsammlung von Gudrun Selinka, die der Stadt Ravensburg angeboten hatte, ihre 230 Werke des deutschen Expressionismus und der Künstlergruppen Cobra und Spur als Dauerleihgaben zur Verfügung zu stellen. Um hierfür einen adäquaten Rahmen bieten und auch bezahlen zu können, kooperierte die Stadt mit dem Bauunternehmer Georg Reisch, der das Museum als Investor auf einem sanierungsbedürftigen Areal nahe der Museen Humpis-Quartier und Ravensburger errichtete und nun für 30 Jahre vermietet. Den 2009 ausgelobten Architektenwettbewerb konnten die Architekten von Lederer Ragnarsdóttir Oei für sich entscheiden.

Die Komplexität der Einfachheit

Flankiert von einem winzigen roten Stadthäuschen und zur engen, aber viel befahrenen Burgstraße mit Glaslamellen abgegrenzt, führt der Weg ins Innere des Kunstmuseums über einen kleinen Vorplatz. Nach dem Passieren der kupferbekleideten Drehtür gelangen die Besucher auf einen ebenfalls kupfernen Gitterrost, der wie ein roter Teppich auf den Empfangsbereich zuführt. Am Ende dieser Achse steht eine elegante Thekenskulptur mit samtiger Sichtbetonoberfläche, hinter der sich eine große schwarze, von oben natürlich belichtete Ablagenische auftut.

Angesichts dieser subtilen räumlichen Inszenierung, aber auch im Vergleich zur feinsinnig materialsichtigen Gebäudehülle wirkt das längliche EG mit rohem Estrichboden und weißen Wand- und Deckenoberflächen zunächst eigenartig glatt und banal. Natürlich wird sich das Foyer nach der offiziellen Eröffnung im März als vielfältig bespielbare, lebhafte Fläche für Wechselausstellungen, Veranstaltungen und die Museumspädagogik präsentieren. Dennoch ist dieser Eindruck von Leere nicht ganz falsch, zeigt er doch, wie ernst es den Architekten ist, wenn sie davon sprechen, dass Architektur in den Ausstellungsflächen »sekundär« sei. Ähnlich wie auf städtebaulicher Ebene – wo sie zuerst »die Stadt, dann die Architektur« sehen und sich einem »Weiterbauen« im Sinne Hans Döllgasts verpflichtet fühlen – wollen sie hier weder die Haustechnik noch Architekturdetails oder Raumkonzepte, sondern: Kunstwerke ausstellen. Dass sie deshalb in anderen Bereichen nicht auf das für ihr Büro typische, von der Moderne inspirierte Formenvokabular verzichten mussten, zeigen eigens gestaltete Deckenleuchten und die Beleuchtungselemente im Treppenhaus ebenso wie die Wasserspeier oder die offenen vertikalen Kupfer-Regenwasserrinnen in der Fassade.

White Cube und Gewölbe aus Recyclingziegeln

Im Mittelpunkt des Entwurfskonzepts steht der rechtwinklige, dem Grundstück in maximaler Größe einbeschriebene Grundriss der neutralen, vielseitig konfigurierbaren Ausstellungsbereiche. Seitliche Restflächen enthalten einen Aufzug sowie zwei Treppenräume, die zahlreiche verschiedene Museumsrundgänge ermöglichen. Die nördliche Treppe wirkt eher funktional und introvertiert und führt nach oben in die fensterlosen Ausstellungsebenen sowie zum Depot, zur Anlieferung, zu den Toiletten und zu den Büroräumen der Museumsverwaltung im UG. Die einläufige Haupttreppe in die OGs hingegen bietet den Besuchern bei jedem Geschosswechsel viel Tageslicht und einen wunderbaren Blick in die Umgebung – etwa zum baumbestandenen Veitsburghügel oder zum »Mehlsack«, einem um 1400 erbauten Wehrturm.

In dem als White Cube konzipierten 1. OG werden unter immer wieder wechselnden Mottos jeweils Teile der Sammlung Selinka präsentiert, während das Dachgeschoss Wechselausstellungen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts vorbehalten bleibt. Dort machen tragende, verschränkt konische Gewölbe aus Sichtmauerwerk einerseits die Form des geschwungenen Dachrands plausibel: »Wir spekulieren darauf, dass die Besucher genau dieser Form im Innern wieder begegnen wollen und das Treppensteigen deshalb als umso leichter empfinden«, sagen die Architekten. Andererseits findet sich am »Endpunkt der räumlichen Sequenz« durch die Verwendung der auch hier grob verfugten Recyclingziegel jene gestalterisch-ästhetische Kontinuität zwischen Innen und Außen, die man in den unteren Geschossen noch vermisst hat.

Auf kurzem Weg vom Wettbewerb zum Passivhaus

Die aus Abbruchgebäuden einer Klosteranlage in Belgien stammenden Ziegel sind aber nicht nur gestalterisches Element mit sinnlicher Patina, sondern Teil eines umfassenden Nachhaltigkeitskonzepts. Als Gebrauchtmaterial sind sie zwar keineswegs billiger als vergleichbare neue Ziegel, dafür weisen sie eine positivere Energiebilanz auf, weil sie nicht erst aufwendig hergestellt werden mussten. Überlegungen zu Lebenszyklus und Recyclingfähigkeit der Baumaterialien prägten den Entwurf von Anfang an ebenso wie ein kompakter und damit energetisch günstiger Baukörper, die Betonkerntemperierung für Heizung und Kühlung, eine Gas-Absorptions-Wärmepumpe und eine Lüftungsanlage, die je nach Luftqualität und Besucheranzahl Frischluft- bzw. Umluft liefert und damit Wärmeverluste reduziert. All diese Maßnahmen haben dazu geführt, dass der Weg vom Wettbewerbsentwurf zum Passivhaus nicht mehr allzu weit war, als der Bauherr kurz vor der Werkplanung beschloss, das Kunstmuseum im Passivhausstandard zu realisieren. Und so kam ein hinzugezogener Passivhausberater schnell zum Schluss, dass das spärlich befensterte Gebäude zwar kaum solare Gewinne verzeichnet, dafür aber über zahlreiche andere Wärmequellen – von den Besuchern über permanent betriebene technische Anlagen bis hin zur Beleuchtung – sowie eine günstige Energiebilanz verfügt.

Energetische Optimierungen

Hauptaugenmerk der energetischen Optimierungen lag v. a. auf der zweischaligen Gebäudehülle. Hier wurde zunächst die Dämmstärke der Mineralfaserdämmung auf 24 cm erhöht und auch eine bessere Wärmeleitfähigkeitsgruppe ausgewählt. Hohe Aufmerksamkeit erhielt auch die konsequente Beseitigung von Wärmebrücken. Hierfür wurden Flankendämmungen im UG vergrößert, v. a. aber spezielle Mauerwerksanker eingesetzt. Statt der üblichen Konsolanker, deren massive Flachstahlquerschnitte starke Wärmebrücken ausbilden, kamen stabförmig aufgelöste Anker zum Einsatz, mit denen sich die Wärmeleitfähigkeit halbieren ließ. Hinzu kamen mitunter überraschende Fragen zu einzelnen Bauteilen. Beispielsweise waren zwar passivhauszertifizierte Automatik-Glasschiebetüren auf dem Markt erhältlich, aber keine Drehtüren. Rechnerisch hätte das Gebäude undichte Türen mit schlechten Dämmeigenschaften durchaus kompensiert. Doch wäre in diesem Fall mit großen winterlichen Kondenswassermengen zu rechnen gewesen. Gemeinsam mit einem Hersteller entwickelten die Planer daher eine Drehtür mit isolierverglasten Flügeln, gedämmten und thermisch getrennten Seitenwänden, Dach- und Bodenbekleidungen sowie doppelten Bürstendichtungen.

Dass die Zertifizierung als Passivhaus letztlich keine gravierenden Veränderungen des ursprünglichen Wettbewerbsbeitrags erforderte, liegt an einem Entwurfskonzept, das von Anfang an als in jeder Hinsicht nachhaltig angelegt war: im sensiblen Umgang mit der historischen Umgebung und der flexiblen Bespielbarkeit der Ausstellungsräume ebenso wie im Einsatz energieeffizienter Haustechnik und natürlicher Baumaterialien, die sich am Ende des Lebenszyklus' problemlos entsorgen lassen – ein Zeitpunkt, der hoffentlich noch weit entfernt liegt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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